Titel:
Iran, Frau mit knapp fünfjähriger Tochter, Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland, keine Aussetzung des Gerichtsverfahrens, ergebnisoffene Prüfung und Entscheidungsbefugnis sowohl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als auch des Gerichts trotz Zuerkennung internationaler Schutzes für Klägerinnen in Griechenland, angebliche Probleme des Ehemannes mit staatlichen Stellen, Übergriffe durch den Vater wegen Beziehung zum jetzigen Ehemann, keine eigene Verfolgungsgefahr von staatlicher Seite, Sippenhaft nicht beachtlich wahrscheinlich, angeblich drohende Gefahr krimineller Handlungen seitens Privater, unglaubhaftes Vorbringen, Widersprüche und Ungereimtheiten, widersprüchliche und unglaubhafte Angaben des als Zeugen vernommenen Ehemanns/Vaters, inländische Aufenthaltsalternative, keine Verwestlichung und keine exilpolitischen Aktivitäten, keine Gefahrbegründung oder Gefahrerhöhung durch Ereignisse im Iran
Normenketten:
Halbsatz 2 VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 94
AsylG § 3
AsylG § 4
AsylG § 25
AufenthG § 60
Schlagworte:
Iran, Frau mit knapp fünfjähriger Tochter, Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland, keine Aussetzung des Gerichtsverfahrens, ergebnisoffene Prüfung und Entscheidungsbefugnis sowohl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als auch des Gerichts trotz Zuerkennung internationaler Schutzes für Klägerinnen in Griechenland, angebliche Probleme des Ehemannes mit staatlichen Stellen, Übergriffe durch den Vater wegen Beziehung zum jetzigen Ehemann, keine eigene Verfolgungsgefahr von staatlicher Seite, Sippenhaft nicht beachtlich wahrscheinlich, angeblich drohende Gefahr krimineller Handlungen seitens Privater, unglaubhaftes Vorbringen, Widersprüche und Ungereimtheiten, widersprüchliche und unglaubhafte Angaben des als Zeugen vernommenen Ehemanns/Vaters, inländische Aufenthaltsalternative, keine Verwestlichung und keine exilpolitischen Aktivitäten, keine Gefahrbegründung oder Gefahrerhöhung durch Ereignisse im Iran
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21847
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Die Klägerinnen, iranische Staatsangehörige, eine Frau mit ihrer knapp fünf Jahre alten Tochter, reisten am 26. September 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 9. November 2021 ihre Asylanträge. Zur Antragsbegründung gab die Klägerin zu 1) im Wesentlichen an: Sie habe den Iran verlassen, weil ihr Ehemann Probleme mit den iranischen Sicherheitsbehörden gehabt und zuletzt eine Vorladung erhalten habe. Des Weiteren sei ihr Vater gegen ihre Heirat mit ihrem heutigen Ehemann gewesen; ihr Vater sei auch schon zwei Mal übergriffig geworden. Nach ihrer Ausreise habe sie ihren Mann in der Türkei nach türkischem Recht geheiratet.
2
Mit Bescheid vom 29. Dezember 2022 erkannte das Bundesamt für ... die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte die Anträge auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerinnen wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Die Einreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Den Klägerinnen sei schon in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt worden. Eine Ablehnung des Antrags als unzulässig sei jedoch nicht möglich, wenn angesichts der zu erwartenden Lebensverhältnisse in Griechenland der Eintritt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich sei. Der Antrag sei als zulässiger Asylantrag zu entscheiden. Die Entscheidung der griechischen Asylbehörden entfalte keine Bindungswirkung. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Die Klägerinnen seien unverfolgt ausgereist. Die Klägerin zu 1) habe nicht angegeben, dass es zuletzt einen genauen Grund gegeben habe, der ihr Leib oder Leben bei einem weiteren Aufenthalt in ihrer Heimat konkret gefährdet hätte. Konkreten Befürchtungen zu einer Verfolgungsgefahr wegen ihres Ehemannes habe sie nicht beleuchten können. Jedenfalls sei ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen, dass ihr je persönliche Schwierigkeiten seitens iranischer Behörden aufgrund der politischen Probleme ihres Mannes entstanden seien. Sie selbst erklärte, nie politisch aktiv gewesen zu sein. Auch Probleme des Ehemannes seien in dessen Verfahren nicht angenommen worden; dessen Asylantrag sei abgelehnt worden. Auch die zweimaligen Übergriffe seitens des Vaters habe die Klägerin zu 1) erst auf Nachfrage vorgebracht. Nach dem gesamten Vorbringen der Klägerin zu 1) sei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass den Klägerinnen ernsthafte Gefahren seitens des Vaters der Klägerin zu 1) drohen könnten. Die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes sowie Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Klägerin zu 1) sei schon vor ihrer Ausreise erwerbstätig gewesen.
