Inhalt

VGH München, Urteil v. 21.08.2023 – 5 BV 21.2773
Titel:

Staatsangehörigkeitsrechtliche Wirkung einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung  

Normenketten:
GG Art. 16 Abs. 1 S. 2
BGB § 1592 Nr. 2, § 1599 Abs. 1
StAG § 4 Abs. 1, § 17 Abs. 2, Abs. 3
Leitsatz:
Ein Kind verliert die durch Geburt aufgrund wirksamer Vaterschaftsanerkennung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch eine erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung, weil es insoweit an einer gesetzlichen Grundlage fehlt (wie BVerwG, U.v. 26.5.2020 – 1 C 12/19 – BVerwGE 168, 159 Rn. 23). (Rn. 28 – 29)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit, Gesetzliche Grundlage für den Staatsangehörigkeitsverlust, Staatsangehörigkeitsrechtliche Wirkung einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung, erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung, Verlusts der Staatsangehörigkeit, Abstammung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 22.09.2021 – AN 14 K 20.72
Fundstellen:
BayVBl 2024, 135
StAZ 2023, 371
FamRZ 2023, 1977
BeckRS 2023, 22058
LSK 2023, 22058
DÖV 2024, 166

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Landesanwaltschaft Bayern trägt als Vertreter des öffentlichen Interesses die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Landesanwaltschaft Bayern darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit.
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Der Kläger wurde am … … 2010 geboren. Die Mutter des Klägers besitzt die serbische Staatsangehörigkeit. Am 29. Oktober 2010 erkannte ein deutscher Staatsangehöriger die Vaterschaft an.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts N. … vom 26. März 2015, rechtskräftig seit 16. Mai 2015, wurde auf Antrag des Mannes, der die Vaterschaft anerkannt hatte, festgestellt, dass dieser nicht der Vater des Klägers ist.
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Am 9. August 2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Er sei als Kind eines deutschen Staatsangehörigen geboren worden. Die mit der Vaterschaftsanfechtung bewirkte „Aufhebung“ der Vaterschaft habe keinen Verlust seiner deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge gehabt. Die Regelung des § 17 i.V.m. § 4 Abs. 1 StAG stelle hierfür keine ausreichende gesetzliche Grundlage dar.
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Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 11. August 2017 mit, ein Staatsangehörigenausweis könne nicht ausgestellt werden. Der Kläger habe gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes verloren, weil er bei Rechtskraft der Vaterschaftsaberkennung durch das Amtsgericht N. … das fünfte Lebensjahr noch nicht vollendet habe.
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Nach einem zeitweiligen einvernehmlichen Ruhen des Antragsverfahrens bat der Klägerbevollmächtigte die Beklagte mit Schreiben vom 14. August 2019 um die Erklärung, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei. Andernfalls werde um einen rechtsmittelfähigen Bescheid gebeten. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2019 teilte die Beklagte dem Klägerbevollmächtigten sinngemäß mit, an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festzuhalten.
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Am 14. Januar 2020 erhob der Kläger eine Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach mit dem Ziel der Feststellung, dass er deutscher Staatsangehöriger ist.
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Mit Urteil vom 22. September 2021 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte, festzustellen, dass der Kläger deutscher Staatsangehöriger ist. Die zulässige Klage sei begründet. Der Kläger habe die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG durch Geburt erworben, da ein deutscher Staatsangehöriger die Vaterschaft gemäß § 1592 Nr. 2 BGB anerkannt habe. Die mit Beschluss des Amtsgerichts N. … vom 26. März 2015 erfolgte Vaterschaftsaberkennung gemäß § 1599 Abs. 1 BGB habe nicht zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers geführt. Dafür bedürfe es aufgrund der Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, an der es fehle. In § 1599 Abs. 1 i.V.m. § 1592 Nr. 2 BGB seien lediglich verwandtschaftsrechtliche, nicht dagegen staatsangehörigkeitsrechtliche Folgen einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung geregelt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG werde die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben, wenn ein Elternteil diese besitze; ein Verlust der Staatsangehörigkeit sei dort nicht geregelt. Auch in § 17 Abs. 2 und 3 StAG sei eine eindeutige Regelung des Verlustes der Staatsangehörigkeit nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung unterblieben. Die Anwendbarkeit der dort normierten Altersgrenze von fünf Jahren setzte eine anderweitige Regelung über den Verlust der Staatsangehörigkeit voraus. Zudem könne ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit den Wegfall der Unionsbürgerschaft nach sich ziehen. Den einschlägigen unionsrechtlichen Grundsätzen werde ein Verlust der Unionsbürgerschaft nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung nicht gerecht, da er nicht eindeutig normiert und dementsprechend im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit nicht überprüfbar sei.
