Titel:
Ablehnung der Beiladung eines bestandskräftig Duldungspflichtigen
Normenkette:
VwGO § 65
Leitsätze:
1. Voraussetzung für die notwendige Beiladung ist, dass der Beizuladende am vorliegenden Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, dass die Entscheidung ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist der Fall, wenn die begehrte Sachentscheidung unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen Dritter gestaltet, bestätigt, feststellt, verändert oder aufhebt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zweck der einfachen Beiladung ist, nicht zu den Hauptbeteiligten gehörende Dritte, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung unmittelbar berührt werden können, am Verfahren zu beteiligen, damit sie sich Gehör verschaffen können. Außerdem soll durch die Rechtskraftwirkungen der Entscheidung etwaigen weiteren Rechtsstreitigkeiten vorgebeugt werden. Die Beiladung bezweckt jedoch nicht, Rechtspositionen eines am Rechtsstreit Beteiligten zu stärken oder in dessen Interesse die Möglichkeit der Sachaufklärung zu erweitern. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung eines Antrags der Kläger auf Beiladung des Mieters/Pächters zu einem Verfahren auf Aufhebung einer an die Kläger als Eigentümer des Grundstücks adressierten Beseitigungsanordnung eines Gebäudes, Kein Fall der notwendigen Beiladung, Einfache Beiladung nicht zweckmäßig, Streitgegenstand, Rechtskraft, rechtliche Interessen, bestandskräftige Duldungsanordnung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.08.2023 – 2 C 23.1405
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22054
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Beiladung der … … … UG & Co. KG wird abgelehnt.
Gründe
1
Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Aufhebung eines Bescheids, in dem die Beklagte diese verpflichtet, ein Gebäude (Bezeichnung: Gebäude E) auf dem Grundstück … Str. …, FlNr. 970/0, Gem. … zu beseitigen, und den Klägern ein Zwangsgeld androht.
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Die Kläger sind Eigentümer des vorgenannten Grundstücks. Das Grundstück wurde durch zivilrechtlichen Vertrag der … … … UG & Co. KG überlassen. Inzwischen sei nach Auskunft des Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ein Räumungstitel gegen die … … … UG & Co. KG erwirkt worden.
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Bereits mit Bescheid vom 30. August 2018 verpflichtete die Beklagte die Kläger u.a. das Gebäude E zu beseitigen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage (M 8 K 18.4689). Der Bescheid wurde von der Beklagten nach Hinweis des Gerichts wegen fehlender Bestimmtheit der Verfügung und Zwangsgeldandrohung aufgehoben. An die … … … UG & Co. KG erging am 13. August 2018 ein Bescheid, in dem sie zur Duldung der Beseitigung des streitgegenständlichen Gebäudes verpflichtet wurde.
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Gegen diesen Bescheid wurde keine Klage erhoben.
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Mit Bescheid vom 20. Juli 2021 verpflichtete die Beklagte die Kläger das Gebäude E zu beseitigen und drohte gesamtschuldnerisch ein Zwangsgeld an. Im Rahmen ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage bringen die Kläger insbesondere vor, die Störerauswahl im streitgegenständlichen Bescheid vom 20. Juli 2021 sei rechtswidrig, da der Rechtsvorgänger der Kläger mit dem Rechtsvorgänger der … … … UG & Co. KG im Mietvertrag vom … Juni 1975 vereinbart hätte, dass die von der Mietvertragspartei errichteten Gebäude nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks werden würden. Die Kläger seien daher nicht die Eigentümer des streitgegenständlichen Gebäudes und könnten nicht als Störer in Anspruch genommen werden.
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In der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2023 stellte der Bevollmächtigte der Kläger einen Antrag auf Beiladung der … … … UG & Co. KG, …str., … …
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beiladung sei im Interesse der Kläger notwendig, um eine Rechtskrafterstreckung nach § 121 VwGO zu bewirken.
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Die Beklagte erhielt in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Äußerung und beantragte,
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die Beiladung abzulehnen.
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Die Beiladung sei nicht notwendig. Gegenüber der genannten Firma sei eine Duldungsanordnung erlassen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Beiladung bleibt ohne Erfolg, da weder ein Fall der notwendigen Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO vorliegt (1.) noch das Gericht eine Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO für zweckmäßig erachtet (2.).
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1. Die Beiladung der … … … UG & Co. KG ist nicht notwendig i.S.d. § 65 Abs. 2 VwGO.