3
Am 19. Januar 2023 ließen die Klägerinnen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und beantragen,
I. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2022, zugestellt am 9. Januar 2023, wird in Nr. 1 und 3 bis 6 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft anzuerkennen.
4
III. Hilfsweise, den Klägern subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
5
IV. Hilfsweise festzustellen, dass bei den Klägern Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
6
Zur Klagebegründung ließen die Klägerinnen unter anderem vorbringen: Der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen befinde sich seit 17. Dezember 2020 in Deutschland. Dessen Asylantrag sei durch das Bundesamt mit Bescheid vom 22. Oktober 2020 als einfach begründet abgelehnt worden. Die dagegen erhobene Klage sei beim VG Bayreuth unter dem Aktenzeichen B 10 K 20.31163 anhängig.
7
Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2023 regte die Klägerbevollmächtigte angesichts des in Griechenland gewährten internationalen Schutzes und der EUGH-Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. September 2022 das Ruhen des Verfahrens an.
8
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 25. Januar 2023,
9
Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2023 erklärte die Beklagte, sie würde sich einem Ruhen oder einer Aussetzung des Verfahrens nicht entgegenstellen, sofern es das Gericht für erforderlich oder zweckmäßig erachten sollte.
10
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 20. Januar 2023 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
11
Mit Beschluss vom 28. April 2023 lehnte das Gericht den Antrag der Klägerinnen auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten ab.
12
In der mündlichen Verhandlung am 24. Juli 2023 wiederholte die Klägerbevollmächtigte ihren schriftlich angekündigten Klageantrag aus dem Klageschriftsatz vom 19. Januar 2023. Das Gericht hörte die Klägerin zu 1) informatorisch an und vernahm den Ehemann der Klägerin zu 1) bzw. den Vater der Klägerin zu 2) als Zeugen ein.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten (einschließlich der Akte des Ehemannes bzw. Vaters) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
15
Das Gericht musste das vorliegende Verfahren nicht im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens (BVerwG, B.v. 7.9.2022 – 1 C 26.21 – juris; siehe auch VG Stuttgart, B.v. 2.5.2023 – A 7 K 6645/22 – juris; Entscheiderbrief 06/2023 S. 4 ff.) gemäß § 94 VwGO Ruhend stellend bzw. wegen Vorgreiflichkeit aussetzen. Denn im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung konnte im vorliegenden Fall sowohl im Interesse an zügiger effektiver Rechtsgewähr als auch im Interesse der Prozessökonomie und nicht zuletzt auch aufgrund des konkreten Rechtschutzgesuch im Interesse der Klägerinnen an einer alsbaldigen Entscheidung von einer Ruhendstellung bzw. Aussetzung abgesehen werden (VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 – A 8 K 2210/22 – juris Rn. 22; VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2022 – 17 K 4350/20.A – juris Rn. 2 ff.).
