Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 17.07.2023 – W 8 K 22.1506
Titel:

Verzicht auf mündliche Verhandlung, begehrte Einmalzahlung für Gehörlose, Vollzugshinweise des BayStMAS vom 22. September 2022, fehlende Zuerkennung des Merkzeichens, Gl vor Stichtag, Verwaltungspraxis, kein Ermessensfehler, keine Willkür

Normenketten:
BayHO Art. 23
BayHO Art. 44
GG Art. 3
BayHO Art. 53
VwGO § 101 Abs. 2
Schlagworte:
Verzicht auf mündliche Verhandlung, begehrte Einmalzahlung für Gehörlose, Vollzugshinweise des BayStMAS vom 22. September 2022, fehlende Zuerkennung des Merkzeichens, Gl vor Stichtag, Verwaltungspraxis, kein Ermessensfehler, keine Willkür
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21842

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Bewilligung einer Einmalzahlung für Gehörlose in Höhe von 145,00 EUR.
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1. Mit Onlineantrag vom 5. Oktober 2022 beantragte der Kläger die Gewährung einer Einmalzahlung für Gehörlose. In seinem Antrag bestätigte er, dass das Merkzeichen „Gl“ spätestens seit dem 1. Juni 2022 in seinem Schwerbehindertenausweis eingetragen sei.
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Mit Bescheid vom 5. Oktober 2022 lehnte das Zentrum Bayern Familie und Soziales (im Folgenden: ZBFS) den Antrag auf Gewährung einer Einmalzahlung für Gehörlose ab. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Bei der Einmalzahlung handle es sich um eine Billigkeitsleistung ohne Rechtsanspruch. Rechtsgrundlage seien Art. 53 Bayerische Haushaltsordnung und die Vollzugshinweise des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales. Gemäß den Vollzugshinweisen, von denen die Verwaltungspraxis des ZBFS nicht abweiche, sei Voraussetzung für die Einmalzahlung, dass der Antragstellerin bzw. dem Antragsteller bis zum 1. Juni 2022 das Merkzeichen Gl zuerkannt worden sei. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.
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2. Am 13. Oktober 2022 erhob der Kläger Klage zum Bescheid vom 5. Oktober 2022.
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Zur Begründung führte der Kläger im Wesentlichen aus: Er sei von Geburt an gehörlos. Das Versorgungsamt habe ihm erst auf Widerspruch das Merkzeichen Gl zuerkannt. Deswegen stehe ihm das Gehörlosengeld zu.
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Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2022 trug der Kläger weiter vor, er sei von Geburt an gehörlos und habe den Antrag auf den Schwerbehindertenausweis schon am 17. Mai 2022 gestellt. Leider habe sich die Bearbeitung beim Versorgungsamt hingezogen. Weiter stellte der Kläger die Frage, ob dies etwa Absicht gewesen sei, um ihm das Gehörlosengeld nicht zahlen zu müssen.
