Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 24.07.2023 – W 8 K 23.30161
Titel:

Erfolgreiche Klage eines Iraners auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Konversion zum Christentum)

Normenkette:
AsylG § 3, § 28 Abs. 1a
Leitsätze:
1. Aufgrund der aktuellen Lage besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Ausländer bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind; dies gilt gerade, wenn der Ausländer seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung etwa vom Islam zum Christentum übertritt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Weigerung, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist nur gerechtfertigt, wenn dadurch ein offensichtlich missbräuchliches oder zweckgerichtetes Verhalten der Person geahndet werden soll; hierfür muss die Person bewusst unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen vorgenommen bzw. an den Tag gelegt haben, und zwar ausschließlich zu dem Zweck, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Kläger in Deutschland, Berücksichtigung von Nachfluchtaktivitäten, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Griechenland, Kirchengemeinde Evangelistria in Griechenland, rumänisch-orthodoxe Kirche in Bamberg, griechisch-orthodoxe Kirche, Aschaffenburg, persönliches Bekenntnis zum Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Bibelstudien, Katechese, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde, zahlreiche Teilnahmen an regimekritischen Demonstrationen in Deutschland, Gefahrerhöhung durch repressive Maßnahmen gegen Protestbewegung im Iran, gesundheitliche Probleme, PTBS, Flüchtlingseigenschaft, Konversion, Nachfluchtgrund, Missbrauch
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21848

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. März 2023 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger, iranischer Staatsangehöriger, reiste am 17. Juli 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. September 2021 einen Asylantrag. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an: Er sei schon im Iran vom Islam zum Christentum konvertiert und habe mit Kollegen über seinen christlichen Glauben gesprochen. Während seiner Reise nach Deutschland sei er in Kroatien von einem Polizisten vergewaltigt und misshandelt worden. Er leide seitdem unter psychischen Problemen.
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Mit Bescheid vom 2. März 2023 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder einem anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Sachvortag des Klägers sei nicht glaubhaft. Er trage bis zu seiner Ausreise keine Erkenntnisse einer Strafverfolgung aus eigener Anschauung vor. Es erscheine nicht nachvollziehbar, weshalb seine Frau Originaldokumente vernichtet haben solle. Der Aussagewert von Dokumenten aus dem Iran sei ohnehin erheblich gemindert. Die vom Kläger vorgetragenen Aussagen zu Jesus und Gott ließen aufgrund ihrer schlicht wirkenden Allgemeinverbindlichkeit nicht erkennen, weswegen der Kläger in das Visier der iranischen Sicherheitsbehörden gelangt sein sollte. Allein die Sympathiekundgebung bzw. geringfügigste Aktivitäten für Frauenrechte im Iran reichten für eine positive Entscheidung nicht aus. Eine Identitätsprägung als Christ sei nicht feststellbar. Der Kläger wirke allenfalls oberflächlich über den christlichen Glauben informiert, weswegen auch von ihm geäußerte Missionierungsbemühungen (auch in Deutschland) zu relativieren wären. Die vorgelegte Taufbescheinigung bestätige allein den formellen Glaubensübertritt. Das Attest des medizinischen Dienstes der Regierung von Oberfranken beruhe auf Angaben des Klägers. Das eine eigene Überprüfung der Angaben des Klägers, die eine PTBS-Diagnose voraussetzen würde, stattgefunden habe, sei nicht ersichtlich. Bezüglich der festgestellten Depressionen des Klägers sei davon auszugehen, dass ihm eine Behandlung im Herkunftsland zugänglich und zumutbar sei. Es sei zu erwarten, dass der Kläger bei einer Rückkehr wieder als Handwerker tätig sein könne.
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Am 11. März 2023 ließ der Kläger Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben.
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Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2023 ließ der Kläger zur Klagebegründung vorbringen: Er befinde sich wegen schwerwiegender Erkrankungen aufgrund eines Vorkommnisses in Kroatien in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung sowie in weiteren ärztlichen Behandlungen.
