Titel:
Kinder- und Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Web-Schule, Kernbereich der pädagogischen Arbeit, Teilhabe an Bildung, soziale Teilhabe, Beurteilungsspielraum des Jugendamtes, geeignete Hilfe
Normenketten:
SGB VIII § 35a
SGB IX § 112
VwGO § 123
Schlagworte:
Kinder- und Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Web-Schule, Kernbereich der pädagogischen Arbeit, Teilhabe an Bildung, soziale Teilhabe, Beurteilungsspielraum des Jugendamtes, geeignete Hilfe
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21640
Tenor
1. Der Antrag nach § 123 VwGO wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin …, …, wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO die vorläufige Übernahme der Kosten für die webbasierte Individualschule in Höhe von 1.004,00 EUR pro Monat beginnend mit dem Monat Juli 2023.
2
Der am … geborene Antragsteller wird durch seine getrennt lebenden Eltern gesetzlich vertreten und lebt zusammen mit der Kindsmutter in … in der ehemals gemeinsamen Familienwohnung.
3
Unter dem Datum 23.01.2019 wurde dem Antragsteller durch das … Fachklinikum … eine tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne eines Asperger-Syndroms (F84.5 nach ICD-10), die zu qualitativen Beeinträchtigungen in den Bereichen Sozialverhalten, Kommunikation und Interessenbildung führt, bescheinigt (Akte des Antragsgegners, Bl. 9). Mit Bescheid vom 21.03.2019 bewilligte der Antragsgegner ab dem 25.03.2019 Eingliederungshilfe in Form einer Schulassistenz (Akte des Antragsgegners, Bl. 18). Die mit Bescheid vom 21.03.2019 bewilligte Schulassistenz wurde durch Bescheid vom 18.11.2019 eingestellt, da der Antragsteller nicht in der Lage gewesen sei, die Schule zu besuchen. Die Schulassistenz habe keine Verhaltensänderung bei ihm bewirken können. Im Rahmen einer erneuten Überprüfung solle nach dem Wunsch der Mutter eine alternative Beschulung (Flex Schule) überprüft werden (Akte des Antragsgegners, Bl. 23 f.). Das … Fachklinikum … bescheinigte sodann unter dem Datum 22.11.2019, dass die Flex-Fernschule als geeignete Schulform erachtet werde. Das Ruhen der Schulpflicht erscheine medizinisch indiziert (Akte des Antragsgegners, Bl. 28). Im Rahmen eines Gesprächs in seiner Praxis äußerte Dr. med. univ. …, Facharzt für Kinder-/ Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, am 07.07.2020, dass er die soziale Komponente in der Schule als sehr wichtig ansehe. Eine Web Schule solle der letzte Ausweg sein. Auch der Antragsteller brauche grundsätzlich den Unterschied zwischen Familie und Schule. Er empfehle eine stationäre Diagnostik. In der Zeit zwischen der festen Zusage der Klinik und der tatsächlichen stationären Aufnahme befürworte er die Web Schule, jedoch nur für diese Zeitspanne. Das Ziel der stationären Abklärung solle sein, dass der Antragsteller danach wieder die Regelschule besuchen könne, nicht die Web Schule (Akte des Antragsgegners, Bl. 35). Unter dem Datum 20.10.2020 bestätigte Dr. med. univ. …, dass sich in Folge der Corona-Situation der Aufnahmetermin zur umfassenden stationären Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen auf unbestimmte Zeit verschiebe. Er empfehle wegen dieser unerwartet uneinschätzbaren langen Wartezeit auf einen stationären Therapieplatz doch die Genehmigung der webbasierten Schule als rein überbrückende Maßnahme, um den Antragsteller nicht allzu lange aus dem Lernprozess auszuklinken (Akte des Antragsgegners, Bl. 49).