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Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung beantragt die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. September 2021 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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In § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG sei der Verlust der durch Geburt erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit infolge einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung nicht nur implizit, sondern durch den Relativsatz „die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten […]“ ausdrücklich und hinreichend bestimmt geregelt. Darin komme der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, bestimmte Entscheidungen nach anderen Gesetzen sollten den rückwirkenden Verlust der kraft Gesetzes erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge haben, was für den erforderlichen Rechtsanwendungsbefehl ausreiche; die strengen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG seien erfüllt. Die Gegenauffassung unterstelle dem Gesetzgeber, in § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG allein die Ausnahme zu einer nicht normierten Regel angeordnet zu haben, womit die Ausnahmeregelung von vornherein ins Leere liefe. In seinem Beschluss vom 17. Juli 2019 (2 BvR 1327/18 – juris Rn. 34) habe das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die im Februar 2009 erfolgte Neuregelung in § 17 Abs. 2 und 3 StAG im dort zu entscheidenden Fall nicht habe berücksichtigt werden können. Der Gesetzgeber habe in Konkretisierung der abstrakten Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 24.10.2006 – 2 BvR 696/04 – juris Rn. 19 und 22) in § 17 Abs. 2 StAG ohne weiteres als maßgebliche Altersgrenze für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit die Vollendung des fünften Lebensjahres vorsehen können. Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2013 (1 BvL 6/10 – juris Rn. 83), wonach eine nur mittelbare Regelung den strengen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG nicht genüge, beziehe sich auf die damalige Behördenanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F. und auf § 17 Abs. 3 Satz 2 StAG, nicht aber auf die streitgegenständliche Konstellation, und könne nicht darauf übertragen werden. Die fehlende Vorkehrung der Verlustgrundlage des § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG für den Fall drohender Staatenlosigkeit führe nicht zur Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift, da insoweit eine verfassungskonforme Auslegung durch Reduktion der Verlustregelung möglich sei. Entsprechendes gelte auch in den Fällen, in denen der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zugleich zum Verlust der akzessorischen Unionsbürgerschaft (Art. 20 Abs. 1 Satz 2 AEUV) führe. Die Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG verstoße auch nicht gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG).