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Mit Schriftsatz vom 21. November 2022 beantragte das ZBFS für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung der Klageerwiderung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Einmalzahlung finde ihre Rechtsgrundlage in Art. 53 der Bayerischen Haushaltsordnung (BayHO) sowie den allgemeinen haushaltsrechtlichen Bestimmungen, den dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften und den Vollzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) vom 22. September 2022 (Az.: II4/0013.01-2/2183). Vor dem Hintergrund, dass die Corona-Pandemie die Kommunikationsmöglichkeiten für hörbeeinträchtigte Menschen zusätzlich maßgeblich erschwert habe, gewähre der Freistaat Bayern eine Einmalzahlung in Höhe von 145,00 Euro an gehörlose Menschen mit dem Merkzeichen Gl. Die Einmalzahlung erfolge ohne Rechtsanspruch im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel. Das ZBFS entscheide als zuständige Behörde des Verwaltungsverfahrens über den Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen. Nach den Vollzugshinweisen des StMAS könne die Einmalzahlung auf Antrag gewährt werden, wenn der Hauptwohnsitz der Antragstellerin bzw. des Antragstellers innerhalb Bayerns liege und bis zum 1. Juni 2022 der Antragstellerin bzw. dem Antragsteller das Merkzeichen Gehörlosigkeit (Gl) gemäß § 152 Abs. 4 SGB IX zuerkannt worden sei. Anträge seien bis zum 28. Februar 2023 (Eingangsdatum) an die zuständige Bewilligungsbehörde zu richten. Demnach sei Anspruchsvoraussetzung, dass das Merkzeichen Gl spätestens mit Bescheid vom 1. Juni 2022 zuerkannt worden sei. Es komme gerade nicht darauf an, ob der Antragsteller grundsätzlich einen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens habe. Denn auch bei einer rückwirkenden Feststellung des Merkzeichens bestehe kein Anspruch auf die Einmalzahlung, da das Datum des Bescheides entscheidend sei. Diese Stichtagsregelung garantiere, dass für jeden Antragsteller, der alle Voraussetzungen erfülle, ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung stünden, um jedem die Einmalzahlung in Höhe von 145,00 EUR gewähren zu können. Die Verwaltungspraxis des ZBFS weiche nicht von den Vollzugshinweisen ab. Die Antragsstellung sei zum einen online sowie in Papierform möglich. Dabei müssten die Antragsteller unter anderem ihre Zustimmung dafür erteilen, dass das ZBFS die Daten aus ihrem Schwerbehindertenverfahren im erforderlichen Umfang nutze, um die Anspruchsberechtigung bezüglich der Einmalzahlung zu überprüfen. Nach Antragseingang erfolge dann ein automatischer Datenabgleich mit den Daten aus dem Schwerbehindertenverfahren nach § 152 SGB IX, um festzustellen, ob das Merkzeichen Gl bis zum 1. Juni 2022 zuerkannt worden sei. Das Ergebnis dieses Datenabgleichs werde dann als Prüfvermerk in der für die Einmalzahlung entwickelten Web-Anwendung angezeigt. Da bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Einmalzahlung nicht vorgelegen hätten, habe der Antrag auf die Einmalzahlung für Gehörlose abgelehnt werden müssen. Dem Kläger sei erst mit Bescheid vom 22. September 2022 das Merkzeichen Gl zuerkannt worden.
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Die Beteiligten verzichteten ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Klägers (§ 88 VwGO) ist seine Klage zum Bescheid vom 5. Oktober 2022 dahingehend auszulegen, dass er unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids der ZBFS vom 5. Oktober 2022 die Gewährung der bayerischen Einmalzahlung für Gehörlose in Höhe von 145,00 EUR begehrt.
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Die so verstandene Klage, über die nach § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig, aber unbegründet.
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Statthaft ist eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Halbs. 2 Alt. 1 VwGO), da sich der Kläger gegen eine bescheidsmäßige Ablehnung seines Antrags auf Gewährung einer Einmalzahlung wendet und den Erlass eines für ihn günstigen Bescheides begehrt.
14
Die Klage ist unbegründet.
