Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung - Urlaubsabgeltung
Normenketten:
EUrlV § 10
Arbeitszeit-RL Art. 7 Abs. 1, 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 4, § 124a Abs. 4 S. 4
Leitsätze:
1. Bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 der RL 2003/88/EG kommt es nur darauf an, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten Urlaub gehandelt hat. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 10 Abs. 1 EUrlV begrenzt den Abgeltungsanspruch ausdrücklich auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer rechtzeitig auffordern muss, ihren Mindestjahresurlaub anzutreten und über dessen Verfall zu informieren, bezieht sich ebenfalls nur auf diesen vierwöchigen unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Europäische Gerichtshof ist kein Divergenzgericht des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Urlaubsabgeltung, Unionsrechtlicher Mindesturlaub, Abgeltungsanspruch, Neuer Urlaub, Alter Urlaub, Verfall, Information, Dienstunfähig
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 22.03.2023 – M 21a K 22.5784
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22059
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. März 2023 – M 21a K 22.5784 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 9.765,73 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, ist unbegründet. Die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Der Kläger begehrt Urlaubsabgeltung für die Jahre 2020 bis 2022. Er stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand in einer 5-Tage-Woche im Dienst der Beklagten. Vom 26. Februar 2021 bis zum Beginn des Ruhestandes am 1. April 2022 war der Kläger ununterbrochen dienstunfähig krank. Mit Schreiben vom 4. November 2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ihm für 2020 und 2021 jeweils noch 30 Tage und für 2022 noch 8 Tage Urlaub (insgesamt 68 Urlaubstage) zustünden. Mit Schreiben vom 31. März 2022 beantragte der Kläger die Auszahlung des aufgrund von Krankheit nicht genommenen Urlaubs für die Jahre 2020, 2021 und 2022. In der „Mitteilung über unionsrechtlich abzugeltende Urlaubstage“ vom 11. April 2022 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass die 20 unionsrechtlich abzugeltenden Mindesturlaubstage für 2020 „verfallen“ seien. Für 2021 und 2022 stehe ihm die Abgeltung von 20 bzw. 5 Urlaubstagen (insgesamt 25 Urlaubstage) zu, da diese krankheitsbedingt nicht genommen worden seien. Daraufhin wurden 25 Tage Urlaub (für 2021 und 2022) abgegolten. Der Kläger forderte die Beklagte erfolglos auf, den offenen Urlaubsgeltungsbetrag in Höhe von 9.765,73 Euro für 43 weitere Tage auszuzahlen.
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Mit seiner zum Verwaltungsgericht erhobenen Klage hat der Kläger beantragt‚ die Beklagte zu verurteilen, ihm 9.765,73 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 1. April 2022 zu bezahlen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil als unbegründet abgewiesen.
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2. Die vom Kläger gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 VwGO.
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a) An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Dieser Zulassungsgrund wäre begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall. Der Zulassungsantrag hält den entscheidungstragenden Erwägungen im erstinstanzlichen Urteil nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an seiner Richtigkeit begründet und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedarf.
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Gemäß § 28 Abs. 4 SG in Verbindung mit § 1 Satz 1 SUV und § 10 Abs. 1 EUrlV ist Erholungsurlaub in Höhe des unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruchs (Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG), der vor Beendigung des Beamtenverhältnisses wegen vorübergehender Dienstunfähigkeit nicht genommen worden ist, abzugelten. Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG sieht einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen (bei einer 5-Tage-Woche somit 20 Tage) vor. Im Urlaubsjahr bereits genommener Erholungsurlaub oder Zusatzurlaub ist auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch anzurechnen, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt der Anspruch entstanden ist, § 10 Abs. 2 EUrlV. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 und 2 der RL 2003/88/EG nach dem Zweck der Norm nur darauf an, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten Urlaub gehandelt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BVerwG, U.v. 15.6.2021 – 2 A 1.20 – juris Rn. 20 m.w.N.). In Übereinstimmung damit hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Kläger im Jahr 2020 seinen gesamten unionsrechtlichen Mindesturlaub genommen hat. In welchem Jahr der Urlaub entstanden ist (hier: 2019), ist gemäß § 10 Abs. 2 EUrlV für die Erholungsfunktion des Urlaubs unerheblich.
