Titel:
Gemeindliches Vorkaufsrecht - „In-Betracht-Ziehen“ städtebaulicher Maßnahmen
Normenketten:
BauGB § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 214 Abs. 4
BayGO Art. 52 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die rückwirkende Anordnung des Inkrafttretens eines Bebauungsplans bzw. einer Satzung nach Heilung von Form- oder Verfahrensfehlern stellt sich nicht als eine materielle Planänderung dar, für die eine Öffentlichkeitsbeteiligung geboten wäre. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine durch die Vorkaufssatzung zu sichernde städtebauliche Maßnahme wird erst iSv § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB „in Betracht gezogen“, wenn ernsthafte Anhaltspunkte für die Absicht der Gemeinde vorhanden sind, dass sie bestimmte städtebauliche Maßnahmen ergreifen wird. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorkaufssatzung, Satzungsbeschluss in nicht öffentlicher Sitzung, Heilung durch Wiederholung des Satzungsbeschlusses in öffentlicher Sitzung, Rückwirkung, „In-Betracht-Ziehen“ städtebaulicher Maßnahmen, Verhältnis der Vorkaufsrechte zueinander (Konkurrenz)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21657
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2021 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich als Käufer gegen ein von der Beklagten ausgeübtes Vorkaufsrecht.
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Mit notariellem Kaufvertrag vom 16. Dezember 2020 veräußerte der Verkäufer das 5.500 m² große Grundstück Fl.Nr. ... Gemarkung ... an den Kläger. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich der Satzung der Beklagten über die Begründung eines besonderen Vorkaufsrechts (Vorkaufssatzung) nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB vom 23. April 2008, bekannt gemacht am 9. Mai 2008, und ist mit einem Wohnhaus und Garagen sowie landwirtschaftlichen Gebäuden bebaut; ferner befinden sich dort Garten- und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Nach § 1 der Vorkaufssatzung umfasst der Geltungsbereich je 14 Grundstücke in den Gemarkungen ... und ... sowie in der Gemarkung ... neben dem streitbefangenen Grundstück die Grundstücke Fl.Nrn.,...,...,...,...,...,... und .... Ausweislich des Auszugs aus dem Sitzungsbuch des Gemeinderats vom 23. April 2008 (Beratung und Beschluss einer Satzung zur Ausübung des Vorkaufsrechts) soll, „um in der Gemeinde in den Ortsteilen ... und ... einem Verfall der Werterhaltung der ortsüblichen Bauweise vorzubeugen und in besonderem das Ortsbild zu erhalten, sowie den Bedarf gemeindlicher Vorhaben innerorts Entwicklungsmöglichkeiten einzuräumen, […] zur Ausübung des Vorkaufsrechts […] eine Satzung erstellt werden“. Bei entsprechendem Bedarf soll der Gemeinderat nach seinem Ermessen weitere Grundstücke einfügen können. Die Satzung wurde einstimmig beschlossen.
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Laut Flächennutzungsplan vom 6. Mai 1996, zuletzt geändert am 6. März 2006, befindet sich das streitbefangene Grundstück im Dorfgebiet (MD).
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Mit Schreiben vom 16. Dezember 2020, bei der Beklagten eingegangen am 18. Dezember 2020, bat die Notarin die Beklagte um Mitteilung, ob das gemeindliche Vorkaufsrecht ausgeübt werde, und übermittelte hierzu am 23. Dezember 2020 der Beklagten den vollständig beurkundeten Kaufvertrag.
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Laut Sitzungsprotokoll über die nichtöffentliche Sitzung am 13. Januar 2021 hat der Gemeinderat der Beklagten beschlossen, das Vorkaufsrecht auszuüben. Das streitbefangene Grundstück liege im Geltungsbereich der Vorkaufssatzung. Seinerzeit sei die Fläche wegen einer Nutzung als Ortsnachverdichtung aufgenommen worden. Falls ein Leerstand entstehe, solle die Gemeinde die Möglichkeit haben, ein Vorkaufsrecht auszuüben. Vor drei Jahren sei eine Umfrage zur Innenflächenentwicklung durchgeführt worden. Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger sowie den Verkäufer mit Schreiben vom 22. Januar 2021 zur beabsichtigten Ausübung des Vorkaufsrechts an.