4
Am 03.11.2020 beantragten die sorgeberechtigten Eltern des Antragstellers für diesen die Kostenübernahme der Web-Individualschule … (Akte des Antragsgegners, Bl. 43). Mit Bescheid vom 10.11.2020 wurde der Antrag auf Übernahme des Schulgeldes für die webbasierte Individualbeschulung durch die Web-Individualschule …, zum Kostenbeitrag der Überbrückungsbeschulung, ab dem 03.11.2020 bis zur stationären Aufnahme in eine Klinik, längstens bis zum 31.07.2021, bewilligt. Dies wurde damit begründet, dass beim Antragsteller eine seelische Behinderung aus dem Bereich der Autismus-Spektrum-Störung vorliege. Trotz intensiver Bemühungen (Schulassistenz, 1:1 Unterricht in der Schule) sei eine Beschulung kaum möglich. Der zuständige Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie empfehle eine stationäre Aufnahme zur Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen. Da die Wartezeit bis zur Aufnahme unter den aktuellen Bedingungen nicht eingeschätzt werden könne, werde zur Überbrückung vorübergehend eine Web-Beschulung angeraten (Akte des Antragsgegners, Bl. 50 f.).
5
Unter dem Datum 25.03.2021 bestätigte Dr. med. univ. … dem Antragsteller, dass er bis zum nächsten Termin am 25.05.2021 von der allgemeinen Schulpflicht zu befreien sei. Er werde in Kooperation mit dem Jugendamt stattdessen derzeit erfolgreich in der Web-Individualschule beschult (Akte des Antragsgegners, Bl. 74).
6
Laut Gesprächsvermerk vom 22.04.2021 äußerte Herr …, die seinerzeitige Lehrkraft des Antragstellers in der Web-Individualschule, unter anderem, dass zwar auch kleine Fortschritte gesehen würden, im Vergleich zu anderen Schülern falle jedoch auf, dass die Fortschritte und auch die Motivation des Antragstellers gering seien. Insgesamt sei fraglich, wie viel der Antragsteller wirklich vom Unterricht mitbekomme und ob die Web-Individualschule die geeignete Schulform für ihn sei (Akte des Antragsgegners, Bl. 76).
7
Bezüglich des Termins am 25.05.2021 teilte Dr. med. univ. … unter anderem mit, dass er die Web-Beschulung nicht als zielführend ansehe, da der Antragsteller soziale Kontakte benötige und am Leben teilhaben müsse, um überhaupt irgendwann eine Chance zu haben, einen Beruf zu ergreifen und ein eigenständiges Leben zu führen. Eine stationäre Aufnahme in eine Klinik zur Diagnostik ohne die Kindsmutter sei weiterhin definitiv notwendig.
8
Dr. med. univ. … werde keine weitere Krankmeldung herausschreiben (Akte des Antragsgegners, Bl. 107). Auch Dr. med. …, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, diagnostizierte unter dem Datum 24.06.2021 beim Antragsteller unter anderem eine Autismus-Spektrum-Störung im Sinne eines Asperger-Syndroms (F84.5). Er empfehle eine den Selbstwert steigernde Gruppenpsychotherapie in einem Autismus-Zentrum, die auch die soziale Kompetenz des Antragstellers steigern werde. In der Schule und in der Ausbildung habe der Antragsteller aus fachärztlicher Sicht Anspruch auf eine Schulassistenz und einen Nachteilsausgleich. Eine sozialpädagogische Familienhilfe sei nicht notwendig, weil seine Mutter erzieherisch kompetent sei. Das Geld für die sozialpädagogische Familienhilfe könne eingespart werden und entlaste den deutschen Steuerzahler. Beim Antragsteller liege eine psychische Störung vor, die mit hoher Wahrscheinlichkeit noch länger als sechs Monate bestehen werde. Eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sei nach fachlicher Kenntnis bereits vorhanden. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht seien die Voraussetzungen des § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) erfüllt (Akte des Antragsgegners, Bl. 88 f.). Sodann attestierte Dr. med. … unter dem Datum 25.06.2021 unter anderem, dass die Online-Beschulung alternativlos sei. Eine Regelbeschulung empfehle er nicht, weil der Antragsteller ängstlich und mit psychosomatischen Beschwerden auf große Gruppen reagiere. Die Online-Beschulung biete Kontinuität und Reizarmut. Der Antragsteller könne aus seinem sicheren Umfeld heraus allen Leistungsanforderungen besser gerecht werden. Eine Präsenzschule mit Integrationshelfer (Schulassistenz) und Nachteilsausgleich reiche nicht aus, weil sich der Antragsteller in großen Gruppen nicht aufhalten könne. Er verweigere große Gruppen. Neues, Wechsel und Unvorbereitetes würden zum Schulalltag gehören und den Antragsteller irritieren. Hausunterricht käme nicht in Frage. Ein Eindringen zunächst unvertrauter Lehrpersonen führe zu Panik und vegetativen Symptomen wie Schwitzen und Zittern. Sozialpädagogische Hilfen und der Besuch einer außerschulischen Einrichtung mit einzelfallbezogenem Förderplan kämen nicht in Frage, weil das eine ungewohnte Umgebung für den Antragsteller bedeute (Akte des Antragsgegners, Bl. 92). Mit Attest vom 28.06.2021 attestierte Dr. med. …, dass der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen vom 28.06.2021 an bis auf Weiteres schulbesuchsunfähig sei (Akte des Antragsgegners, Bl. 93).
