Titel:
Besteuerung der inländischen Betriebsstätte einer ungarischen Kapitalgesellschaft
Normenketten:
AStG § 1 Abs. 5 S. 2
AO § 90 Abs. 3
FGO § 52d, § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 151 Abs. 3, § 155
Leitsätze:
1. Der Begriff der Geschäftsbeziehungen zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG in Verbindung mit § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG umfasst neben Geschäftsvorfällen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) auch gesellschaftsrechtliche Beziehungen.
2. Die Personalfunktionen stellen den wesentlichen Anknüpfungspunkt für die Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken und Geschäftsvorfällen zur Betriebsstätte bzw. dem übrigen Unternehmen sowie für die Identifizierung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen beiden Unternehmensteilen dar. Personalfunktionen sind die „Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden“.
3. Dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 AStG und insbesondere dessen Satz 3 lässt sich nicht entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 AStG und insbesondere für die allgemeine Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. EStG eine Veranlassungsprüfung (allein) nach den in den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre.
Schlagworte:
Besteuerung der inländischen Betriebsstätte einer ungarischen Kapitalgesellschaft, Außensteuer
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – I R 49/23
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2023, 1516
StEd 2023, 577
DStRE 2024, 705
LSK 2023, 21789
BeckRS 2023, 21789
Tenor
1. Die Änderungsbescheide vom 29.12.2021 über Körperschaftsteuer 2017 und 2018, über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Körperschaftssteuer zum 31.12.2017 und zum 31.12.2018, über den Gewerbesteuermessbetrag 2017 und 2018, sowie über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2017 und auf den 31.12.2018 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 01.09.2022 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist die Besteuerung der inländischen Betriebsstätte einer ungarischen Kapitalgesellschaft.
2
Bei der Klägerin handelt es sich um eine im ungarischen Handelsregister eingetragene Kapitalgesellschaft ungarischen Rechts (Korlátolt felelösségü társaság – Kft.), deren Rechtsform der Rechtsform einer GmbH deutschen Rechts entspricht. Alleingesellschafterin ist R. Der Sitz und die Geschäftsleitung befinden sich in Ungarn (Gesellschaftsvertrag vom 05.05.2016). Geschäftsführer ist O. Gegenstand des Unternehmens ist die Fleischgrob- und Feinzerlegung sowie Fleischverarbeitung.
3
Die Klägerin unterhielt laut Fragebogen zur steuerlichen Erfassung und Gewerbeanmeldung seit dem 01.03.2017 unter der Adresse … in A-Dorf eine unselbstständige Zweigstelle. Unter dieser Adresse leitete die Klägerin ihre Tätigkeit im Inland, insbesondere verwahrte sie dort die ihrem Steuerberater übergebenen Belege und erstellte die zur Anfertigung von Lohnabrechnungen erforderlichen Aufzeichnungen.
4
Am 01.03.2017 schloss die Klägerin mit der Firma A Kft. einen Dienstleistungsvertrag, mit dem sich die Firma A Kft. zur Erbringung von Verwaltungsarbeiten im Bereich der Betreuung der nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer verpflichtete und dafür 15% der Nettoumsätze erhalten sollte. Mit Änderungsvertrag vom 22.12.2017 wurde das Honorar auf 12% der Nettoumsätze vermindert. Die Aufgaben der Firma A Kft. bzw. M Kft. umfassten insbesondere die Erstellung der Lohnabrechnungen, die An- und Abmeldung der Arbeitnehmer bei Versicherungen und die Organisation des Transports und der Urlaubsheimreisen. Gesellschafter der Firma A Kft. bzw. M Kft. ist die Firma I Kft. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verträge vom 01.03.2017 und 22.12.2017 verwiesen. Das Büro in Straubing war ebenfalls von der Firma A Kft. angemietet worden.
5
In den Streitjahren führte die Klägerin Fleischzerlegungsarbeiten aufgrund von Werkverträgen vom 23.02.2017 mit der ungarischen Firma Z Kft. aus, die ebenfalls unter der Adresse … in A-Dorf eine inländische Betriebsstätte unterhielt. Die Verträge liefen vom 01.03.2017 bis 31.12.2018. Die geschuldeten Leistungen wurden unter anderem in den Räumlichkeiten der Firma Z Kft. in B-Dorf bzw. in C-Dorf erbracht. Dabei kamen Arbeitnehmer zum Einsatz, die von der Klägerin nach Deutschland entsandt worden waren. Die Leitung der Verfahrensabläufe des Zerlegungsprozesses wurde vom deutschen Betriebsleiter ausgeführt. Sämtliche erzielten Umsätze wurden dem Geschäftskonto der Klägerin in Deutschland gutgeschrieben. Von den erzielten Umsätzen wurden die in Deutschland entstandenen Kosten bezahlt, insbesondere Lohnsteuer, Löhne, Unterkunftskosten, Reisekosten und Werkzeugkosten. Die Kosten für die gesetzliche Sozialversicherung der Arbeitnehmer während ihrer Entsendung in Deutschland bezahlte die Klägerin von ihren Konten in Ungarn. Dabei hat sie die Erträge verwendet, die sie aus anderen Tätigkeiten in Ungarn erwirtschaftet hat.