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Der Kläger ließ hierzu durch seinen Bevollmächtigten unter dem 5. Februar 2021 Stellung nehmen und ausführen, dass er in direkter Nachbarschaft zum streitbefangenen Grundstück einen landwirtschaftlichen Betrieb führe und durch das Erweiterungsobjekt eine Betriebserweiterung plane. Er betreue das Anwesen schon seit längerer Zeit, indem er bspw. dort die Wiesen mähe. Die Umgebung sei durch aktive bzw. teilweise vollständig aufgegebene landwirtschaftliche Nutzung geprägt. Nach dem Kaufvertrag solle u.a. aufgrund einer Erhaltungsverpflichtung der dörfliche Charakter des Anwesens beibehalten werden. Die Rechtmäßigkeit der Vorkaufssatzung werde in Abrede gestellt. Gegen die beabsichtigte Bauleitplanung setze sich der Kläger ebenfalls zur Wehr.
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Laut eines in den Behördenakten befindlichen Auszugs aus dem Amtsblatt hat die Beklagte am 10. Februar 2021 die Aufstellung eines Bebauungsplans „Ortsmitte Nord“ beschlossen, dessen Geltungsbereich u.a. das streitgegenständliche Grundstück umfasst. Mit Aufstellung des Bebauungsplans sei die Ausweisung eines Wohngebiets nach § 2, § 3, § 4 oder § 5 BauNVO unter Berücksichtigung des dörflichen Charakters und/oder eines Dorfgebiets geplant unter Berücksichtigung der bestehenden landwirtschaftlichen Nutzungen und Wünsche der Anwohner bezüglich Nebenanlagen für gärtnerische Nutzungen und Kleintierhaltung sowie des Bedarfs nach Wohnungen mit besonderen Bedürfnissen. Zugleich wurde eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB beschlossen. Die Satzungen wurden am 15. Februar 2021 im Amtsblatt bekannt gemacht.
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Mit Bescheid vom 12. Februar 2021, zugestellt am 13. Februar 2021, übte die Beklagte gegenüber dem Kläger sowie dem Verkäufer das Vorkaufsrecht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB für das Grundstück Fl.Nr. ... Gemarkung ... aus. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass bereits im Jahr 2008 erstmals städtebauliche Maßnahmen für die Ortskernbelebung beschlossen worden seien. 2016 sei daher der Einstieg in das geänderte kommunale Förderprogramm „lebendige Ortskerne und die damit verbundene gemeinsame Baufibel zur Belebung der Ortskerne, ... und ...“ beschlossen worden. 2018 sei eine Eigentümerbefragung zum Leerstandmanagement durchgeführt worden. Februar 2021 habe die Beklagte die Aufstellung eines Bebauungsplans beschlossen. Das Grundstück sei ein Großteil einer unbebauten (Außenbereichs-)Fläche im Ortskern umgeben von Wohnbebauung und einigen ehemaligen Landwirtschaftsbetrieben. Die Fläche eigne sich hervorragend für eine Innenentwicklung entsprechend den Zielen des LEP. Das Grundstück liege im Geltungsbereich der Vorkaufssatzung. Die Ausübung erfolge zum Wohl der Allgemeinheit im Sinne der § 25 Abs. 2, § 24 Abs. 3 BauGB. Die Beklagte strebe die bauliche Nutzung der „Außenbereichsinsel“ im Innenbereich für Wohnbebauung an. Dem landesplanerischen Gebot der Innenvor Außenentwicklung solle damit in besonderer Weise Rechnung getragen werden. Durch eine Eigentümerstellung der Beklagten könne sie besser als nur mittels einer Bauleitplanung für die Verwirklichung der Ziele sorgen. Dies gelte sowohl für die unbebaute Fläche als auch den bebauten Teil des Grundstücks. Wohnraum zur Deckung besonderer Wohnbedürfnisse könne geschaffen und eine Harmonisierung der landwirtschaftlichen mit der Wohnnutzung erreicht werden. Die Ermessensausübung erfolge zugunsten des öffentlichen Interesses an einer gesicherten Umsetzung der Wohnbebauung und der landesplanerischen Ziele. Hinsichtlich des Käufers werde in keine bereits ausgeübte Nutzung oder in eine Eigentumsposition eingegriffen. Seine Pläne für die Nutzung des Grundstücks und der Hofstelle träten hinter dem Interesse der Gemeinde, dem Allgemeinwohlbelang der Wohnraumschaffung unter Berücksichtigung der landesplanerischen Zielsetzung der Innenentwicklung, zurück.
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Hiergegen ließ der Kläger am 12. März 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben. Ein ausdrücklicher Klageantrag wurde nicht gestellt.
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Am 26. März 2021 wurde die anwaltliche Vertretung der Beklagten angezeigt. Eine ausdrückliche Antragstellung erfolgte nicht.
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Das vom Verkäufer gegen den Vorkaufsbescheid der Beklagten geführte Klageverfahren (Az. Au 4 K 21.593) wurde nach Klagerücknahme mit Beschluss vom 23. März 2022 eingestellt.