16
Vielmehr konnte das Gericht ebenso wie das Bundesamt für ... trotz der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Klägerinnen schon in Griechenland aufgrund der dortigen Verhältnisse (vgl. nur SaarlOVG, U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22 – juris Rn. 18 ff.), die wegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unmöglich machten, ergebnisoffen über die in Deutschland gestellten Asylanträge entscheiden, ohne an die Entscheidung in Griechenland gebunden zu sein (VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 – A 8 K 2210/22 – juris Rn. 22). Ist wie hier eine Ablehnung der Asylanträge der Klägerinnen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verwehrt, ist eine materielle Prüfung geboten. Denn nach der Logik und Systematik des gemeinsamen europäischen Asylsystems kann ein Asylantrag nur dann unzulässig sein, wenn der Schutz tatsächlich noch besteht und die Person – anders als hier – Zugang zu diesem Schutz hat. Besteht ein Überstellungsverbot in den schutzzuerkennenden Staat, ist gerade ein volles Asylverfahren durchzuführen, um den Vorgaben des gemeinsamen europäischen Asylsystems und insbesondere von Art. 18 GrCh zu entsprechen (Hruschka/Mantel in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 60 AufenthG Rn. 8 mit Verweis auf EUGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17 – NVwZ 2019, 785 – Ibrahim u.a. sowie B.v. 13.11.2019 – C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 – Hamed und Omar).
17
Weder das Völkerrecht, noch das Europarecht, noch das nationale Recht stehen der vorliegenden Ansicht entgegen. Weder in der Genfer Flüchtlingskonvention noch im Recht der Europäischen Union findet sich die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Entscheidung. Insbesondere ist eine solche auch nicht europarechtlich unmittelbar angeordnet oder vorgeschrieben (siehe im Einzelnen VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 – A 8 K 2210/22 – juris Rn. 22 ff., 26 ff. sowie VG Potsdam, U.v. 21.3.2023 – 16 K 1551/20.A – juris Rn. 25 ff.). Das Bundesamt für ... ist ebenso wie das Gericht nicht auf die Feststellung des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG beschränkt, sondern ist gehalten ergebnisoffen eine Vollprüfung vorzunehmen (VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2022 – 17 K 4350/20.A – juris Rn. 19 ff.) Insoweit ist § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ebenso wie Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 2 AufenthG einschränkend auszulegen (vgl. VG Aachen, U.v. 3.6.2022 – 10 K 2844/20.A – juris Rn. 99 ff.; VG Stuttgart, U.v. 18.2.2022 – A 7 K 3174/21 – juris Rn. 46 und 55, teleologische Reduktion; jeweils m.w.N.). Das nationale Recht kennt keine weitergehende Bindung an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch einen anderen Mitgliedsstaat, da die von entsprechenden Entscheidungen anderer Staaten ausgehenden Rechtswirkungen in § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abschließend geregelt sind (VG Minden, U.v. 2.3.2022 – 1 K 194/21.A – juris Rn. 29; vgl. zum Ganzen auch noch zusätzlich zu den in den vorstehenden Absätzen zitierten Gerichtsentscheidungen VG Regensburg, U.v. 17.3.2023 – RO 13 K 22.31542 – juris Rn. 18 ff.; VG Göttingen, U.v. 2.11.2022 – 3 A 115/20 – juris; VG Trier, U.v. 10.8.2022 – 2 K 1824/22.TR, 7937593 – juris; VG Osnabrück, U.v. 14.2.2022 – 5 A 512/20 – juris; alle m.w.N.). Die Klägerinnen begehren indes gerade einen weitergehenden Ausspruch über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
18
Nach alledem ist das Gericht weder an einer eigenen Vollprüfung noch an einer eigenständigen Sachentscheidung gehindert (vgl. auch VG Würzburg, U.v. 21.11.2022 – W 8 K 22.30572 – BeckRS 2022, 35202 Rn. 12 ff.).
19
Die zulässige Klage ist unbegründet.
20
Der Bescheid des Bundesamtes für ... vom 29. Dezember 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigte nach § 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für ... decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln sowie mit der einschlägigen Rechtsprechung.
22
In der Sache ist das Gericht zum gegenwärtigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) aufgrund des klägerischen Vorbringens und der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – nicht davon überzeugt, dass bei den Klägerinnen im Iran die begründete Gefahr (politischer) Verfolgung bestand bzw. besteht oder ihr sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
23
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
24
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
25
Den Klägerinnen ist es nicht gelungen, die für ihre Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin zu 1) ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand oder besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht. Gerade auch aufgrund der Angaben der Klägerin zu 1) im gerichtlichen Verfahren ist es ihr zur Überzeugung des Gerichts nicht gelungen, eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr für sich und die Klägerin zu 2) glaubhaft zu machen. Hinzu kommen die in sich und auch im Verhältnis zu den Angaben der Klägerin zu 1) widersprüchlichen und ebenfalls unglaubhaften Angaben des als Zeuge vernommenen Ehemannes der Klägerin zu 1) und Vaters der Klägerin zu 2).
