Inhalt

VGH München, Beschluss v. 03.08.2023 – 19 C 23.611
Titel:

Umdeutung einer unzulässigen Erledigungserklärung in eine Beschwerderücknahme

Normenketten:
VwGO § 92 Abs. 3 S. 1, § 155 Abs. 2, § 161 Abs. 1, Abs. 2, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114, § 127 Abs. 4
BGB § 140
Leitsätze:
1. Für eine Billigkeitsentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO ist in einem die Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO iVm §§ 114 ff. ZPO betreffenden Antrags- oder Beschwerdeverfahren kein Raum, weil es sich bei Prozesskostenhilfeangelegenheiten nicht um ein kontradiktorisches Verfahren. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Umdeutung einer unzulässigen Erledigungserklärung gem. § 140 BGB analog in eine Beschwerderücknahme entspricht dem mutmaßlichen Interesse des Antragstellers, wenn sein Ziel der sofortigen Beendigung des Prozesskostenhilfeverfahrens auch durch Rücknahme der Beschwerde erreicht werden kann. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
PKH-Beschwerde, Erledigterklärung, Umdeutung in Rücknahme, Umdeutung, Beschwerderücknahme
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 20.03.2023 – W 7 E 23.329
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22049

Tenor

Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.

Gründe

1
Das Beschwerdeverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, weil es aufgrund der Erklärung des Antragstellers beendet worden ist.
2
Zwar hat der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 31. Juli 2023 die Beschwerde nicht zurückgenommen, sondern für „erledigt“ erklärt. Für eine Billigkeitsentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO (zur Vermeidung der für den Antragsteller nachteiligen gesetzlichen Kostenfolge einer Rücknahme nach § 155 Abs. 2 VwGO) ist indes in einem die Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO betreffenden Antrags- oder Beschwerdeverfahren kein Raum. Denn bei Prozesskostenhilfeangelegenheiten handelt es sich nicht um ein kontradiktorisches Verfahren, wie es § 161 Abs. 2 VwGO („Rechtsstreit“) verlangt, sondern um ein nicht streitiges, seinem Charakter nach der staatlichen Daseinsfürsorge zuzurechnendes Antragsverfahren, in dem sich als Beteiligte nur der Antragsteller und das Gericht als Bewilligungsstelle gegenüberstehen. Für die Beschwerde gegen ein die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (teilweise) ablehnendes Verfahren gilt insoweit nichts Anderes. Eine Erledigungserklärung mit dem Ziel, der Gegenseite die Kosten auferlegen zu lassen, ist in Prozesskostenhilfeverfahren daher ausgeschlossen (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2012 – 8 C 12.654 – juris Rn. 6 m.w.N.).
3
Die Erledigungserklärung des Antragstellers kann aber in eine Rücknahme der Beschwerde umgedeutet werden. Auch im Verfahrensrecht gilt in entsprechender Anwendung des § 140 BGB der Grundsatz, dass eine fehlerhafte Prozesshandlung in eine zulässige und wirksame Prozesserklärung umzudeuten ist, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse entgegensteht (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2012 – 8 C 12.654 – juris Rn. 7 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Umdeutung der unzulässigen Erledigungserklärung in eine Beschwerderücknahme entspricht dem mutmaßlichen Interesse des Antragstellers, weil sein Ziel der sofortigen Beendigung des Prozesskostenhilfeverfahrens auch durch Rücknahme der Beschwerde erreicht werden kann. Die negative Kostenfolge des § 155 Abs. 2 VwGO steht dem nicht entgegen. Zwar ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen – anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz – grundsätzlich kostenpflichtig (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2012 – 8 C 12.654 – juris Rn. 8; B.v. 3.6.1986 – BayVBl 1987, 572). Hier gilt aber etwas anderes, weil das Verfahren der Beschwerderücknahme gerichtsgebührenfrei ist (die Festgebühr nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG fällt nur dann an, wenn die Beschwerde (teilweise) verworfen oder zurückgewiesen wird), Auslagen nicht angefallen sind und eine Kostenerstattung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten in Prozesskostenhilfesachen nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO ohnehin nicht stattfindet. Die gleiche Kostenfolge würde sich auch im Fall einer Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO ergeben, und zwar selbst dann, wenn die Kosten aus Billigkeitsgründen nicht dem Antragsteller auferlegt würden (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2012 – 8 C 12.654 – juris Rn. 8).
4
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V. mit § 127 Abs. 4 ZPO). Auch einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht. Die streitwertunabhängige Gebühr Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) fällt nicht an, da die Beschwerde weder verworfen noch zurückgewiesen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 13.5.2009 – 10 C 09.855 – juris Rn. 1; B.v. 25.6.2012 – 8 C 12.654 – juris Rn. 8; B.v. 13.7.2018 – 15 C 18.294 – juris Rn. 1).
5
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).