Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 11.05.2023 – B 9 K 22.59
Titel:

Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung für das Fällen eines Baumes

Normenketten:
BNatSchG § 29 Abs. 1 S. 2
BayNatSchG Art. 51 Abs. 1 Nr. 5 lit. a, Abs. 2 S. 1
BaumSchVO § 1 Abs. 1, Abs. 2, § 2 Abs. 1, Abs. 3, § 4 Abs. 2 lit. b
GG Art. 14 Abs. 2
Leitsätze:
1. Geschützte Bäume geschützten Bäume dürfen grundsätzlich nicht entfernt, beschädigt, nachhaltig verändert oder sonst in ihrer Funktion zur Belebung, Gliederung oder Pflege des Orts- oder Landschaftsbildes beeinträchtigt werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung für die Fällung eines geschützten Baumes kann bestehen, wenn von dem Baum Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgehen und die Gefahren nicht auf andere Weise mit zumutbarem Aufwand beseitigt werden können. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. In jedem Einzelfall ist das private Interesse an der Erteilung einer ausnahmsweisen Genehmigung der Fällung und das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Baumes abzuwägen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch auf Erteilung einer Fällgenehmigung, Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert, Gefahr nicht auf andere Weise mit zumutbarem Aufwand zu beseitigen, Baumschutzverordnung, Dachschäden, Gefahr für Sachen, Zumutbarkeit, Nachbarn, Ausnahmegenehmigung, Technik, Verkehrssicherheit, Baumfällung, Verbot, Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21654

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Dezember 2021 verpflichtet, dem Kläger eine Ausnahmegenehmigung nach § 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung zum Schutz des Bestands an Bäumen in der Stadt … (Baumschutzverordnung – BaumSchVO) zur Fällung der auf dem Grundstück des Klägers FlNr. aaaa/a der Gemarkung … befindlichen Zeder zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Fällung einer Zeder.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. aaaa/a der Gemarkung … Auf diesem Grundstück befindet sich etwa mittig im östlichen Teil, an der Grenze zum Grundstück FlNr. aaaa/b Gemarkung … eine Zeder. Das Grundstück FlNr. aaaa/b Gemarkung … steht im Eigentum des Herrn U. und ist mit einem Wohnhaus bebaut, dessen Dach mit Tondachziegeln gedeckt ist.
3
Unter dem 30. Oktober 2021 stellte der Kläger bei der Beklagten schriftlich einen „Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) zur Fällung geschützter Bäume“. Zur Begründung trug er vor, von der Zeder gingen Gefahren für das Dach des Nachbarn von bedeutendem Wert aus. Erheblicher Nadel-, Zapfen- und Samenflug führten bereits zu Undichtigkeiten am Dach des Nachbarn. Diese Schäden könnten mit vertretbarem Aufwand nicht dauerhaft beseitigt werden. Dem Antrag beigefügt waren diverse Lichtbilder, die das Dach des Nachbarn und die streitgegenständliche Zeder zeigen, sowie eine Stellungnahme des Dachdeckermeisters G. vom 27. Oktober 2021. Demnach sei die Dachsanierung am Wohnhaus des Herrn U. im Jahre 2013 nach dem damaligen und heute noch gültigen Stand der Technik mit einer Eindeckung aus Tondachziegeln erfolgt. Die Eindeckung sei gemäß den Richtlinien als regensicher zu bezeichnen – das verlegte Unterdach aus Schalungs- bzw. Unterspannbahn könne bzw. solle ggfs. Flugschnee bzw. Regenwasser nach Starkregen Richtung Traufe transportieren und vermeiden, dass Wasser ins Gebäudeinnere gelangen könne. Für eine Dauerbelastung sei ein „regensicheres“ Unterdach nicht ausgelegt – hierfür sehe die Fachregel ein „wasserdichtes“ Unterdach vor, welches aber in diesem Fall nicht notwendig gewesen sei. Herr U. habe in den vergangenen zwei bis drei Jahren diverse Tropf- bzw. Regenstellen an seinem Dach zur Reklamation angemeldet. Diese