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Auf Antrag der Parteien wurde mit Beschluss des Gerichts vom 30. Mai 2022 wegen Vergleichsverhandlungen das Ruhen des damals unter dem Az. Au 4 K 21.592 geführten Verfahrens angeordnet.
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Am 18. Januar 2023 hat der Gemeinderat der Beklagten ausweislich des Auszugs aus dem Sitzungsbuch erneut die Vorkaufssatzung beschlossen, um den Verfahrensfehler der seinerzeitigen Beschlussfassung in nichtöffentlicher Sitzung zu heilen. Die Satzung tritt rückwirkend zum 10. Mai 2008 in Kraft (§ 3). Die Bekanntmachung erfolgte im örtlichen Amtsblatt vom 21. Januar 2023.
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Mit Schriftsatz der Beklagten vom 7. Februar 2023 wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt, da keine außergerichtliche Einigung habe erzielt werden können. Weiter wurde vorgetragen, dass nicht relevant sei, ob von der Vorkaufssatzung bisher in anderen Vorkaufsfällen Gebrauch gemacht worden sei. Die Satzung schaffe das Recht, aber keine Pflicht zur Vorkaufsrechtsausübung. Die Beklagte müsse jeweils eine Einzelfallentscheidung mit entsprechender Ermessensausübung treffen. Sie habe seit Erlass der Vorkaufssatzung für einige im Geltungsbereich liegende Bereiche Bebauungspläne beschlossen oder geändert, um dem Ziel der Innenraumnachverdichtung für Wohnbebauung zum Durchbruch zu verhelfen. Städtebauliche Zielsetzung bei Erlass der Vorkaufssatzung sowie der Vorkaufsrechtsausübung sei es gewesen, geeignete Flächen für den Wohnungsbau zu aktivieren und dabei insbesondere gezielt altersgerechte Wohnformen zu entwickeln. Diese seien städtebaulich im Ortszentrum deutlich sinnvoller angesiedelt als auf potentiellen Wohnbauflächen am Ortsrand. 2018 sei in Vorbereitung der städtebaulichen Maßnahmen eine Eigentümerumfrage durchgeführt worden. Zudem seien im Satzungsgebiet wiederholt Maßnahmen von Eigentümern durch ein kommunales Förderprogramm, welches die Zielsetzung der Belebung vorhandener Bau- und Flächensubstanz in den Ortskernen verfolge, gefördert worden.
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Der Kläger ließ hierzu unter dem 13. und 31. März 2023 ausführen, dass die Hofstelle auf dem Grundstück Fl.Nr. ... als Unterstell- und Lagermöglichkeiten für seinen landwirtschaftlichen Betrieb genutzt werden könne. Die innerörtliche Weiterentwicklung erweise sich als sinnvoll für den klägerischen Betrieb. Diese betrieblichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten seien nicht berücksichtigt worden und der Bescheid daher ermessensfehlerhaft. Eine rückwirkende Bekanntmachung der Satzung ohne erneutes Satzungsverfahren dürfte ohnehin rechtlich kaum möglich sein. Es sei schon deswegen die Stellung eines Normenkontrollantrags beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof beabsichtigt.
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Die Beklagte erwiderte mit Schriftsätzen vom 23. März und 5. April 2023, dass der Kläger seine Absichten bezüglich seines Betriebs zum Zeitpunkt der Vorkaufsrechtsausübung nicht vorgetragen habe. Diese hätten somit im Rahmen der Ermessensausübung nicht berücksichtigt werden können. Die Satzung sei in Anwendung von § 214 Abs. 4 BauGB geheilt und rückwirkend in Kraft gesetzt worden.
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Der Kläger entgegnete dem unter dem 25. April 2023, dass die betrieblichen Planungen bei der erneuten Beschlussfassung der Vorkaufssatzung bekannt gewesen seien und deswegen im Rahmen eines Ergänzungsverfahrens dezidiert hätten behandelt werden müssen. Ohne dessen Durchführung erweise sich die Vorkaufssatzung als abwägungsfehlerhaft.
