Inhalt

VG München, Beschluss v. 02.08.2023 – M 13 S 21.31194
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen die um den Zielstaat Äthiopien erfolgte Ergänzung der zunächst ohne konkrete Zielstaatsbenennung erlassene Abschiebungsandrohung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 36 Abs. 1 Var. 3, § 38 Abs. 1, § 75 Abs. 1
AufenthG § 59 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Das Bundesamt kann in Fällen, in denen bei Ablehnung des Asylantrages die Staatsangehörigkeit bzw. der Herkunftsstaat des Ausländers ungeklärt und daher zunächst ein vorrangiger Zielstaat nicht benannt werden kann, dennoch (unter Setzung einer entsprechenden Frist zur freiwilligen Ausreise) eine Abschiebungsandrohung ohne Nennung eines konkreten Zielstaat erlassen (BVerwG BeckRS 2000, 30124091), es muss aber bei späterer Bestimmung eines konkreten Zielstaates diesen zuvor rechtzeitig in einer Weise mitteilen, die es ermöglicht, einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutz zu erlangen. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gegen die Ergänzung der Abschiebungsandrohung zulässigen Rechtsbehelfe dienen dazu, den Betroffene durch die Aufspaltung auf zwei Schritte hinsichtlich der Möglichkeiten gerichtlichen Rechtsschutzes nicht schlechter zu stellen, als wenn die Abschiebungsandrohung bereits in allen ihren Teilen vollständig sofort zusammen mit der Ablehnungsentscheidung erfolgt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung Asylantrag als offensichtlich unbegründet (bestandskräftig), Erlass Abschiebungsandrohung, zunächst ohne Bestimmung eines konkreten Zielstaates (Abschiebung in den Herkunftsstaat), nachträgliche Ergänzung der Abschiebungsandrohung um konkreten Zielstaat, (keine) aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ergänzung, fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung:, (keine) erneute explizite Fristsetzung im Zusammenhang mit Ergänzung erforderlich., Asyleilverfahren, Äthiopien, offensichtlich unbegründet, Abschiebungsandrohung, Ergänzung, Zielstaatsbenennung, Konkretisierung, Rechtsstaatsprinzip, Rechtsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21883

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, ein laut eigenen Angaben eritreischer Staatsangehöriger, wendet sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ergänzung der (bereits im Zusammenhang mit der Ablehnung seines Asylerstantrags als offensichtlich unbegründet erlassenen, zunächst jedoch ohne Benennung eines konkreten Zielstaates erfolgten) Abschiebungsandrohung um den Zielstaat Äthiopien.
2
Der am … … 1993 geborene Antragsteller reiste am 8. August 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 4. Dezember 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
3
Nach persönlicher Anhörung des Antragstellers, durchgeführt am 11. Juli 2016, lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 20. Mai 2017 mit Verweis auf die ungeklärte Herkunft des Antragstellers die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab, forderte den Antragsteller des Weiteren auf, die Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen (Nr. 5), und drohte, nachdem es festgestellt hatte, dass zu seinen Gunsten keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen (Nr. 4), ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, an (Nr. 5).
4
Ein konkreter Zielstaat wurde weder im Hinblick auf § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG geprüft noch in der Abschiebungsandrohung benannt.
5
Die hiergegen erhobene Klage (M 12 K 17.43411) wurde in Teilen (Zuerkennung Internationaler Schutz) zurückgenommen und im Übrigen (insb. Feststellung zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sowie die ohne Benennung eines konkreten Zielstaats ausgesprochene Abschiebungsandrohung) mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Oktober 2019 rechtskräftig abgewiesen.
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Am 29. Dezember 2020 wurde das Bundesamt durch die zuständige Ausländerbehörde unter Verweis auf eine vorgelegte äthiopische Geburtsurkunde darüber informiert, dass der Antragsteller äthiopischer Staatsangehöriger sei. Das Bundesamt eröffnete hieraufhin am selben Tage von Amts wegen ein Wiederaufnahmeverfahren zur erneuten sachlichen Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 AufenthG (jetzt: in Bezug auf den Zielstaat Äthiopien), informierte mit Schreiben vom 21. Januar 2021 den Antragsteller hierüber und forderte ihn zugleich auf, binnen eines Monats nach Zugang des Schreibens schriftlich die Gründe darzulegen, die seiner Meinung nach einer Rückkehr nach Äthiopien entgegenstehen könnten, was der Antragsteller mit Schreiben vom 13. Februar 2021 tat.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 4. Mai 2021, zugestellt am 10. Mai 2021, stellte das Bundesamt unter Berücksichtigung der schriftlichen Stellungnahme des Antragstellers (hinsichtlich dem Zielstaat Äthiopien) fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Nr. 1) und konkretisierte die mit Bescheid vom 20. Mai 2017 erlassene Abschiebungsandrohung dahingehend, dass der Antragsteller für den Fall, dass er der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Äthiopien abgeschoben wird.
