Titel:
Unzulässige Asylklage eines Schutzsuchenden aus den Palästinensischen Gebieten
Normenketten:
AsylG § 34a Abs. 2 S. 1, S. 3, § 36 Abs. 3 S. 1, § 74 Abs. 1 Hs. 2
VwZG § 7 Abs. 1 S. 2
VwGO § 60
ZPO § 85 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Verschulden ist bei der Wiedereinsetzung in eine gesetzliche Frist immer anzunehmen, wenn dem Säumigen zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Frist ungenutzt hat verstreichen lassen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wählt der Kläger für seine Vertretung eine Privatperson, muss er sicherstellen, dass dieser die besonderen aus dem Asylverfahren resultierenden Pflichten bekannt sind und für deren Einhaltung vorsorgt, andernfalls trifft ihn ein eigenes Verschulden an einer Fristversäumnis. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnis aufgrund Urlaubsabwesenheit der Bevollmächtigten im Asylverfahren, Asylklage, Palästinensische Gebiete, qualifizierte Ablehnung, einwöchige Klagefrist, Bevollmächtigung, rechtsberatende Berufe, Fristversäumnis, Wiedereinsetzung, eigenes Verschulden
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21641
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Kläger.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger stammt aus den palästinensischen Gebieten. Er verließ sein Heimatland am 31.12.2016 und reiste unter anderem über Griechenland, wo ihm internationaler Schutz zuerkannt wurde, im Oktober 2018 nach Deutschland ein. Hier stellte er am 7.12.2018 einen Asylantrag. Dieser wurde nach einer erfolgreichen Untätigkeitsklage mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 7.1.2022 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Klägers nach Griechenland angeordnet. Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 4.4.2022 wurde der Bescheid vom 7.1.2022 aufgehoben. Am 24.10.2022 stellte Frau … eine Sachstandsanfrage im Asylverfahren des Klägers und legte gleichzeitig eine schriftliche Vollmacht des Klägers vor. Hieraus ergibt sich, dass Frau … berechtigt sein soll, sich um die Angelegenheiten des Asylverfahrens des Klägers zu kümmern und ihn zu vertreten.
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Mit Bescheid des Bundeamtes vom 16.2.2023 wurden der Asylantrag des Klägers und seine Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes erneut, diesmal als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) lägen nicht vor. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, ansonsten werde er in die palästinensischen Gebiete (* …*) abgeschoben. Der Kläger habe sein Heimatland aufgrund von Armut, fehlenden Perspektiven und Korruption verlassen. Es liege keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers alleine durch seine Anwesenheit im … oder in … vor. Der Bescheid wurde Frau … am 22.2.2023 per Postzustellungsurkunde zugestellt.
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Am 16.3.2023 erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 16.2.2023 zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth. Er beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.02.2023, zugestellt am 22.02.2023, Aktenzeichen … aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
die Asylberechtigung anzuerkennen,
hilfsweise subsidiären Schutz zu bewilligen und
festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen.
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Der Kläger beantragt zudem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da seine Bevollmächtigte in der Zeit vom 20.2.2023 bis 06.03.2023 anlässlich eines Familienurlaubes in … gewesen sei. Nach ihrer Rückkehr habe sie den Kläger über den Erhalt des Bescheides informiert und den Bescheid auch an die Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung übermittelt. Diese habe sich an den Innenminister gewandt, weil der Kläger eine Pflegeausbildung absolviert habe und in Vollzeit arbeite. Zur Begründung der Klage verweist der Kläger auf sein bisheriges Vorbringen und seine Pflegeausbildung und berufliche Tätigkeit beim …
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Die Beklagte beantragt,
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Die Klage sei bereits unzulässig, da sie nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist erhoben worden sei. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich. Das Verschulden der Bevollmächtigten müsse sich der Kläger zurechnen lassen.
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Mit Kammerbeschluss vom 30.3.2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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Mit Schreiben des Gerichts vom 6.4.2023 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung oder durch Gerichtsbescheid angehört. Die Beklagte teilte daraufhin mit, dass sie auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichte. Der Kläger äußerte sich nicht.
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Ergänzend wird hinsichtlich des Sachverhaltes auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Klage ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 2. HS des Asylgesetzes (AsylG) gestellt wurde. Hiernach ist die Klage innerhalb einer Woche zu erheben, wenn der Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) innerhalb einer Woche zu stellen ist (§ 34a Absatz 2 Satz 1 und 3, § 36 Absatz 3 Satz 1 und 10 AsylG). Vorliegend war der Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO gem. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG binnen einer Woche zu stellen, weil der Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.
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1.1 Der Bescheid wurde der Bevollmächtigten des Klägers am 22.2.2023 zugestellt. Gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG sind Zustellungen an den Bevollmächtigten zu richten, wenn eine schriftliche Vollmacht vorgelegt wurde. Dies war vorliegend der Fall. Die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels endete daher mit Ablauf des 1.3.2023 (§ 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)). Die Klage und der Eilantrag wurden bei Gericht jedoch erst am 16.3.2023 gestellt.