6
In den Streitjahren zahlte die Klägerin Provisionen in Höhe von 292.858,49 € (2017) und 224.760,57 € (2018) an die Firma A Kft. bzw. M Kft.
7
Die Klägerin erstellte für die Betriebsstätte in Deutschland eine Buchführung nach Maßgabe der in Deutschland geltenden Vorschriften. Leistungen mit dem Stammhaus in Ungarn wurden in den Gewinn- und Verlustrechnungen der Streitjahre nicht abgerechnet. Über die Art und den Inhalt der Geschäftsbeziehungen mit dem Stammhaus in Ungarn wurden keine Aufzeichnungen erstellt.
8
Zum 05.11.2018 erklärte die Klägerin die Aufgabe ihres Betriebs.
9
Für die Streitjahre nahm das Finanzamt zunächst eine erklärungsgemäße Veranlagung vor. In den unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheiden für 2017 vom 18.09.2017 bzw. Änderungsbescheiden vom 02.07.2019 berücksichtigte das Finanzamt einen Jahresüberschuss bzw. einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von ./. 38.654 € und setzte die Körperschaftsteuer 2017 sowie den Gewerbesteuermessbetrag 2017 jeweils auf 0 € fest. Der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2017 und der vortragsfähige Gewerbeverlustes auf den 31.12.2017 wurden auf 38.654 € festgestellt. Der Gewerbesteuermessbetrag 2017 wurde jeweils in Höhe von 0 € auf die Gemeinden A-Dorf, B-Dorf und C-Dorf aufgeteilt.
10
Ebenfalls am 02.07.2019 erließ das Finanzamt unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Bescheide für 2018. Der festgesetzten Körperschaftsteuer 2018 von 1.902 € und dem Gewerbesteuermessbetrag 2018 von 686 € legte es einen Jahresüberschuss von 39.256 € bzw. einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von 43.606 € zugrunde. Eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2018 und eine gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2018 wurden nicht durchgeführt, da kein festzustellender Betrag bzw. vortragsfähiger Gewerbeverlust bestanden. Der Gewerbesteuermessbetrag 2018 wurde in Höhe von 0,02 € auf die Gemeinden A-Dorf, B-Dorf, C-Dorf und D-Dorf aufgeteilt.
11
Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Streitjahre kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass zwischen dem Stammhaus in Ungarn und der Betriebsstätte in Deutschland ein Leistungsaustausch i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 Außensteuergesetz (AStG) erfolgt sei, der bei der Ermittlung der in Deutschland steuerpflichtigen Einkünfte bislang nicht berücksichtigt worden sei (Bericht vom 13.11.2020). Es sei nicht nachvollziehbar, dass keine Geschäftsbeziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus bestehen würden, da wesentliche unternehmerische Entscheidungen, insbesondere das Verhandeln und Unterschreiben von Verträgen mit dem Auftraggeber und mit Dienstleistern durch die Geschäftsleitung in Ungarn erfolgt seien. Dies stelle eine wesentliche Geschäftsbeziehung dar. Aufgrund der vorgenommenen Zuordnung der Funktionen und Risiken des Gesamtunternehmens seien dem Stammhaus die Geschäftsführung (Vertragsrisiko, Kalkulation), die Einstellung/Fürsorge der Arbeitnehmer, die Verwaltung (Beauftragung der Firma A Kft. bzw. M Kft.), das Rechnungswesen und der Zahlungsverkehr zuzuordnen. Die inländische Betriebsstätte habe lediglich die Personalfunktion „Fleischzerlegung“ ausgeführt (vgl. § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 3, § 4 Abs. 1 Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGAV) und sei daher als „Routineunternehmen“ zu bezeichnen. Das übrige Unternehmen in Ungarn stelle den „Strategieträger“ dar. Da die Klägerin ihre Aufzeichnungspflichten nach § 1 Abs. 4 AStG i.V.m. § 90 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) nicht erfüllt habe und Fremdvergleichspreise für die vom Stammhaus erbrachten Dienstleistungen nicht festzustellen seien, sei der Gewinn der Betriebsstätte nach der Kostenaufschlagsmethode unter Berücksichtigung eines Aufschlags von 5% unter Berücksichtigung der von der Klägerin in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung verzeichneten Aufwendungen wie folgt zu schätzen:
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2017
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2018
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Personalaufwand
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1.344.820,74 €
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1.215.871,13 €
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Leasingaufwand
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85.639,22 €
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70.174,05 €
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Reisekosten Arbeitnehmer
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184.781,91 €
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209.514,57 €
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Aufwendungen für Fuhrpark
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42.526,15 €
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32.937,59 €
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Rechts- und Beratungskosten Inland