8
Die dem Antragsteller zusammen mit dem streitgegenständlichen Bescheid übermittelte Rechtsbehelfsbelehrungdes Bundesamtes enthält u.a. folgende Aussagen:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage […] erhoben werden.
Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO kann […] gestellt werden.
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Hiergegen hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 25. Mai 2021, am selben Tag bei Gericht eingegangen, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht erheben lassen mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, zu seinen Gunsten das Bestehen eines Abschiebeverbots gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG betreffend Äthiopien, hilfsweise Eritrea festzustellen und die Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen (M 13 K 21.31193) und zugleich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids bestimmte Abschiebungsandrohung nach Äthiopien anzuordnen.
10
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakten auf elektronischem Weg vorgelegt und mit Schriftsatz vom 7. Juni 2021 beantragt,
den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
11
Neben dem Kläger halten sich im Bundesgebiet noch dessen Lebensgefährtin, eine am … … 1993 in Äthiopien geborene äthiopische Staatsangehörige, mit welcher der Antragsteller laut eigenen Angaben traditionell verheiratet ist, sowie die beiden gemeinsamen, am … … 2016 sowie im … 2017 jeweils im Bundesgebiet geborenen Töchter, welche ebenfalls die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzen, auf.
12
Der Lebensgefährtin und den beiden Töchtern wurde in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Alle drei verfügen ausweislich der vorgelegten Aufenthaltsdokumente derzeit über eine Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland.
13
Der Antragsteller hat hinsichtlich der beiden Töchter ausweislich der vorgelegten Sorgerechtserklärungen das gemeinsame Sorgerecht inne und lebt, wie er mit Schreiben vom 13. Februar 2021 gegenüber dem Bundesamt angegeben hat, „mit diesen zusammen“ bzw. sei „gerade dabei, einen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen“. Nachweise für eine Anerkennung der Vaterschaft liegen dem Gericht nicht vor.
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Zur Begründung von Klage und Eilantrag hat der Antragsteller geltend gemacht, die Änderung der Abschiebungsandrohung sei ohne vorherige Anhörung des Antragstellers erfolgt, verletzte somit das Recht des Antragstellers auf rechtliches Gehör und sei bereits deshalb rechtswidrig und infolge dessen aufzuheben. Davon abgesehen hätte das Bundesamt erneut eine Frist zu freiwilligen Ausreise setzen müssen, was nicht geschehen sei. Auch sei die geänderte Abschiebungsandrohung bereits infolge Unstimmigkeiten bei der Bezeichnung des Namens sowie des Geburtsortes des Antragstellers unwirksam.
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Im Wiederaufgreifenverfahren vor dem Bundesamt hatte der Bevollmächtigte des Antragstellers unter Verweis auf die o.g. familiären Beziehungen im Bundesgebiet und den Status der Familienangehörigen zudem bereits geltend gemacht, eine Abschiebung sei bereits im Hinblick auf Art. 6 GG unzulässig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte in diesem Verfahren, im Hauptsacheverfahren M 13 K 21.31193 sowie im Verfahren M 12 K 17.43411 Bezug genommen.
II.
17
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Bezug auf die Ergänzung der Abschiebungsandrohung um einen konkreten Zielstaat ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1.
18
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, insbesondere statthaft (a.) und fristgerecht erhoben (b.) worden.
19
a. (1) Bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochenen Entscheidung handelt es sich nicht um eine erneute, eigenständig erlassene Abschiebungsandrohung, sondern vielmehr um eine (nachträgliche) Ergänzung (auch Konkretisierung oder Modifikation genannt) der bereits mit Bescheid vom 20. Mai 2017 inklusive Fristsetzung erlassenen Abschiebungsandrohung um einen bestimmten Zielstaat (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – NJW 2000, 3798).
20
Wie bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Oktober 2019 im vom Antragsteller nach Erlass der Ablehnungsentscheidung betriebenen Verfahren M 12 K 17.47245 näher ausgeführt, darf das Bundesamt in Fällen, in denen bei Ablehnung des Asylantrages die Staatsangehörigkeit bzw. der Herkunftsstaat des Ausländers ungeklärt und daher zunächst ein vorrangiger Zielstaat nicht benannt werden kann, dennoch (unter Setzung einer entsprechenden Frist zur freiwilligen Ausreise) eine Abschiebungsandrohung ohne Nennung eines konkreten Zielstaat erlassen (BVerwG, U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – NJW 2000, 3798).
21
Jedoch darf auf Basis einer solchen Abschiebungsandrohung noch keine Abschiebung in einen (gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erst) bestimmten Zielstaat erfolgen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 25.7.2000, a.a.O.). Vielmehr muss dem Ausländer zuvor der nun bestimmte Zielstaat rechtzeitig (OVG Magdeburg, B.v. 13.8.2008 – 2 L 12/08 – BeckRS 2008, 38702) in einer Weise mitgeteilt werden, die es ihm ermöglicht, einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutz zu erlangen (BVerwG, U.v. 25.7.2000, a.a.O.; auch „Ergänzung“ bzw. „Konkretisierung“ bzw. „Modifizierung“ der Abschiebungsandrohung um einen bestimmten Zielstaat genannt) und zusätzlich eine ausdrückliche Feststellung darüber getroffen werden, dass hinsichtlich dieses Zielstaats keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorliegen (OVG Magdeburg, B.v. 13.8.2008 – 2 L 12/08 – BeckRS 2008, 38702).
