Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 27.06.2023 – W 4 K 22.1417
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung zum Neubau eines Wohnhauses mit Einliegerwohnung und Doppelgarage

Normenketten:
VwGO § 88, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 31 Abs. 1, Abs. 2, § 34 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Gebietsprägungserhaltungsanspruch kommt nur dann in Betracht, wenn das den Vorgaben gem. §§ 2–14 BauNVO an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zahl der Wohnungen ist jedenfalls im Anwendungsbereich des § 34 BauGB kein Kriterium, das die Art der baulichen Nutzung prägt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme, Grenzgarage, Baugenehmigung, Einfügen, Maß der baulichen Nutzung, Zahl der Wohnungen, Rücksichtnahmegebot, Abstandsflächen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21838

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Wohnhauses mit Einliegerwohnung und Doppelgarage.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung A. (... A.). Dieses Grundstück grenzt in südlicher Richtung unmittelbar an das Vorhabengrundstück der Beigeladenen.
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Die vorgenannten Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich, nachdem die Stadt A. am 15. September 2022 die Aufhebung des Bebauungsplans „… – … … …“ als Satzung beschlossen hat und diesen Satzungsbeschluss am 11. Oktober 2022 veröffentlicht hat.
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Bereits mit Bauantrag, eingegangen am 21. April 2022 beim Landratsamt Miltenberg, beantragten die Beigeladenen die Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit Einliegerwohnung und Doppelgarage.
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Mit Bescheid vom 16. August 2022 (Datum des Genehmigungsaufklebers, fälschlicherweise angegeben auf dem Baugenehmigungsbescheid: 23. Mai 2022) erteilte der Beklagte den Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung.
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Mit weiterem Bescheid vom 30. November 2022 erteilte das Landratsamt den Beigeladenen die Tekturgenehmigung zum Neubau der Doppelgarage. In der Begründung wies der Beklagte darauf hin, dass der Änderungsantrag eine Änderung und Klarstellung der Höhenlage der bereits im ursprünglichen Bauantrag enthaltenen Grenzgarage an der Grundstücksgrenze zum Grundstück der Klägerin enthalte und die Baupläne zum ursprünglichen Bauantrag ersetze bzw. ergänze.
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Unter dem 19. September 2022 bzw. 5. Januar 2023 erhob die Klägerin Klage und beantragte sinngemäß,
die vom Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 23. Mai 2022 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 5. Januar 2023 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, das Vorhaben füge sich in keinster Weise ein. Die Grenzbebauung sei nicht zulässig, das Rücksichtnahmegebot sei verletzt.
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Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Mit Beschluss vom 21. September 2022 wurden die Bauherren zum Verfahren beigeladen. Diese äußerten sich mit Schriftsatz vom 23. Januar 2023.
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Mit weiterem Beschluss vom 21. März 2023 hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einnahme eines Augenscheins über die örtlichen und baulichen Verhältnisse im Bereich des Vorhabengrundstücks, welcher am 21. Juni 2023 durchgeführt worden ist. Diesbezüglich wird auf das Protokoll über den Augenschein und die dort gefertigten Lichtbilder Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie das Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten sowie auf das Protokoll über den Augenschein am 21. Juni 2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Klage, über die vorliegend ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, weil die Beteiligten hierauf im Rahmen des durchgeführten Augenscheintermins verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO), bleibt ohne Erfolg. Sie ist zwar zulässig, in der Sache aber unbegründet.
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2. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist der Bescheid des Beklagten vom 16. August 2022 (Datum des Genehmigungsaufklebers, fälschlicherweise angegeben auf dem Baugenehmigungsbescheid: 23. Mai 2022) in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 30. November 2022. Die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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3. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht, auch nicht teilweise, dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind.
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Weiter ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren auch zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3; VG Würzburg, U.v. 8.11.2016 – W 4 K 16.418 – juris Rn. 17).
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Weiterhin gilt es zu berücksichtigten, dass nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung maßgeblicher Zeitpunkt bei Nachbarklagen im Baurecht grundsätzlich der der Genehmigungserteilung ist (vgl. hierzu etwa hierzu etwa BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 – NVwZ 1998, 1179 = juris Rn. 3; BVerwG, U.v. 20.8.2008 – 4 C 11.07 – BVerwGE 131, 352 = juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2326 – juris Rn. 4; Posser/Wolff, BeckOK VwGO, zu § 113 Rn. 22 und 22.6).