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24.679,00 €
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29.290,20 €
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Summe
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1.682.447,02 €
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1.557.787,54 €
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davon 5% Aufschlag = Gewinn
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84.122,35 €
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77.889,38 €
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12
Den Feststellungen der Betriebsprüfung folgend legte das Finanzamt der Steuerfestsetzung für die Streitjahre einen Gewinn von 84.122 € (2017) und 77.889 € (2018) zugrunde und setzte jeweils mit Änderungsbescheiden zuletzt vom 29.12.2021 die Körperschaftsteuer 2017 mit 12.618 €, den Gewerbesteuermessbetrag 2017 mit 3.038 € sowie die Körperschaftsteuer 2018 mit 11.683 € und den Gewerbesteuermessbetrag 2018 mit 2.894 € fest. Der Gewerbesteuermessbetrag 2017 wurde auf die Gemeinden A-Dorf, B-Dorf und C-Dorf aufgeteilt. Der Gewerbesteuermessbetrag 2018 wurde auf die Gemeinden A-Dorf, B-Dorf, C-Dorf und D-Dorf aufgeteilt.
13
Die Bescheide jeweils vom 02.07.2019 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2017 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31.12.2017 sowie über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2018 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31.12.2018 wurden ebenfalls mit Bescheiden vom 29.12.2021 aufgehoben. Die gegen die Bescheide vom 29.12.2021 eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 01.09.2022 als unbegründet zurückgewiesen.
14
Mit der vorliegenden Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass das Finanzamt ohne entsprechende Rechtsgrundlage alle in Deutschland erbrachten Umsätze der Klägerin korrigiert habe. Entgegen der Auffassung des Finanzamts stelle die BsGaV keine Rechtsgrundlage für eine Gewinnkorrektur dar. Insbesondere seien die in § 30 ff. BsGaV enthaltenen Gewinnermittlungsvorschriften Vorschriften für Bau- und Montage-Betriebsstätten nicht von § 1 Abs. 6 AStG gedeckt. Im Streitfall sei nicht ersichtlich, welche Leistungen gegenüber dem Stammhaus als nahestehender Person erbracht worden sein sollen. Auch das Finanzgericht Nürnberg habe bei einem ähnlichen Sachverhalt keine Geschäftsbeziehungen zwischen inländischer Betriebsstätte und dem nicht im Inland liegenden Stammhaus feststellen können (Urteil des FG Nürnberg vom 27.09.2022, 1 K 1595/20).
15
Aus den für die Streitjahre 2017 und 2018 aufgestellten Betriebsstättenbilanzen ergebe sich, welche Umsätze die Klägerin in den Streitjahren durch die Tätigkeit in Deutschland erzielt habe, welche Kosten ihr durch die wirtschaftliche Tätigkeit in Deutschland sowie welche Kosten durch den Unterhalt der Betriebsstätte in Ungarn entstanden seien. Demzufolge habe die Klägerin sämtliche ihr obliegenden Pflichten erfüllt. Nach der Gesetzesbegründung zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013 solle eine Betriebsstätte wie ein selbstständiges Unternehmen behandelt werden. Die Klägerin sei ihren Verpflichtungen entsprechend den OECD Grundsätzen nachgekommen und habe die Gewinne ihrer in Deutschland belegenen Betriebsstätte zutreffend ermittelt. Die vom Finanzamt vorgenommene Schätzung sei daher nicht zulässig. Im Übrigen könne die Klägerin aufgrund dieser Schätzung die steuerpflichtigen Gewinne in Deutschland und in Ungarn nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen. Es komme zu einer unzulässigen Doppelbesteuerung, die durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen vom 28.02.2011 (DBA) eigentlich ausgeschlossen werden solle. Das Finanzamt habe es versäumt, ein Verständigungsverfahren nach Maßgabe des EU-Schiedsabkommens einzuleiten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 25.09.2019 I R 82/17, juris). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu Art. 3 Grundgesetz (GG) werde nicht beachtet (vgl. Beschluss des BVerfG vom 18.01.2006 2 BvR 2194/99). Darüber hinaus verstoße die Diskriminierung ausländischer Unternehmen gegen die Grundsätze des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
16
Die Klägerin beantragt,
die Änderungsbescheide vom 29.12.2021 über Körperschaftsteuer 2017 und 2018, über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Körperschaftssteuer zum 31.12.2017 und zum 31.12.2018, über den Gewerbesteuermessbetrag 2017 und 2018, über die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages 2017 und 2018 sowie über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2017 und auf den 31.12.2018 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 01.09.2022 aufzuheben,
hilfsweise, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
17
Das Finanzamt beantragt,
18
Es verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten und die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
20
Die Klage ist teilweise unzulässig und im Übrigen begründet.