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Auf Anfrage des Gerichts teilte die Beklagte am 16./17. Mai 2023 mit, dass weitere konkrete Maßnahmen, als im angefochtenen Bescheid dargetan, 2008 nicht getroffen worden seien. Das verfahrensgegenständliche Grundstück sei damals aufgenommen worden, weil hier bereits 2008 ein städtebaulicher Bedarf erkennbar gewesen sei und die Lage im Ortskern angrenzend an die recht große Freifläche großes Entwicklungspotential habe erkennen lassen. Die Satzung sei formell wirksam. Der formelle Fehler der Beschlussfassung sei wirksam in Anwendung von § 214 Abs. 4 BauGB geheilt. Das Heilungsverfahren habe ausschließlich diesen formellen Fehler betroffen. Eine Heilung materieller Fehler mit Rückwirkung sei weder beabsichtigt noch erfolgt. Deswegen sei auch keine erneute Abwägungsentscheidung erforderlich. Im Übrigen setze der Erlass einer Vorkaufssatzung keine Abwägung in der Tiefe voraus, wie es eine Bauleitplanung erfordere. Die Vorkaufssatzung habe allein den Inhalt, dass die Gemeinde einen städtebaulichen Bedarf für das Satzungsgebiet erkannt habe und daher städtebauliche Maßnahmen, welche noch jeweils zu konkretisieren und durchzuführen seien, in diesem Gebiet vorhabe, um eben diesem Bedarf nachzukommen. Dies könnten im Anschluss daran Bauleitplanverfahren oder auch andere städtebauliche Maßnahmen sein. Mit der Vorkaufssatzung selbst werde aber nichts weiter geregelt, als dass städtebauliche Maßnahmen durchgeführt werden sollten. Eine Abwägung der zukünftigen konkreten Maßnahmen könne hier noch gar nicht erfolgen. Insofern spielten für den Erlass der Vorkaufssatzung die Pläne der Eigentümer bezüglich der Nutzung keine Rolle. Materiell werde für die Satzung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nur vorausgesetzt, dass die Gemeinde für den Geltungsbereich städtebauliche Maßnahmen in Betracht ziehe. Dies sei sowohl zum Zeitpunkt des Satzungserlasses als auch bei Ausübung des Vorkaufsrechts der Fall gewesen. Zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts habe die Beklagte ihre Zielvorstellungen für den Bereich auf eine Wohnnutzung mit betreutem oder sonst gezielt altersgerechtem Wohnen konkretisiert. Hierzu läge ein Aufstellungsbeschluss vor. Das Verfahren habe sich zu diesem Zeitpunkt noch im Anfangsstadium befunden. Konkrete Pläne, insbesondere der Nutzungsverteilung im Gebiet, seien noch nicht vorgelegen. Im Hinblick auf die Eigentümerinteressen sei zu diesem Zeitpunkt keinesfalls davon auszugehen gewesen, dass sich die Planung als nicht umsetzbar erweise. Der Kläger habe nur erklärt, die Flächen im Zusammenhang mit seinem Betrieb zu nutzen, darüber hinaus aber keine konkreten Absichten dargestellt. Es habe zu diesem Zeitpunkt aus Sicht der Beklagten die realistische Aussicht darauf bestanden, eine Planung in Harmonisierung beider Interessen erreichen zu können. Aufgrund des Klärungsbedarfs bezüglich der Eigentumsverhältnisse am verfahrensgegenständlichen Grundstück sei die Planung aktuell noch nicht weiter vorangeschritten. Vor den außergerichtlichen Verhandlungen habe der Kläger stets nur vage erklärt, dass er das verfahrensgegenständliche Grundstück landwirtschaftlich zu nutzen gedenke; so auch im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Ausübung des Vorkaufsrechts. Der Kläger habe sich zu diesem, für die hiesige Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt nicht konkret geäußert, was er mit dem Grundstück vorhabe. Konkrete Betriebserweiterungsabsichten hätten also nicht in die Ermessensentscheidung eingestellt werden können. Die erst spätere Konkretisierung des beabsichtigten Betriebs wirke sich auf die Ermessensentscheidung nicht aus. Ebenso wenig sei entscheidungserheblich, welchen Stand die Bauleitplanung inzwischen erreicht habe.
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Am 25. Mai 2023 erklärten die Beklagte und am 26. Mai bzw. 1. Juni 2023 der Kläger den Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Am 31. Mai 2023 teilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dem Gericht mit, dass der Kläger am 19. Mai 2023 einen Normenkontrollantrag gegen die rückwirkend zum 10. Mai 2008 in Kraft gesetzte Vorkaufssatzung vom 21. April 2023 erhoben hat (Az. 2 N 23.930).
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Nach Anhörung der Beteiligten zur Aussetzung nach § 94 VwGO teilte der Kläger am 7. Juli 2023 mit, dass er beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am selben Tag den Normenkontrollantrag zurückgenommen hat und bekräftigte seinen Verzicht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Die Beklagte erklärte am 10. Juli 2023, dass ihre Verzichtserklärung weiterhin gelte.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte aufgrund des Einverständnisses der Parteien ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Verfahrensgegenständlich ist die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 12. Februar 2021, mit dem diese gegenüber dem Kläger das Vorkaufsrecht ausgeübt hat. Der Verfahrensgegenstand ergibt sich hier trotz fehlender ausdrücklicher Antragstellung anhand des klägerischen Vorbringens, welches eindeutig auf Aufhebung des Bescheids vom 12. Februar 2021 im Wege der Anfechtung (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) gerichtet ist (vgl. § 88 VwGO).