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Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben und der im Rahmen des Augenscheintermins vor Ort festgestellten örtlichen und baulichen Gegebenheiten verstößt die Baugenehmigung des Landratsamts Miltenberg vom 16. August 2022 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 30. November 2022 nicht gegen nachbarschützende Vorschriften.
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4. Fasst man unter Berücksichtigung der in § 88 VwGO genannten Vorgaben und unter Beachtung des Umstands, dass die Klägerin anwaltschaftlich nicht vertreten ist, die Einwendungen in den Schriftsätzen an das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg zusammen, so ist die Klägerin offensichtlich der Auffassung, das Bauvorhaben der Beigeladenen füge sich bezüglich Art und Maß der baulichen Nutzung nicht ein, das Gebot der Rücksichtnahme werde verletzt und die Voraussetzungen für eine Grenzgarage lägen nicht vor. Mit all diesen Einwendungen vermag die Klägerin allerdings nicht durchzudringen.
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5. Die Klägerin kann sich zunächst nicht auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs berufen.
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Der Gebietserhaltungsanspruch, auch Gebietsbewahrungsanspruch genannt, gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 16). Dieser Anspruch gilt auch im faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – juris Rn. 3).
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Der Gebietserhaltungsanspruch ist vorliegend nicht verletzt. Das Vorhabengrundstück sowie das Grundstück der Klägerin sind, nachdem die Stadt A. den Bebauungsplan „… – … … …“ aufgehoben hat, nunmehr im unbeplanten Innenbereich gelegen, wobei unter Heranziehung von Luftbildern und Google Maps, aber auch unter Berücksichtigung des Eindrucks, den die Kammer im Rahmen des Augenscheins gewonnen hat, für beide Grundstücke ein faktisches allgemeines oder sogar reines Wohngebiet anzunehmen ist. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs durch das streitgegenständliche Vorhaben, das ausschließlich wohngenutzt werden soll, scheidet damit aus.
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6. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Aus den Ausführungen im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 2002 (4 B 86.01 – NVwZ 2002, 1384 f.) zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist teilweise der Schluss gezogen worden, das Bauplanungsrecht beinhalte neben dem Gebietserhaltungsanspruch, dem Abwehranspruch wegen Verletzung einer (sonstigen) drittschützenden Festsetzung des Bebauungsplans und dem Abwehranspruch wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots auch einen hiervon unabhängigen „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“, wonach ein Vorhaben, das im konkreten Baugebiet hinsichtlich der Nutzungsart an sich entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig ist, gleichwohl als gebietsunverträglich vom Nachbarn im (auch faktischen) Plangebiet abgewehrt werden können soll, wenn es der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspreche, wenn es also – bezogen auf den Gebietscharakter des Baugebietes, in dem es verwirklicht werden soll – aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirke und deswegen gebietsunverträglich sei (BayVGH, B.v. 4.11.2009 – 9 CS 09.2422 – juris = juris Rn. 11 ff.; VG Neustadt a.d.W., U.v. 26.3.2019 – 5 K 1482/18.NW – Rn. 39, unter Verweis u.a. auf die Rechtsprechung des rheinland-pfälzischen OVG; Decker, JA 2007, 55 ff.; Stühler, BauR 2011, 1576/1579 f.; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5). Von anderer Seite wird demgegenüber die rechtliche Existenz eines eigenständigen bauplanungsrechtlichen „Gebietsprägungserhaltungsanspruchs“ angezweifelt und die vom Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2002 entwickelten Grundsätze als Maßgaben für die Anwendung des (nachbarschützenden) Rücksichtnahmegebots – etwa im Anwendungsbereich von § 31 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB (vgl. z.B. VG Ansbach B.v. 4.5.2015 – AN 9 S 15.00693 – juris Rn. 98) – verstanden (vgl. OVG SH, B.v. 08.1.2018 – 1 MB 23/17 – juris Rn. 6 f.; Hofmann, BauR 2010, 1859 ff.; ebenso zweifelnd, i.E. offenlassend BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 7 ff.; B.v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – juris Rn. 13; B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – BayVBl 2019, 349 – juris Rn. 16).