21
1. Die gegen die Bescheide vom 29.12.2021 über die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages 2017 und 2018 gerichtete Klage ist unzulässig. Es fehlt an der Beschwer der Klägerin, da sie nicht geltend gemacht hat, dass die von ihr begehrten Änderungen der Festsetzung der Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrags dazu führen, dass ein niedrigerer Hebesatz zur Anwendung gelangt (Schmieszek in: Gosch, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, § 188 Zerlegungsbescheid, Rn. 21 m.w.N., Klein/Ratschow, 16. Aufl. 2022, AO § 188 Rn. 2).
22
2. Im Übrigen ist die Klage begründet. Zu Unrecht hat das Finanzamt die inländischen Einkünfte der in Deutschland belegenen Betriebsstätte der Klägerin gemäß § 1 Abs. 5 AStG korrigiert.
23
2.1. Gemäß § 1 Abs. 5 AStG sind die Absätze 1, 3 bis 4 AStG über die Berichtigung von Einkünften entsprechend anzuwenden, wenn für eine Geschäftsbeziehung im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise, die der Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder der Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens steuerlich zugrunde gelegt werden, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. Zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist eine Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung (§ 1 Abs. 5 Satz 2 AStG).
24
Um die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, sind ihr nach § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG in einem ersten Schritt die Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen), die Vermögenswerte des Unternehmens, die sie zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt, die Chancen und Risiken des Unternehmens, die sie auf Grund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt, sowie ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital) zuzuordnen. Auf der Grundlage dieser Zuordnung sind in einem zweiten Schritt die Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen zu bestimmen (§ 1 Abs. 5 Satz 4 AStG).
25
Die Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes und dessen einheitlicher Anwendung werden in der am 13. Oktober 2014 in Kraft getretenen BsGaV (BStBl I 2014, 1378) geregelt. Die entsprechende Ermächtigung zum Erlass dieser Verordnung findet sich in § 1 Abs. 6 AStG.
26
2.2. Geschäftsbeziehungen nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG sind Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen). Darüber hinaus werden aber auch gesellschaftsrechtliche Beziehungen umfasst (Wassermeyer/Baumhoff u.a./Ditz/Greinert in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht Kommentar, Dokumentstand 103. Lieferung, 10/2022, Rdn. 2730, Dorner in: AStG – eKommentar, Fassung vom 01.01.2022, § 1 Rn. 170 m.w.N).
27
Im Bereich der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG sind ausschließlich „tatsächliche Handlungen“ relevant (sog. dealings; vgl. Brandis/Heuermann/Pohl, 163. EL August 2022, AStG § 1 Rn. 197). Es muss ein wirtschaftlicher Vorgang, also ein tatsächliches und identifizierbares Ereignis vorliegen. Es können schuldrechtliche Beziehungen jeder Art fingiert werden. Der Geschäftsvorfall muss ein gewisses Maß an Signifikanz aufweisen, also eine gewisse ökonomische Relevanz haben, sodass fremde Dritte deswegen eine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen hätten oder eine Rechtsposition geltend machen würden (BMF 22.12.2016, BStBl. I 2017, 182 Rn. 165). Dies wird durch § 1 Abs. 4 S. 2 AStG gesetzlich vermutet, wenn der Steuerpflichtige nicht im Einzelfall etwas Anderes nachweist (BeckOK AStG/Haßfurter, 2. Ed. 1.9.2022, AStG § 1 Rn. 670-672 und Rn. 678, vgl. Wassermeyer/Baumhoff u.a./Ditz/Greinert in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht Kommentar, § 1 Berichtigung von Einkünften, Rn. 2749).