26
Das Bundesamt für ... hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Die Klägerinnen seien unverfolgt ausgereist. Die Klägerin zu 1) habe nicht angegeben, dass es zuletzt einen genauen Grund gegeben habe, der ihr Leib oder Leben bei einem weiteren Aufenthalt in ihrer Heimat konkret gefährdet hätte. Konkreten Befürchtungen zu einer Verfolgungsgefahr wegen ihres Ehemannes habe sie nicht beleuchten können. Jedenfalls sei ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen, dass ihr je persönliche Schwierigkeiten seitens iranischer Behörden aufgrund der politischen Probleme ihres Mannes entstanden seien. Sie selbst erklärte, nie politisch aktiv gewesen zu sein. Auch Probleme des Ehemannes seien in dessen Verfahren nicht angenommen worden; dessen Asylantrag sei abgelehnt worden. Auch die zweimaligen Übergriffe seitens des Vaters habe die Klägerin zu 1) erst auf Nachfrage vorgebracht. Nach dem gesamten Vorbringen der Klägerin zu 1) sei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass den Klägerinnen ernsthafte Gefahren seitens des Vaters der Klägerin zu 1) drohen könnten. Die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes sowie Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Klägerin zu 1) sei schon vor ihrer Ausreise erwerbstätig gewesen.
27
Ergänzend ist anzumerken, dass das Vorbringen der Klägerin zu 1) im gerichtlichen Verfahren im Ergebnis keine andere Beurteilung rechtfertigt. Die Klägerin zu 1) konnte die im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid aufgeführten Einwände nicht entkräften. Im gerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, hat die Klägerin zu 1) die bestehenden Zweifel und Ungereimtheiten nicht ausräumen können, sondern eher noch vertieft, indem sie nicht nur abweichende Angaben im Vergleich zu ihrer Bundesamtsanhörung machte, sondern gerade auch mit Blick auf das Vorbringen ihres Ehemannes beim Bundesamt und mit Blick auf seine Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung widersprüchliche und damit unglaubhafte Angaben machte.
28
So gab die Klägerin bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für ... am 2. Dezember 2021 unter anderem an, der Cousin ihres Ehemannes habe diesen ihr bereits 1395/2016 vorgestellt. In der sechs Monate dauernde Bekanntschaftszeit, in der sie sich kennenlernten, habe sie zwei Monate lang nichts von ihm erfahren. Er habe ihr erzählt, dass er in diesen zwei Monaten im Gefängnis gewesen sei. Sie hätten sich entschieden, gemeinsam das Land zu verlassen. Zwei Tage nach ihrem Ehemann habe sie das Land verlassen. Bereits 1395/2016 habe sie ihren Mann kennengelernt. Etwa ein bis zwei Monate vor ihrer Ausreise, dass müsste der erste Monat im Jahr 1396 (Ende April 2017) gewesen sein, sei ihr Ehemann mit seiner Familie zu ihren Eltern nach Hause, um um ihre Hand anzuhalten. Im dritten Monat 1396 (Juni 2017) habe ihr Mann die Heimat verlassen (vgl. S. 4 und 5 des Anhörungsprotokolls der Niederschrift des Bundesamtes vom 2.12.2021).