seien aus Kulanz immer bearbeitet und diverse Reinigungen am Dach vorgenommen worden. Nachdem er selbst im Juni 2021 die erneute Reklamation angeschaut habe, müsse er Herrn U. leider mitteilen, dass weitere Regenstellen nicht auf Kulanz im Rahmen der Gewährleistung abgearbeitet werden könnten. Der Grund dafür sei die überaus starke Verschmutzung der Dachfläche durch herabfallende Nadeln des in der Nähe stehenden Baumes. Die Anhaftungen bzw. massiven Ablagerungen bewirkten im Überdeckungsbereich der Dachziegel eine Verstopfung der wasserführenden Verfalzung. Diese führe dann dazu, dass Niederschlagswasser in großer Menge unter die Ziegel und dann ins Gebäude gelangen könne. Für eine derartige Belastung sei eine Ziegeldeckung mit Unterdach nicht ausgelegt, da auch die Bahnen nur eine bedingte Wasserdichtigkeit hätten. Weiterhin könne es auf Dauer unter Umständen zu Frostschäden an den Ziegeln kommen. Um zukünftig weiteren Problemen sowie größeren Schäden aus dem Weg zu gehen, sollte geprüft werden, ob der Baum nicht entfernt werden dürfe. Das Wachstum des Baumes lasse die Menge der Nadeln nicht weniger werden.
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Am 19. November 2021 wurde die streitgegenständliche Zeder durch einen Mitarbeiter der unteren Naturschutzbehörde der Beklagten besichtigt. Dessen fachlicher Beurteilung zufolge ist die Zeder gesund, vital und verkehrssicher.
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Mit Bescheid vom 23. Dezember 2021 lehnte die Beklagte den Antrag zur Entfernung der Zeder ab. In den Gründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Ablehnung des Antrags stütze sich auf § 4 Abs. 1 Buchst. a BaumSchVO. Da es sich bei dem Baum, dessen Fällung der Kläger beantragt habe, um einen geschützten Baum nach § 2 Abs. 1 BaumSchVO handele, sei es grundsätzlich verboten, diesen zu entfernen oder zu beschädigen, nachhaltig zu verändern oder sonst in seiner Funktion zur Belebung, Gliederung oder Pflege des Orts- oder Landschaftsbildes zu beeinträchtigen (§ 3 Abs. 1 BaumSchVO). Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten (Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – BayVwVfG). Im vorliegenden Fall werde keine Ausnahme nach § 4 Abs. 1 Buchst. a BaumSchVO erteilt, denn die Zeder zeige sich gesund, vital und verkehrssicher. Eine Fällung der Zeder aufgrund der aufgeführten Schäden am Dach des Nachbargebäudes sei nicht vertretbar, da sich die Gefährdung des Daches mit milderen Mitteln, etwa der regelmäßigen Reinigung, reduzieren lasse. Die Abwägung und Gewichtung der einzelnen Interessen habe ergeben, dass die Erteilung der Ausnahmegenehmigung unverhältnismäßig sei, da der Erhaltung besonders geschützter Bäume gerade im Hinblick auf § 3 Abs. 1 BaumSchVO eine besondere Bedeutung zukomme. Die privaten Interessen des Klägers könnten im vorliegenden Fall das Interesse des Naturschutzes und des Baumschutzes am Erhalt der Bäume im Hinblick auf Art, Größe und Vitalität nicht überwiegen. Der Bescheid wurde dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 29. Dezember 2021 zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 21. Januar 2022, erhob der Kläger Klage und beantragte zuletzt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Dezember 2021 zu verpflichten, dem Kläger eine Ausnahmegenehmigung zur Fällung der auf seinem Grundstück befindlichen Zeder zu erteilen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Aussage des Grünflächenamtes der Beklagten, dass sich die Gefährdung des Daches mit milderen Mitteln, wie etwa regelmäßiger Reinigung, deutlich reduzieren lasse, sei nicht umsetzbar. Vielmehr sei es so, dass der Baum seit zwei Jahren erheblich Nadeln verliere und zwar nach jedem Windstoß und bei Regenböen – vom