Titel:
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg trotz Vorlagebeschluss
Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114
Leitsatz:
Die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts an den Europäischen Gerichtshof (vgl. BVerwG BeckRS 2022, 35811) führt nicht zur Annahme einer – für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen – hinreichenden Erfolgsaussicht. (Rn. 6 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufstockungsklage eines syrischen Staatsangehörigen mit Blick auf die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts an den Europäischen, Gerichtshof vom 07.09.2022 (Az. 1 C 26.21), Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, hinreichende Erfolgsaussichten (verneint), Asylverfahren, Syrien, Aufstockungsklage, Prozesskostenhilfe, hinreichende Aussicht auf Erfolg, Vorlagebeschluss
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21649
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
1
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO voraus, dass die betreffende Partei außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten, die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinn des § 114 ZPO bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe versagt werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzbegehrens darf dabei nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Schwierige, bislang nicht ausreichend geklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.7.2005 – 1 BvR 175/05 – NJW 2005, 3489).
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Nach diesen Maßstäben kann in der vorliegenden Sache Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die Klage keine hinreichende, sondern nur eine entfernte Aussicht auf Erfolg bietet.
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Mit der vorliegenden „Aufstockungsklage“ möchte der Kläger erreichen, dass das Bundesamt über den bereits zugesprochenen subsidiären Schutzstatus hinaus verpflichtet wird, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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Begründet wird die Klage nicht mit der individuellen Situation des Klägers, wobei sich bei Durchsicht der Behördenakte auch keine Anhaltspunkte ergeben, dass dem Kläger aus Gründen, die gerade in seiner Person liegen, ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zustehen könnte. Eine asylrechtlich relevante Verfolgungshandlung, die mit einem Verfolgungsgrund verknüpft wäre, ist nämlich nicht ersichtlich. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf S. 3 ff. des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen.
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Der Kläger hat vielmehr auf eine Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts an den Europäischen Gerichtshof verwiesen (vgl. BVerwG, B.v. 7.9.2022 – 1 C 26.21 – juris), mit der geklärt werden soll, ob das Bundesamt mit Blick auf die Flüchtlingsanerkennung des Klägers in Griechenland das in Deutschland angebrachte Asylbegehren inhaltlich (ergebnisoffen) prüfen dürfe oder ob die Beklagte letztlich an die griechische Entscheidung dahingehend gebunden sei, dass sie (ebenfalls) zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verpflichtet sei, auch wenn (derzeit) die Voraussetzungen des § 3 AsylG in der Person des Klägers nicht vorliegen.
7
Aus dem Kontext des o.g. Vorlagebeschlusses ergibt sich jedoch sehr deutlich, dass sich das Bundesverwaltungsgericht aufgrund von Art. 267 Abs. 3 AEUV und der diesbezüglichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. etwa EuGH, U.v. 9.9.2015 – C-160/14 – juris) zwar verpflichtet bzw. gehalten gesehen hat, eine Vorabentscheidung einzuholen, gleichwohl offensichtlich jedoch auch das Bundesverwaltungsgericht – wie ebenso der Generalanwalt P.(EuGH, Schlussantrag des Generalanwalts vom 30.9.2021 – C-483/20 – juris Rn. 64) – der Auffassung ist, dass ein Antragsteller in der Situation des hiesigen Klägers wie eine Person zu behandeln ist, die erstmals internationalen Schutz beantragt, unabhängig von dem Schutz, der ihm von einem anderen Mitgliedstaat bereits gewährt worden ist (vgl. Keller, jurisPR-BVerwG 3/2023 Anm. 1). Mithin besteht – auch nach dem Unionsrecht – nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts gerade keine Bindung an die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus in einem anderen Mitgliedstaat.
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Die im genannten Praxisreport des Bundesverwaltungsgerichts näher erläuterte rechtliche Einschätzung hat insoweit Gewicht, als sie vom Vorsitzenden desjenigen Senats des Bundesverwaltungsgerichts stammt, der den Vorlagebeschluss vom 07.09.2022 erlassen hat.
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Gegen eine Bindungswirkung einer Flüchtlingsanerkennung in einem anderen Mitgliedstaat ist überdies anzuführen, dass deren Bejahung die im Unionsrecht unter bestimmten Voraussetzungen als zwingend vorgesehene Aberkennung bzw. Beendigung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. Art. 14 RL 2011/95/EU; Art. 44 RL 2013/32/EU) konterkarieren bzw. im Regelfall faktisch vereiteln würde. Denn zuständig für eine Aberkennung (z.B. aufgrund veränderter Verhältnisse im Heimatland) wäre bei unterstellter Bindungswirkung vorliegend der griechische Staat, wohingegen die dortigen Behörden aufgrund der Weiterreise des Ausländers kaum Anlass hätten, ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. Auch der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz des „effet utile“ streitet vor diesem Hintergrund gegen die Annahme einer Bindungswirkung an den dem betreffenden Ausländer in Griechenland zuerkannten Flüchtlingsstatus.
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Bei dieser Ausgangssituation erscheint zwar ein Erfolg der Klage nicht schlechterdings ausgeschlossen, doch stellt sich die Erfolgschance nur als eine entfernte dar, nicht aber als eine – für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche – hinreichende Erfolgsaussicht.
11
Soweit ersichtlich wird eine Bindungswirkung auch im Übrigen von keinem (Ober-) Verwaltungsgericht bejaht. Auf die Ausführungen des VG Karlsruhe (U.v. 18.10.2022 – A 8 K 2210/22 – juris) und des VG Freiburg (U.v. 29.9.2022 – A 7 K 2018/22 – juris) wird ergänzend verwiesen.
12
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).