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Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2023 ließ der Kläger unter Vorlage diverser Unterlagen und Fotos im Wesentlichen weiter ausführen: Der Kläger bekenne sich zum christlich-orthodox katholischen Glaubensbekenntnis. Er sei am … … 2023 in Chios getauft worden. Auf der Flucht sei er in Kroatien von Polizisten geschlagen, misshandelt und vergewaltigt worden. Er leide seitdem an einer Posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode. Der Kläger habe einen tief verwurzelten Glauben. Er habe bereits in Griechenland auf der Insel Chios eine intensive Katechese erhalten. In Deutschland habe er unmittelbar Kontakt zur griechisch-orthodoxen Kirche gesucht. Die griechisch-orthodoxe Filialkirche der heiligen Katarina in Aschaffenburg habe allerdings nur einmal im Monat Gottesdienst. Der Kläger besuche zusätzlich regelmäßig sonntags die rumänisch-orthodoxe Kirche in Aschaffenburg, um mehr religiösen Austausch mit anderen orthodoxen Christen zu haben und seinen Glauben zu festigen. Zudem habe er einmal in der Woche per WhatsApp-Video für eine knappe Stunde Bibelstudien mit anderen Gläubigen. Der Kläger sei nicht nur Konvertit, sondern auch Regimegegner. Er nehme seit Herbst 20223 regelmäßig an Demonstrationen gegen die iranische Regierung vor allem in bayerischen Städten wie Aschaffenburg und Würzburg teil. Die politische Gefährdungslage im Iran habe sich massiv verschärft. Die Protestbewegung habe einen revolutionären Prozess in Gang gesetzt. Die iranische habe sämtliche militärischen Einheiten mobilisiert, um die Protestbewegung niederzuschlagen. Über 20.000 Menschen seien verhaftet worden. Über 1000 Todesurteile seine verhängt und auch schon vollstreckt worden. Die Hinrichtungen hätten zugenommen. Die Dunkelziffer sei hoch. Es gebe einen bundesweiten Abschiebestopp. Die Wirtschaftskrise betreffe sämtliche Lebensbereiche. Löhne würden nicht ausgezahlt. Bei einer Rückkehr wäre das Existenzminimum nicht sichergestellt. Der Kläger sei kein junger und gesunder arbeitsfähiger Mann. Die psychischen Erkrankungen des Klägers begründeten ein Abschiebungsverbot.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 14. März 2023,
die Klage abzuweisen.
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Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 13. März 2023 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
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In der mündlichen Verhandlung am 24. Juli 2023 ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. März 2023 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. März 2023 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG war nicht zu entscheiden.
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Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
14
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
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Nach Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
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Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 30.1.2023 – W 8 K 22.30651 – juris; U.v. 5.9.2022 – W 8 K 22.30383 – juris; U.v. 27.5.2022 – W 8 K 21.31219 – juris; U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris; U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 – 14 ZB 19.31771 – juris; B.v. 16.1.2020 – 14 ZB 19.30341 – juris; B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie OVG LSA, U.v. 14.7.2022 – 3 L 9/20 – juris; SächsOVG, U.v. 24.5.2022 – 2 A 577/19.A – juris; U.v. 30.11.2021 – 2 A 488/19.A – juris; U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG MV, U.v. 2.3.2022 – 4 LB 785/20 OVG – juris; HambOVG, U.v. 8.11.2021 – 2 Bf 539/19.A – juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; B.v. 6.7.2021 – 6 A 31/20.A – juris; U.v. 21.6.2021 – 6 A 2114/19.A – juris; U.v. 7.6.2021 – 6 A 2215/19.A – Milo; B.v. 6.1.2021 – 6 A 3413/20.A – juris; B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 20/19 – juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. etwa VG Würzburg, U.v. 30.1.2023 – W 8 K 22.30651 – juris; U.v. 5.9.2022 – W 8 K 22.30383 – juris; U.v. 27.5.2022 – W 8 K 21.31219 – juris; U.v. 3.1.2022 – W 8 K 21.31074; U.v. 22.11.2021 – W 8 K 21.30912; U.v. 4.10.2021 – W 8 K 21.30835 – juris; U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist – unter den vorstehenden Voraussetzungen – eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