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Die Beklagte hat sich dem Vortrag der Landesanwaltschaft Bayern angeschlossen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Im Hinblick auf die gravierenden Folgen des Verlusts der Staatsangehörigkeit müssten Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen eines Verlusttatbestands ausdrücklich im Gesetz benannt werden. Der Gesetzgeber habe bei der Normierung des § 17 Abs. 2 und 3 StAG allein das Ziel verfolgt, die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte Altersgrenze für einen Verlust der Staatsangehörigkeit gesetzlich festzulegen. Entsprechend habe er keinen gesetzlichen Verlusttatbestand als solchen normiert. Dafür spreche auch eine Auslegung anhand des Wortlauts von § 17 Abs. 3 StAG. Die vom Bundesverfassungsgericht (B.v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 – juris) zur behördlichen Vaterschaftsanfechtung (§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F.) entwickelten Grundsätze seien auf den streitgegenständlichen Fall einer Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB übertragbar. Daher müsse auch vorliegend eine gesetzliche Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit ausdrücklich die Prüfung erlauben, ob das betreffende Kind staatenlos würde. Zudem sei es europarechtlich geboten, Raum für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu geben. Zudem sei das Zitiergebot gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht gewahrt. Im Übrigen wäre vorliegend ein etwaiger Verlust der Staatsangehörigkeit des Klägers am Maßstab des Art. 16 Abs. 1 GG zu messen gewesen. Im Hinblick auf die insoweit bedeutsame Frage, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Verlusteintritts ein Alter erreicht habe, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand der Staatsangehörigkeit entwickelt hätten, sei gemäß der gesetzgeberischen Wertung in § 17 Abs. 2 StAG auf den Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises abzustellen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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I. Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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II. Das Verwaltungsgericht hat das Klagebegehren zutreffend dahin ausgelegt (§ 88 VwGO), dass der Kläger die Verpflichtung der Beklagten beansprucht, gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG das Bestehen seiner deutschen Staatsangehörigkeit festzustellen (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Zwar deutet der Wortlaut des Klageantrags in der Klageschrift vom 13. Januar 2020 auf ein Feststellungsbegehren im Sinne von § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO hin. Die Klage dient jedoch offensichtlich mittelbar (auch) dem im Antrag vom 9. August 2017 formulierten Ziel des Klägers, einen Staatsangehörigkeitsausweis zu erhalten; dessen Ausstellung setzt die Feststellung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG durch die Staatsangehörigkeitsbehörde voraus (§ 30 Abs. 3 Satz 1 StAG).
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III. Die zulässige Berufung des Vertreters des öffentlichen Interesses ist unbegründet. Dem Kläger steht der Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit zu; die entsprechende Verpflichtung der Beklagten war auszusprechen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Für das Bestehen des Verpflichtungsanspruchs kommt es grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und damit auf das Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG – in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung nach seiner letzten Änderung durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2847) an. Allerdings ist für den Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes aus Gründen des materiellen Rechts auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts der jeweiligen Voraussetzungen abzustellen. Das gilt auch für einen Wegfall der Eigenschaft als rechtlicher Vater und dessen zeitliche (Rück-)Wirkung, die sich nach den im Zeitpunkt der Rechtskraft des familiengerichtlichen Urteils, mit dem das Nichtbestehen der Vaterschaft festgestellt wurde, geltenden Rechtsvorschriften des bürgerlichen Rechts richten (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 1/17 – juris Rn. 11).
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2. Der Kläger hat gemäß § 4 Abs. 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, da ein deutscher Staatsangehöriger gemäß § 1592 Nr. 2 BGB die Vaterschaft wirksam anerkannt hat. Durch die mit rechtskräftigem Beschluss des Amtsgerichts N. … vom 26. März 2015 erfolgte Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft ist kein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers eingetreten, weil eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt.
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a) Der Wegfall der durch Geburt erworbenen Staatsangehörigkeit durch eine gerichtliche Feststellung des Nichtbestehens der den Erwerb begründenden Vaterschaft stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 17.7.2019 – 2 BvR 1327/18 – juris Rn. 24) jedenfalls dann keine (ausnahmslos verbotene) Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG dar, wenn das betroffene Kind sich in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt haben. Bei Einfügung des § 17 Abs. 2 StAG durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 158) mit Wirkung vom 12. Februar 2009 hat der Gesetzgeber diese Altersgrenze bei fünf Jahren angesetzt und dabei von seiner Einschätzungsprärogative Gebrauch gemacht (vgl. zu den maßgeblichen Erwägungen BT-Drs. 16/10528 S. 6 f.).
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Der Kläger hatte bei Eintritt der Rechtskraft der gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft am 16. Mai 2015 das fünfte Lebensjahr noch nicht vollendet und kann sich daher nicht darauf berufen, dass ein etwaiger dadurch eingetretener Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit einen Eingriff in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG darstellen würde.