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Die so ausgelegte Klage ist zulässig und begründet, denn der Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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I. Die Beklagte hat die Ausübung des Vorkaufsrechts im vorliegenden Fall auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. der von ihr erlassenen Vorkaufssatzung vom 23. April 2008 gestützt.
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Der angefochtene Bescheid findet indes keine wirksame Rechtsgrundlage in der Vorkaufssatzung der Beklagten. Zwar spricht viel dafür, dass die Vorkaufssatzung in formeller Hinsicht keinen durchgreifenden Bedenken begegnet (1.), jedoch erweist sie sich als materiell nicht rechtsgültig (2.).
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1. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass die am 23. April 2008 beschlossene Vorkaufssatzung der Beklagten in nichtöffentlicher Sitzung und damit unter Verstoß gegen Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO erlassen wurde. Diese Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes stellt nach herrschender Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung einen Verstoß gegen tragende Verfahrensprinzipien der Kommunalverfassung dar, der die Ungültigkeit des Satzungsbeschlusses und damit die Nichtigkeit der Satzung zur Folge hat (BayVGH, U.v. 26.1.2009 – 2 N 08.124 – juris Ls und Rn. 8; B.v. 29.2.2018 – 20 CS 17.1824 – juris Rn. 18; U.v. 3.12.2020 – 2 N 18.1181 – juris Rn. 26; offengelassen BayVGH, B.v. 20.4.2015 – 4 CS 15.483 – juris Rn. 13; BayVerfGH, E.v. 18.2.2016 – Vf. 5-VII-14 – juris Rn. 36; zum Meinungsstand ausführlich: Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, Dietlein/Suerbau, Stand: 1.5.2023, Art. 52 Rn. 32). Allerdings bewirkt das rückwirkende Inkraftsetzen der Vorkaufssatzung gemäß § 214 Abs. 4 BauGB mit Beschluss des Gemeinderats der Beklagten vom 18. Januar 2023, dass zuvor ergangene Verwaltungsentscheidungen hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit nunmehr so zu beurteilen sind, als ob die Satzung bereits zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens wirksam geworden wäre (BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 B 13.2570 – juris Rn. 14 m.w.N.; Uechtritz, BeckOK BauGB, Spannovsky/Uechtritz, Stand: 1.3.2023, § 214 Rn. 147 m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Klagepartei unterliegt das rückwirkende Inkraftsetzen keinen absoluten zeitlichen Grenzen. Auch wenn der geheilte Fehler bereits lange zurückliegt, ist ein rückwirkendes Inkraftsetzen zulässig (BVerwG, B.v. 10.8.2000 – 4 CN 2.99 – juris Rn. 24). Eine ungültige Norm darf rückwirkend durch eine gültige Norm ersetzt werden, weil das Vertrauen der Betroffenen in das Fortbestehen der Ungültigkeit einer Norm nicht schutzwürdig ist (BVerfG, B.v. 15.11.1967 – 2 BvL 7/64 u.a. – juris Rn. 61). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, stellt sich die rückwirkende Anordnung des Inkrafttretens eines Bebauungsplans bzw. einer Satzung nach Heilung von Form- oder Verfahrensfehlern nicht als eine materielle Planänderung dar, für die eine Öffentlichkeitsbeteiligung geboten wäre (BVerwG, B.v. 18.1.2011 – 4 B 2.11 – juris Rn 6). Auch ist ein erneut in Kraft gesetzter Bebauungsplan bzw. hier eine erneut in Kraft gesetzte Vorkaufssatzung nicht allein deshalb nichtig, weil die Gemeinde trotz nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage keine erneute Abwägungsentscheidung getroffen hat. Nur in Ausnahmefällen, wenn das ursprünglich fehlerfreie Abwägungsergebnis unhaltbar geworden ist, oder bei Funktionslosigkeit des Plans scheidet eine Fehlerbehebung aus (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2008 – 4 BN 5.08 – juris Rn. 5 m.w.N.). Für die Annahme einer derartigen Funktionslosigkeit oder Unvertretbarkeit, dass wegen grundlegender Änderung der Sach- oder Rechtslage für die ursprüngliche Abwägungsentscheidung sozusagen „die Geschäftsgrundlage weggefallen“ ist (vgl. OVG RhPf, U.v. 29.11.2012 – 1 A 10543/12 – juris Ls und Rn. 29), fehlt es vorliegend an greifbaren Anhaltspunkten. Solche sind vom Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen worden. Vielmehr ergibt sich nach Aktenlage sowie unter Berücksichtigung des Beklagtenvortrags, dass die Grundsituation bei den vom Geltungsbereich der Vorkaufssatzung erfassten Grundstücken im Ortskern weitgehend unverändert ist.