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Die Ablehnung der Einmalzahlung für Gehörlose mit Bescheid vom 5. Oktober 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Einmalzahlung in Höhe von 145,00 EUR (§ 113 Ab. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Bei der Einmalzahlung für Gehörlose in der vorliegenden Art handelt es sich – wie sich bereits aus Absatz 1 der Hinweise zum Vollzug der Einmalzahlung an gehörlose Menschen mit dem Merkzeichen Gl des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales, StMAS-II4/0013.01-2/2183, vom 22. September 2022 (im Folgenden: Vollzugshinweise) ergibt – um eine freiwillige Leistung des Freistaates Bayern, die nach Maßgabe des Art. 53 der Bayerischen Haushaltsordnung (BayHO) sowie der allgemeinen haushaltsrechtlichen Bestimmungen des Freistaats Bayern und der Vollzugshinweise als Billigkeitsleistung ohne Rechtsanspruch im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel gewährt wird. Eine explizite Rechtsnorm, die konkret einen Anspruch des Klägers auf Bewilligung der beim Beklagten beantragten Zuwendung begründet, existiert nicht. Vielmehr erfolgt die Zuwendung auf der Grundlage der einschlägigen Vollzugshinweise und der allgemeinen haushaltsrechtlichen Bestimmungen im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel (Art. 23, 44 BayHO). Ein Rechtsanspruch besteht danach nur ausnahmsweise, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) durch eine Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis auf Basis der einschlägigen Vollzugshinweise. Vollzugshinweise begründen als ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbar Rechte und Pflichten, sondern entfalten erst durch ihre Anwendung Außenwirkung. Das Gericht ist somit grundsätzlich an den Zuwendungszweck gebunden, wie ihn der Zuwendungsgeber versteht. Für die gerichtliche Prüfung einer Förderung ist deshalb entscheidend, wie die Behörde des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden ist (vgl. allgemein BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – BayVBl 2020, 365 – juris Rn. 26; vgl. zu Corona-Beihilfen etwa BayVGH, B.v. 22.5.2023 – 22 ZB 22.2661 – juris; B.v. 4.4.2023 – 22 ZB 22.2656 – juris; B.v. 27.2.2023 – 22 ZB 22.2554 – juris; vgl. zum Corona-Pflegebonus VG Würzburg, Ue.v. 15.3.2021 – W 8 K 20.1125, W 8 K 20.1261, W 8 K 20.1331, W 8 K 20.1567 – alle juris).
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Ein Anspruch auf Förderung besteht danach im Einzelfall über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung und den Gleichheitssatz dann, wenn die in den Vollzugshinweisen dargelegten Fördervoraussetzungen vorliegen und vergleichbare Anträge in ständiger Förderpraxis der Beklagten auch positiv verbeschieden werden (BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – BayVBl 2020, 346 – juris Rn. 26).
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Dabei dürfen Vollzugshinweise nicht – wie Gesetze oder Verordnungen – gerichtlich ausgelegt werden, sondern sie dienen nur dazu, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Ermessensausübung der Behörde zu gewährleisten (vgl. hinsichtlich Förderrichtlinien BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 6 ZB 21.1889 und 6 ZB 21.2023 – jeweils juris; B.v. 18.5.2020 – 6 ZB 20.438 – juris). Eine Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob aufgrund der einschlägigen Vollzugshinweise überhaupt eine Verteilung öffentlicher Mittel vorgenommen werden kann (Vorbehalt des Gesetzes) und bejahendenfalls, ob bei Anwendung der Richtlinien in Einzelfällen, in denen die begehrte Leistung versagt worden ist, der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt oder der Rahmen, der durch die Zweckbestimmung gezogen ist, nicht beachtet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.1979 – 3 C 111/79 – BVerwGE 58, 45 – juris Rn. 24; VG Halle, U.v. 11.11.2022 – 4 A 40/22 – juris Rn. 27).
19
Bei der rechtlichen Beurteilung staatlicher Fördermaßnahmen, die wie hier nicht auf Rechtsnormen, sondern lediglich auf verwaltungsinternen ermessenslenkenden Vollzugshinweisen beruhen, kommt es damit nicht auf eine objektive Auslegung der Hinweise an, sondern grundsätzlich nur darauf, wie die ministeriellen Vorgaben von der zuständigen Stelle tatsächlich verstanden und praktiziert worden sind (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.2015 – 4 BV 15.1830 – juris Rn. 42 m.w.N.). Der Zuwendungsgeber bestimmt im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens darüber, welche Ausgaben er dem Fördergegenstand zuordnet und wer konkret begünstigt werden soll. Außerdem obliegt ihm allein die Ausgestaltung des Förderverfahrens. Insoweit hat er auch die Interpretationshoheit über die maßgeblichen Verwaltungsvorschriften (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2020 – 6 ZB 20.1652 – juris Rn. 9; B.v. 17.11.2010 – 4 ZB 10.1689 – juris Rn. 19 m.w.N.), so dass es allein darauf ankommt, wie die administrative Binnenvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt wurde (BayVGH, B.v. 20.7.2022 – 22 ZB 21.2777 – juris; B.v. 8.11.2021 – 6 ZB 21.1889 und 6 ZB 21.2023 – jeweils juris).