9
Im Lernstandsbericht vom 01.07.2021 zog die Web-Individualschule ein gemischtes Fazit. Im ersten Halbjahr hätten sich relativ problemlose Zeiten mit längeren Phasen abgewechselt, in denen faktisch keine Beschulung stattgefunden habe (Akte des Antragsgegners, Bl. 94 ff.).
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Im zweiten Hilfeplan vom 09.07.2021 ist unter anderem als Ergebnis vermerkt, dass der Antragsteller weiterhin dem Personenkreis § 35a SGB VIII zuzuordnen sei. Die Kostenübernahme der Web-Individualschule werde nicht weiter bewilligt, da die Maßnahme nicht sinnvoll und zielführend für den Antragsteller erscheine (Akte des Antragsgegners, Bl. 99 ff.).
11
Laut Gesprächsvermerk vom 09.07.2021 teilte Herr …, stellvertretender Schulleiter der Web-Individualschule, mit, dass aufgrund des fehlenden Vertrauensverhältnisses zwischen der Kindsmutter, dem Antragsteller und der Schule sowie der fehlenden Mitarbeit und Einsicht der Kindsmutter und der kaum sichtbaren Entwicklung des Antragstellers die Weiterführung der Maßnahme kritisch zu sehen sei. Die Kindsmutter finde für alles Ausreden, probiere wenig aus und es gebe keinen offenen Austausch. Die Schule wisse nicht, was der Antragsteller zu Hause mache und wie er gefördert werde. Er schätze die Diagnostik bei Dr. med. … so ein, dass die Kindsmutter mit aller Kraft einen Arzt gesucht habe, der ihr das bestätigt habe, was sie möchte. Er sehe die stationäre Abklärung in einer Klinik als durchaus sinnvoll und notwendig an. Die Kindsmutter habe auch im Vorfeld des Hilfeplangesprächs dem Lehrer des Antragstellers eine E-Mail mit Hinweisen bezüglich der Überarbeitung des Lehrstandsberichts geschickt, weil sie dies nicht habe akzeptieren wollen (Akte des Antragsgegners, Bl. 105).
12
Die Fachkonferenz am 16.07.2021 hat entschieden, dass eine Fortführung der Eingliederungshilfe in Form einer Beschulung per Web Schule aktuell nicht zielführend sei. Laut fachärztlicher Empfehlung sei eine stationäre Therapie zwingend notwendig, da sonst die Entwicklung des Kindes gefährdet sei. Die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form von Web-Beschulung werde daher nicht verlängert. Mangels Kooperation der Kindseltern solle eine Erörterung des Falles vor dem Familiengericht angeregt werden. So solle vermieden werden, dass der Antragsteller in seiner Entwicklung nachhaltig geschädigt werde (Akte des Antragsgegners, Bl. 116 f.).
