Titel:
Zumutbare Trennungszeit für die Nachholung eines Visumverfahrens
Normenketten:
AEUV Art. 20
GG Art. 6, Art. 19 Abs. 4
EMRK Art. 8
AufenthG § 5, § 25 Abs. 5, § 60a Abs. 2, § 81 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Es kommt darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. Erforderlich ist daher, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maß Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (VGH München BeckRS 2019, 12015; BeckRS 2015, 49705). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Trennung des betroffenen Ausländers von seiner Familie ist in den Blick zu nehmen, wie lange ein Visumsverfahren bei korrekter Sachbehandlung und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen ein derartiger Auslandsaufenthalt des Ausländers für die Familie hätte. Diesbezüglich muss die Dauer des Visumsverfahrens absehbar und insbesondere auch geklärt sein, ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (VGH München BeckRS 2021, 44425 mwN). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Gericht ist auch eine Prognose darüber möglich, welcher Trennungszeitraum zu erwarten ist. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Antragsteller zur Mitwirkung und zur Initiative im ausländerrechtlichen Verfahren verpflichtet sind, ist von einer Zeit von rund drei Monaten für ein Visumsverfahren in Nigeria auszugehen (VGH München BeckRS 2021, 44425). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
nigerianischer Staatsangehöriger, kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, deutsches Kind, Nachholung Visumverfahren zumutbar, sorgeberechtigter Vater, Trennungszeitraum, Zumutbarkeit der Trennung, Vater-Kind-Beziehung, familiäre Lebensgemeinschaft, Familiennachzug, Kindeswohl, Wartezeiten, Betreuung und Erziehung, Nachholung Visumverfahren, Anordnungsanspruch
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 03.08.2023 – 19 CE 23.608
VGH München, Beschluss vom 03.08.2023 – 19 C 23.611
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22050
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
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Der zulässige Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsgegner vorläufig eine Duldung zu erteilen,
dem Antragsgegner aufzugeben, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zu einer Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu unterlassen sind, hat keinen Erfolg, da er unbegründet ist, wobei das Gericht die beiden gestellten Anträge unter Beachtung von §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend versteht, dass der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die Erteilung einer Duldung bis zum bestandskräftigen Abschluss seines Verwaltungsverfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass aufgrund der vom Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemachten Tatsachen das Vorliegen des aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten Anspruchs, dessen Sicherung die begehrte Anordnung dient, hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und es dem Antragsteller aufgrund der drohenden Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Nach diesen Maßgaben hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der nigerianische Antragsteller, der am … … 1991 geboren wurde, ist nach dem rechtskräftigen, negativen Abschluss seines Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig. Seine Abschiebung nach Nigeria wurde in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Januar 2022 angedroht.
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1. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die beantragte Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
5
Ein rechtliches Ausreisehindernis folgt nicht aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK. Insbesondere erweist sich eine Ausreise des Antragstellers zum Zweck der Nachholung des Visumsverfahrens zum Familiennachzug nicht aus Gründen des Schutzes einer bestehenden familiären Bindung gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als rechtlich unzulässig.
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Art. 6 GG vermittelt keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Gleichwohl folgt aus Art. 6 GG die Pflicht der Ausländerbehörde, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht ihrer Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 – juris Rn. 11 m.w.N). Ebenso ist nach der Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die familiäre Situation des Ausländers zu berücksichtigen (EGMR, U.v. 2.8.2001 – Boultif, Nr. 54273/00 – InfAuslR 2001, 476, 478). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entfaltet Art. 6 GG nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen ausländerrechtliche Schutzwirkungen. Erforderlich ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. etwa BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08; BayVGH, B.v. 24.11.2008 – 10 CE 08.3014; B.v. 17.5.2013 – 10 CE 13.1065 – alle juris). Bei der Würdigung der Eltern-Kind-Beziehung ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen und das Kind beide Elternteile braucht (BVerfG, B.v. 22.5.2018 – 2 BvR 941/18 – juris). Es kommt hierbei nicht darauf an, ob eine Haushaltsgemeinschaft gelebt wird. Dass ein Elternteil nur abschnittsweise am Leben seines Kindes teilnehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht bereits entgegen (BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris). Der spezifische Erziehungsbeitrag eines Elternteils wird durch die Betreuung des Kindes durch den anderen Elternteil nicht entbehrlich. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt. Es kommt jedoch darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. Erforderlich ist daher, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maß Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, B.v. 7.6.2019, 19 CE 18.1597 – juris Rn. 22; B.v. 17.12.2018 – 10 C 18.2177 – juris Rn. 19; B.v. 28.7.2015 – 10 ZB 15.858 – juris Rn. 5).