28
Nach § 16 Abs. 1 BsGaV liegt eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG vor, wenn wirtschaftliche Vorgänge festgestellt werden, die im Verhältnis zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen eine Änderung der Zuordnung von Wirtschaftsgütern, Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten, sonstigen Vermögenswerten, Chancen, Risiken oder Sicherungsgeschäften nach den §§ 5-11 erforderlich machen (Nr. 1) oder die – wären die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen voneinander unabhängige Unternehmen – durch schuldrechtliche Vereinbarungen geregelt würden (Nr. 2 Buchst. a) oder zur Geltendmachung von Rechtspositionen führen würden (Nr. 2 Buchst. b).
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2.3. Die Personalfunktionen stellen den wesentlichen Anknüpfungspunkt für die Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken und Geschäftsvorfällen zur Betriebsstätte bzw. dem übrigen Unternehmen sowie für die Identifizierung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen beiden Unternehmensteilen dar (Wassermeyer/Baumhoff u.a./Ditz/Greinert in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht Kommentar, Dokumentstand: 103. Lieferung, 10/2022, § 1 Rn. 2933). Nach der Definition in § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG sind Personalfunktionen „Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden“. Die BsGaV konkretisiert dies in § 2 Abs. 3 Satz 1 BsGaV als Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens und für das Unternehmen ausgeübt wird. Nach § 2 Abs. 4 BsGaV ist eigenes Personal jede natürliche Person, die auf Grund einer gesellschaftsvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen für das Unternehmen tätig wird.
30
Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BsGaV ist die Personalfunktion einer Betriebsstätte für die Zuordnung von Vermögenswerten, von Chancen und Risiken oder von Geschäftsvorfällen maßgeblich, wenn der Ausübung dieser Personalfunktion im üblichen Geschäftsbetrieb im Verhältnis zu den Personalfunktionen, die in anderen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt werden, die größte Bedeutung für den jeweiligen Zuordnungsgegenstand zukommt.
31
2.4. Nach § 90 Abs. 3 AO hat ein Steuerpflichtiger über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Abs. 4 AStG Aufzeichnungen zu erstellen. Die Aufzeichnungspflicht umfasst nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AO neben der Darstellung der Geschäftsvorfälle (Sachverhaltsdokumentation) auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Fremdvergleichsgrundsatz beachtende Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere Preisen (Verrechnungspreisen), sowie insbesondere Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung, zur verwendeten Verrechnungspreismethode und zu den verwendeten Fremdvergleichsdaten (Angemessenheitsdokumentation).
32
3. Die vorgenannten Voraussetzungen für eine betriebsstättenbezogene Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG liegen im Streitfall nicht vor. Geschäftsbeziehungen zwischen der inländischen Betriebsstätte und dem Stammhaus, deren Bedingungen nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte der beschränkt steuerpflichtigen Klägerin mindern, können nicht festgestellt werden. Der Senat kann keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen bzw. Geschäftsvorfälle mit einem gewissen Maß an Signifikanz erkennen.
33
Dem Finanzamt ist zwar insoweit zuzustimmen, dass die Tätigkeiten des Stammhauses, die im Wesentlichen im Verhandeln und Unterschreiben von Verträgen mit dem Auftraggeber (Firma Z Kft.) und der beauftragten Dienstleistungsfirma (Firma M Partners Kft.) sowie dem Anwerben der in der Betriebsstätte eingesetzten Arbeitnehmer bestanden hat, durch schuldrechtliche Vereinbarungen geregelt worden wären, falls es sich bei der Betriebsstätte und dem Stammhaus um voneinander unabhängige Unternehmen gehandelt hätte. Für diese Leistungen erfolgten jedoch keine Abrechnungen. Auch die Betriebsprüfung hat keine Feststellungen dahingehend getroffen, dass Verrechnungspreise an das Stammhaus Eingang in die steuerliche Ermittlung des aus der Betriebsstätte erwirtschafteten Gewinns gefunden haben (vgl. Flick/Wassermeyer, AStG § 1 Rz. 2850) und insoweit der im Inland erzielte Gewinn gemindert worden ist.