13
Laut fachärztlicher Stellungnahme wegen Kindeswohlgefährdung vom 28.07.2021 von Dr. med. univ. … sei aus fachärztlicher Sicht keine weitere Beschulung auf Web-Basis indiziert oder sinnvoll, da die Mutter des Antragstellers diesen immer mehr isoliere und ihn nicht mehr außer Haus lasse und er somit immer weiter desintegriert werde. Die Mutter blockiere alle ambulanten Hilfen und verstärke zudem ihr Isolationsverhalten. Selbst wenn die webbasierte Beschulung möglich wäre, sei sie aus fachärztlicher Sicht kontraindiziert, da der Antragsteller durch das Verhalten der Mutter immer mehr Kompetenzen verliere und an der Gesellschaft teilnehme. Aus fachärztlicher Sicht sei eine Fremdunterbringung unbedingt notwendig, da sonst eine Erfüllung der Schulpflicht nicht möglich sei und der Antragsteller sozial immer mehr isoliert werde. Durch ihr Verhalten isoliere die aus fachärztlicher Sicht erziehungsinkompetente Kindsmutter den Antragsteller zusehends, blockiere alle gegensteuernden Maßnahmen und gefährde dadurch das Wohlergehen des Antragstellers (Akte des Antragsgegners, Bl. 110 f.).
14
Laut Attest von Dr. med. … – ebenfalls vom 28.07.2021 – leide der Antragsteller unter einem Asperger-Syndrom. Der Antragsteller habe sein intellektuelles Potential in der Online Schule gut umsetzen und erstmals in seiner Schulkarriere Erfolgserlebnisse verzeichnen können. Er habe dort gute Schulleistungen erzielen können. Er habe dadurch an Selbstvertrauen zugewonnen. Weil der Antragsteller oft übermäßig lärmempfindlich sei und Angst in größeren Gruppen von Gleichaltrigen habe, seien stationäre oder teilstationäre Behandlungen nicht anzuraten. Er empfehle daher die Fortsetzung der Online-Beschulung. Er empfehle weiterhin die Behandlung in einem Autismus-Zentrum (Akte des Antragsgegners, Bl. 113).
15
Mit Schreiben vom 02.08.2021, eingegangen beim Landratsamt … am 04.08.2021, wurde die Kostenübernahme für die notwendige Beschulung des Antragstellers an der Web-Individualschule … ab 01.08.2021 beantragt (Akte des Antragsgegners, Bl. 112 f.).
16
Laut Abschlussbericht zum Hilfeverlauf nach § 27 i.V.m. § 35a SGB VIII von SySTEP (Leistungserbringer, der Eingliederungshilfe in Form von Schulbegleitung und Erziehungsbeistandschaft erbracht hat) vom 16.08.2021 zeige der Antragsteller kein Interesse an einer Veränderung und die Kindseltern seien dazu ebenfalls nicht bereit. Im Hilfezeitraum würden alle beteiligten Fachkräfte eher Rückschritte im Verhalten des Antragstellers und seiner sozialen Integration sehen. Aus Sicht der Fachkräfte müsse der Antragsteller dringend einen Rahmen bekommen, in dem er soziales Verhalten lernen und sich in sozialen Kontexten bewegen könne. Eine Therapiebereitschaft müsse notfalls von außen hergestellt werden. Die Kindsmutter sei sehr engagiert, schaffe es aber nicht, beim Antragsteller Veränderungsimpulse zu initiieren oder Fortschritte anzuregen. Keine der begonnenen Hilfen (Erziehungsbeistand, Autismus-Therapie, Elternberatung oder auch Anbindung an eine Kinder- und Jugendpsychiatrie) sei ernsthaft durchgeführt worden. Die Eltern hätten an der Hilfe teilgenommen, würden aber keine Erkenntnisse außerhalb der Hilfe umsetzen. Es erscheine erst einmal irrelevant, welche Hilfe gestartet werde. Wichtig sei, dass diese an Erfolgen oder konkreten Ergebnissen gemessen werde. Der Antragsteller sei in seiner Entwicklung durch die Rahmenbedingungen eingeschränkt (Akte des Antragsgegners, Bl. 114 f.).