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Die Vollzugshinweise setzen Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Hilfen und regeln insoweit die Ermessenshandhabung. Die Ermessensbindung reicht jedoch nur so weit wie die festgestellte tatsächliche ständige Verwaltungspraxis. Die gerichtliche Überprüfung erfolgt nur im Rahmen des § 114 VwGO. Das Gericht hat nicht die Befugnis zu einer eigenständigen oder gar erweiternden Auslegung der Vollzugshinweise (vgl. NdsOVG, U.v. 24.3.2021 – 10 LC 203/20 – RdL 2021, 251 – juris; SaarlOVG, B.v. 28.5.2018 – 2 A 480/17 – NVwZ-RR 2019, 219; OVG SH, U.v. 17.5.2018 – 3 LB 5/15 – juris; OVG NW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris; HessVGH, U.v. 28.6.2012 – 10 A 1481/11 – ZNER 2012, 436).
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Ausgangspunkt ist die ständige Verwaltungspraxis in vergleichbaren Fällen, sofern sie nicht im Einzelfall aus anderen Gründen zu rechtswidrigen Ergebnissen führt. Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle muss bleiben (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 40 Rn. 42 ff.; Schenke/Ruthig in Kopp/Schenke, VwGO 28. Aufl. 2022, § 114 Rn. 41 ff.).
22
Nach den dargelegten Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten Einmalzahlung für Gehörlose. Weder die Vollzugshinweise selbst noch ihre Handhabung in ständiger Verwaltungspraxis des Beklagten sind vorliegend zu beanstanden.
23
Mangels gesetzlicher Anspruchsgrundlage steht dem Kläger nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung zu. Bei der dem Gericht gemäß § 114 VwGO nur beschränkt möglichen Überprüfung der Ermessensentscheidung ist der ablehnende Bescheid vom 5. Oktober 2022 im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat insbesondere den Rahmen, der durch die haushaltsrechtliche Zweckbestimmung gezogen wurde, eingehalten, den erheblichen Sachverhalt vollständig und im Ergebnis zutreffend ermittelt und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot und das Gebot des Vertrauensschutzes nicht verletzt.
24
Nach Nr. 2 der Vollzugshinweise kann die Einmalzahlung auf Antrag gewährt werden, wenn der Hauptwohnsitz der Antragstellerin bzw. des Antragstellers innerhalb Bayerns liegt und bis zum 1. Juni 2022 der Antragstellerin bzw. dem Antragsteller das Merkzeichen Gehörlosigkeit (Gl) gemäß § 152 Abs. 4 SGB IX zuerkannt wurde.
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Ausgehend hiervon hat der Beklagte seine Verwaltungspraxis konkret dargestellt und nachvollziehbar erläutert (vgl. zu diesem Erfordernis NdsOVG, B.v. 24.10.2022 – 10 LA 93/22 – juris Rn. 10). Zweifel am Vorliegen der von der Beklagtenseite plausibel dargelegten Förderpraxis bestehen nicht.
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Die Beklagtenseite gab zu ihrer Verwaltungspraxis nachvollziehbar an, Anspruchsvoraussetzung sei, dass das Merkzeichen Gl spätestens mit Bescheid vom 1. Juni 2022 zuerkannt wurde. Es komme gerade nicht darauf an, ob der Antragsteller grundsätzlich einen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens habe. Denn auch bei einer rückwirkenden Feststellung des Merkzeichens – wie hier – bestehe kein Anspruch auf die Einmalzahlung, da das Datum des Bescheides entscheidend sei. Die Verwaltungspraxis weiche nicht von den Vollzugshinweisen ab.