22
(2) Die vorliegend gegen die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids vorgenommene Ergänzung der Abschiebungsandrohung erhobene Klage des Antragstellers hat keine aufschiebende Wirkung.
23
Wird ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, hat eine hiergegen (sowie gegen die in diesem Zusammenhang erlassene Abschiebungsandrohung) erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Abs. 1 i.V.m. §§ 38 Abs. 1, 36 Abs. 1 Var. 3 AsylG).
24
Dies gilt nicht nur für den (Regel) Fall, dass die Abschiebungsandrohung inklusive eines konkret benannten Zielstaates (nach vorheriger Prüfung etwaiger diesbezüglich vorliegender zielstaatbezogener Abschiebungsverbote) bereits zusammen mit der Ablehnungsentscheidung erfolgt. Sondern auch dann, wenn im Rahmen der Ablehnungsentscheidung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise zunächst zwar die Abschiebung (ohne Nennung eines bestimmten Zielstaates) angedroht, die Bestimmung des Zielstaats hingegen erst nachträglich und unter Feststellung, dass diesbezüglich keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorliegen, ergänzt wird. So darf zwar der Ausländer im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG durch die (zulässige, s.o.) Aufspaltung der Abschiebungsandrohung in zwei separate, zeitlich nacheinander erfolgende Schritte (zunächst: Fristsetzung sowie Androhung Abschiebung in den Herkunftsstaat, ohne Benennung eines bestimmten Zielstaates und diesbezügliche Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote; erst später: Konkretisierung Abschiebungsandrohung um einen bestimmten Zielstaat unter gleichzeitiger Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich des nun ausgewählten Staates und expliziter Feststellung hierzu), hinsichtlich der Möglichkeiten gerichtlichen Rechtsschutzes nicht schlechter gestellt werden, als wenn die Abschiebungsandrohung in allen ihren Teilen vollständig, sprich inklusive der Benennung eines bestimmten Zielstaates, sofort zusammen mit der Ablehnungsentscheidung erfolgt; jedoch muss er auch nicht besser gestellt werden (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – NJW 2000, 3798).
25
(3) Der vorliegend seitens des anwaltlichen Bevollmächtigten des Antragstellers (trotz gleichzeitiger Geltendmachung einer aufschiebenden Wirkung im Rahmen der Antragsbegründung) gewählte, auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO (direkte Anwendung) ist somit die statthafte Antragsart. Eine Auslegung bzw. Umdeutung in einen auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO analog war somit vorliegend nicht zu prüfen.
26
b. (1) Im Hinblick auf (Klagesowie) Antragsfrist bedeutet das soeben Gesagte, dass konsequenter Weise auch bei einer Ergänzung der Abschiebungsandrohung um einen bestimmten Zielstaat die 1-Wochen-Frist des § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG (Eilrechtsschutz; sowie § 74 Abs. 1 Hs. 2 Var. 2 AsylG im Hinblick auf den Hauptsache-Rechtsbehelf) Anwendung findet.
27
(2) Jedoch ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die zusammen mit dem streitgegenständlichen Bescheid an den Antragsteller übermittelte Rechtsbehelfsbelehrungdes Bundesamtes, obwohl selbst davon ausgehend, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung entfaltet und ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen ist, eine Klagefrist von zwei (!) Wochen nennt und zur Antragsfrist überhaupt keine Angaben enthält.
28
Mangels ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung(§ 36 Abs. 3 Satz 2 AsylG) ist die 1-Wochen-Frist für (Klage sowie) Eilantrag bislang noch nicht angelaufen (§ 36 Abs. 3 Satz 3 AsylG i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO) und infolge dessen vielmehr die 1-Jahres-Frist maßgeblich (§ 36 Abs. 3 Satz 3 AsylG i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO), welche vorliegend eingehalten wurde.
29
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
30
Nach summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids (§ 36 Abs. 4 Satz 1 VwGO).
31
Die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte Ergänzung der bereits mit Bescheid vom 20. Mai 2017 im Zusammenhang mit der Ablehnung des Asylantrages erlassenen, damals jedoch noch ohne Benennung eines konkreten Zielstaates ergangenen Abschiebungsandrohung ist, wie auch die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Feststellung zum Nichtvorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der hier gefällten Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten.
32
a. Die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 4. Mai 2021 um einen konkreten Zielstaat ergänzte, in ihren übrigen Teilen jedoch bereits mit Bescheid vom 20. Mai 2017 erlassene Abschiebungsandrohung war vorliegend jedoch nicht nochmals vollumfänglich auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.