14
Voraussetzung für die notwendige Beiladung wäre, dass die Beizuladende am vorliegenden Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, dass die Entscheidung ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2013 – 4 C 1/13 – juris Rn. 7; U.v. 19.1.1984 – 3 C 88.82 – juris; B.v. 9.1.1999 – 11 C 8.97 – NVwZ 1999, 296 – juris; BayVGH, B.v. 7.11.2013 – 2 ZB 12.1742 – juris Rn. 17). Das ist der Fall, wenn die von den Klägern begehrte Sachentscheidung unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen Dritter gestaltet, bestätigt, feststellt, verändert oder aufhebt (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2013 – 2 ZB 12.1742 – juris Rn. 17; Hoppe, in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2022, § 65 Rn. 14 m.w.N.).
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Dies berücksichtigend, ist die Beiladung nicht notwendig. Die Kläger machen geltend, dass nicht sie, sondern die … … … UG & Co. KG die richtige Adressatin des Bescheids seien. Die in § 121 VwGO bestimmte Rechtskrafterstreckung bindet die Beteiligten nur insoweit, als über den Streitgegenstand entschieden ist. Streitgegenstand ist hier eine von der Beklagten gegenüber den Klägern als Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks verfügte Beseitigungsanordnung. Die Kläger begehren die Aufhebung dieser Beseitigungsanordnung, d.h. es geht um die Frage, ob die Kläger durch den streitgegenständlichen Bescheid in ihren Rechten verletzt werden. Streitgegenstand ist in vorliegendem Verfahren nicht, ob eine Beseitigungsanordnung gegenüber der … … … UG & Co. KG ergehen kann oder ob diese verpflichtet ist, die gegen die Kläger angeordnete Beseitigung zu dulden (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 28.4.1972 – IV C 42.69 – BeckRS 2016, 48414). Hieran würde auch die Beiladung nichts ändern.
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2. Zudem ist auch eine einfache Beiladung nicht zweckmäßig.
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Nach § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen oder in höherer Instanz anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen.
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Zweck der einfachen Beiladung ist es, nicht zu den Hauptbeteiligten gehörende Dritte, deren rechtliche Interessen jedoch durch die Entscheidung des Gerichts im anhängigen Klageverfahren unmittelbar berührt werden können, am Verfahren zu beteiligen, damit sie sich Gehör verschaffen können. Außerdem soll durch die Rechtskraftwirkungen der Entscheidung etwaigen weiteren Rechtsstreitigkeiten vorgebeugt werden (vgl. BayVGH, B.v. 31.1.2012 – 1 C 11.3033 – juris Rn. 9 m.w.N.). Die Beiladung bezweckt jedoch nicht, Rechtspositionen eines bereits am Rechtsstreit Beteiligten zu stärken oder in dessen Interesse die Möglichkeit der Sachaufklärung zu erweitern (vgl. bspw. BVerwG, B.v. 6.10.2020 – 4 B 10.20 – BeckRS 2020, 29946). Ein Anspruch der Klage- oder Beklagtenpartei auf Beiladung eines Dritten besteht grundsätzlich nicht.
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Es kann dahinstehen, ob vorliegend überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen der einfachen Beiladung vorliegen, d.h. ein rechtliches Interesse der … … … UG & Co. KG besteht. Bei der im Rahmen der Entscheidung über die einfache Beiladung zu treffenden Ermessensentscheidung hält es das Gericht nicht für zweckmäßig, die … … … UG & Co. KG beizuladen.
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Die Frage, wer im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen bauaufsichtlichen Verfügung in Anspruch genommen werden kann, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, der Verhältnismäßigkeit und der Effektivität der Gefahrenabwehr und ist prinzipiell unabhängig von zivilrechtlichen Vereinbarungen (vgl. bspw. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Stand: Januar 2023, Art. 54 Rn. 111 m.w.N.). Nachdem die Kläger als Störer in Anspruch genommen wurden, ist kein Interesse der von der Beklagten nicht als Störer angesehenen … … … UG & Co. KG am Ausgang des Rechtsstreits erkennbar.
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Unabhängig davon, dass die Beiladung nicht der Verbesserung der Rechtsstellung der Kläger dient, kann die Beiladung der … … … UG & Co. KG auch die Rechtsstellung der Kläger nicht verbessern. Nachdem gegenüber der … … … UG & Co. KG eine bestandskräftige Duldungsanordnung besteht, sind alle öffentlich-rechtlichen Möglichkeiten genutzt worden, um eine zivilrechtliche Durchsetzung der streitgegenständlichen Beseitigungsanordnung sicherzustellen. Eine Erstreckung der Rechtskraft eines Urteils im vorliegenden Verfahren ist vor diesem Hintergrund ohne Bedeutung für die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit eines Beseitigungsverlangens der Kläger gegenüber der … … … UG & Co. KG.
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Es ist darüber hinaus nicht erkennbar, inwieweit die … … … UG & Co. KG für den Ausgang des hier interessierenden Rechtsstreits einen relevanten Beitrag leisten könnte. Es sind keine prozessökonomischen Erwägungen ersichtlich, die für eine einfache Beiladung sprächen.