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Bei einer Beistands- oder Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind, die keine häusliche Gemeinschaft voraussetzt, ist wesentlich auf das Kindeswohl und maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen. Es ist daher im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist und es ist zu ermitteln, welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung und vor allem das Kindeswohl hat. Es ist ferner angemessen zu berücksichtigen, ob im Fall einer Rückkehr ins Heimatland ein Abbruch des persönlichen Kontakts droht. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit der familiären Gemeinschaft und der Zumutbarkeit einer (vorübergehenden) Trennung sowie der Möglichkeit, über Briefe, Telefonate und Besuche auch aus dem Ausland Kontakt zu halten, spielt schließlich das Alter des Kindes eine wesentliche Rolle (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 37; BayVGH, B.v. 7.6.2019 – 19 CE 18.1597 – juris Rn. 22). Zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Trennung des betroffenen Ausländers von seiner Familie bedarf es von Verfassung wegen einer Begründung, warum insofern eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung in Aussicht steht (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris LS 2c). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Einfachrechtliche Unwägbarkeiten bzw. Ungewissheiten über den Ausgang des Visumsverfahrens sind ebenso zu berücksichtigen wie eine eventuell fehlende Mitwirkung des Betroffenen in diesem Verfahren (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 52 ff.). Eine fehlende Mitwirkung kann daher auch längere Wartezeiten rechtfertigen. Zudem würde es die Erkenntnisfähigkeit von Behörden und Gerichten überfordern, bei der Prognose über die Dauer des Visumsverfahrens und der damit verbundenen Trennung des Ausländers von seinem in Deutschland aufenthaltsberechtigten Angehörigen eine präzise Vorstellung davon zu entwickeln, welche Trennungszeit tatsächlich im Falle der Duldungsversagung zu rechnen wäre, wenn der Ausländer nicht das in seiner Sphäre Liegende beiträgt, um das Verfahren zu betreiben und zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 59). In den Blick zu nehmen ist, wie lange ein Visumsverfahren bei korrekter Sachbehandlung und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen ein derartiger Auslandsaufenthalt des Ausländers für die Familie hätte (BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 15/12 – juris). Diesbezüglich muss die Dauer des Visumsverfahrens absehbar und insbesondere auch geklärt sein, ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, U.v. 7.12.2021 – 10 BV 21.1821 – juris Rn. 40 m.w.N.; OVG SH, B.v. 3.1.2022 – 4 MB 68/21 – juris).
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Abschiebung, der keine tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen, auch nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich. Die durch die Nachholung des Visumverfahrens im Herkunftsland bedingte vorübergehende Trennung des Antragstellers von seiner Familie ist zumutbar. Es bestehen nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass auch die für die Erteilung des Visums zuständigen Behörden an Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebunden sind, keine Zweifel an der grundsätzlichen Möglichkeit eines Familiennachzugs nach §§ 27 ff. AufenthG, hier insbesondere nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Insofern steht anlässlich der Nachholung des Visumsverfahrens grundsätzlich lediglich eine vorübergehende Trennung im Raum.
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Dem Gericht ist auch eine Prognose darüber möglich, welcher Trennungszeitraum zu erwarten ist (BVerfG, B.v. 22.12.2021 – 2 BvR 1432/21 – BeckRS 2021, 43185 Rn. 44; BayVGH, B.v. 2.7.2021 – 10 C 21.392 – juris Rn. 37 m.w.N.). Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Antragsteller zur Mitwirkung und zur Initiative im ausländerrechtlichen Verfahren verpflichtet sind, ist von einer Zeit von rund drei Monaten für ein Visumsverfahren in Nigeria auszugehen (BayVGH, U.v. 7.12.2021 – 10 BV 21.1821 – juris Rn. 43).