Sonderthema Samenflug im Frühjahr und Zapfen im Herbst gar nicht zu sprechen. Inzwischen verstopften auch die innen liegenden Wasserablaufrinnen der Ziegel so, dass der akut betroffene Teil des Daches (ca. 40 m²) bei einer Grundreinigung aufgedeckt werden müsste. Weiter müssten die Ziegel einzeln komplett gereinigt und das Dach anschließend neu eingedeckt werden. Die Kostenschätzung dafür belaufe sich auf ca. 2.000 Euro (zwei Dachdecker, zwei Tage). Diese Kosten und Folgekosten würde der Nachbar U. dem Kläger in Rechnung stellen. Es gebe keinen Hinweis des Grünflächenamtes, wie die Sache weitergehen solle. Es wäre unverhältnismäßig und nicht praktikabel, wenn Herr U. nach jedem Nadelfall das Dach reinigen lassen müsse. Die vorgelegte Stellungnahme des Dachdeckers G. erkläre anschaulich, welche Gefahr für das Wohnhaus von Herrn U. ausgehe. Da auch noch Samen und Harzanteile dazukämen, verklebe alles und es bilde sich eine Verstopfung auf den Ziegeln in der wasserführenden Ablaufrinne. Dies könne auch mit regelmäßiger Reinigung nicht verhindert werden, sei völlig unkontrollierbar und führe dann zu Wassereintritt in das Haus. Die Nadeln seien auch auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses zu finden. Es sei damit bewiesen, dass inzwischen auch das Dach auf der anderen Hausseite betroffen sei. Hier sei eine „einfache“ Reinigung nicht möglich, weil sich das Dach in ca. sechs bis acht Metern Höhe befinde und deshalb zusätzlich ein Gerüst bzw. Arbeitsschutz erforderlich wäre, was den Aufwand deutlich erhöhen würde. Da der Baum weiterwachse, werde sich das Problem kurz- bzw. mittelfristig auf das ganze Dach (ca. 350 m²) ausweiten. In diesem Zusammenhang greife § 4 Abs. 2 Buchst. b BaumSchVO. Soweit der Kläger informiert sei, habe der Nachbar in den letzten Jahren mehrere Dachprüfungen durchführen lassen, bei denen auch Verschmutzungen beseitigt worden seien.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 21. Februar 2022,
die Klage abzuweisen.
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Die streitgegenständliche Zeder zeige keine Einschränkungen der Verkehrssicherheit und halte zum Nachbargrundstück einen Abstand von mehr als zwei Metern ein. Außerdem gebe es keinen Überhang von Ästen direkt über dem Gebäude oder dem Nachbargrundstück, welcher die Nutzbarkeit des Grundstücks einschränken würde. Der vorgetragene Nadel-, Samen- und Fruchtfall gehöre zu den sog. typischen Baumimmissionen, die für sich betrachtet die Zulassung einer Baumfällung nicht rechtfertigten, weil etwaigen Gefährdungen insoweit durch eine sachgerechte Baumpflege oder eine regelmäßige Reinigung der betroffenen Dachflächen vorgebeugt werden könne. Insbesondere sei vorliegend auch kein milderes Mittel als eine regelmäßige Reinigung der betroffenen Dachflächen erkennbar. Ein Rückschnitt der Zeder zur Reduktion des Nadeleintrages sei fachlich nicht möglich, da in diesem Falle am Ende kein Baum mehr verbleiben würde. Die Zeder sei nicht ausschlagsfähig, d.h. wenn Äste stark eingekürzt oder gekappt würden, sprössen keine neuen Nadeln mehr und der Ast sterbe ab. Der Baum verliere zuerst seinen natürlichen Habitus und später seine Verkehrssicherheit. Dass entsprechende Reinigungsmaßnahmen dem Kläger bzw. dem Nachbarn wegen des Zustandes des Baumes generell nicht mehr zumutbar wären, sei nicht ersichtlich, da eine Zeder grundsätzlich nicht mehr Nadeln verliere als andere Nadelbäume. Auch die Stellungnahme des Dachdeckermeisters G. vom 27. Oktober 2021 vermöge hieran nichts zu ändern. Vielmehr werde hierdurch eher die Frage aufgeworfen, ob die Art der Dacheindeckung bei der vorhandenen Dachform die geeignete sei. Auf dem Dach des Klägers, direkt unter der Zeder, seien nämlich keine Schäden durch Nadeleintrag zu erkennen.