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b) Damit würde gegebenenfalls ein sonstiger unfreiwilliger Verlust der Staatsangehörigkeit vorliegen, der gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG unter Gesetzesvorbehalt steht.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 – juris Rn. 81; B.v. 17.7.2019 – 2 BvR 1327/18 – juris Rn. 33) ist eine gesetzliche Anordnung des Verlusts der Staatsangehörigkeit nur dann hinreichend bestimmt, wenn die für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit nicht beeinträchtigt wird. Hierbei sind die strengen Anforderungen zu beachten, die der Gesetzesvorbehalt an die Regelung der Staatsangehörigkeit stellt. Zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus gehört auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und damit ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen.
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c) Eine gesetzliche Grundlage im vorgenannten Sinne für einen unfreiwilligen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit infolge einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung fehlt (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.2020 – 1 C 12/19 – Rn. 23).
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aa) Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG erwirbt ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt, wenn ein Elternteil diese Staatsangehörigkeit besitzt. Diese Vorschrift enthält einen ausdrücklichen Erwerbstatbestand für die deutsche Staatsangehörigkeit, nicht dagegen eine Verlustregelung.
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Soweit die Abstammung von dem Vater mit deutscher Staatsangehörigkeit die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erfordert, so muss diese gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG nach den deutschen Gesetzen wirksam sein. Auch insoweit wurde kein Verlusttatbestand normiert, sondern im Rahmen des Erwerbstatbestands auf Voraussetzungen für das Wirksamwerden einer Vaterschaftsanerkennung oder -feststellung nach deutschem Recht (§§ 1594 ff., § 1600d BGB, § 182 Abs. 1 FGG) Bezug genommen. Durch die rechtskräftige gerichtliche Feststellung, dass der betreffende deutsche Staatsangehörige nicht der Vater des Kindes ist, entfällt keine Wirksamkeitsvoraussetzung in diesem Sinne. Vielmehr wird dadurch die Begründung der Abstammung durch eine wirksame Vaterschaftsanerkennung wieder beseitigt (§ 1592 Nr. 1 i.V.m. § 1599 Abs. 1 BGB). Die anerkannte Vaterschaft besteht bis zur Rechtskraft der betreffenden gerichtlichen Feststellung fort (vgl. BVerfG, B.v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 – juris Rn. 27).
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bb) Auch die familienrechtliche Vorschrift des § 1599 Abs. 1 BGB beinhaltet keine Regelung staatsangehörigkeitsrechtlicher Wirkungen einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung. Zwar liegt ihr die unausgesprochene Annahme des Gesetzgebers zugrunde, das Staatsangehörigkeitsrecht folge in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften, sodass die staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen mit der Vaterschaft ohne weiteres rückwirkend entfallen würden. Es fehlt jedoch an einer dem Gesetzesvorbehalt in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechenden ausdrücklichen Regelung einer solchen Rechtswirkung (vgl. BVerfG, B.v. 17.7.2019 – 2 BvR 1327/18 – juris Rn. 34; B.v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 – juris Rn. 82).
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cc) Eine gesetzliche Grundlage für einen Staatsangehörigkeitsverlust infolge einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung findet sich auch nicht in § 17 StAG. Im Katalog von Verlusttatbeständen in § 17 Abs. 1 StAG wird dieser Fall nicht genannt. Gleichermaßen beinhaltet § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG keine entsprechende Verlustregelung.
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Gemäß § 17 Abs. 2 StAG berührt der Verlust der Staatsangehörigkeit durch Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (§ 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG) nicht die kraft Gesetzes erworbene deutsche Staatsangehörigkeit Dritter, sofern diese das fünfte Lebensjahr vollendet haben. § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG ordnet die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift bei Entscheidungen nach anderen Gesetzen an, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten, u.a. bei der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft nach § 1599 BGB.
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In § 17 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 StAG ist nicht geregelt, dass ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, die es durch Geburt aufgrund einer Vaterschaftsanerkennung erworben hat, infolge einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung wieder verliert. Der Regelungsgehalt beschränkt sich darauf, einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, der als Rechtsfolge von Entscheidungen „nach anderen Gesetzen“ eintritt, auf Kinder zu beschränken, die das fünfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. In § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG wird u.a. die Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft gemäß § 1599 BGB als Entscheidung in diesem Sinn genannt. Die Regelung setzt damit den anderweitig gesetzlich angeordneten Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit voraus, ohne ihn selbst zu regeln.