33
Die gegen die Ergänzung der Abschiebungsandrohung (hier: um einen konkreten Zielstaat) zulässigen Rechtsbehelfe dienen – anders als das Instrument des Wiederaufgreifens des Verfahrens – gerade nicht der Korrektur bestands- bzw. rechtskräftiger behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen, sondern vielmehr dazu, gegen neue (!), rechtswidrige und rechtsverletzende Ergänzungen vorzugehen. Auch insoweit gilt wieder: Der Antragsteller soll durch die Aufspaltung auf zwei Schritte hinsichtlich der Möglichkeiten gerichtlichen Rechtsschutzes nicht schlechter gestellt werden, als wenn die Abschiebungsandrohung bereits in allen ihren Teilen vollständig, sprich inklusive der Benennung eines bestimmten Zielstaates, sofort zusammen mit der Ablehnungsentscheidung erfolgt; jedoch muss er auch nicht bessergestellt werden.
34
Prüfungsgegenstand waren vorliegend lediglich die durch den streitgegenständlichen Bescheid seitens des Bundesamtes tatsächlich vorgenommenen (!) zielstaatsbezogenen Ergänzungen sowie etwaige, bei Vornahme der durchgeführten Ergänzung zwingend flankierend seitens des Bundesamtes vorzunehmende, jedoch in potentiell rechtswidriger Weise unterlassene (!) weitere Modifikationen.
35
Hingegen nicht nochmals erneut auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen waren diejenigen Bestandteile, die bereits mit Bescheid vom 20. Mai 2017 definiert wurden, bereits bestandskräftig und daher nur unter den inhaltlichen sowie verfahrenstechnischen Vorgaben für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens einer erneuten Auseinandersetzung zugänglich sind. Dies sind neben Beginn und Länge der gesetzten Frist zur freiwilligen Ausreise u.a. auch sämtliche nicht zielstaats-, sondern vielmehr inlandsbezogenen Komponenten der Entscheidung pro Abschiebung / Abschiebungsandrohung und in diesem Zusammenhang gemäß Art. 5 Buchst. a und b der RL 2008/115 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, B.v. 15.2.2023 – C 484/22 – juris) bereits seitens des Bundesamtes vor Erlass einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigende, einer Abschiebung des Ausländers aus Deutschland (in welchen Zielstaat auch immer) entgegenstehende (inlandsbezogene), sich aus Art. 6 GG / Art. 8 EMRK ergebende Abschiebungsverbote zum Schutze der Familieneinheit.
36
b. Nach summarischer Prüfung bestehen zu Gunsten des Antragstellers im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) voraussichtlich keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Äthiopien.
37
(1) Das Gericht verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids, denen das Gericht vollumfänglich folgt (§ 77 Abs. 3 AsylG).
38
(2) Im Hinblick auf die Sicherstellung des Existenzminimums wird ergänzend ausgeführt, dass sich seit Erlass des streitgegenständlichen Bescheids ausweislich der ausgewerteten Erkenntnismittel über den Staat Äthiopien die allgemeinen Umstände, insbesondere die wirtschaftliche Lage sowie die Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere hinsichtlich der Hauptstadt Addis Abeba, über dessen Internationalen Flughafen der Antragsteller im Falle einer Abschiebung einreisen würde und wo ihm nach Auffassung des Gerichts auch zugemutet werden darf, anschließend seinen Wohnsitz zu nehmen, nicht derart massiv verschlechtert haben, als dass unter Berücksichtigung der seit Erlass des Bescheids unveränderten individuellen Verhältnisse des Antragstellers (insoweit kein Vortrag seitens des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren) eine andere Einschätzung ergeben würde.
39
Ausweislich der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen stellt sich die derzeitige allgemeine wirtschaftliche und humanitäre Lage in Äthiopien wie folgt dar:
40
Was die Versorgung mit Nahrungsmitteln betrifft, hat die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) und das World Food Programm (WFP) in ihrer Lageprognose für die Monate Juni bis September 2022 (FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – June to September 2022 Outlook – Juni / 2022) die Entwicklung der Versorgungslage für Äthiopien und dessen einzelne Landesteile wie folgt eingeschätzt:
41
Zur hierbei verwendeten fünfstufigen IPC/CH-Skala:
(siehe hierzu auch FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – June to September 2022 Outlook – Juni / 2022, Seite 7)
Die FAO / das WFP teilen hierfür die Lage, was die Versorgung mit Lebensmitteln bzw. die Versorgungsunsicherheit betrifft, in fünf Stufen (sog. „Phasen“) ein.
In Stufe (Phase) 1 („None / Minimal“) sind die Haushalte noch in der Lage, sich Grundnahrungsmittel (oder hierfür erforderliche Einnahmen) zu beschaffen, ohne hierfür völlig ungewöhnliche oder nicht nachhaltige Beschaffungsstrategien anwenden zu müssen.