34
Die Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG steht jedoch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im unmittelbaren Kontext zu dessen Abs. 1 und knüpft damit tatbestandlich an eine Einkünfteminderung an, die durch eine Vereinbarung nicht fremdvergleichsgerechter Bedingungen (Verrechnungspreise) entsteht (BFH, Beschluss vom 24. November 2021 I B 44/21 (AdV), BStBl II 2022, 431, Rn. 25 m.w.N.). Der Ansicht des Finanzamts, dass in Bezug auf die Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gegebenenfalls fiktive Aufschlagsätze zum Ansatz kommen müssten, wird nicht gefolgt. Eine solche Sachbehandlung ist den Vorschriften des AStG nicht zu entnehmen (vgl. Urteil des FG-Nürnberg vom 27.09.2022 1 K 1595/20, IStR 2023, 211).
35
Dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 AStG und insbesondere dessen Satz 3 lässt sich auch nicht entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 AStG und insbesondere für die allgemeine Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. Einkommensteuergesetz (EStG) eine Veranlassungsprüfung (allein) nach den in den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre. Eine entsprechende „Ausstrahlwirkung“ kann in § 1 Abs. 5 AStG auch wegen der systematischen Stellung der Vorschrift im AStG nicht hineingelesen werden (vgl. BFH, Beschluss vom 24. November 2021 I B 44/21 (AdV), BStBl II 2022, 431, Rn. 25 m.w.N.).
36
Der Senat teilt daher auch nicht die Auffassung des Finanzamts, dass die von den beauftragten Firmen Z Kft. und M Kft. erbrachten Tätigkeiten dem Stammhaus als eigene Tätigkeit und damit als Ausübung der wesentlichen Personalfunktionen zugerechnet werden können. Bei den vorgenannten Firmen handelt es sich nicht um eigenes Personal des Unternehmens (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG, § 2 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). Die Firmen wurden auch nicht nach § 2 Abs. 4 BsGaV auf Grund einer gesellschaftsvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen für das Unternehmen, sondern aufgrund eines Dienstleistungs- bzw. Werkvertrages tätig. Die Klägerin hat anhand der vorgelegten Verträge nachgewiesen, dass die von der Betriebsprüfung aufgelisteten „wesentlichen Personalfunktionen“, gerade nicht vom Stammhaus, sondern von dem Dienstleister Z Kft. erbracht worden sind. Dieser hat die Betreuung der entsandten Arbeitnehmer, die Erbringung von Verwaltungsarbeiten, im Bereich der Betreuung der nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer, die Erstellung der Lohnabrechnungen, die An- und Abmeldung der Arbeitnehmer bei Versicherungen und die Organisation des Transports und der Urlaubsheimreisen vertraglich übernommen sowie der Klägerin das Büro in A-Dorf vermietet.
37
Bei der Zuordnung der Umsätze aus an fremde Dritte erbrachten Werkvertragsleistungen handelt es sich um keine Verrechnungspreisproblematik, die einer Korrektur nach § 1 Abs. 5 AStG unterliegen kann. § 1 Abs. 5 AStG stellt eine reine Korrekturnorm dar und ist keine eigenständige Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung (vgl. van der Ham, IStR 2023, 213-214 Anmerkung zum Urteil des FG-Nürnberg vom 27.09.2022 1 K 1595/20). Die Korrekturnorm des § 1 Abs. 5 AStG bleibt für die Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen aus Außentransaktionen bedeutungslos.
38
Da nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin zwischen der Klägerin und den Firmen M Kft. und Z Kft. kein Näheverhältnis i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AStG besteht, ist auch insoweit keine Einkünftekorrektur durchzuführen. Im Übrigen bestehen keine Bedenken, soweit die Klägerin als Gegenleistung für die erbrachten Dienstleistungen ein Honorar von 15% bzw. ab 01.01.2018 12% des Nettoumsatzes entrichtet hat.
39
4. Im Streitfall liegt daher auch keine Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO im Zusammenhang mit Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Abs. 4 AStG vor, denn zwischen der inländischen Betriebsstätte und dem Stammhaus in Ungarn wurden keine Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG getätigt. Die im Zusammenhang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz bestehende Problematik zu Fragen der Verrechnung und Angemessenheit stellt sich deswegen nicht.
40
Im Übrigen kann der Senat nicht feststellen, dass die von der Klägerin erstellte Buchführung und die auf dieser Grundlage erstellten Jahresabschlüsse und Steuererklärungen für die Streitjahre nicht den in Deutschland maßgebenden Vorschriften entsprechen. Auch das Finanzamt hat insoweit keine Einwendungen erhoben.
41
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO).
42
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und des Vollstreckungsschutzes folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).