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Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für den Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da der Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner persönlichen religiösen Prägung entsprechend seiner neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, seinen Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass er ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung des Klägers vorliegt und dass er auch bei einer Rückkehr in den Iran seinen christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich der Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben des Klägers zu seiner Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; sowie etwa SächsOVG, U.v. 24.5.2022 – 2 A 577/19.A – juris; U.v. 30.11.2021 – 2 A 488/19.A – juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; U.v. 7.6.2021 – 6 A 2215/19.A – Milo; B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris; B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
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Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass dieser ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte der Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Der Kläger schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft seinen Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und seine christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen des Klägers sind plausibel und in sich schlüssig. Der Kläger legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe des Klägers, seine Konversion zum Christentum sowie seine christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte die christliche Gemeinde seine Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
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Der Kläger hat seinen Weg vom Islam zum Christentum glaubhaft dargetan. Der Kläger erklärte, er sei als Moslem geboren. Er habe bis zu seinem zehnten bis 15. Lebensjahr auch die islamischen Regeln eingehalten. Hierzu habe ihn sein Vater genötigt. Der Grund für die Abkehr vom Islam sei gewesen, dass bei Trauerfeiern immer Selbstgeißelungen stattgefunden hätten. Man habe sich immer selbst Verletzungen zugefügt. Seit etwa 2012 habe er Bekanntschaft mit dem Christentum gemacht. Er sei zu dem Zeitpunkt schon verheiratet gewesen. Auch seine Frau sei – schon vor ihm – dem Christentum zugeneigt gewesen. Sie hätten nach der Eheschließung aber nicht damit geprahlt, dass sie nicht zum Islam gehörten; aber sie hätten auch keinerlei islamische Ambitionen gehabt. Es habe später Zusammenkünfte gegeben, auch einmal bei Ihnen. Es sei dabei um das Christentum gegangen. Die Zusammenkunft habe einmal in der Woche stattgefunden. Es sei schwierig im Iran zu konvertieren. Einmal hätten sie eine Kirche in Teheran aufgesucht, aber der Wachmann habe ihnen gesagt, sie sollten die Kirche verlassen, sonst müsse er die Polizei holen. Bis zu seiner Ausreise hätten die christlichen Treffen so zwei bis drei Mal im Monat stattgefunden, aus Sicherheitsgründen oft zur Schulzeit. Er habe im Iran Probleme bekommen. Er habe missioniert, er habe positiv über die christliche Religion gesprochen. Daraufhin sei er von seinem Arbeitgeber an seinem Arbeitsplatz angesprochen worden. Ihm sei gekündigt worden. Schritte seien eingeleitet worden, ihn festzunehmen. Da er zum alten Mitarbeiterstamm gehörte, sei er gewarnt worden. Der Kläger beschrieb dann ausführlich weiter, wie er in Griechenland Kontakt zu einer orthodoxen Gemeinde aufgenommen habe. Er habe entsprechende religiöse Einführungen bekommen. Er habe in Griechenland zunächst keine Englischkenntnisse gehabt, aber sich mit dem dortigen Priester über Google-Translator unterhalten. Später habe er einen Dolmetscher bekommen, der auch heute in Deutschland sei. Es sei ein Afghane gewesen. Bis zu seiner Ausreise sei er in Griechenland auf der Insel Chios gewesen und dort bei der orthodoxen Kirche. Bei der orthodoxen Kirche dauere die religiöse Einführung zwei Jahre. Heute habe er immer noch einmal in der Woche über Video-Call Kontakt und bekomme die Lehren. Bis zu seiner Taufe in Griechenland habe es keine zwei Jahre gedauert. Das Problem sei gewesen, dass er habe von den griechischen Behörden ausgewiesen werden sollen und der „Vater“ (Priester) habe ihn zum Beweis getauft, damit er nicht ausgewiesen werde. Der – in der mündlichen Verhandlung anwesende – christliche Beistand des Klägers aus der griechisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, Unterfranken, erläuterte glaubhaft und nachvollziehbar, dass der jeweilige Priester der orthodoxen Kirche seine Schäfchen aus seiner Gemeinde kennt. Er könne sich ein Bild davon machen. Die orthodoxe Kirche bekäme keine Kirchensteuer und habe keine finanziellen Vorteile von der Taufe. Es sei unbedingt so, dass sie sich eher zurückhaltend zeigten. In ihrer Kirche seien sie national getrennt. Sie seien gerade bei erwachsenen konvertierten Personen besonders vorsichtig und zurückhaltend. Sie sprächen etwa in der griechisch-orthodoxen Gemeinde griechisch und in der rumänisch-orthodoxen Gemeinde rumänisch, auch hier in Deutschland, wobei