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Für die Plausibilität der Verwaltungspraxis des Beklagten spricht, dass der Antragsteller nach den FAQ zur Einmalzahlung für Gehörlose (vgl. https://www.zbfs.bayern.de/menschen-behinderung/einmalzahlung/) – Fragen zu den Voraussetzungen – das Merkzeichen Gl spätestens seit dem 1. Juni 2022 haben muss. Auch wenn der Antragsteller schon lange bzw. schon immer gehörlos sei und das Merkzeichen Gl aber erst nach dem 1. Juni 2022 erhalten habe, berechtige das nicht zur Einmalzahlung – auch wenn er das Merkzeichen Gl rückwirkend zuerkannt bekomme. Der 1. Juni 2022 sei ein fester Stichtag.
28
Vorliegend hat der Kläger das Merkzeichen Gl mit Widerspruchsbescheid des ZBFS Landesversorgungsamt vom 22. September 2022 und damit nach dem genannten Stichtag erhalten. Die Gehörlosigkeit des Klägers von Geburt an und die Geltung der Feststellung des Anspruchs auf Merkzeichen Gl laut Widerspruchsbescheid ab dem 17. Mai 2022 sind nach der dargelegten Verwaltungspraxis nicht maßgeblich.
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Das klägerische Vorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung.
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Soweit der Kläger vorträgt, dass er den Antrag auf den Schwerbehindertenausweis schon am 17. Mai 2022 gestellt habe, sich aber die Bearbeitung beim Versorgungsamt hingezogen habe, ist dem entgegenzuhalten, dass nach der maßgeblichen Verwaltungspraxis nicht das Datum der Beantragung des Merkzeichens Gl entscheidend ist, sondern das Datum der bescheidsmäßigen Zuerkennung, hier also mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2022. Auch der Bescheid vom 20. Juli 2022 des ZBFS – Region Unterfranken – Versorgungsamt, mit dem der Antrag auf Zuerkennung zunächst abgelehnt wurde, wurde erst nach dem Stichtag erlassen. Für eine Verzögerung der Bearbeitung oder gar Willkür im Schwerbehindertenverfahren durch das Zentrum Bayern Familie und Soziales bestehen weder im Ausgangsverfahren noch im Widerspruchsverfahren Anhaltspunkte. Der Kläger konnte bei der Antragstellung am 17. Mai 2022 nicht darauf vertrauen, dass über seinen Antrag rechtzeitig vor dem Stichtag 1. Juni 2022 entschieden wird.
31
Der Kläger hat keine durchgreifenden Argumente vorgebracht, die für eine andere geübte Verwaltungspraxis sprechen und eine andere Beurteilung rechtfertigen würden. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte in anderen vergleichbaren Zuwendungsfällen anders verfahren wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Konkrete Förderfälle im Sinne der Klägerseite, in denen in der Praxis trotz der fehlenden Zuerkennung des Merkzeichens GI bis zum 1. Juni 2022 eine Einmalzahlung für Gehörlose gewährt worden wäre, sind dem Gericht nicht bekannt und wurden auch nicht konkret benannt.
32
Nach alledem waren nach der plausibel dargelegten Verwaltungspraxis die Leistungsvoraussetzungen beim Kläger nicht gegeben.