29
Der Ehemann der Klägerin zu 1) gab hingegen bei seiner Anhörung beim Bundesamt am 17. Juli 2020 unter anderem zu Protokoll, er sei im Oktober 2016 von Kuwait zurück in den Iran. Im Februar 2017 habe er einen Anruf vom Geheimdienst erhalten. Am nächsten Tag sei er festgenommen und inhaftiert worden. Er sei drei Monate in Isolationshaft gewesen. Nach Hinterlegung einer Kaution und nachdem er etwas habe unterschreiben müssen, sei er entlassen worden. Er habe auf einen neuen Verhandlungstermin warten sollen. Er habe dann den Iran verlassen. Sein Cousin habe ihm eine Rufnummer in Istanbul gegeben und ihm empfohlen, dort Kontakt aufzunehmen. Er habe Kontakt hergestellt und sei sieben Tage dort gewesen. Dort habe er seine Frau kennengelernt. Sein Cousin habe ihm gesagt, dass die Frau eine Tochter habe, und meinte, dass er sie, wenn sie ihm gefalle, heiraten solle. Er habe gesagt, dass er das akzeptiere, aber nur unter der Bedingung, dass er nicht mehr in den Iran zurückgehe. Im Oktober 2016 sei er in den Iran zurück, im Februar 2017 sei er verschleppt worden. Am 10. Juli 2017 habe der Gerichtstermin sein sollen (siehe S. 7 ff. der Niederschrift vom 17.7.2020 über die Anhörung des Ehemannes beim Bundesamt).
30
Vergleicht man die beiden Angaben, fällt nicht nur ins Auge, dass die Klägerin zu 1) von einer zweimonatigen Inhaftierung gesprochen hat und ihr Ehemann von drei Monaten, sondern, dass auch der von der Klägerin zu 1) genannte Zeitpunkt des Treffens der beiden Familien, um um die Hand der Klägerin zu 1) anzuhalten, von Ende April 2017 genau in den Zeitraum fällt, in dem der Ehemann nach seinen eigenen Angaben inhaftiert gewesen sei. Frappierend ist darüber hinaus der Widerspruch, dass der Ehemann in seiner Anhörung nichts von einem vorherigen Treffen im Iran mit der Ehefrau berichtet hat, sondern ausdrücklich angegeben hat, er habe seine Frau nach seiner Ausreise in der Türkei kennengelernt (S. 8 des Anhörungsprotokolls des Bundesamtes vom 17.7.2020).
31
In der mündlichen Verhandlung machten die Klägerin zu 1) und ihr als Zeuge vernommener Ehemann nicht nur jeweils im Vergleich zu ihren früheren Angaben, sondern auch abermals im Vergleich zum jeweils Anderen weitere widersprüchliche Angaben, anstatt die bestehenden Widersprüche zweifelsfrei aufzulösen. Die Klägerin erklärte in der mündlichen Verhandlung am 24. Juli 2023 nun nicht mehr, dass sie ihren Mann im Jahr 2016 kennengelernt habe, sondern im Januar/Februar 2017, und dass er drei Monate später bei ihren Eltern um ihre Hand angehalten habe. Das wäre demnach April/Mai 2017 gewesen. Weiter gab sie wiederholt an, dass ihr Ehemann nur einen Monat inhaftiert gewesen sei und sie mit ihm telefoniert habe.
32
Nach diesen Aussagen in der mündlichen Verhandlung wäre nicht nur die Angabe des Ehemanns, drei Monate in Isolationshaft gewesen zu sein, unzutreffend. Auch seine weiteren Angaben, dass er erst nach dem Vorstellungsgespräch bei den Eltern der Klägerin zu 1) inhaftiert worden sei, lässt sich nicht damit in Einklang bringen. Denn der Ehemann der Klägerin zu 1) sagt als Zeuge in der mündlichen Verhandlung aus, er sei ein paar Tage nach dem Treffen der Familien inhaftiert worden. Er sei zwei bis drei Monate inhaftiert gewesen und im Juni 2017 ausgereist.