In Stufe (Phase) 2 („Stressed“) sind Haushalte zwar noch in der Lage, ihren absoluten Minimalbedarf an Nahrungsmittel zu decken, jedoch nicht mehr in der Lage, darüber hinaus Ausgaben für andere Produkte zu tätigen.
In Stufe (Phase) 3 („Crisis“) leiden Haushalte entweder infolge Versorgungslücken an akuter Unterernährung oder sind nur durch Abbau anderer, für den Lebensunterhalt essenzieller Güter gerade so in der Lage, ihren Minimalbedarf an Nahrungsmitteln zu decken.
In Stufe (Phase) 4 („Emergency“) haben einige Haushalte entweder große Versorgungslücken mit Lebensmitteln mit der Folge von sehr hoher akuter Mangelernährung und steigender Sterblichkeitsrate oder können große Versorgungslücken nur unter Anwendung von Notfallstrategien und Liquidation sämtlicher Vermögenswerte vermeiden.
In Stufe (Phase) 5 („Catastrophe“) leiden die Haushalte trotz Anwendung aller Notfallstrategien an extremen Versorgungslücken betreffend Nahrungsmittel oder anderen Basisgütern. Hunger, Tod, Armut und extrem-kritische Mangelernährung sind offensichtlich.
Für die Stufe (Phase) 5´+ („Famine“ = Hungersnot) ist darüber hinaus erforderlich, dass die betroffene Region ein extrem kritisches Level an akuter Mangelernährung und Sterblichkeit aufweist.
42
Die Lage im Bundesstaates Tigray, welcher selbst kaum über fruchtbare Böden und eigenen Ackerbau verfügt und deshalb traditionell auf Weizenimporte aus anderen Landesteilen Äthiopiens, insbesondere den fruchtbaren Agrarregionen, insbesondere in den Bundesstaaten Oromia, Amhara und Gambela, oder aus dem Ausland angewiesen ist, und welche im Zuge der Kämpfe zwischen der äthiopischen Armee und der TPLF zeitweise für Nahrungsmittelimporte oder Hilfslieferung nicht zugänglich war, wurde – trotz der derzeit ausgerufenen Waffenruhe – mit Stufe 5+ (Gefahr einer Hungersnot) bewertet (FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – June to September 2022 Outlook – Juni / 2022 – S. 26)
43
Für die derzeit besonders von der anhaltenden Dürre betroffenen Landesteile im Süden Äthiopiens, sprich die Bundesstaaten Somali (an der Grenze zu Somalia) und SNNPR sowie die Provinz Borena im Bundesstaat Oromia wurde die Versorgungslage für die nächsten Monate mit Stufe 3 oder schlimmer eingeschätzt (FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – June to September 2022 Outlook – Juni / 2022 – S. 26).
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Alle weiteren Landesteile, wie etwa die Hauptstadt Addis Abeba oder die übrigen Provinzen des Bundesstaates Oromia und der Bundesstaat Amhara mit ihrem fruchtbaren Ackerland wurden als unterhalb der Phase 3 liegend prognostiziert.
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Auch die aktuelle FAO/WFP-Prognose für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 (FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – October 2022 to January 2023, Seite 26 – 27) geht von einer weiterhin schlechten Versorgungslage aus, insbesondere in den Landesteilen im Norden, wo nunmehr geschätzt dreizehn Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelknappheit bedroht sind und damit 2,4 Millionen Menschen mehr als noch im Vorjahr, hervorgerufen durch die anhaltend schlechte Sicherheitslage, aber auch in anderen Regionen Äthiopiens, insbesondere im Süden des Landes (Bundesstaaten Somali, SNNPR, aber auch Teile von Oromia und Amhara), wo davon ausgegangen wird, dass dort mehr als 9,9 Millionen Menschen sich einer lebensbedrohlichen Situation (IPC Phase 3 oder höher) ausgesetzt sehen werden.
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Jedoch ist ausweislich der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel auch hinsichtlich der anderen, unterhalb der Phase 3 eingestuften Landesteile zu berücksichtigen, dass infolge zahlreicher Dürren und Überschwemmungen in Äthiopien in den letzten Jahren sowie der landes- und weltweit ergriffenen COVID-19-Maßnahmen, insbesondere aber infolge der seit November 2020 im Norden Äthiopiens geführten Kämpfe zwischen äthiopischer Armee und TPLF, sowie zuletzt auch infolge des seit Ende Februar 2022 bestehenden bewaffneten Konflikts in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf die weltweiten Preise für Kraftstoffe, Getreide sowie Düngemittel die Preise für Lebensmittel in Äthiopien massiv gestiegen sind, bis März 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 43,4% (FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – June to September 2022 Outlook – Juni / 2022 – S.26).
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Im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in der Ukraine und der Blockade ukrainischer Schwarzmeerhäfen durch Russland ist ferner zu berücksichtigen, dass Äthiopien stark auf Kraftstoff-, Düngemittelsowie Weizenimporte angewiesen ist und in der Vergangenheit zwei Drittel des importierten Weizens aus Russland und der Ukraine bezog (FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – June to September 2022 Outlook – Juni / 2022 – S.26).