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1.2 Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung gem. § 60 VwGO zu gewähren. Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden ist dabei immer anzunehmen, wenn dem Säumigen zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Frist ungenutzt hat verstreichen lassen. Das Maß an Achtsamkeit und Vorsorge, das die Einhaltung der der Rechtssicherheit dienenden Fristvorschriften erfordert, bestimmt sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
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Zwar hat der Kläger die Klageerhebung und Eilantragstellung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses (nach Kenntniserlangung von der Zustellung des Asylbescheides) vorgenommen, die Fristversäumnis ist jedoch nicht unverschuldet gewesen. Der Grundsatz, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht (vgl. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)), gilt im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch für das Verfahren auf Anerkennung als Asylberechtigter (VGH BW, B.v. 9.1.1981 – A 12 S 65/80 –, juris).
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Die Klage- und Antragsfrist wurde vorliegend nicht eingehalten, weil die Bevollmächtigte des Klägers sich bei Zustellung und bis nach Ablauf der Klage- und Antragsfrist im Urlaub befunden hat. Da die Bevollmächtigte des Klägers keine Angehörige der rechtsberatenden Berufe ist, kann an sie auch nicht der gleiche Maßstab wie an einen Rechtsanwalt angelegt werden. Bei einem Fristbeginn und -ablauf während des Urlaubs wäre eine Fristversäumnis daher regelmäßig als unverschuldet anzusehen (stRspr, vgl. BVerfGE 38, 35 (40); 41, 332; BVerwG NVwZ-RR 1990, 87). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Betreffende wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles mit dem Zugang eines Bescheids während seiner Abwesenheit rechnen musste (BVerwG DÖV 1976, 167; VGH Mannheim NJW 1978, 719) (Eyermann/Hoppe, 16. Aufl. 2022, VwGO § 60 Rn. 30), oder wenn der Betroffene wegen gesonderter gesetzlicher Bestimmungen vorzusorgen hat, dass ihn Schriftverkehr stets erreichen kann (vgl. VG Trier, U.v. 19.1.2012 – 2 K 1144/11.TR – juris; VG Bayreuth, U.v. 6. August 2018 – B 7 K 17.31482 –, Rn. 35, juris). Vorliegend musste die Bevollmächtigte des Klägers trotz der langen Dauer des Asylverfahrens des Klägers zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses jederzeit mit einer Zustellung eines Asylbescheides rechnen, da der Kläger am 15.2.2023 zu seinen Fluchtgründen angehört wurde, was ihr aufgrund der Zustellung der entsprechenden Ladung zum Anhörungstermin an sie bekannt war.
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Selbst wenn man aufgrund des ungewöhnlichen Ablaufes des Asylverfahrens, das sich trotz Untätigkeitsklage des Klägers und einer Vielzahl von Sachstandsanfragen über mehrere Jahre hingezogen hat, zugunsten des Klägers davon ausginge, dass seine Bevollmächtigte nicht mit einer zeitnahen Entscheidung rechnen konnte, wäre die Fristversäumnis wegen der besonderen Pflichten des Klägers im Asylverfahren dennoch nicht unverschuldet.
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Gem. § 10 Abs. 1 AsylG hat ein Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können. Über diese Pflicht wurde der Kläger am 7.12.2018 in der „Wichtigen Mitteilung – Belehrung für Erstkläger über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise“ auch belehrt. Der Sinn dieser Vorschrift kann nur dann erreicht werden, wenn der Kläger sich seiner Verpflichtung nicht durch die Bestellung eines Bevollmächtigten, für den ein geringerer Maßstab gilt, entledigen kann. Der Kläger muss demnach dafür Sorge tragen, dass der von ihm ausgewählte Vertreter die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, um die Einhaltung der strengen Erreichbarkeitsregeln zu gewährleisten. Wählt der Kläger für seine Vertretung einen Rechtsanwalt ist dieser Pflicht durch die beruflichen Sorgfaltspflichten, die diesen treffen und die Zurechnung eines möglichen Verschuldens des Bevollmächtigten genüge getan. Wählt der Kläger für seine Vertretung jedoch eine Privatperson, so muss er dafür Sorge tragen, dass dieser die besonderen aus dem Asylverfahren resultierenden Pflichten bekannt sind und die Bevollmächtigte für deren Einhaltung vorsorgt. Hat der Kläger dies nicht sichergestellt, trifft ihn bereits ein eigenes Verschulden an der hier eingetretenen Fristversäumnis. Wenn der Kläger seine Bevollmächtigte auf die Vorschrift des § 10 Abs. 1 AsylG hingewiesen hat, oder sie der Bevollmächtigten aus anderen Gründen bekannt war, trifft diese das Verschulden an der Fristversäumnis, weil sie während ihrer Urlaubsabwesenheit dafür Sorge tragen hätte müssen, dass Schreiben der Asylbehörde den Kläger jederzeit erreichen können, indem sie beispielsweise jemanden ihre Post auf Behördenschreiben prüfen lässt.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.