Inhalt

VG München, Beschluss v. 25.07.2023 – M 32 S 22.32461
Titel:

Nichtbetreiben des Asylverfahrens

Normenkette:
AsylG § 32, § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2, Abs. 5 S. 1, § 34 Abs. 1
Leitsatz:
Ein Antrag nach § 33 Abs. 5 S. 2 AsylG auf Wiederaufnahme des Verfahrens führt nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Nigeria, Nichtbetreiben des Asylverfahrens, Versäumung Anhörungstermin nach § 25 AsylG, Kein unverzüglicher Nachweis unverschuldeter Säumnis, Anhörungstermin, Säumnis, Entschuldigung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21899

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Die am ... 2022 in Deutschland geborene Antragstellerin ist nach den Angaben ihrer Mutter, ihrer gesetzlichen Vertreterin, nigerianische Staatsangehörige vom Volk der Bini. Die Mutter stellte am 14. Juli 2022 für die Antragstellerin Asylantrag.
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Mit Schreiben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 21. November 2022 wurde die Mutter der Antragstellerin als deren gesetzliche Vertreterin zur persönlichen Anhörung im Asylverfahren der Antragstellerin für den 2. Dezember 2022 um 8 Uhr geladen. Dieses Schreiben wurde der Mutter der Antragstellerin mit Postzustellungsurkunde am 23. November 2022 zugestellt. Das Schreiben war mit dem optisch hervorgehobenen Hinweis versehen, dass die Mutter als gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin persönlich zum Termin erscheinen müsse und dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gelte, wenn sie zu diesem Termin nicht erscheine. Dies gelte nicht, wenn sie unverzüglich nachweise, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen sei, auf die sie keinen Einfluss gehabt hätte. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müsse sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genüge nicht. Könne sie dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorlegen, entscheide das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.
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Dem Anhörungstermin am 2. Dezember 2022 blieb die Mutter der Antragstellerin ohne Angabe von Gründen fern.
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Mit Schreiben vom 6. Dezember 2022, beim Bundesamt eingegangen am 8. Dezember 2022, teilte die Mutter der Antragstellerin mit, dass sie sich für das Fernbleiben vom Termin entschuldige. Ihre Tochter sei krank gewesen. Die Mutter bat um einen neuen Termin. Irgendwelche weiteren Angaben zur Erkrankung der Tochter oder Nachweise fehlten.
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Mit Bescheid vom 8. Dezember 2022, der als Einschreiben am 13. Dezember 2022 zur Post gegeben wurde, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist. Weiterhin wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls würde sie nach Nigeria oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zu ihrer Rücknahme verpflichteten Staat abgeschoben. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Antragstellerin der Aufforderung zur Anhörung nicht nachgekommen sei und bis zur Bescheidserstellung, bei der eine Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgung beteiligt gewesen sei, keine Informationen zum Nichterscheinen bzw. Hinderungsgründe vorgelegen hätten. Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG werde bei Nichterscheinen zu einem Anhörungstermin nach § 25 AsylG vermutet, dass das Asylverfahren nicht betrieben werde. Die Vermutung sei nicht weggefallen, weil nicht nachgewiesen worden sei, dass die Versäumnis auf Umstände zurückzuführen gewesen sei, auf die die Antragstellerin keinen Einfluss gehabt hätte. Nach § 32 AsylG sei deshalb das Asylverfahren einzustellen gewesen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien nicht vorgetragen noch ersichtlich. Bereits das augenscheinliche Desinteresse am Asylverfahren sei ein Indiz dafür, dass Gefahren im Sinne der Abschiebungsverbote nicht befürchtet würden. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 38 Abs. 2 AsylG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab Abschiebung sei angemessen, Gründe für eine kürzere Befristung seien nicht vorgetragen oder ersichtlich.
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Mit Schreiben vom 16. Dezember 2022 nahm das Bundesamt Bezug auf das Schreiben der Mutter der Antragstellerin vom 6. Dezember 2022 (Eingang 8. Dezember 2022) und wies darauf hin, dass im Falle einer Verhinderung durch Krankheit unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachzuweisen sei, wie das Bundesamt schon im Ladungsschreiben vom 22. November 2022 hingewiesen habe. Sofern die Verhinderung nicht nachgewiesen werden könne, könne ein Fortführungsantrag nach § 33 Abs. 5 AsylG persönlich bei der Außenstelle des Bundesamts gestellt werden.
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Mit Schreiben vom 22. Dezember 2022, bei Gericht eingegangen am 27. Dezember 2022, erhob die Mutter der Antragstellerin als deren gesetzliche Vertreterin Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2022. Weiterhin wurde gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