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Das ergänzende Verfahren wurde auch ordnungsgemäß durchgeführt, da der Mangel – hier: Gemeinderatsbeschluss in nichtöffentlicher Sitzung – durch fehlerfreie Wiederholung – hier: Beschluss in öffentlicher Sitzung – geheilt wurde und die sich anschließenden Verfahrensschritte (Ausfertigung und Bekanntmachung) nochmals durchgeführt wurden (vgl. BVerwG, B.v. 7.11.1997 – 4 NB 48.95 – juris Rn. 17 ff.). Ein neuer Satzungsbeschluss ist regelmäßig erforderlich, wenn der vorliegende (gem. § 214 Abs. 4 BauGB zu heilende) Fehler die Rechtswidrigkeit des Satzungsbeschlusses zur Folge hat. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei den zu heilenden Fehlern „nur“ um einen Formfehler handelt (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2010 – 4 BN 42.09 – juris Rn. 8; NdsOVG, U.v. 14.7.2021 – 1 KN 9/20 – juris Rn. 19).
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2. Allerdings ist die Vorkaufssatzung nicht durch die Ermächtigungsgrundlage des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB gedeckt.
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Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht.
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Der Tatbestand dieser Satzungsermächtigung enthält zwei begrenzende, inhaltlich im Zusammenhang stehende Merkmale (vgl. BVerwG, B.v. 15.2.2000 – 4 B 10.00 – juris Rn. 7): Im maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (vgl. BayVGH, U.v. 5.7.2011 – 1 N 08.1692 – juris Rn. 20, 21) muss die Gemeinde eine städtebauliche Maßnahme in Betracht gezogen haben. Die satzungsmäßige Begründung des Vorkaufsrechts muss ferner „zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung“ ergangen sein (BayVGH, U.v. 17.8.2018 – 15 N 17.698 – juris Rn. 17).
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a) Ein nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB begründetes besonderes Vorkaufsrecht stellt ein Instrument des vorsorgenden Grunderwerbs dar. Die Gemeinde soll bereits im Frühstadium der Vorbereitung einer städtebaulichen Maßnahme Grundstücke, die zum Verkauf stehen, auch gegen den Willen der jeweiligen Kaufvertragsparteien erwerben können. Dies dient dem Ziel, eine anvisierte städtebauliche Maßnahme später leichter durchführen zu können. Die Regelung stellt an den Erlass einer Vorkaufssatzung daher grundsätzlich eher geringe Anforderungen (BVerwG, B.v. 14.4.1994 – 4 B 70.94 – juris Rn. 5; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 25 Rn. 12). Der Begriff der städtebaulichen Maßnahme ist vom Gesetzgeber bewusst weit gefasst worden (BVerwG, B.v. 26.1.2010 – 4 B 43.09 – juris Rn. 9; Spieß in Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 9. Aufl. 2018, § 25 BauGB Rn. 6). Als städtebauliche Maßnahme sind daher zunächst alle Maßnahmen / Schritte eines Vorhabens anzuerkennen, die einen städtebaulichen Bezug aufweisen und der Gemeinde dazu dienen, ihre Planungsvorstellungen zu verwirklichen (BVerwG, B.v. 14.4.1994 – 4 B 70.94 – juris Rn. 5; B.v. 8.9.2009 – 4 BN 38.09 – juris Rn. 4; B.v. 15.2.2000 – 4 B 10.00 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 17.8.2018 – 15 N 17.698 – juris Rn. 18; U.v. 5.7.2011 – 1 N 08.1692 – juris Rn. 21; HessVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 A 2586/16 – juris Rn. 66). Eine solche, durch die Vorkaufssatzung zu sichernde städtebauliche Maßnahme wird aber erst i.S. von § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB „in Betracht gezogen“, wenn ernsthafte Anhaltspunkte für die Absicht der Gemeinde vorhanden sind, dass sie bestimmte städtebauliche Maßnahmen ergreifen wird (HessVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 A 2586/16 – juris Rn. 68). Da über § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB einerseits der Gemeinde ermöglicht werden soll, durch eine an städtebaulichen Interessen orientierte Bodenvorratspolitik schon frühzeitig eine langfristig geordnete Planung und Entwicklung zu sichern, andererseits aber dieser kein Instrument an die Hand gegeben werden soll, um Grundstücke zu erwerben, die zur Umsetzung der von ihr betriebenen Bauleitplanung ersichtlich nicht benötigt werden (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.4.2011 – OVG 2 A 17.09 – juris Rn. 5), ist zur Erfüllung des Tatbestands der Ermächtigungsnorm ein Minimum an Konkretisierung der Planung ausreichend, aber auch erforderlich (vgl. BayVGH, U.v. 5.7.2011 – 1 N 08.1692 – juris Rn. 20 ff.; OVG NW, U.v. 28.7.1997 – 10a D 31/97.NE – juris Rn. 15; U.v. 19.4.2010 – 7 A 1041/08 -juris Rn. 82). Die gebietsbezogenen Planungsziele müssen hierfür objektiv in groben Umrissen sichtbar sein. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB verlangt nicht in jedem Fall eine substantiierte, in die Einzelheiten gehende Ziel- und Zeitvorstellung über die beabsichtigte Entwicklung des Gebiets (unter Hinweis auf § 25 Abs. 2 Satz 2 BauGB vgl. Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 25 Rn. 6). Die Gemeinde muss lediglich hinreichend zum Ausdruck gebracht haben, welche städtebaulichen Maßnahmen zur Lösung eines bestehenden Konflikts in Betracht kommen. Die Ermächtigungsnorm des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB ist aber nicht erfüllt, solange die Gemeinde städtebauliche Maßnahmen nur unverbindlich erwägt. Die Absicht der Gemeinde zur Durchführung einer städtebaulichen Maßnahme muss im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses zumindest soweit verdichtet gewesen sein, dass bei vernünftiger Betrachtung die Einleitung des Grunderwerbs zur Sicherung der für die Entwicklung benötigten Flächen sinnvoll erschien (zum Ganzen: BayVGH, U.v. 17.8.2018 – 15 N 17.698 – juris Rn. 18; HessVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 A 2586/16 – juris Rn. 68).
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Das Gesetz lässt offen, woraus die Entwicklungsabsicht der Gemeinde erkennbar werden muss (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 25 Rn. 7). Die objektiven Planungsziele und die konkrete Planungsabsicht können sich z.B. aus im Flächennutzungsplan oder in einem Bebauungsplanaufstellungsbeschluss niedergelegten gemeindlichen Entwicklungszielen ergeben. Die Planungsvorstellungen müssen aber nicht notwendig in einem förmlichen Verfahren entwickelt worden sein. Es kommen alle Arten städtebaulicher Planungen unabhängig von ihrer Rechtsqualität in Betracht und somit auch informelle Planungen. Dazu gehören etwa Rahmenplanungen (vgl. § 140 Nr. 4 BauGB), Entwicklungsplanungen und -konzepte sowie alle sonstigen von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Planungen im Sinn von § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB (vgl. BT-Drs. 10/4630, S. 83; BayVGH, B.v. 24.2.2010 – 1 ZB 08.3231 – juris Rn. 29; OVG NW, U.v. 19.4.2010 – 7 A 1041/08 – juris Rn. 84). Wie konkret die in Betracht zu ziehenden städtebaulichen Maßnahmen bezeichnet werden müssen, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab (BVerwG, B.v. 8.9.2009 – 4 BN 38.09 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 24.2.2010 – 1 ZB 08.3231 – juris Rn. 31; B.v. 6.4.2011 – 15 ZB 09.2047 – juris Rn. 16). Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB müssen allerdings auch und gerade für das festgesetzte Satzungsgebiet erfüllt sein, d.h. die planende Gemeinde muss städtebauliche Maßnahmen gerade auch bezogen auf das gesamte betroffene Planungsgebiet konkret in Betracht gezogen haben (BayVGH, B.v. 6.4.2011 – 15 ZB 09.2047 – juris Rn. 12).