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In der Replik vom 10. März 2022 führte der Kläger aus, die Zeder stehe zwar etwas mehr als zwei Meter zur Grenze entfernt, es gebe aber sehr wohl Überhang und zwar ab ca. sechs Metern Höhe. Bis auf zehn Meter ansteigend ragten diverse Äste mindestens drei Meter in das Grundstück seines Nachbarn hinein. Der Kläger müsse damit rechnen, dass der Nachbar ihn auf Entfernung verklagen werde. Die Zeder verliere nachweislich erst seit ca. zwei Jahren so extrem Nadeln. Der Nachbar habe entsprechende Bilder vom 24. Mai 2019, die zeigten, dass zu diesem Zeitpunkt keine einzige Nadel auf dem Dach gelegen habe. Außerdem verliere der Baum erheblich mehr Nadeln als üblich und das auch im Vergleich zu zwei anderen Nadelbäumen ähnlicher Größe auf dem Grundstück. In der Baumschutzverordnung sei klar geregelt, wann eine Ausnahme zu erteilen sei. Es stehe dort nirgends, dass Nadel-, Samen- und Fruchtfall hinzunehmen seien, zumindest dann nicht, wenn davon erhebliche Beeinträchtigungen ausgingen. Vom streitgegenständlichen Baum gingen Gefahren für Personen und Sachen von bedeutendem Wert aus und die Gefahren könnten nicht auf andere Weise mit zumutbarem Aufwand beseitigt werden. Wenn den Angaben des Dachdeckers G. kein Glauben geschenkt und dessen Kompetenz angezweifelt werde, könnte die Sache von anderer Stelle nochmals geprüft werden. Das Haus seines Nachbarn hätte schon immer Tonziegel gehabt, also auch vor der Dachsanierung 2013. Das Haus des Klägers hingegen habe Betonziegel. So erkläre sich das unterschiedliche Verhalten der Dächer hinsichtlich der Verschmutzungen. Dass von der Beklagten indirekt gefordert werde, das ganze Dach neu einzudecken, stehe in keinem vertretbaren Zusammenhang mit der Beseitigung des Baumes.
11
Aufgrund eines Beschlusses vom 1. September 2022 hat das Gericht durch Einnahme eines Augenscheins am 29. September 2022 Beweis erhoben über die örtlichen Verhältnisse im Bereich des Grundstücks FlNr. aaaa/b Gemarkung … und der Umgebung.