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Zur Begründung von Klage und Antrag führte die Mutter der Antragstellerin aus, dass es auf Grund der Erkrankung ihrer Tochter nicht möglich gewesen sei, den Anhörungstermin vom 2. Dezember 2022 wahrzunehmen. Auch hätte sie als alleinerziehende Mutter keine Möglichkeit gehabt, ihr krankes Kleinkind anderweitig unterzubringen. Sie habe die zuständige Behörde darüber in Kenntnis gesetzt und um einen Ersatztermin gebeten, aber keinen erhalten. Das könne eine Sozialarbeiterin von der Caritas bezeugen.
11
Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2022 beantragte das Bundesamt, die Klage abzuweisen und
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den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
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Bezüglich der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.
15
Der Antrag ist gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 und § 38 Abs. 2 AsylG statthaft. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da das mit dem Rechtsschutzbegehren verfolgte Ziel nicht durch ein gleich geeignetes, keine anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren ebenso erreicht werden kann wie in dem angestrebten gerichtlichen Verfahren. Insbesondere kann ein Antrag nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses führen, weil die (erste) Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist. In einer solchen Fallgestaltung verstieße es gegen das in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Gebot des effektiven Rechtsschutzes, das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verneinen. Der Antrag ist auch sonst zulässig, insbesondere wurde die Klage innerhalb der Zweiwochenfrist des § 74 Abs. 1 AsylG erhoben, so dass der angefochtene Bescheid noch nicht bestandskräftig ist.
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Der Antrag ist aber unbegründet. Das Interesse der Antragstellerin, vorläufig von den Wirkungen der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung verschont zu bleiben, überwiegt nicht das entgegenstehende öffentliche Interesse, weil bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafürspricht, dass der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und deshalb im Klageverfahren Bestand haben wird.
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a) Rechtsgrundlage für die Einstellung des Asylverfahrens – und die deklaratorische Feststellung der Fiktion der Rücknahme des Asylantrags nach § 33 Abs. 1 AsylG – ist § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG. Danach stellt das Bundesamt das Asylverfahren in den Fällen des § 33 Abs. 1 AsylG und – hier nicht einschlägig – des § 33 Abs. 3 AsylG ein. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen, § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
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aa) Der Regelvermutungstatbestand des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ist vorliegend erfüllt. Die Mutter der Antragstellerin als deren gesetzliche Vertreterin ist zu dem Anhörungstermin am 2. Dezember 2022 nicht erschienen.
19
bb) Das Bundesamt ist seiner Verpflichtung zur Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG im Ladungsschreiben nachgekommen.
20
cc) Die Mutter der Antragstellerin hat nicht unverzüglich nachgewiesen, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen gewesen ist, auf die sie keinen Einfluss gehabt hatte. Sie hat gegenüber dem Bundesamt am 8. Dezember 2022 nur von einer Erkrankung der Antragstellerin gesprochen, ohne dies auch nur im Mindestens zu spezifizieren, geschweige denn mit einen ärztlichen Attest zu belegen. Auch gegenüber dem Gericht fehlen jegliche substantiierte Angaben oder Nachweise zur behaupteten Erkrankung der Antragstellerin und deren Folgen für ein Erscheinen zum geladenen Termin. Das genügt bei Weitem nicht für die Widerlegung der Regelvermutung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG.
21
Die Einstellung des Asylverfahrens erweist sich deshalb als rechtmäßig.
22
b) Rechtlich nicht zu beanstanden sind auch die Ausführungen des Bundesamts gemäß § 32 AsylG zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG, über welche gemäß § 32 Satz 2 AsylG nach Aktenlage zu entscheiden ist. Aus den vorliegenden Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote. Die allenfalls im Raum stehende Frage der Gefahr einer Beschneidung der Antragstellerin in Nigeria ist durch die in das Verfahren eingebundene Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgung ausgeräumt. In ihrem Vermerk vom 8. Dezember 2022 (Bl. 76 der Bundesamtsakte) führt die Sonderbeauftragte aus, dass die Verneinung von Abschiebungsverboten keinen Anlass zur Beanstandung biete. Die im Jahr 2016 geborene Schwester der Antragstellerin sei ausweislich eines ärztlichen Attestes nicht beschnitten worden und die Mutter der Antragstellerin habe glaubhaft versichert, die Antragstellerin nicht beschneiden zu lassen.
23
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im Bescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
24
c) Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von einer Woche ergibt sich aus § 38 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 1 AsylG.
25
Infolgedessen kommen weder der Hauptsacheklage überwiegende Erfolgsaussichten zu noch führt eine Interessenabwägung im Übrigen zu einer Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO.
26
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
27
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).