48
Vor dem Hintergrund von Importabhängigkeit und drastisch gestiegenen Weltmarktpreisen für Weizen und andere benötigte Produkte kommt erschwerend hinzu, dass die – insbesondere durch massive Militärausgaben (laut Einschätzung der Vereinten Nationen bereits bis August 2021 über eine Milliarde US-Dollar) hervorgerufene – drastische Erhöhung der Staatsverschuldung zu einem starken Verfall der äthiopischen Währung Birr sowie einen massiven Anstieg der Inflation, von 18% vor Beginn des Tigray-Konflikts bis auf 34,2% im Oktober 2021 (Future Center – How the war in Tigray is impacting Ethiopia's economy? (futureuae.com), abgerufen am 13.12.2021), geführt hat (FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – June to September 2022 Outlook – Juni / 2022 – S.26).
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Vor diesem Hintergrund ist daher davon auszugehen, dass sich die Preise für Lebensmittel weiter steigen (FAO / WFP – Hunger Hotspots – early warnings on acute food insecurity – June to September 2022 Outlook – Juni / 2022 – S.26).
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Zudem hat sich – insbesondere infolge des Tigray-Konflikts und den damit verbundenen Militärausgaben sowie der sich in diesem Zusammenhang massiv verschlechterten Sicherheitslage – die allgemeine wirtschaftliche Lage im Land und auf dem Arbeitsmarkt stark verschlechtert.
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Insbesondere die schon seit vielen Monaten andauernden Kämpfe zwischen äthiopischer Armee und TPLF-Kämpfern haben die gesamte äthiopische Wirtschaft landesweit schwer geschädigt, insbesondere zentrale Sektoren wie die Landwirtschaft, den Bergbau oder auch die Produktion. Das erwartete Wirtschaftswachstum wird mit unter 2% beziffert, das niedrigste seit über zwei Jahrzehnten (Future Center – How the war in Tigray is impacting Ethiopia's economy? (futureuae.com), abgerufen am 13.12.2021).
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Aufgrund der anhaltenden schlechten Sicherheitslage, nicht nur im Norden des Landes, beendeten in den letzten Monaten zudem viele ausländische Unternehmen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten, schlossen Fabriken und Manufakturen und sahen von weiteren Investitionen in Äthiopien ab (Future Center – How the war in Tigray is impacting Ethiopia's economy? (futureuae.com), abgerufen am 13.12.2021). So schloss etwa einer der weltweit größten Kleidungsproduzenten, PVH, sein Werk in Hawassa und damit die größte Fabrik des Landes.
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Rund ein Viertel der äthiopischen Bevölkerung lebt derzeit unterhalb der Armutsgrenze (BBC, Ethiopia's economy battered by Tigray war – BBC News, 14.03.2022).
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In Bezug auf die Hauptstadt Addis Abeba, dem wirtschaftlichen Zentrum des Landes, ist neben den steigenden Nahrungsmittelkosten noch zusätzlich zu berücksichtigen, dass infolge des massiven Bevölkerungszuwachses in den vergangenen Jahren bei gleichzeitig geringer Investitionen in den Wohnungsbau die Wohnungskosten massiv gestiegen und für Geringverdiener allein kaum mehr erschwinglich sind.
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So ist bereits seit Jahren ein zunehmender Zuzug der äthiopischen Landbevölkerung in die Städte, in denen sich die Hilfsorganisationen niedergelassen haben, zu verzeichnen, insbesondere in das wirtschaftliche Zentrum des Landes, Addis Abeba. Unzählige suchen dort neue Einkommensquellen oder sind schlicht auf die dortige Lebensmittelhilfe angewiesen (Fluchtgrund, https://www.fluchtgrund.de/land/aethiopien, abgerufen am 14.03.2022).
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So weist Addis Abeba bereits jetzt eine Bevölkerungszahl von 5,2 Millionen Einwohnern auf (World Population Review, https://worldpopulationreview.com/world-cities/addis-ababa-population, abgerufen am 14.3.2022), wobei viele der dort lebenden Menschen nicht registriert und oftmals ohne adäquate Unterkunft dort leben, die reale Einwohnerzahl somit wohl noch höher liegen dürfte. Für die nahe Zukunft wird ein Anstieg der Einwohnerzahl auf 6,5 Millionen Einwohner prognostiziert (World Population Review, https://worldpopulationreview.com/world-cities/addis-ababa-population, abgerufen am 14.3.2022).
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Angesichts des seit Jahren hohen Bevölkerungszuzugs und gleichzeitig geringer (auch staatlicher) Investitionen in den Wohnungsbau, herrscht in Addis Abeba bereits seit Jahren ein immer eklatanter werdender Mangel an Wohnraum, was entsprechend hohe Wohnungskosten zur Folge hat. Sozial- bzw. vergünstige Wohnungen sind kaum vorhanden und werden zudem oftmals unter der Hand gegen hohe Preise weitergegeben (siehe zu diesem Thema insgesamt insbesondere: CBMS – Ethiopia Poverty Profiles of Dire Dawa and Addis Abeba – 2016).