das Griechische altgriechisch sei. In Deutschland würden etwa Teile der Predigt mitunter zusätzlich auf Deutsch übersetzt, aber im Prinzip finde der Gottesdienst auf Griechisch statt. Der Kläger veranschaulichte, dass er griechisch verstehe, aber nicht griechisch sprechen könne. Er antworte dann auf englisch und mit dem Priester in Deutschland spreche er griechisch, englisch, deutsch. Am ersten Sonntag im Monat findet in der griechisch-orthodoxen Gemeinde ein Gottesdienst statt. Wenn keine Veranstaltung sei, gehe er zur rumänisch-orthodoxen Kirche. Außerdem hätten sie jeden Samstag – die schon erwähnten – Online-Bibelstunden mit Teilnehmern aus Deutschland, aus Athen und aus Australien. Die Frau aus Australien leite die Veranstaltung. Sie würde so zwischen 11.00 Uhr und 12.00 Uhr beginnen und dauere ungefähr zwei Stunden. Der Beistand, der Priester aus der griechisch-orthodoxen Gemeinde, erläuterte, bei ihnen sei der Gottesdienst absolut festgelegt. Es sei immer gleich. Es würden auch keine Gesangsbücher benutzt. Gesang gebe es durch Vorsänger. Das Volk singe nicht mit. Die Meisten seien passiv im Gottesdienst. Manche hörten zu, manche beteten für sich oder einen Rosenkranz. Der Gottesdienst sei sehr rituell mit Kerzen, mit Weihrauch und sie zögen herum. Es sei nicht vorrangig, dass man alles verstehe. Der Kläger erklärte, dass er auch einen Rosenkranz habe und diesen auch bei Gebeten immer wieder benutze. Außerdem trage er – wie auch schon in Griechenland – ein Kreuz.
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In dem Zusammenhang ist anzumerken, dass es dem Kläger nicht angelastet werden kann, wenn er aufgrund der coronabedingten Infektionsschutzmaßnahmen – genauso wie andere Christen in Deutschland – nur eingeschränkt aktiv sein und zusammen mit anderen in der Öffentlichkeit seinen Glauben ausleben konnte, auch weil christliche Veranstaltungen und Zusammenkünfte ausgefallen sind.
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Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass der Kläger seinen Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass er sich auch für seinen Glauben engagiert. Der Kläger erklärte: Er habe schon im Iran missioniert. Im Iran sei er aber vorsichtig gewesen. Man habe eher positiv über die christliche Religion gesprochen. In Griechenland habe er seine Schüler missioniert. Es sei offensichtlich gewesen, weil er auch ein Kreuz um den Hals und auch einen Rosenkranz als Armband getragen habe. Er habe weiter Kontakt zu seiner Heimat. Seine Ehefrau wisse, dass er konvertiert sei. Er habe versucht, seinen Vater bei einem Telefongespräch auf die Information (über seine Konversion) vorzubereiten. Dieser habe dann aber empört reagiert und den Kontakt abgebrochen. Mittlerweile sei wieder ein Kontakt zustande gekommen. Er habe auch mit seiner Tochter gesprochen, sei aber äußerst vorsichtig gewesen, weil er Angst gehabt habe, dass das Gespräch abgehört werde. Er habe ihr gesagt, dass sie herkommen könne und den Lehrgang machen müsse. Auch in Deutschland habe er einige protestantische Freunde und wolle sie motivieren, zur Orthodoxen-Gemeinde zu kommen. Ebenso habe er in der Flüchtlingsunterkunft Leute gehabt und diese missioniert und dazu gebracht, dass sie sich der rumänischen Gemeinde angeschlossen hätten. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass der Kläger bei seiner Glaubensbetätigung auch nicht vor seiner Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
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Der Kläger verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft seine Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte er – in seinen Worten und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit seinen Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte der Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass er dies verinnerlicht hat. Der Kläger erklärte: Das Christentum basiere auf Liebe und Hoffnung, der Islam eher auf Strafe. Wenn man das und das tue, dann werde man so und so bestraft. Das Christentum sei der einzige Weg zur Erlösung und Rettung. Nirgendwo sonst werde man erleben, dass Gott sein einziges Kind schicke, um einen von den Sünden zu befreien und auch die Menschheit von den Sünden zu befreien. Jesus Christus sei der Sohn Gottes. Er sei erschienen, um die Sünden der Menschen auf sich zu nehmen. Durch seine Kreuzigung seien alle unsere Sünden vergeben worden. Der Koran sei eine Kopie der Bibel. In der Bibel stehe alles. Warum solle er die Kopie nehmen, wenn er das Original habe. Im Koran werde im Übrigen die Verbindung zu Gott über eine weitere Person, über Mohammed, vermittelt, während beim Christentum die Verbindung zu Gott direkt sei. Zur Herkunft der Sünden müsse man auf die Schöpfung und auf die Zeit von Adam und Eva zurückgehen, als ihnen verboten worden sei, ein bestimmtes Obst zu verzehren. Der Teufel in der Gestalt einer Schlange habe Adam und Eva motiviert, das Obst zu verzehren. Alles, was die Bibel vorschreibe, sei zu beachten und das Gegenteil davon seien die Sünden. Wenn ein Mensch behaupte, er sei ohne Sünden, dann sei das nicht richtig. Das einzige Geschöpf, das ohne Sünden gewesen sei, sei Jesus Christus gewesen. Die Sünden seien von Generation zu Generation, seit Adam und Eva, weitergegangen bis zu Jesus Christus. Es gebe aber nach wie vor Sünden. Maria sei sehr heilig gewesen und für die Orthodoxen erst recht. Sie sei so unschuldig gewesen, dass sie das Kind Gottes zur Welt gebracht habe.