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Unabhängig von dieser Streitfrage kann ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (i. V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) – sei es als eigenständiger Anspruch, sei es als Bestandteil des Rücksichtnahmegebots (mit dann zu fordernder „fühlbarer“ Beeinträchtigung des Nachbarn) – von vornherein nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gemäß §§ 2 bis 14 BauNVO (hier i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB) an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. Für ein vom Antragsteller behauptetes (nachbar-) rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 16.03.1995 – 4 C 3.94 – NVwZ 1995, 899 = juris Rn. 17). Da es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung handelt, ist ein solcher Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets aber nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5; am Beispiel eines Asylbewerberheims vgl. auch OVG Rh-Pf, B.v. 08.12.2016 – 8 A 10680/16 – juris Rn. 11 f.).
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Selbst wenn man die Existenz eines Gebietsprägungserhaltungsanspruchs grundsätzlich bejahen würde, ist vorliegend offensichtlich nicht von einer Verletzung desselben auszugehen. So ist bereits nicht erkennbar, wie eine Wohnnutzung aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise störend wirken könnte. Die Zahl der Wohnungen (hier Wohnhaus mit Einliegerwohnung) ist jedenfalls im Anwendungsbereich des § 34 BauGB kein Kriterium, das die Art der baulichen Nutzung prägt (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 13).
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Von einem Umschlagen „Quantität in Qualität“ kann angesichts der Dimensionierung des Wohnbauvorhabens offensichtlich nicht ausgegangen werden. Das streitgegenständliche Vorhaben weist keinerlei Merkmale auf, die es rechtfertigen würden, von einer qualitativ anderen Nutzungsart auszugehen. Die Ausmaße des Gebäudes sind hierbei von vornherein nicht zu berücksichtigen, da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gerade nicht das Maß der baulichen Nutzung betrifft (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2483 – juris m.w.N.). Ein Widerspruch zur Zweckbestimmung ist somit nicht erkennbar. Das streitgegenständliche Vorhaben, das in einem Wohngebiet allgemein zulässig ist, wahrt vielmehr gerade die Zweckbestimmung des Baugebiets, womit eine Verletzung des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs zwangsläufig ausscheidet.
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7. Soweit die Klägerin sinngemäß weiter rügt, das Vorhaben füge sich auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll bzw. schon überbaut worden ist, nicht ein, muss die Klage ebenfalls erfolglos bleiben.
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Hinsichtlich von faktischen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass diese nicht schon kraft Gesetzes eine nachbarschützende Funktion haben (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris Rn. 14). Geklärt ist ebenfalls, dass das Kriterium des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich keine drittschützende Wirkung zugunsten des Nachbarn entfaltet (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3).
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Von daher kommt diesen Rügen der Klägerin im Rahmen einer Nachbarklage keine Bedeutung zu.
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8. Schließlich verstößt das Vorhaben des Beigeladenen nicht gegen das subjektiv-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme (§ 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
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Dem einen angemessenen Interessenausgleich bezweckenden bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52, 122; BayVGH, B.v. 16.6.2023 – 1 CS 23.647 – juris Rn. 11). Es gibt dem Nachbarn jedoch nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist vielmehr erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben, der dem Gericht vorliegenden Planunterlagen sowie insbesondere der im Rahmen des gerichtlichen Augenscheins am 21. Juni 2023 gewonnen Eindrücke und Erkenntnisse, ist nicht von einer Rücksichtlosigkeit des in Rede stehenden Vorhabens im dargestellten Sinne auszugehen, zumal die Abstandsflächen zweifellos eingehalten sind.
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9. Auch die mit Änderungsbescheid vom 30. November 2022 genehmigte Grenzgarage verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, unterfällt sie doch der Privilegierung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO. Sie ist nicht abstandsflächenpflichtig.
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Gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden, zulässig Garagen einschließlich ihrer Nebenräume mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m, wobei die Höhe von Dächern mit einer Neigung von mehr als 45 Grad zu einem Drittel der Wandhöhe zugerechnet wird.
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Die Doppelgarage der Beigeladenen hält, was von der Klägerseite auch nicht substantiiert in Abrede gestellt wird, die höchstzulässige Länge und die mittlere Wandhöhe ein. Eine Abstandsflächenrechtsverletzung zu Lasten der Klägerin durch die Errichtung der grenzständigen Garage scheidet damit aus.
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10. Eine Verletzung sonstiger nachbarschützender Vorschriften, die vorliegend im Genehmigungsverfahren zu prüfen waren, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Klägerin wird durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 16. August 2022 in der Fassung der Änderungsgenehmigung vom 23. Mai 2022 deshalb nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt.
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Die Klage erweist sich nach alledem als unbegründet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladenen auf die Stellung eines eigenen Sachantrags verzichtet haben, entspricht es vorliegend der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.