33
Zuvor hatte der Zeuge angegeben, er sei von 2009 bis 2015 in Kuwait gewesen; Anfang 2016 habe er die Klägerin zu 1) zum ersten Mal gesehen. Im dritten Monat 2016 habe er um die Hand seiner Frau angehalten. Im fünften Monat des Jahres seiner Ausreise sei er nach seiner Inhaftierung freigelassen worden. Auf wiederholten gerichtlichen Vorhalt der widersprüchlichen Zeitangaben revidierte der Zeuge seine Aussage und erklärte, die Angaben bezögen sich auf das Jahr 2017. Sowohl das Treffen mit der Familie als auch die Inhaftierung sei Anfang 2017 bis zu seiner Ausreise im Juni 2017 gewesen. Er habe seine Frau das erste Mal Anfang 2017 gesehen. Nach ca. zwei, höchstens drei Monate, habe er um deren Hand angehalten. Erst auf weiteren Vorhalt des Gerichts, dass er beim Bundesamt angegeben habe, Oktober 2016 aus Kuwait zurückgekehrt zu sein, erklärte der Zeuge, noch bevor der Dolmetscher diesen Vorhalt des Gerichts übersetzt hatte, es sei Oktober 2016 gewesen. Dabei geht das Gericht davon aus, dass der Zeuge so gut deutsch verstand, dass er die Zeitangabe des Gerichts ohne Übersetzung verstand. Auf gerichtlichen Vorhalt der gegenteiligen Angaben bei seiner Bundesamtsanhörung am 17. Juli 2020 erklärte der Zeuge schlicht, er habe seine Frau im Iran kennengelernt und sei ausgereist und seine Frau sei nachher ausgereist.
34
Nicht widerspruchsfrei sind weiter die jeweiligen Angaben zur gemeinsamen bzw. getrennten Ausreise. Die Klägerin erklärte gegenüber dem Bundesamt sie hätten sich entschieden das Land (Iran) gemeinsam zu verlassen. Sie habe zwei Tage nach ihrem Ehemann Iran verlassen (S. 4 des Anhörungsprotokolls vom 2.12.2021). In der mündlichen Verhandlung erklärte sie bei Gericht zunächst, sie sei zusammen mit ihrem Ehemann ausgereist, um nach der Zeugeneinvernahme ihres Mannes vorzubringen, sie seien gleichzeitig aber nicht gemeinsam ausgereist; einige Tage hätten dazwischengelegen. Ihr Ehemann berichtete gegenüber dem Bundesamt überhaupt nicht von einer gemeinsamen oder getrennten Ausreise, sondern gab – wie bereits ausgeführt – an seine Frau erst in der Türkei kennengelernt zu haben. In der mündlichen Verhandlung erklärte er, er habe seine Frau im Iran kennengelernt; er sei ausgereist, seine Frau sei eine Woche bis zehn Tage nachher ausgereist. Ähnlich differierend blieben die Angaben der angeblichen persönlichen Treffen im Iran: Zwei bis drei Mal oder vier bis fünf Mal oder fünf bis sechs Mal.
35
Auf erneuten Vorhalt der zahlreichen Widersprüche des als Zeugen vernommenen Ehemannes erklärte dieser, dass er bei seiner Inhaftierung im Iran auch psychisch sehr schlecht behandelt worden sei und dass er Schlaftabletten nehme. Er sei schon in Griechenland in Stress gewesen und auch hier in Deutschland. Heute habe er die Wahrheit gesagt, aber vielleicht habe er aus Stress beim Bundesamt etwas anderes gesagt. Man müsse seine Zeitangaben als „Etwa-Angaben“ nehmen. Wenn er gesagt habe, er habe die Klägerin zu 1) zwei- bis dreimal vor der Ausreise gesehen, könne es auch vier- bis fünfmal gewesen sein. Seine Frau habe auch beim Kennenlernen noch keine Tochter gehabt, vielleicht habe die Aussage beim Bundesamt am Dolmetscher gelegen, obwohl er ausdrücklich bestätigt hatte, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe, und ihm sein Anhörungsprotokoll zurückübersetzt worden war.
36
Zusammenfassend bleiben durchgreifende Zweifel an den jeweiligen Angaben der Klägerin zu 1) als auch ihres als Zeugen vernommenen Ehemannes: Sei es betreffend die Zeit der Inhaftierung ein Monat oder drei Monate und die Möglichkeit der Kontaktaufnahme (Telefonate) in dem Zeitraum trotz angeblicher Isolationshaft; sei es zum Zeitpunkt der Rückkehr von Kuwait in den Iran und des konkreten Zeitpunkts des Kennenlernens 2016 bzw. 2017 im Iran bzw. erst in der Türkei; sei es zum Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs bei den Eltern, die sich nicht ein Einklang mit den Angaben des jeweils anderen bringen lassen. Dazu ist zu betonen, dass sowohl die Klägerin zu 1) als auch ihr Ehemann auf einzelne Angaben trotz gerichtlicher Vorhalte und Nachfragen beharrt haben, etwa die Klägerin zu 1) darauf, dass ihr Ehemann nur einen Monat inhaftiert gewesen sei und sie telefonischen Kontakt gehabt hätten, während ihr Ehemann darauf beharrte hatte, zwei bis drei Monate inhaftiert gewesen zu sein. Gleichermaßen gab der Ehemann zunächst wiederholt an, dass er bis 2015 in Kuwait gewesen sei und Anfang 2016 zurück in den Iran sei. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die erste Angabe des Zeugen, seine Frau in der Türkei kennengelernt zu haben, schon im Juli 2020 und damit deutlich zeitnäher erfolgte als das betreffende Vorbringen der Klägerin zu 1) fast 17 Monate später bei deren Anhörung.