17
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 15.09.2021 wurde der Antrag auf Übernahme des Schulgeldes für die webbasierte Individualbeschulung abgelehnt. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass eine stationäre Aufnahme in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen vom zuständigen Facharzt dringend angeraten und auch vom Kreisjugendamt als zwingend erforderlich gesehen werde. Zur Überbrückung der Wartezeit bis zur stationären Aufnahme sei die Web-Beschulung empfohlen worden. Die Kostenübernahme der Web Schule sei bis zum 31.07.2021 befristet bewilligt worden. Trotz dringender Erforderlichkeit sei eine stationäre Aufnahme nicht erfolgt. Im Hilfeplangespräch mit der Schule und dem vorliegenden Lernstandsbericht sei deutlich geworden, dass diese Maßnahme für den Antragsteller nicht geeignet sei. Aufgrund der Verweigerung des Live-Unterrichts, der mangelhaften Mitarbeit und der fehlenden Kooperationsbereitschaft werde die Fortführung der Eingliederungshilfe in Form einer Beschulung durch die Web Schule als nicht sinnvoll und zielführend erachtet und sei daher abzulehnen (Akte des Antragsgegners, Bl. 118 f.).
18
Mit Schreiben vom 15.10.2021, eingegangen beim Landratsamt … am 18.10.2021, legte die Bevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid vom 15.09.2021 Widerspruch ein (Akte des Antragsgegners, Bl. 125).
19
Mit Schreiben vom 29.10.2021 begründete sie den Widerspruch damit, dass nicht zutreffend sei, dass die Web Schule für den Antragsteller nicht geeignet sei (Akte des Antragsgegners, Bl. 127). Der Lernstandsbericht vom 24.09.2021 der Web-Individualschule (Akte des Antragsgegners, Bl. 122 f.), der als Anlage beigefügt wurde und auf den Bezug genommen wird, zeige, dass die Maßnahme für den Antragsteller geeignet sei, er am Live-Unterricht teilnehme und mitarbeite. Der Bescheid vom 15.09.2021 basiere sowohl auf falschen Tatsachenbehauptungen als auch auf einer falschen Einschätzung der therapeutischen Notwendigkeit. Insbesondere das Attest von Dr. med. … vom 25.06.2021 sei eindeutig. Die Online-Beschulung sei alternativlos. Sie ermögliche dem Antragsteller den Schulerfolg, der ihm andernfalls versagt bleibe.
20
Laut Resümee des Lernstandsberichts vom 15.11.2021 habe der Antragsteller nach dem Lehrerwechsel im August 2021 motiviert am Unterricht und auch an den täglich stattfindenden Telefonaten teilgenommen. Der Unterricht habe sich dabei bis zuletzt an den Interessen und Wünschen des Antragstellers gestaltet, zumeist orientiert an den sechs unterrichteten Fächern an der Web-Individualschule: Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Biologie und Erdkunde. Seine Aufgaben habe der Antragsteller zum Großteil erledigt, allerdings seien manche Themen oder Aufgaben auch verworfen worden, weil sie ihn nicht angesprochen oder motiviert hätten. Seit Anfang September habe der Antragsteller nicht mehr an den täglichen Telefonaten teilnehmen können oder wollen. Außerschulische Unregelmäßigkeiten, etwa seine laufende Ergotherapie, eine heimische Baustelle oder der aktuell temporär auftretende Baulärm an der Web-Individualschule, hielten ihn aufgrund seiner Autismus-Spektrums-Störung im Sinne des Asperger-Syndroms davon ab. Die Kommunikation fände seitdem per Chat statt, was insgesamt nicht wünschenswert sei, aber nur in Ausnahmen zu Schwierigkeiten führe, weil der Antragsteller zumeist gewillt sei, seine Arbeitsaufträge gut zu erledigen. Für die Zukunft sei es aus Sicht der Web-Individualschule wichtig, dass sich der Antragsteller Schritt für Schritt wieder darauf einlasse, mit seinem Lehrer zu telefonieren, und er und seine Mutter außerdem bestimmte Regeln und Umstände akzeptieren und annehmen würden. Dies beziehe sich zum einen auf die Unterrichtsinhalte, die bislang auf Interessen und Wünschen des Antragstellers basiert hätten und die in wenigen Fällen aufgrund des angeblich fehlenden Motivationscharakters auf Wunsch der Mutter wieder aussortiert worden seien. Zum anderen auf die offenbar fehlende Bereitschaft, sich auf Gegebenheiten, wie nicht minutengenau startende Anrufe oder das Verbot des – angeblich konzentrationsfördernden – Computerspielens während des Unterrichts einzulassen (Akte des Antragsgegners, Bl. 131 ff.).