33
In der vorliegenden Konstellation ist weiter kein atypischer Ausnahmefall gegeben, der eine abweichende Entscheidung des Beklagten hätte gebieten müssen (vgl. OVG NRW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris; kritisch VG München, U.v. 5.7.2022 – M 21 K 21.1483 – BayVBl. 717, 719/720 – juris Rn. 33 ff.), weil der konkrete Sachverhalt keine außergewöhnlichen Umstände aufweist, die von den Vollzugshinweisen und der darauf basierenden Zuwendungspraxis nicht erfasst werden und von solchem Gewicht sind, dass sie eine von der im Regelfall vorgesehenen Rechtsfolge abweichende Behandlung gebieten. Denn die vom Beklagten nach seiner Verwaltungspraxis erfolgte Ablehnung der Einmalzahlung ist keine atypische Besonderheit, die eine abweichende Behandlung gebietet, sondern gängige Praxis in einer typischen Fallkonstellation. Daran ändert sich auch nichts durch das Vorbringen im Klageverfahren. So liegt kein atypischer Ausnahmefall vor, sondern eine Fallgestaltung, die häufiger vorkommt und nach der Ausgestaltung der Zuwendungspraxis und des praktizierten Zuwendungsverfahrens gerade nicht gefördert werden soll.
34
Des Weiteren ist der Ausschluss des Klägers von der Einmalzahlung auch sonst nicht willkürlich, weil sachgerechte und vertretbare Gründe von der Beklagtenseite vorgebracht wurden.
35
Für den Schluss auf eine willkürliche Fassung oder Handhabung der Vollzugshinweise bestehen keine triftigen Anhaltspunkte. Nach der Willkür-Formel des Bundesverfassungsgerichts (seit U.v. 23.10.1951 – 2 BvG 1/51 – BVerfGE 1, 14, 52 – juris LS 18 und Rn. 139; B.v. 19.10.1982 – 1 BvL 39,80 – BVerfGE 61, 138, 147 – juris Rn. 34) ist Willkür dann anzunehmen, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Ungleichbehandlung nicht finden lässt.
36
Das Abstellen auf die Zuerkennung des Merkzeichens GI spätestens zum 1. Juni 2022 und nicht etwa auf die rückwirkende Feststellung des Merkzeichens dient nicht nur der Vereinfachung und Vereinheitlichung des Zuwendungsverfahrens in der Verwaltungspraxis, sondern garantiert nach dem Vorbringen des Beklagten, dass für jeden Antragseller, der alle Voraussetzungen erfüllt, ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, um jedem die Einmalzahlung i.H.v. 145,00 EUR gewähren zu können. Der Kläger wird so nicht anders behandelt als andere Antragsteller, bei denen auf den Stichtag abgestellt wird. Infolgedessen liegt auch keine Ungleichbehandlung, sondern eine Gleichbehandlung wie in vergleichbaren Förderfällen vor. Die vom Beklagten gewählte Stichtagsregelung begegnet auch mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz keinen rechtlichen Bedenken (so BayVGH, B.v. 14.9.2020, 6 ZB 20.1652 – juris Rn. 12 zu den Bayerischen Baukindergeld-Plus-Richtlinien). Umgekehrt wäre vielmehr die Missachtung der Frist gleichheitswidrig.
37
Demnach hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Einmalzahlung für Gehörlose, so dass die Ablehnung in dem streitgegenständlichen Bescheid rechtlich nicht zu beanstanden ist.
38
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
39
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
40
Das vorliegende Verfahren ist nicht gerichtskostenfrei nach § 188 Satz 1 VwGO, da es nicht als Fürsorgeangelegenheit i.S.v. § 188 Satz 1 VwGO einzuordnen ist. Denn der sachliche Schwerpunkt der Streitigkeit, für den wesentliches Indiz die Zugehörigkeit der maßgeblichen Anspruchsnorm zum Sachgebiet einschließlich des zugrundeliegenden Verwaltungsverfahrens ist, liegt hier im subventionsrechtlichen Bereich, für den es auf die haushaltsrechtlichen Bestimmungen des Freistaats Bayern in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgebot ankommt (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 4.7.2023 – 6 C 23.680 – BeckRS 2023, 17421; U.v. 10.11.2021 – 4 B 20.1961 – juris Rn. 41).
41
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.