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Jedoch ist dem Gericht aus den vorliegenden Erkenntnismitteln sowie aus einer Vielzahl an anderen Verfahren mit äthiopischen Staatsangehörigen bekannt, dass insbesondere ärmere Bewohner der Hauptstadt, insbesondere auch Tagelöhner oder Bettler, den steigenden Wohnungspreisen dahingehend erfolgreich begegnen, indem sie sich zu mehrköpfigen Wohngemeinschaften zusammenschließen und mit gebündelten finanziellen Mitteln in der Lage sind, gemeinsam Wohnraum anzumieten.
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Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Hauptstadt weiterhin eine Vielzahl an wirtschaftlicher Betätigung ermöglicht und auch Tagelöhner und selbst Bettler derzeit grundsätzlich noch in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt dort zu sichern.
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(3) Gleiches gilt jedenfalls in Bezug auf Addis Abeba, was die allgemeine Sicherheitslage betrifft.
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c. Auch der Umstand, dass dem Antragsteller im Rahmen der Konkretisierung der Abschiebungsandrohung nicht nochmals explizit (!) erneut eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt wurde, begegnet keinerlei rechtlichen Bedenken.
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(1) So teilt das Bundesamt mit der vorliegend gewählten Formulierung Die mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.05.2017 erlassene Abschiebungsandrohung wird dahingehend konkretisiert, dass der Ausländer für den Fall, dass er der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Äthiopien abgeschoben wird, nicht nur den mittlerweile bestimmten Zielstaat (Äthiopien) mit, sondern macht zugleich deutlich, dass es sich auf die bereits 2017 erlassene Abschiebungsandrohung sowie die in diesem Zusammenhang ausgesprochene Aufforderung zur Ausreise (und die hierzu gesetzte Frist von sieben Tagen) bezieht, so dass dies bereits als ausreichende erneute Fristsetzung angesehen werden kann.
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(2) Davon unabhängig greift zwar im Falle der Ergänzung einer (zunächst ohne bestimmten Zielstaat ausgesprochenen) Abschiebungsandrohung um einen bestimmten Zielstaat erneut die (vorliegend einwöchige) Ausreisefrist (des § 36 Abs. 1 AsylG).
Jedoch ist für diesen Anlauf keine erneute Fristsetzung dergestalt erforderlich, dass das Bundesamt zusammen mit der Mitteilung des nunmehr bestimmten Zielstaates den Antragsteller nochmals explizit (!) auffordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung (sprich: der Mitteilung des Zielstaates) (!) zu verlassen.
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(a) Wie bereits oben ausgeführt, darf das Bundesamt in bestimmten Fällen zunächst eine Abschiebungsandrohung ohne Nennung eines konkreten Zielstaates erlassen und diesen später ergänzen (s.o. m.w.N.), eine Abschiebung jedoch erst dann vorgenommen werden, wenn der später bestimmte konkrete Zielstaat dem Ausländer zuvor rechtzeitig in einer Weise mitgeteilt worden ist, die es ihm ermöglicht, einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutz zu erlangen (s.o. m.w.N.).
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Art. 19 Abs. 4 GG kann jedoch nur dann Genüge getan werden, wenn der Ausländer, der bislang zwar vom negativen Ausgang seines Asylverfahrens, seiner Ausreisepflicht sowie der Möglichkeit, zwangsweise außer Landes gebracht zu werden, sofern er das Bundesgebiet nicht freiwillig verlässt, Kenntnis erlangt hat, jedoch mangels bislang definierten Zielstaat nicht in der Lage war, sich mit etwaigen zielstaatsbezogenen (!) Abschiebungshindernissen auseinanderzusetzen und gegebenenfalls diesbezüglich gerichtlichen (Eil) Rechtsschutz einzuholen oder zumindest vorzubereiten, zumindest so lange im Bundesgebiet verbleiben können muss / nicht abgeschoben werden darf, als es zeitlich erforderlich ist, um effektiven gerichtlichen Eilrechtsschutz (Antragstellung plus Begründung) einzuholen. Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür eine Mindestspanne vom zumindest sieben Tagen für erforderlich gehalten (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166). Dies kommt auch auf einfachgesetzlicher Ebene in der Fristuntergrenze des § 59 Abs. 1 AufenthG zum Ausdruck.
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Berücksichtigt man zudem, dass im Falle einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet die Klage keine aufschiebende Wirkung hat (s.o.), somit die im Zuge der Ergänzung der Abschiebungsandrohung erfolgte „Scharfstellung“ derselben sofort vollziehbar ist (§ 6 Abs. 1 Var. 3 VwVG), muss, um den Mindestanforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG Genüge zu tun, hierfür zumindest die (vorliegend bereits im Bescheid vom 20. Mai 2017 definierte) 7-Tage-Frist des § 36 Abs. 1 AsylG unter entsprechender Anwendung von § 59 Abs. 1 Satz 6 Hs. 2 AufenthG erneut zu laufen beginnen.