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Nach alledem fehlt es an einem in sich stimmigen und nachvollziehbaren und damit glaubhaften Vorbringen der Klägerin zu 1) zu ihrem Vorfluchtschicksal und zum Vorfluchtschicksal ihres Ehemannes. Vielmehr bleiben so gravierende und durchgreifende Zweifel am Bestehen bzw. Fortbestehen einer ernsthaften Bedrohungs- und Verfolgungslage für die Klägerinnen.
38
Aber selbst, wenn man – anders als das Gericht – nach dem Vorbringen der Klägerin zu 1) von einer gewissen Bedrohung für sie durch ihren Vater ausgehen wollte, besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerinnen – zusammen mit dem Ehemann/Vater – jedenfalls die Möglichkeit einer inländischen Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative im Iran (§ 3e AsylG, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Darauf müssen sich die Klägerinnen verweisen lassen. Sie könnte etwa in einen anderen Landesteil oder in eine andere Großstadt im Iran gehen, insoweit besteht Bewegungsfreiheit, ohne dass ihre Familie insbesondere ihr Vater/Großvater dies überhaupt mitbekommen müsste. Im Iran gibt es kein mit dem deutschen System vergleichbares Meldewesen. Des Weiteren liegen auch keine Erkenntnisse zu einem nationalen Fahndungsregister im Iran vor. Hingegen gibt es ein zentral angelegtes elektronisches Personenstandsregister (vgl. Auswärtiges Am, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran Stand: 18.11.2022, vom 30.11.2022, S. 27). Die Klägerinnen könnten sich ihr Existenzminimum an einem anderen Ort im Iran sichern, gegebenenfalls durch eigene Arbeit bzw. Unterstützung des Ehemannes/Vaters. Darüber hinaus gibt es Rückkehr- und Integrationsprojekte, auf die sich die Klägerinnen ebenfalls verweisen lassen müssen (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 31.1.2022 – W 8 K 21.30954 – juris Rn. 31 ff. m.w.N.).
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Aufgrund der unglaubhaften Angaben sowohl der Klägerin zu 1) als auch ihres Ehemannes ist des Weiteren auch nicht von einer drohenden Sippenhaft auszugehen. Zwar existieren nach Aussage des Auswärtigen Amtes Fälle von Sippenhaft, meistens in politischen Fällen; üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf den Betreffenden einzuwirken (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: 18.11.2022 vom 30.11.2022, S. 17). Dem Auswärtigen Amt sind Fälle bekannt, in dem Personen, die nicht politisch aktiv waren, wegen der Aktivität von Familienmitgliedern Repressalien ausgesetzt waren, verhört oder auch verhaftet wurden. Demnach kann eine Reflexverfolgung bzw. Sippenhaft nicht von vorherein ausgeschlossen werden. Dies setzt aber voraus, dass ein beachtliches Verfolgungsinteresse gegenüber dem betreffenden Familienmitglied seitens der Sicherheitskräfte besteht. Verfolgung würde vor allem bestehen, wenn dieses als ernsthafter Regimegegner qualifiziert ist (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 4.10.2021, S. 6). Bei dieser Auskunftslage droht den Klägerinnen keine staatliche Verfolgung. Zum einen geht das Gericht angesichts der unglaubhaften Angaben des Ehemannes der Klägerin zu 1) nicht von einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr für diesen aus. Zum anderen bedeutet die Aussage des Auswärtigen Amtes, dass eine Reflexverfolgung/Sippenhaft nicht ausgeschlossen ist, nicht, dass eine solche auch im jeden Fall tatsächlich bei jedem Familienangehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würde. So fehlen schon Erkenntnisse über eine systematische mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung von Angehörigen politisch Verfolgter. Die Klägerin zu 1) hat zwar von angeblichen Nachfragen der Sicherheitsbehörde berichtet, aber jeweils mit Bezug auf ihren Ehemann. So fehlen auch unter diesem Gesichtspunkt sowie unter Einbeziehung des Gesamtbildes zur Überzeugung des Gerichts greifbare Anhaltspunkte für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohende Reflexverfolgung/Sippenhaft der Klägerinnen. Zudem würde sich des Weiteren die Frage stellen – ohne dass es hier noch darauf ankommt –, ob selbst dann, wenn die Klägerin zu 1) unter Druck gesetzt würde, dies die Schwelle zu einer unmittelbaren eigen politischen Verfolgung überschreiten würde (vgl. auch VG Berlin, U.v. 14.7.2022 – 3 K 427.19 A – juris Rn. 21; VG Aachen, U.v. 18.4.2023 – 10 K 2279/20.A – juris Rn. 21 ff.).