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Der Kläger offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die seine Glaubensentscheidung und seinen Gewissensschritt zusätzlich belegen. Der Kläger benannte in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte der Kläger auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Der Kläger bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
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Der Kläger erklärte glaubhaft weiter, er könne sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren, denn er habe seinen Weg gefunden. Er habe einen hellen Weg gefunden. Kein Mensch verlasse einen leuchtenden Weg, um einen dunklen Weg zu gehen. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass Christentum bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran zu verheimlichen. Denn Jesus Christus sage: „Gehet los und macht alle Stämme zu meinen Jüngern.“ Jeder im Christentum müsse diesen Weg gehen. Das Ganze müsse Früchte tragen. Es sei seine christliche Pflicht, so zu handeln. Im Übrigen habe er eine Seite auf Instagram mit christlichen Posts. Auch deshalb sei er schon im Iran als Konvertit bekannt. Darüber hinaus habe er eine zweite Seite auf Instagram mit politischen Aussagen.
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Der Kläger erklärte in dem Zusammenhang zu seinen exilpolitischen Aktivitäten: Er sei – bis zu seiner Operation – bei allen Demonstrationen in Frankfurt, die anlässlich der Ereignisse im letzten Jahr im Iran stattgefunden hätten (es seien wohl über 20 gewesen) dabei gewesen. Es seien so 200 bis 300 Teilnehmer gewesen. In Aschaffenburg habe er an einer Demonstration teilgenommen. Er habe auch in Berlin an einer Demonstration teilgenommen. Dort seien 130.000 Personen gewesen. Er poste zudem regimekritische Inhalte auf Instagram. Auch die Demonstrationen, die im Iran stattfänden, würden sie wiedergeben.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten des Klägers vor und nach seiner Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihm vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass der Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in seine Heimat seiner neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Der Kläger hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar seine Motive für die Abkehr vom Islam und seine Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Er hat seine Konversion anhand der von ihm gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch seine Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass der Kläger missionarische Aktivitäten entwickelt, indem er bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran seine Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
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Der Kläger hat insgesamt durch sein Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung seiner Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass er nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
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Dazu tragen auch die Ausführungen seines Beistandes aus der christlichen Gemeinde in der mündlichen Verhandlung bei. Der Erzpriester der griechisch-orthodoxen Gemeinde erklärte: Der Kläger habe von sich aus die Gemeinde aufgesucht. Er habe sich aber nicht nach vorne gedrängt und extra vorgestellt, sondern er sei regelmäßig gekommen. Der Kläger habe einen sehr ernsthaften Eindruck hinterlassen. Sie seien ins Gespräch gekommen. Der Kläger habe auch gebeichtet; auch das sei freiwillig gewesen. Der Kläger habe keine Erwartungen gehegt, dass er irgendwelche Vorteile habe, sondern er sei absichtslos gekommen, allein vom Glauben her. Er habe sich gleich von sich aus engagiert. Erstaunlich sei auch, dass der Kläger weiter die Katechese mache über seinen Video-Call mit der australischen Christin, die er, der Beistand, auch persönlich kennengelernt habe und die dies auch sehr ernsthaft mache, ohne Fanatismus. Der Kläger bleibe auch nach dem Gottesdienst in der Kirche beim Kaffee und suche auch mit anderen Gläubigen und anderen Gemeindemitgliedern das Gespräch.