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Der Kläger wendet hiergegen ein, er habe im Jahr 2019 bestenfalls zwei Tage Urlaub im Januar genommen und aus dienstlichen Gründen keinen zusammenhängenden Erholungsurlaub antreten können. Die Beklagte verwehre ihm im Jahr 2019 den unionsrechtlichen Mindesturlaub. Er habe mit seiner Klage lediglich einen Zahlbetrag geltend gemacht. Ihm stehe eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen zu, die abgegolten werden müssten. Wenn das Verwaltungsgericht meine, er hätte im Jahr 2020 den europarechtlich garantierten Mindesturlaub genommen und es komme nicht darauf an, wann dieser Urlaub entstanden sei, hätte es der Frage nachgehen müssen, ob er im Vorjahr den europarechtlichen Mindesturlaub erhalten habe oder ob gegebenenfalls dieser abzugelten sei. Zudem sei das Urteil fehlerhaft, weil die Beklagte über den gesamten Urlaubsanspruch hätte aufklären müssen.
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Diese Argumentation ist – abgesehen davon, dass der Kläger ausweislich seiner Urlaubskarteikarte im Jahr 2019 insgesamt 12 Tage Erholungsurlaub erhalten hatte – im rechtlichen Ausgangspunkt nicht geeignet, dem Zulassungsantrag zum Erfolg zu verhelfen. Das Verwaltungsgericht stützt sich bei seiner Argumentation auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. z.B. U.v. 15.6.2021 – 2 A 1.20 – juris Rn. 20 m.w.N.). Es gelingt dem Kläger nicht darzulegen, warum in seinem Fall von dieser Rechtsprechung abgewichen werden sollte. Wenn es bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 und 2 der RL 2003/88/EG nach dem Zweck der Norm nur darauf ankommt, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat und es hierbei unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten Urlaub gehandelt hat, sind die vom Kläger für das Jahr 2019 vorgetragenen Begebenheiten unerheblich. Es kommt auch nicht darauf an, dass nur ein „Zahlbetrag“ geltend gemacht worden sei. Die Vorschrift des § 10 EUrlV betrifft gerade die finanzielle Abgeltung von Erholungsurlaub. § 10 Abs. 1 EUrlV begrenzt den Abgeltungsanspruch ausdrücklich auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG. Soweit der Kläger einwendet, die Beklagte hätte über den gesamten Urlaubsanspruch aufklären müssen, übersieht er, dass sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer rechtzeitig auffordern muss, ihren Mindestjahresurlaub anzutreten und über dessen Verfall zu informieren, sich eben nur auf diesen vierwöchigen unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub bezieht (vgl. hierzu OVG Berlin-Bbg, U.v. 23.1.2020 – OVG 4 B 12.18 – juris Rn. 23 ff.), worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist (UA S. 7).
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b) Die Berufung ist nicht wegen besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu müsste das Verfahren das normale Maß erheblich übersteigende Schwierigkeiten aufweisen (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 37; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Solche Schwierigkeiten werden mit der Antragsbegründung nicht substantiiert aufgezeigt und liegen auch nicht vor. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich vielmehr aus den oben dargelegten Gründen ohne weiteres im Sinn des Verwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es dazu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
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c) Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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Um diesen Zulassungsgrund dazulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zudem ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, ferner erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und schließlich darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2022 – 6 ZB 22.184 – juris Rn. 16). Dem entspricht der Zulassungsantrag nicht. Der Kläger wirft als klärungsbedürftig die Frage auf, „ob der Arbeitnehmer selbst sich darum kümmern muss, den Urlaub zu nehmen, oder ob eine Obliegenheit des Arbeitgebers besteht“. Es sei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anzuwenden, wonach Urlaub nur verfallen könne, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf seinen bestehenden Urlaubsanspruch hinweise und darauf hinwirke, dass der Arbeitnehmer diesen Urlaub auch tatsächlich nehmen könne. Der Europäische Gerichtshof könne grundsätzlich nur über den Mindesturlaub nach der Richtlinie entscheiden. Es handele sich jedoch um eine grundsätzliche Frage. Der Arbeitgeber sei gehalten, den Arbeitnehmer über seinen gesamten Urlaubsanspruch aufzuklären.
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Damit gelingt es dem Kläger nicht, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage darzulegen. Er selbst führt im Zulassungsantrag aus, der Europäische Gerichtshof könne grundsätzlich nur über den Mindesturlaub nach der Richtlinie entscheiden. Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 EUrlV bezieht sich ausdrücklich nur auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG. Somit ist die vom Kläger aufgeworfene Frage weder klärungsbedürftig noch entscheidungserheblich.
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d) Eine Divergenz im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO legt der Kläger nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dar.
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Dieser Zulassungsgrund ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Rechtsmittelführer einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensatz benennt, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Divergenzgerichte aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung der Klagepartei divergierenden Rechts- oder Tatsachensätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden.
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Der Europäische Gerichtshof ist schon keines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Divergenzgerichte.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).