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Bei Normierung der Altersgrenze in § 17 Abs. 2 und 3 StAG ging der Gesetzgeber davon aus, das Staatsangehörigkeitsrecht folge in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften; ein rückwirkender Wegfall der Abstammung von einem deutschen Elternteil als Erwerbsgrund für die deutsche Staatsangehörigkeit führe bei Kindern unter fünf Jahren zum rückwirkenden Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit (BT-Drs. 16/10528 S. 6 f.). Dies entsprach zum damaligen Zeitpunkt einer allgemeinen, hergebrachten Rechtsüberzeugung (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2006 – 2 BvR 696/04 – juris Rn. 21; BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 1.17 – juris Rn. 19 und 34; BayVGH, B.v. 11.9.2007 – 5 CS 07.1921 – juris Rn. 3). Die Neuregelung in § 17 Abs. 2 und 3 StAG bezweckte lediglich, entsprechend dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2006 (2 BvR 696/04 – juris Rn. 22) den Bestand einer durch eine Vaterschaftsanerkennung erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit im Falle einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung zu sichern, wenn das betreffende Kind das fünfte Lebensjahr vollendet hat (vgl. dazu unter a). Zudem ist in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/10528 S. 6) nur im Zusammenhang mit der Ergänzung des Katalogs in § 17 Abs. 1 StAG, nicht dagegen in Bezug auf die neuen Absätze 2 und 3 der Vorschrift davon die Rede, die bisherigen Verlustgründe der deutschen Staatsangehörigkeit würden ergänzt.
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Dem Vertreter des öffentlichen Interesses ist zwar darin zuzustimmen, dass § 17 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 StAG die Annahme des Gesetzgebers erkennen lässt, die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung lasse die aufgrund einer Vaterschaftsanerkennung durch Geburt gemäß § 4 Abs. 1 StAG erworbene deutsche Staatsangehörigkeit entfallen. Daraus ergibt sich jedoch keine gesetzliche Grundlage für einen unfreiwilligen Verlust der Staatsangehörigkeit, die den strengen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechen würde (BVerfG, B.v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 – juris Rn. 83; NdsOVG, U.v. 25.5.2023 – 13 LC 287/22 – juris Rn. 45 ff.; OVG Bremen, U.v. 10.3.2020 – LC 171/16 – juris Rn. 34 ff., a.A. VGH BW, B.v. 7.7.2020 – 11 S 2426/19 – juris Rn. 17). Vielmehr belegt gerade diese Annahme, dass aus damaliger Sicht des Gesetzgebers kein Erfordernis bestand, für diesen Fall einen neuen Verlusttatbestand zu schaffen.
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dd) Ein gesetzlicher Verlusttatbestand ist den vorgenannten Vorschriften auch nicht im Wege einer Gesamtschau zu entnehmen. Auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22. September 2021 (UA S. 14 f.) wird Bezug genommen (vgl. auch Nds OVG, U.v. 25.5.2023 – 13 LC 287/22 – juris Rn. 50; OVG Bremen, U.v. 10.3.2020 – LC 171/16 – juris Rn. 39).
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d) Da es bereits an einer einschlägigen gesetzlichen Grundlage für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers fehlt, sind dessen weitere Rügen nicht mehr entscheidungserheblich. Dies betrifft namentlich die Maßgabe in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GG (kein Verlust der Staatsangehörigkeit im Falle drohender Staatenlosigkeit), die Vereinbarkeit von § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG mit Unionsrecht sowie die Einhaltung des Zitiergebots (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG).
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3. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse (§ 30 Abs. 1 Satz 1 StAG) des Klägers ergibt sich aus der (bislang) fehlenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zu staatsangehörigkeitsrechtlichen Wirkungen einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit für den Kläger.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.