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Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2022 reichte der Kläger Fotos vom neueren Dachschaden am Haus des Herrn U. sowie dessen diesbezügliche Stellungnahme nach. Demnach sei im vorderen Bereich des Daches am 14. Juni 2022 eine Dachreinigung durchgeführt worden. Die Kosten hierfür hätten 160,- Euro betragen, sie würde nachhaltig aber nichts bringen. Nach zwei Wochen seien die Verschmutzungen wie vorher. Das Dach sei inzwischen im Bereich links von der Kehle (östliche Richtung) undicht und Wasser dringe ein. Eine Fehlersuche (Aufwand: 6 Stunden, 430 Euro) sei erfolglos geblieben. Eine weitere Maßnahme wäre, das Dach aufzudecken und die Ziegel einzeln zu reinigen, d.h. die Nadeln aus den Wasserablaufrinnen zu entfernen. Nach Rücksprache mit dem Dachdecker mache dies aber nur Sinn, wenn die eigentliche Ursache – die Verschmutzung mit Nadeln – so nicht mehr auftrete. Nur dann könne eine nachhaltige Dichtigkeit des Daches wiederhergestellt werden (Aufwand: 2 Mann, 2-3 Tage, 2.000 bis 3.000 Euro). Wenn der aktuelle Zustand bleibe, sei es nur eine Frage der Zeit bis an anderer Stelle gleiches passiere. Er habe auch bei anderen Dachdeckern angefragt – keiner sei bereit gewesen, einen verbindlichen Kostenvoranschlag zu erstellen. Eine nachhaltige Lösung im aktuellen Zustand wäre eine neue Dacheindeckung (Blechdach o.ä.). Es müsste eine vollflächig geschlossene Dachoberfläche hergestellt werden (Aufwand: 70.000 bis 100.000 Euro). Die bisherigen Leistungen des Dachdeckers seien noch nicht berechnet.
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Die Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz vom 20. Februar 2023 dahingehend, dass die streitgegenständliche Zeder am 15. Februar 2023 erneut durch die untere Naturschutzbehörde in Augenschein genommen worden sei. Inhaltlich habe sich an der bisherigen Einschätzung der Naturschutzbehörde zur Erhaltenswürdigkeit des Baumes nichts geändert, so dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Fällung des Baumes durch die Beklagte weiterhin abgelehnt werde.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte mit dem Protokoll zum Augenscheinstermin am 29. September 2022 und dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2023 sowie die vorgelegte Behördenakte.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Klage ist auch begründet, da der Kläger einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Ausnahme von der Baumschutzverordnung hat, deren Versagung durch Bescheid vom 23. Dezember 2021 demnach rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für den Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2021 ist die Baumschutzverordnung der Stadt …, welche von der Beklagten aufgrund von § 29 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) i.V.m. Art. 51 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur (Bayerisches Naturschutzgesetz – BayNatSchG) erlassen werden durfte.
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2. Die streitgegenständliche Zeder ist von der Baumschutzverordnung geschützt. Der Baum befindet sich im Geltungsbereich des rechtsverbindlichen Bebauungsplans „…“ nach § 30 des Baugesetzbuchs (BauGB) und damit im Schutzgebiet der Baumschutzverordnung (§ 1 Abs. 2 BaumSchVO). Zudem weist die Zeder, wie sich beim Augenscheinstermin am 29. September 2022 bestätigte, einen Stammumfang von mehr als 80 cm (gemessen in einer Höhe von 130 cm über dem Erdboden) auf und erfüllt damit auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BaumSchVO. Eine Ausnahme von der Unterschutzstellung nach § 2 Abs. 3 BaumSchVO liegt nicht vor, da es sich bei der Zeder weder um einen Obstbaum noch um einen Baum in einer Baumschule oder Gärtnerei handelt.
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3. Die vom Kläger beantragte Fällung der Zeder verstößt grundsätzlich gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 BaumSchVO. Demnach ist es verboten, die nach § 2 BaumSchVO geschützten Bäume zu entfernen oder zu beschädigen, nachhaltig zu verändern oder sonst in ihrer Funktion zur Belebung, Gliederung oder Pflege des Orts- oder Landschaftsbildes zu beeinträchtigen. Die geplante Maßnahme ist auch nicht gemäß § 3 Abs. 2 BaumSchVO von dem Verbot nach Abs. 1 ausgenommen, da danach lediglich notwendige Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen der Grundeigentümer oder sonstiger Berechtigter nicht unter dieses Verbot fallen. Schließlich kommt auch § 3 Abs. 3 BaumSchVO nicht in Betracht, wonach dringend notwendige Maßnahmen zur Abwehr einer akuten Gefahr für die Allgemeinheit oder einzelner Personen nicht unter dieses Verbot fallen, wobei jedoch nur die die Gefahr verursachenden Pflanzenteile entfernt werden dürfen. Das Vorliegen einer Gefahr in diesem Sinne ist nicht erkennbar.
