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AG München, Beschluss v. 25.01.2023 – 472 C 22260/20
Titel:

Räumungsfristverlängerung

Normenkette:
ZPO § 721
Leitsatz:
Die Verpflichtung zum Bemühen um Ersatzwohnungen besteht ab Zugang der Kündigung, spätestens aber ab der erstinstanzlichen Entscheidung.  (Rn. 10 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Räumungsfrist, Ersatzwohnung, Bemühen, Kündigung
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Beschluss vom 08.02.2023 – 14 T 1361/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21787

Tenor

1. Der Antrag der Antragsteller/ Beklagten, die im Endurteil des Landgerichts München I vom 03.08.2022, Az. 14 S 663/22 in Ziffer 3 gesetzte Räumungsfrist bis zum 31.01.2023 um 6 Monate bis zum 31.07.2023 zu verlängern, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsteller/ Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Räumungsfristverlängerungsverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert des Räumungsfristverlängerungsverfahrens wird auf 4.625,28 € festgesetzt.

Gründe

1
1. Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 23.12.2021 (Az. 472 C 22260/20) wurde den Antragstellern/ Beklagten eine Räumungsfrist bis 28.02.2022 gewährt. Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht München I wurde mit Urteil vom 03.08.2022 (Az. 14 S 663/22) die Berufung zurückgewiesen und den Beklagten eine Räumungsfrist bis 31.01.2023 gewährt.
2
Mit Schriftsatz des Vertreters der Antragsteller/ Beklagten vom 16.01.2023 wird die Verlängerung der bis zum 31.01.2023 gesetzten Räumungsfrist um 6 Monate bis 31.07.2023 beantragt.
3
Die Antragsgegner/ Klagepartei hat mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 23.01.2023 beantragt, den Antrag auf Verlängerung des gewährten Vollstreckungsschutzes kostenpflichtig zurückzuweisen.
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2. Gem. § 721 Abs. 3 ZPO ist der Antrag auf Verlängerung spätestens 2 Wochen vor Ablauf der Räumungsfrist zu stellen. Der Antrag ging am 16.01.2023 bei Gericht ein und erfolgte damit fristgerecht.
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Das Amtsgericht München ist gem. § 721 Abs. 4 S. 1 ZPO zuständig.
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3. Der Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist ist vorliegend nach Abwägung der Interessen der beteiligten Parteien jedoch zurückzuweisen.
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Vorliegend wurde durch die beklagte Partei vorgetragen, dass sie sich intensiv um einen Ersatzwohnraum bemüht, aber hier erfolglos gewesen sei. Insoweit werden neue Umstände, die im Einzelfall eine Verlängerung der Räumungsfrist bewirken können, vorgetragen (vgl. Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 15. Aufl. 2021, ZPO § 721 Rn. 64).
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Die Frage nach der Verlängerung einer Räumungsfrist ist anhand einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden. Die Bewilligung steht dabei im Ermessen des Gerichts.
9
Generell gilt, dass eine Räumungsfrist dann zu gewähren ist, wenn das Interesse des Mieters an einem weiteren Räumungsaufschub höher zu bewerten ist als das Interesse des Gläubigers an der sofortigen Räumung. Ein allgemein anerkannter Grundsatz, wonach das befristete Bestandsinteresse des Mieters generell höher zu bewerten ist als das Erlangungsinteresse des Vermieters besteht nicht (vgl. Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 15. Aufl. 2021, ZPO § 721 Rn. 19). § 721 ZPO soll den Schuldner aber davor schützen durch die Räumung obdachlos zu werden oder unzumutbaren Wohnraum beziehen zu müssen.
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Vorliegend ist insbesondere zu berücksichtigen, dass den Antragstellern/ Beklagten mit Urteil des Landgerichts München vom 03.08.2022 bereits eine erhebliche Räumungsfrist bis 31.01.2023 gewährt worden ist.
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Gemäß dem Beschluss des BGH vom 27.06.1990, Az. XII ZR 73/90 (BGH NJW 1990, 2823) kommt es für eine sachgerechte Beurteilung des Antrags auf Verlängerung der Räumungsfrist wesentlich darauf an, ob der Räumungsschuldner sich nach der erstmaligen Bewilligung dieser Frist hinreichend um eine Ersatzwohnung bemüht.
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Das Gericht ist hier unter Berücksichtigung des Vortrags in der Antragsschrift des Beklagtenvertreters vom 16.01.2023 – welcher von der Gegenseite nicht bestritten wurde – nicht von einer hinreichenden Bemühung überzeugt, womit der Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist zurückzuweisen war. Ausgangspunkt hierfür ist, dass die außerordentliche und hilfsweise ordentlich Kündigung vom 15.10.2020 datiert und das Mietverhältnis jedenfalls durch die hilfsweise Kündigung das Mietverhältnis bereits zum 31.01.2021 beendet worden ist. Vorgelegt wird eine Liste mit Bemühungen um Ersatzwohnraum der letzten 5 Monate, wobei nur 10 Bewerbungen auf Wohnungen erfolgt sind und hiervon jeweils 1 Besichtigung im August und September 2022 war, im Übrigen noch 2 im Oktober 2022 und 5 Besichtigungen erst im November und Dezember 2022. Die Pflicht sich um Ersatzwohnraum zu bemühen besteht allerdings schon ab Zugang der Kündigung.
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Als umfangreich und intensiv können diese Bemühungen nicht bezeichnet werden, wobei das Gericht nicht die zweifelsfrei überaus angespannte Lage des Münchner Mietmarkts verkennt. Dabei verkennt das Gericht auch nicht, dass die Antragsteller/ Beklagten mit ihren 4 minderjährigen Kindern ein hohes Maß sozialer Schutzbedürftigkeit aufweisen.
14
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass den Antragstellern/ Beklagten bereits im Oktober 2020 das Mietverhältnis gekündigt wurde und sie spätestens mit dem erstinstanzlichen Urteil vom 23.12.2021 ernsthaft mit dem Verlust der Wohnung rechnen mussten, erscheint die behauptete Intensität der Ersatzwohnraumsuche jedoch dürftig. Allein wenn man den von den Antragstellern/ Beklagten angegebenen Zeitraum von 5 Monaten nach der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts München betrachtet, ergibt dies im Durchschnitt gerade einmal 2 Wohnungsbesichtigungen im Monat.
15
Zum anderen ist auch die bereits lange Verfahrensdauer (die wirksame Kündigung erfolgte zum 15.10.2020) und der lange Zeitraum, den die Antragsteller / Beklagten auch nach Ergehen der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung ungenutzt verstreichen ließen, zu sehen.
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Eine Verlängerung der gewährten Räumungsfrist war daher zu versagen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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4. Der Streitwert beruht auf der Höhe der Nutzungsentschädigung für den beantragten Zeitraum der Verlängerung der Räumungsfrist von 6 Monaten (770,88 € x 6).