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Gemessen hieran bestanden zum maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2010 – 1 ZB 08.3231 – juris Rn. 28; U.v. 5.7.2011 – 1 N 08.1692 – juris Rn. 20, 21) keine hinreichend konkret von der Beklagten in Betracht gezogenen, durch eine Vorkaufssatzung sicherbaren städtebaulichen Maßnahmen. Den Vorstellungen der Beklagten bei Beschlussfassung fehlt es am erforderlichen Konkretisierungsgrad. Denn ausweislich des Auszugs aus dem Sitzungsbuch des Gemeinderats vom 23. April 2008 zur Beratung und Beschluss der Vorkaufssatzung soll, um in der Gemeinde in den Ortsteilen ... und ... einem Verfall der Werterhaltung der ortsüblichen Bauweise vorzubeugen und in besonderem das Ortsbild zu erhalten, sowie den Bedarf gemeindlicher Vorhaben innerorts Entwicklungsmöglichkeiten einzuräumen, zur Ausübung des Vorkaufsrechts eine Satzung erstellt werden. Damit sind die Vorstellungen über die weitere Entwicklung des Gebiets noch völlig offengelassen. Die Angaben zur Beschlussfassung bleiben vollkommen vage und lassen ungefähre eigene Planungsvorstellungen der Gemeinde nicht einmal ansatzweise erkennen. Zu den zuzulassenden Nutzungen sind Überlegungen des Gemeinderates der Beklagten nicht festzustellen. Die nach dem Beklagtenvorbringen im Bescheid bzw. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren angestrebte Wohnnutzung insbesondere für altersgerechte Wohnformen findet in der Beschlussvorlage keine Erwähnung. Laut Flächennutzungsplan von 1996, zuletzt geändert 2006, ist im fraglichen Bereich ein Dorfgebiet dargestellt. Die Beklagte räumte insofern im Schriftsatz vom 16. Mai 2023 selbst ein, dass über die im Beschlussbuch wiedergegebenen Überlegungen weitere konkrete Maßnahmen 2008 nicht getroffen worden seien. Hinreichend konkrete und ernsthafte Planungsvorstellungen lagen damit zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor; ob und ggf. welche städtebaulichen Maßnahmen beklagtenseits in Betracht gezogen worden waren, war völlig offen (vgl. BayVGH, U.v. 30.9.2019 – 1 N 16.1269 – juris Rn. 18 ff.). Zudem erscheint fraglich, ob die Gemeinde eine ungefähre Vorstellung entwickelt hat, in welchem Umfang sie voraussichtlich Flächen für die gewünschte städtebauliche Maßnahme benötigen wird. So soll laut Beschlussprotokoll der Gemeinde die Möglichkeit eingeräumt werden, weitere Grundstücke „nach eigenem Ermessen“ zur Erweiterung „einzufügen“.
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b) Nach alldem ist die Satzung nicht von der Ermächtigungsnorm des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB gedeckt; dieser Mangel führt grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Satzung, weil ein Mangel in der Anwendung der Rechtsgrundlage keinen in § 214 BauGB aufgeführten möglichen Fall der Unbeachtlichkeit darstellt (vgl. OVG RhPf, U.v. 17.6.2021 – 8 A 11565/20 – juris Rn. 71; BayVGH, U.v. 17.9.2018 – 15 N 17.698 – juris Rn. 31 m.w.N.).
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c) Danach kommt es auf die weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nicht mehr an, wonach die Satzung objektiv geeignet sein muss, zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung beizutragen, und zwar auch und gerade im Hinblick auf die räumliche Ausdehnung der Satzung (sog. Sicherungsbedürfnis, vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 25 Rn. 5; zur Differenzierung zwischen diesen Tatbestandsmerkmalen sowie zur räumlichen Ausdehnung als Bezugspunkt vgl. auch BVerwG, B.v. 30.9.2020 – 4 BN 38.09 – juris Rn. 5 m.w.N.).
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II. Die Ausübung des Vorkaufsrechts kann vorliegend auch nicht auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden. Kommen verschiedene Vorkaufsrechte in einem Fall gleichzeitig in Betracht, ist die Konkurrenz grundsätzlich danach aufzulösen, welches Vorkaufsrecht die Gemeinde tatsächlich ausüben wollte. Es steht im Ermessen der Gemeinde, welches Vorkaufsrecht sie ausübt. Dafür kommt es vorrangig auf den mit dem Vorkauf verfolgten Zweck an, der sich regelmäßig aus der Begründung des Bescheids ergibt (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 24 Rn. 45 und § 25 Rn. 37 ff.; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 24 Rn. 27 f.). Wird in dem Bescheid die Rechtsgrundlage angegeben, so muss sich die Gemeinde grundsätzlich hieran festhalten lassen (str. Grziwotz in BeckOK, BauGB, Spannowsky/Uechtritz, Stand: 1.3.2023, § 24 Rn. 32). Nachdem die Beklagte ihr Vorkaufsrecht laut Begründung im Bescheid allein auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB stützt, kommt die Heranziehung einer anderen Rechtsgrundlage schon deswegen grundsätzlich nicht in Betracht. Überdies würde bspw. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BauGB auch tatbestandlich ausscheiden, denn nach dieser Vorschrift steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht in Gebieten zu, die vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut werden können. Ausgeübt werden kann das Vorkaufsrecht an unbebauten Grundstücken. Das streitbefangene Grundstück ist aber bebaut. Zudem findet die Vorschrift im Außenbereich – insoweit die Gebietseinstufung der Beklagten zugrunde gelegt – bzw. im Dorfgebiet keine Anwendung (vgl. Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 24 Rn. 14).
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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IV. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ff. ZPO.