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4. Allerdings hat der Kläger gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. b BaumSchVO einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von dem Verbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BaumSchVO.
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a) Gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. b BaumSchVO ist eine Ausnahme von den Verboten des § 3 BaumSchVO zu erteilen, wenn von den geschützten Bäumen Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgehen und die Gefahren nicht auf andere Weise mit zumutbarem Aufwand beseitigt werden können. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
21
aa) Von der streitgegenständlichen Zeder gehen Gefahren für Sachen von bedeutendem Wert aus.
22
Die Annahme einer Gefahr setzt voraus, dass der Eintritt eines Schadens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dabei sind an die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Rahmen der baumschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen nur geringe Anforderungen zu stellen. Auch reicht es für den nachweispflichtigen Antragsteller aus, wenn er zur Begründung seines Begehrens einen Sachverhalt darlegt, der nach allgemeiner Lebenserfahrung auf den künftigen Eintritt eines Schadens hinweist, wobei der Antragsteller nur solche Tatsachen aufzuzeigen hat, die in seine Sphäre bzw. seinen Erkenntnisbereich fallen. Weitergehende Anforderungen an den Nachweis einer Gefahr sind nicht geboten, weil sie die betroffenen Eigentümer in unzumutbarer Weise belasten und dazu führen würden, dass die Regelungen der Baumschutzverordnung keinen gerechten Ausgleich zwischen den öffentlichen und privaten Belangen mehr gewährleisten (OVG NW, U.v. 8.10.1993 – 7 A 2021/92 – juris Rn. 107 ff. m.w.N). Je höherwertiger das gefährdete Schutzgut ist, desto geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden müssen (BVerwG, U.v. 2.9.2009 – 1 C 2.09 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 17.11.2008 – 10 C 08.2872 – juris Rn. 12).
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In Anwendung dieser Maßstäbe liegen im vorliegenden Fall hinreichende Anhaltspunkte für einen Tatbestand vor, der nach allgemeiner Lebenserfahrung auf den künftigen Eintritt eines Schadens hinweist und damit eine Gefahr in Sinne von § 4 Abs. 2 Buchst. b BaumSchVO darstellt: Wie der Dachdeckermeister G. in der mündlichen Verhandlung als sachverständiger Zeuge erläuterte, ist das Dach des Nachbarn des Klägers mit Tonziegeln überlappend gedeckt. Bei zu viel Schmutz oder anderen Fremdkörpern auf dem Dach kann es dazu kommen, dass die wasserableitenden Kanäle verstopfen und Wasser unter die Dachziegel gelangt. Der Nachbar des Klägers hat in den letzten Jahren immer wieder Undichtigkeiten an seinem Dach bemängelt. Nach teilweiser Aufdeckung des Daches wurden massive Ablagerungen in den Verfalzungen der Dachziegel festgestellt. Diese bestanden ausschließlich aus Baumnadeln, die nach Meinung des Herrn G. nur vom streitgegenständlichen Baum kommen könnten. Trotz einer groben Reinigung der verschmutzten Dachziegel sind nach Aussage des Zeugen nach wie vor überall Ablagerungen vorhanden. Dies betrifft insbesondere den Bereich auf der Westseite des Gebäudes. Weitere Probleme bestehen beim weiter östlich gelegenen Kehlversatz. Hier ist die Ursache noch unklar, allerdings vermutet der Zeuge, dass eine ähnliche Ursache vorliege wie bei den Schäden weiter westlich auf dem Dach. Angesichts dessen kann es nach Überzeugung des Gerichts ohne die Durchführung geeigneter Maßnahmen aufgrund der Ablagerungen von Nadeln in den Verfalzungen auch zukünftig zu undichten Stellen im Dach kommen, was letztlich zu weiteren Schäden am Dach, beispielsweise an den Sparren, und unter Umständen am gesamten Haus führen kann. Dabei handelt es sich schon bei dem Dach des Wohnhauses des Herrn U. unstreitig um eine Sache von bedeutendem Wert.