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Eine fehlende Mitwirkung kann jedoch auch längere Wartezeiten rechtfertigen. Zudem würde es die Erkenntnisfähigkeit von Behörden und Gerichten überfordern, bei der Prognose über die Dauer des Visumverfahrens und der damit verbundenen Trennung des Ausländers von seinen in Deutschland aufenthaltsberechtigten Angehörigen eine präzise Vorstellung davon zu entwickeln, mit welcher Trennungszeit tatsächlich im Fall der Duldungsversagung zu rechnen wäre, wenn der Ausländer nicht alles in seiner Sphäre Liegende beiträgt, um das Verfahren zu betreiben und zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen (BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 19 CE 22.12, Rn. 33). Insofern verkennt das Gericht nicht, dass mit Blick auf die Terminvergabe vor Ort mit Wartezeiten von mindestens einem Jahr zu rechnen ist (https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_category.do?locationCode=lago& realmId=347& categoryId=1675, abgerufen am 1.3.2023). Das Gericht geht deshalb auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen davon aus, dass der Antragsteller bei vollständig unterbleibender Vorbereitung vom Inland aus etwa 15 Monate von seiner Familie in Deutschland getrennt wäre.
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Diese vom Gericht angenommene Trennungszeit ist im vorliegenden Einzelfall nicht unzumutbar. Es überwiegt das öffentliche Interesse an der Beachtung des Visumverfahrens die schutzwürdigen Interessen des Antragstellers und seiner im Bundesgebiet lebenden Bezugsperson. Dem Antragsteller kann zugemutet werden, sich für das Sichtvermerkverfahren in das Heimatland zu begeben, ohne dass die Grenze des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erreicht würde. Es liegt allein in der Einflusssphäre des Antragstellers, den vorliegenden Trennungszeitraum durch ihm mögliche und zumutbare Mitwirkungshandlungen zu verkürzen. Zwar verkennt das Gericht nicht, dass sich durch die Ausreise das Lebensumfeld der Familie, insbesondere das des am … … 2021 geborenen deutschen Kinds des Antragstellers wesentlich ändern würde. Auf die Sicht des Kinds unter Berücksichtigung seines Alters abstellend kann dieses mittlerweile jedoch auch Kontaktaufnahmen über moderne Telekommunikationsmittel erfassen und auf eine begrenzte Trennungszeit in Präsenz vorbereitet werden, sodass es die Trennung als lediglich vorübergehend erfahren würde. Gleichzeitig ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Lebenspartnerin zusammen mit einem weiteren Kind auf die dauerhafte Anwesenheit im Inland des Antragstellers dauerhaft angewiesen wäre. Die vorgesehene Operation der Lebenspartnerin steht dem nicht entgegen, deren Umfang sich nicht aus der vorgelegten Terminvereinbarung ergibt.
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2. Ein Anordnungsanspruch liegt auch nicht in Form einer sogenannten Verfahrensduldung (bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor.
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Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in § 81 Abs. 3 und 4
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AufenthG, wonach ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen ist, kann allein daraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis folgen, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist (NdsOVG, B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 30). Dem in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte (vgl. etwa BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 30). Der Antrag der Antragsteller auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat vorliegend keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG.
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Ausnahmsweise kann jedoch zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung einer Abschiebung geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (NdsOVG, B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 31). Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erfüllt sein (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30).
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Ein im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu sichernder Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung besteht für den Antragsteller jedoch nach summarischer Prüfung nicht. Insbesondere aus § 25 Abs. 5 AufenthG kann er keinen zu sichernden Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung herleiten. Es fehlt vorliegend bereits an den besonderen Erteilungsvoraussetzungen, denn eine (freiwillige) Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers stellt sich nicht i.S.d. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen (oder tatsächlichen) Gründen als unmöglich dar, weil es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK im konkreten Fall vereinbar ist, den Antragsteller selbst angesichts etwaig bestehender „einfachrechtlicher Ungewissheiten“ (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 50) auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen. Darüber hinaus fehlt es auch an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Nachholung des Visumsverfahrens in § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die Voraussetzungen eines Absehens hiervon im Wege einer Ermessenreduzierung auf Null sind nicht glaubhaft gemacht. Hierzu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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Auch aus Art. 20 AEUV kann der Antragsteller für sich kein Aufenthaltsrecht herleiten, weil es nicht um eine dauerhafte Trennung des Antragstellers von seinem Kind geht, sondern nur um eine vorübergehende zur Nachholung des Visumverfahrens (vgl. VG Würzburg, U.v. 7.11.2022 – W 7 K 21.902 – juris).
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3. Mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs war der Antrag daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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4. Wegen fehlender Erfolgsaussichten konnte der gestellte Antrag auf Prozesskostenhilfe auch unter Berücksichtigung des besonderen Maßstabs keinen Erfolg haben (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).