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(b) Eine erneute Fristsetzung dahingehend, dass das Bundesamt zusammen mit der Mitteilung des nunmehr bestimmten Zielstaates den Antragsteller nochmals explizit auffordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Mitteilung (!) zu verlassen, ist hingegen im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG und die oben beschriebenen, sich hinsichtlich einer Ergänzung hieraus ergebenden Anforderungen in entsprechender Anwendung von § 69 Abs. 1 Satz 7 AufenthG nicht erforderlich.
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Zunächst ist hierbei zu berücksichtigen, dass ganz unabhängig davon, ob seitens des Bundesamtes gegenüber dem (in aller Regel rechtsunkundigen) Ausländer Fristmodalitäten nochmals explizit in aller Ausführlichkeit kommuniziert werden, jedenfalls die die Abschiebung vornehmenden Behörden an die 1-Wochen-Frist gebunden sind, der betroffene Ausländer folglich bereits auch ohne Kenntnis vom erneuten Anlaufen der Frist zumindest dahingehend geschützt ist, dass die Einholung gerichtlichen Rechtsschutzes bereits daran scheitert, dass er vor dessen Vornahme abgeschoben wird.
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Und auch im Hinblick auf die der Abschiebungsandrohung innenwohnende Mahn- und Warnfunktion (BVerwG, U.v. 16.11.1999 – 9 C 4/99 – NVwZ 2000, 331) bestehen jedenfalls bei der vorliegend seitens des Bundesamtes gewählten Formulierung der Ergänzung keinerlei Bedenken, dass der Ausländer trotz Eingreifen und Berücksichtigung der Ausreisefrist seitens der Behörden, seine in der Theorie bestehenden Möglichkeiten mangels Kenntnis oder infolge gefühlter Aussichtslosigkeit praktisch nicht wahrnimmt.
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So wird dem betroffenen Ausländer auch ohne Benennung eines konkreten Zielstaates bereits im Zuge des ersten Schritts deutlich gemacht, dass er infolge erfolglosen Abschlusses seines Asylverfahrens ausreisepflichtig ist und die resultierende Ausreisepflicht, sofern er (vorzugswürdig) nicht freiwillig ausreist, notfalls mittels unmittelbaren Zwangs im Wege der Abschiebung durchgesetzt wird, auch wenn noch nicht feststeht, in welchen Staat er konkret abgeschoben wird. Die Mahn- und Warnfunktion der Abschiebungsandrohung ist somit insoweit bereits erfüllt.
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Durch die unter Bezugnahme auf die bereits erfolgte Abschiebungsandrohung und die hierbei (mit Fristsetzung) ausgesprochene Ausreiseaufforderung erfolgende Ergänzung durch Mitteilung des nun bestimmten Zielstaates einer etwaigen Abschiebung wird beim Ausländer zudem nicht der Eindruck geschaffen, eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht sei nun vom Tisch. Ganz im Gegenteil. Vielmehr wird er hierdurch nochmals an die im ersten Schritt ausgesprochene Aufforderung und Androhung erinnert, wie auch (durch die beizufügende Rechtsbehelfsbelehrung) an die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz einzuholen. Eine explizite (!) nochmalige Versicherung seitens der Behörde gegenüber dem Ausländer dahingehend, dass die Ausreisefrist weiterhin eine Woche beträgt, ist als Anstoßfunktion hierfür nicht erforderlich. Zudem besteht nicht die Gefahr, dass der Ausländer davon ausgeht, sofort nach Erhalt der Ergänzungsentscheidung abgeschoben zu werden und infolge dessen glaubt, gar keine Möglichkeit zu haben, noch gerichtlichen Rechtsschutz einholen zu können und dies deshalb unterlässt.
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Auch unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 69 Abs. 1 Satz 7 AufenthG ist eine erneute, explizite nochmalige ausführliche Fristsetzung nicht erforderlich.
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d. Was die durch den Bevollmächtigten des Antragstellers geltend gemachte Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen nicht erfolgter Anhörung betrifft: Davon abgesehen, dass gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 AsylG vor Erlass einer Abschiebungsandrohung eine vorherige Anhörung nicht erforderlich ist, hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 21. Januar 2021 vorliegend gerade die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, wovon dieser mit Schreiben vom 13. Februar 2021 auch Gebrauch gemacht hat. Der Vorwurf geht insoweit ins Leere.
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Der Einwand, die geänderte Abschiebungsandrohung sei bereits infolge Unstimmigkeiten bei der Bezeichnung des Namens sowie des Geburtsortes des Antragstellers unwirksam, ist zu unsubstantiiert und zu wenig nachvollziehbar dargelegt worden, als dass sich hieraus ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ergeben könnten.
3.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).