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Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 28 AsylG Rn. 17).
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Auch aus Art. 5 der RL 2011/95 EU ergibt sich, dass religiöse Überzeugungen auch dann zu berücksichtigen sind, wenn der Betreffende sie nicht in seinem Heimatland geäußert hat. Vielmehr kann eine Situation auch berücksichtigt werden, wenn die betreffende Person erst nach Verlassen des Herkunftslandes beschließt, aufgrund einer Änderung der persönlichen Identität, ihrer persönlichen Anschauung oder auch ihrer politischen Überzeugung neue Nachfluchtaktivitäten aufzunehmen bzw. fortzusetzen. Allein aus dem Umstand, dass jemand nach Verlassen seines Heimatlandes zu einer anderen Religion konvertiert, lässt nicht auf einen Rechtsmissbrauch schließen. Zu prüfen ist, ob die Ausübung der Nachfluchtaktivitäten von der echten, aufrichtigen und ernsthaften Überzeugung und Ausrichtung zeugt. Diese Prüfung soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die Person diese Aktivitäten auch nach einer Rückkehr in das Heimatland fortsetzen wird. Gegebenenfalls kann sogar eine Person, deren Religionswechsel nicht aufrichtig wäre, aber durch die Taufurkunde dokumentiert wird, von den Behörden bestimmter Länder, wie etwa im Iran, als Verbrechen der Apostasie für schuldig befunden werden, sodass bei einer Rückkehr in dieses Land die reale Gefahr einer Verfolgung drohen würde. In einem zweiten Schritt ist aber zu prüfen, wie die Aktivitäten vom Verfolgerstaat aufgefasst werden, eventuell auch als „Scheinaktivitäten“. Die Weigerung, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist nur gerechtfertigt, wenn dadurch ein offensichtlich missbräuchliches oder zweckgerichtetes Verhalten der Person geahndet werden soll. Hierfür muss die Person bewusst unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen vorgenommen bzw. an den Tag gelegt haben, und zwar ausschließlich zu dem Zweck, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Die Anerkennung als Flüchtling darf dann nur verweigert werden, wenn nach einer umfassenden Prüfung aller für die individuelle Situation der antragstellenden Person maßgeblichen Umstände mit hinreichender Gewissheit festgestellt werden kann, dass der Antrag eindeutig auf eine Verfolgungsgefahr gestützt ist, die die Person nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag bewusst herbeigeführt hat, indem er unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen alleine deshalb vorgenommen bzw. an den Tag gelegt hat, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen (vgl. im Einzelnen Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 15.6.2023 – C 222/22 – juris Rn. 37 ff.).
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Schon allein aufgrund der aufrichtigen Konversion des Klägers vom Islam zum Christentum hat er einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Auf die exilpolitischen Aktivitäten, die für sich gefahrerhöhend und/oder verfolgungsauslösend sein können, gerade angesichts der landesweiten Proteste und Repressionen im Iran seit September 2022 (vgl. VG Würzburg U.v. 20.3.2023 – W 8 K 22.30683 – juris Rn. 28 ff.; U.v. 20.3.2023 – W 8 K 22.30707 – juris Rn. 29 ff. mit zahlreichen Hinweisen zu den Erkenntnissen), kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an, ebenso wenig auf mögliche gesundheitliche Abschiebungshindernisse.
33
Nach alledem ist dem Kläger unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
34
Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
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Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
36
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.