Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.08.2023 – 15 CS 23.1288
Titel:

Nutzungsuntersagung in Bezug auf die Vermietung einer Wohnung als Ferienwohnung

Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4 S. 1, S. 6
BayBO Art. 76 S. 2
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1, § 31 Abs. 2
BauNVO § 1 Abs. 6 Nr. 1, § 4 Abs. 3, § 13a
Leitsätze:
1. Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine formell rechtswidrige Nutzung darf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Aufenthalt in einer Ferienwohnung ist kein Wohnen iSd BauNVO. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung, Ferienwohnung im allgemeinen Wohngebiet, formelle Illegalität, Sofortvollzug, Bebauungsplan, allgemeines Wohngebiet, Ferienwohnung, Ausschluss von Nutzungen, städtebauliche Erforderlichkeit, Befreiung, Grundzüge der Planung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 12.07.2023 – RO 2 S 23.827
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22044

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Nutzungsuntersagung betreffend die Vermietung einer Wohnung seines Anwesens als Ferienwohnung.
2
Im Anwesen des Antragstellers auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung Z. vermietet dieser die Wohnung im Erdgeschoss als Ferienwohnung. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 200 der Antragsgegnerin in der Fassung des Änderungsbebauungsplans Nr. 200-I (Bebauungsplan „K. …“). Dieser setzt dort ein allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO fest und bestimmt, dass die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nicht Bestandteil des Bebauungsplans sind.
3
Nach Kenntnis des Bauordnungsamts der Antragsgegnerin von der Vermietung wurde der Antragssteller zur Einreichung eines Bauantrags aufgefordert, der dieser mit Unterlagen vom 10. März 2022 nachkam. Nach Mitteilung der fehlenden Genehmigungsfähigkeit und Anhörung zur Nutzungsuntersagung erließ die Antragsgegnerin mit Datum vom 4. April 2023 einen Bescheid, in dem die Erteilung der Baugenehmigung für die beantragte Nutzungsänderung von Wohnen in Ferienwohnung abgelehnt wurde (1.) und dem Antragsteller ab 1. Juli 2023 – bzw. im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage ab zwei Wochen nach Bestandskraft des Bescheids – die Wohnung im Erdgeschoss des Anwesens, Grundstück FlNr. … Gemarkung Z., fremdenverkehrsgewerblich zu vermieten oder durch Dritte vermieten zu lassen (2.). Ferner wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (3.) und ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro angedroht (4). Hiergegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 2. Mai 2023 Klage erheben lassen (RO 2 K 23.772), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2023 hat der Antragsteller einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Diesen hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Juli 2023 abgelehnt. Hiergegen hat der Antragssteller Beschwerde erhoben. Er ist der Ansicht, die Bauaufsichtsbehörde sei einer Fehleinschätzung unterlegen, weil sie bei Zugrundelegung des richtigen Maßstabs einer nur formellen Baurechtswidrigkeit in Ausübung ihres Ermessens von einem Einschreiten abgesehen hätte. Das Verwaltungsgericht gehe davon aus, dass keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit gegeben sei, lasse aber außer Betracht, dass sich die Prüfung der Bauaufsichtsbehörde nicht auf die bloße Offensichtlichkeit der Genehmigungsfähigkeit beschränkt habe. § 13a BauNVO komme hier eine faktische Rückwirkung zu, weil der Gesetzgeber lediglich von einer Klarstellung ausgehe. Der Ausschluss ausnahmsweise zulässiger Nutzungen im Bebauungsplan sei offensichtlich unwirksam, da hierfür keinerlei rechtfertigende Gründe genannt seien. Im Übrigen sei dem Antragssteller eine Befreiung zu erteilen, da aus dem bewussten Ausschluss der Regelausnahmen nicht auf einen Grundzug der Planung geschlossen werden könne und die Abweichung städtebaulich vertretbar sei.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. Juli 2023 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 2. Mai 2023 gegen Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 4. April 2023 wiederherzustellen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie führt aus, dass die Frage der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit unabhängig vom Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde Maßstab im Rahmen einer Nutzungsuntersagung sei. Die Rechtsfrage, ob § 13a BauNVO eine faktische Rückwirkung habe, sei gerade umstritten, so keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit bestehe. Eine Unwirksamkeit der Festsetzung des Bebauungsplans dränge sich nicht auf. Das Baugebiet sollte für Geschosswohnungs- und Einfamilienhausbebauung bereitgestellt werden, um die große Nachfrage nach Wohnraum zu befriedigen. Eine Befreiung komme nicht in Betracht, da die Grundzüge der Planung berührt seien. Die Antragsgegnerin habe bei Aufstellung des Bebauungsplans gerade die ausnahmsweise – und nicht die regelmäßig – zulässigen Nutzungen ausgeschlossen. Eine Befreiung widerspreche dem Ziel der Bereitstellung von adäquatem Wohnraum.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
11
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen geht demnach zulasten des Antragstellers aus.
12
1. Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung einer baulichen Anlage untersagt werden, wenn die Nutzung öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2023 – 15 CS 23.95 – juris Rn. 28; B.v. 4.1.2023 – 1 CS 22.1971 – juris Rn. 9).