21
Der Antragsgegner teilte mit Schreiben vom 18.11.2021 mit, dass keine Möglichkeit gesehen werde, dem Widerspruch abzuhelfen und das Schulgeld für die webbasierte Individualbeschulung zu übernehmen (Akte des Antragsgegners, Bl. 130). Mit Schreiben vom 20.12.2021 wurde der Widerspruch daher mit Bitte um Entscheidung der Regierung von … vorgelegt (Akte des Antragsgegners, Bl. 134 ff.).
22
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2022, laut Empfangsbekenntnis der Antragstellerbevollmächtigten zugegangen am 25.04.2022, wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Widerspruchsakte, Bl. 16 ff., 40).
23
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf die Kostenübernahme für die webbasierte Individualbeschulung habe. Auch wenn nach dem Gesetzeswortlaut des § 35a SGB VIII die Geeignetheit und Notwendigkeit der Hilfe keine geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen seien, sei auch im Rahmen des § 35a SGB VIII eine Entscheidung über die im jeweiligen Einzelfall geeignete und notwendige Hilfe auf Tatbestandsseite zu treffen. Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage und unter Berücksichtigung der fachlichen/ärztlichen Stellungnahmen sowie der Lernstandsberichte, insbesondere des letzten Lernstandsberichts vom 15.11.2021, sei festzustellen, dass die Form der Hilfe nicht geeignet sei, um den Hilfebedarf zu decken. Der fachärztlichen Stellungnahme von Herrn Dr. med. univ. … vom 20.10.2020 sei zu entnehmen, dass die webbasierte Individualbeschulung nur vor dem Hintergrund einer Überbrückungslösung bis zur stationären Aufnahme des Kindes in eine Klinik zur umfassenden Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störung angedacht gewesen sei. Der Verlauf der Web-Beschulung zeige, dass sich der Antragsteller der Maßnahme entziehe und nicht die erforderliche Mitarbeit leiste, um die Maßnahme erfolgreich zu gestalten. Der Grund hierfür sei die fehlende Geeignetheit des Settings der Online-Beschulung, um den Bedarf des Jungen zu decken. Die beantragte Hilfe fordere den Antragsteller zu wenig und setze ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Compliance und Disziplin voraus, weil die Umstände zu viel Raum für „Entweichung“ bieten würden. Aus diesen Gründen werde die beantragte Hilfe als nicht geeignet angesehen, da sie objektiv gesehen ein untaugliches Mittel darstelle. Die Möglichkeit einer Besserung liege ebenfalls nicht vor. Der Lernstandsbericht vom 15.11.2021 zeige Parallelen zum Beginn der Hilfe auf. Der Antragsteller habe sich auf die geplanten Telefonate zu Unterrichtsbeginn nicht mehr einlassen können. Die Kommunikation im Schüler-Lehrer-Verhältnis fände nur noch über die Chat-Funktion statt. Die anfängliche Motivation und Bereitschaft Anfang September 2021 habe abgenommen. Viele Themen und Aufgaben seien verworfen worden, weil sie den Antragsteller nicht angesprochen und motiviert hätten. Der Antragsteller müsse lernen, Gegebenheiten anzunehmen und auszuhalten und auch Neues auszuprobieren, um sich beispielsweise besser zu konzentrieren. Hier wurden keine alternativen Möglichkeiten ausprobiert, weder vom Antragsteller noch von seiner Mutter. Es werde sogar das Computerspielen während des Unterrichts unterstützt, da es angeblich konzentrationsfördernd sei. Es habe sich keine Besserung zum Maßnahmebeginn eingestellt und auch die Möglichkeit einer Besserung sei nicht ersichtlich. Nach abschließender Bewertung sei daher zu erkennen, dass die beantragte Hilfe nicht geeignet sei, um den Hilfebedarf zu decken.