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bb) Die Gefahr ist auch nicht auf andere Weise als mit der vom Kläger beantragten Fällung mit zumutbarem Aufwand zu beseitigen.
25
Die Entscheidung, welche Maßnahmen zur Abwehr der von einem geschützten Baum ausgehenden Gefahren zumutbar sind, erfordert eine einzelfallbezogene Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen. In diese Abwägung sind auf der einen Seite insbesondere die Art der Gefahr und die mit einer Gefahrenbeseitigung verbundenen Belastungen des Eigentümers bzw. sonstigen Berechtigten und auf der anderen Seite die für den Erhalt des Baumes an seinem konkreten Standort sprechenden Belange einzustellen (vgl. OVG NW, B.v. 30.1.2008 – 8 A 90/08 – juris Rn. 18 und B.v. 4.1.2011 – 8 A 2003/09 – juris Rn. 12).
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Auf Seiten der privaten Belange ist zu berücksichtigen, dass eine Gefahr für das Dach eines Wohnhauses vorliegt, die im schlimmsten Fall zur Unbewohnbarkeit des Hauses des Herrn U. führen könnte. Außerdem ist zu bedenken, dass das Dach erst im Jahr 2013 – also vor etwa zehn Jahren – neu eingedeckt wurde. Ob die Wahl der Dacheindeckung im Hinblick auf mögliche Verschmutzungen durch Baumbestandteile oder ähnliches damals diskutiert wurde, ließ sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht aufklären. Jedenfalls wurden von Herrn U. in den letzten Jahren immer wieder Undichtigkeiten am Dach bemängelt, die der Dachdeckermeister G. reparierte und aus Kulanzgründen nicht in Rechnung stellte. Laut seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung ist er allerdings nicht bereit weitere Reparaturarbeiten auf Kulanz auszuführen, so dass zukünftig erhebliche Kosten auf Herrn U. zukommen könnten. Die Rechnungen belaufen sich bisher auf 1.000 bis 1.500 Euro. Eine Neueindeckung des Daches wäre mit Kosten in Höhe von 80.000 bis 100.000 Euro verbunden.
27
Auf Seiten der öffentlichen Belange ist zunächst die grundlegende Entscheidung der Beklagten als Normgeberin zu respektieren, Bäume in ihrem Stadtgebiet unter gewissen Voraussetzungen zur Erhaltung und Pflege des Stadtbildes sowie zur Klimaverbesserung unter besonderen Schutz zu stellen (vgl. § 1 Abs. 1 BaumSchVO). Hierzu ist sie aufgrund von § 29 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG i.V.m. Art. 51 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG auch ohne weiteres berechtigt. Das Grünflächenamt der Beklagten beurteilte den streitgegenständlichen Baum als gesund, vital und standsicher. Mithin ist davon auszugehen, dass er in seinem aktuellen Habitus auch noch für einen längeren Zeitraum erhalten werden und somit zur Erreichung der von der Beklagten mit der Baumschutzverordnung verfolgten Ziele beitragen könnte.