13
Von diesen Grundsätzen sind sowohl das Verwaltungsgericht (BA S. 10) als auch die Antragsgegnerin ausgegangen. Die vom Antragsteller behauptete Fehleinschätzung des Ermessens lässt sich jedenfalls an den Gründen des Bescheids vom 4. April 2023 nicht festmachen (vgl. Nr. 4.1, S. 6 des Bescheids vom 4.4.2023).
14
2. Der Aufenthalt in einer Ferienwohnung ist kein Wohnen i.S.d. BauNVO (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 15 CS 19.1609 – juris Rn. 6). Im Hinblick auf eine Einstufung als Beherbergungsbetrieb oder sonstigen nichtstörenden Gewerbebetrieb führt das Verwaltungsgericht unter ausführlicher Zitierung der unterschiedlichen Ansichten aus, dass die Heranziehung von § 13a BauNVO strittig sei. Es kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass jedenfalls keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit der erfolgten Nutzungsänderung vorliege (BA S. 10). Dem tritt die Beschwerde schon nicht substantiiert entgegen.
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Unabhängig davon, kommt es nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf eine mögliche faktische Rückwirkung von § 13a BauNVO auf die vor dem 12. Mai 2017 geltende Rechtslage hier nicht entscheidungserheblich an. Denn der Bebauungsplan „K. …“ schließt u.a. die Nutzungsarten Beherbergungsbetrieb und sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb, denen einen Ferienwohnung zugerechnet werden könnte, aus (§ 3 Abs. 4 der Festsetzungen).
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3. Nach § 3 Abs. 4 der Festsetzungen des Bebauungsplans „K. …“ ist die ausnahmsweise Zulässigkeit von Betrieben des Beherbergungsgewerbes, sonstigen nichtstörenden Gewerbebetrieben, Anlagen für Verwaltungen sowie für sportliche Zwecke, Gartenbaubetrieben und Tankstellen in den allgemeinen Wohngebieten nicht Bestandteil des Bebauungsplans. Die Festsetzung beruht auf § 1 Abs. 6 Nr. 1, § 4 Abs. 3 BauNVO.
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Der Antragsteller ist der Ansicht, bezüglich der Festsetzung dränge sich eine Unwirksamkeit auf, weil keine baulichen Gründe hierfür vorlägen. Demgegenüber führt das Verwaltungsgericht aus, dass die Festsetzung nicht offensichtlich unwirksam sei, weil sich aus der Begründung des Bebauungsplans „K. …“ ergebe, dass dieser der Befriedigung einer großen Nachfrage nach Wohnraum innerhalb des Stadtgebiets als Planungsgrund diene und zudem ein Teil des Bebauungsplans ein Mischgebiet vorsehe, so dass z.B. die Versorgung über Läden von dort aus möglich erscheine (BA S. 12). Dem tritt die Beschwerde mit ihrer pauschalen Behauptung einer fehlenden Rechtfertigung bzw. Erforderlichkeit schon nicht substantiiert entgegen.
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Abgesehen davon ist die städtebauliche Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB, an der sich jede einzelne Festsetzung messen lassen muss (vgl. BVerwG, U.v. 18.3.2004 – 4 CN 4.03 – juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 24.6.2020 – 15 N 19.442 – juris Rn. 23) nur eine erste, strikt bindende Grenze, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt (vgl. BVerwG, U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 13.12.2021 – 15 N 20.1649 – juris Rn. 26). Ernsthafte Zweifel an der Gültigkeit des Bebauungsplans zeigt das Beschwerdevorbringen insoweit nicht auf, zumal auch weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass durch den Ausschluss der ausnahmsweise zulässigen Nutzungen der Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets nicht mehr gewahrt würde. Mit den von der Antragsgegnerin in der Begründung zum Bebauungsplan „K. …“ angeführten städtebaulichen Gründen setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht auseinander.
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4. Soweit die Beschwerde darauf abstellt, dem Antragsteller stehe eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zu, da keine Grundzüge der Planung berührt seien und andernfalls § 31 BauGB redundant wäre, kann dem nicht gefolgt werden.
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Voraussetzung für die Anwendung der einzelnen Nrn. des § 31 Abs. 2 BauGB ist zunächst, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Diese ergeben sich aus der den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden und in ihnen zum Ausdruck kommenden planerischen Konzeption. Ob sie berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto näher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. Die Befreiung kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 8).
21
Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt (BA S. 12 f.), dass der bewusste Ausschluss von Ausnahmen nach § 4 Abs. 3 BauNVO zur Schaffung von Wohnraum hier einen Grundzug der Planung des Bebauungsplans „K. …“ darstelle. Hiergegen ist nichts zu erinnern, zumal gerade Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung regelmäßig die Grundkonzeption eines Bebauungsplans berühren (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 31 Rn. 36). Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts und des Antragstellers zu den Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kommt es daher nicht weiter an (vgl. BVerwG, B.v. 20.11.1989 – 4 B 163.89 – juris Rn. 18).
22
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
24
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).