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Ergänzend wird weiter angemerkt, dass aufgrund der aktuellen landesweiten Unruhen und Proteste im Iran keine andere Beurteilung gerechtfertigt ist, weil die Klägerin zu 1) keine dahingehenden relevanten Aktivitäten vorgebracht hat, etwa zu Verstößen gegen Bekleidungsvorschriften oder durch Teilnahme an irgendwelche Protestveranstaltungen. Die Klägerin zu 1) hat auch nicht vorgebracht, dass ihr bei einer Rückkehr in Iran nicht (mehr) an die religiösen Bekleidungsvorschriften in ihrem Land halten könnte, etwa wegen einer identitätsprägenden Verwestlichung (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 2.1.2023 – W 8 K 22.30737 – juris Rn. 38 ff., 49 f., m.w.N.).
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Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass den Klägerinnen sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen des Auslandsaufenthalts oder der Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus; ausgenommen davon sind Personen, die – anders als hier – seitens der iranischen Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. Die Auswirkungen der aktuellen Proteste und der blutigen Niederschlagung auf mögliche Rückkehrende lässt sich im Augenblick nicht abschließend einschätzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrende verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen. Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Bisher ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Exiliraner werden explizit ermutigt zurückzukehren; ihnen wird bei Koordinierung mit der iranischen Justiz eine Rückkehr ohne Inhaftierung in Aussicht gestellt. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Abgesehen davon akzeptiert die iranische Regierung unter Verweis auf die Verfassung grundsätzlich ausschließlich freiwillige Rückkehr (Freizügigkeit). Nur bei unterstützter Rückkehr (also im weiteren Sinne auch Umwandlung von Abschiebung in „freiwillige“ Rückkehr durch finanzielle oder sonstige Anreize) ist eine Kooperation realistisch. Konsularkonsultationen über eine Zusammenarbeit bei der Rückführung sind, insbesondere hinsichtlich der Rücknahme schwerer Straftäter, waren noch nicht erfolgreich (siehe zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Dezember 2020 vom 5.2.2021, S. 25 f.; Stand 23.12.2021 vom 28.1.2022, S. 4 f. und 21 f.; Stand 18.11.2022 vom 30.11.2022, S. 5 und S. 25 sowie OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris Rn. 74; vgl. im Übrigen VG Würzburg, U.v. 2.1.2020- juris Rn. 36; U.v. 19.8.2019 – W 8 K 19.30846 – juris Rn. 42 jeweils m.w.N. zur Rspr.).
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Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG vorliegen, weil wie schon ausgeführt bei den Klägerinnen aufgrund ihres letztlich unglaubhaften Vorbringens ein ernsthafter Schaden nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht und zudem eine inländische Aufenthaltsalternative besteht.
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Des Weiteren bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ebenfalls schon zutreffend ausgeführt hat.
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Schließlich sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht zu beanstanden. Auch insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.