28
Nach Abwägung der o.g. privaten und öffentlichen Belange, die für und gegen die beantragte Fällung der Zeder streiten, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass in dem hier vorliegenden Einzelfall das private Interesse an der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Baumes letztlich überwiegt. Zwar sind einem Grundstückseigentümer im Hinblick auf die in Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verankerte Sozialbindung des Eigentums Aufwendungen, die nicht nur in seinem, sondern auch dem öffentlichen Interesse liegen, jedenfalls bis zu einer gewissen Höhe grundsätzlich zuzumuten. Jedoch würden sich die Kosten für die hier nach Einschätzung des Dachdeckermeisters G. mindestens zweimal jährliche notwendige Reinigung des Daches auf etwa 2.000 EUR belaufen. Dabei ist der Erfolg der Reinigung stark vom Nadelfall und der jeweiligen Witterung abhängig. Herr G. konnte nicht einmal sicher sagen, dass eine zweimalige Reinigung im Jahr ausreichend wäre, um der Gefahr weiterer Undichtigkeiten vorzubeugen. Hinzu kommt, dass die Reinigung trotz der flachen Dachneigung wegen der glatten Oberfläche der Dachziegel nicht ungefährlich ist. Aus diesem Grund und weil ein teilweises Aufdecken des Daches für die Reinigung erforderlich ist, ist das Gericht davon überzeugt, dass die regelmäßige Reinigung professionell durchgeführt werden muss, Herr U. diese also nicht selbst vornehmen könnte. Angesichts des vitalen Zustands der Zeder und ihrer allgemein hohen Lebenserwartung ist auch davon auszugehen, dass von einem langjährigen Zeitraum die Rede ist, in dem diese erheblichen, insgesamt unzumutbaren Kosten anfallen würden. Die Neueindeckung des Daches, die nach Aussage des Dachdeckermeisters G. grundsätzlich geeignet wäre, die Gefahr zu beseitigen, da sie an die Verschmutzungen durch den Baum angepasst werden könnte, wäre mit noch höheren Kosten verbunden (80.000 bis 100.000 Euro). Diese erachtet das Gericht erst recht – auch unter Berücksichtigung des verhältnismäßig jungen Alters des jetzigen Daches – nicht für zumutbar. Dabei kann Herrn U. nach Auffassung des Gerichts nicht vorgehalten werden, dass die bestehenden Probleme in Zusammenhang mit seinem Dach auch auf die Ziegelart zurückzuführen sind und durch eine andere Dacheindeckung im Jahr 2013 ggfs. hätten vermieden werden können. Der Dachdeckermeister G. führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass er meine, dass auch bevor das Dach des Nachbarn im Jahr 2013 neu gedeckt wurde, dort Tonziegel verwendet worden waren. Ob die Wahl der Dacheindeckung im Hinblick auf mögliche Verschmutzungen durch Baumbestandteile oder ähnliches damals diskutiert wurde, wusste er nicht mehr. Jedenfalls trug der Kläger im Lauf des Verfahrens vor, dass die Zeder erst seit zwei Jahren so erheblich Nadeln verliere, so dass deshalb und angesichts der zuletzt trockenen Sommer sowie erst in den letzten Jahren auftretenden Schäden viel dafür spricht, dass sich die Situation im Jahr 2013 anders dargestellt haben dürfte als heute. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Blauen Atlas-Zeder nicht um eine heimische Pflanze handelt und die Beklagte selbst Nadelbäumen grundsätzlich eine andere Wertigkeit beimisst als Laubbäumen, indem sie nur letztere in ihrer Baumschutzverordnung als Ersatzpflanzungen zulässt (vgl. § 5 Abs. 2 BaumSchVO). Außerdem befinden sich auf dem Grundstück des Klägers noch zwei weitere Nadelbäume, nämlich eine Kiefer und eine Tanne, sowie mehrere Apfelbäume und ein Kirschbaum. Die Örtlichkeit erwies sich beim Augenscheinstermin der Kammer insgesamt als durchgrünt; ein ortsbildprägender Charakter der sich in unmittelbarer Nähe zum Wohnhaus des Klägers und zudem zwischen zwei Wohnhäusern befindlichen Zeder konnte nicht wahrgenommen werden.
29
b) Auf die im streitgegenständlichen Bescheid in Bezug genommene und im Ermessen der Beklagten stehende Ausnahme gemäß § 4 Abs. 1 Buchst. a BaumSchVO, wonach die Stadt … auf Antrag des Eigentümers oder Nutzungsberechtigten Ausnahmen von den Verboten nach § 3 erteilen kann, wenn das Verbot zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Ausnahme mit den öffentlichen Interessen, insbesondere dem Schutzzweck, vereinbar ist, kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an.
30
II. Als unterliegende Beteiligte hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).