24
Mit Schriftsatz vom 25.05.2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigte Klage (B 10 K 22.524) erheben. Es wurde insbesondere beantragt, den Beklagten zu verpflichten, das Schuldgeld für die webbasierte Individualschule für den Antragsteller rückwirkend ab Antragstellung zu übernehmen.
25
Das Amtsgericht …, Abteilung für Familiensachen, hat am 14.07.2022 beschlossen, dass familiengerichtliche Maßnahmen derzeit nicht erforderlich seien und dies damit begründet, dass die Voraussetzungen für ein Einschreiten des Gerichts nach § 1666 BGB nicht vorlägen. Eine akute Kindeswohlgefährdung sei nicht erkennbar. Die Eltern hätten ihren Sohn bei einem Facharzt angebunden, der auf Autismuserkrankungen spezialisiert sei. Ferner würden sie sich um eine ambulante Therapie bemühen. Der Antragsteller sei auf der Warteliste für die ambulante Autismustherapie in …, welche derzeit aufgebaut werde. Ferner würden die Eltern aus eigenen Mitteln für die Web Schule aufkommen. Auch eine Ergotherapie würde stattfinden. Die Eltern seien ferner bereit, eine ambulante Familienhilfe oder einen Erziehungsbeistand zu beantragen. Die Eltern würden damit ihre Verantwortung im Bereich der Gesundheitsfürsorge und der schulischen Angelegenheiten wahrnehmen (Gerichtsakte B 10 K 22.524, Bl. 70 f.). Gegen den Beschluss vom 14.07.2022 hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt.
26
Laut Gesprächsvermerk vom 15.07.2022 teilte Herr …, Dipl. Psych. und leitender Psychologe der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Bezirksklinikums …, telefonisch mit, dass ein Kind/Jugendlicher mit Autismus-Spektrum-Störung lernen könne, in Interaktion zu gehen. Es müsse unterstützt werden, Kontakt mit anderen anzubahnen, aufzubauen und zu stärken. Es sei schwierig, aber besser als wenn nichts gemacht werde. Im Alter von zwölf Jahren sei schon vieles in der Entwicklung verpasst. Es sei schädlicher für die Entwicklung, nichts zu unternehmen (Akte des Antragsgegners, Bl. 141).
27
Laut Gesprächsvermerk vom 08.11.2022 äußerte Herr …, dass zwar keine pauschalen Aussagen getroffen werden könnten, jedoch sehe er es sehr kritisch, dass der Junge seit mehreren Jahren die Schule nicht mehr besuche und nur online beschult werde. Ein adäquates Sozialverhalten könne nicht erprobt werden, hierfür werde Kontakt mit anderen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen benötigt. Es müsse zumindest ein Therapieversuch gestartet werden, der nur außerhalb der Familie möglich sei. Für Herrn … sei eine stationäre Behandlung auch für Kinder mit Autismus sinnvoll und dringend angeraten. In einer stationären Behandlung könne erprobt werden, wie genau sich die Autismus-Spektrum-Störung auf das Verhalten des Antragstellers auswirke und wie er unterstützt werden könne. In der Klinikbeschulung könne ebenso erprobt werden, mit wie vielen anderen Kindern die Beschulung möglich sei und was der Antragsteller benötige, um wieder in den Klassenverband zurückzukehren. Durch die fehlende Therapie sei soziales Lernen nicht möglich. Er empfehle aufgrund der widersprüchlichen Gutachten ein erneutes Gutachten von einem unabhängigem Kinder- und Jugendpsychiater erstellen zu lassen (Akte des Antragsgegners, Bl. 142).
28
Mit E-Mail vom 09.11.2022 schrieb Herr … der Kindsmutter, dass das Jugendamt … anonym bei ihm angefragt habe. Das Jugendamt habe eine schwierige diagnostische Klärung und einen langen Schulabsentismus geschildert. Seine Aussagen hätten sich grundsätzlich auf Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung bezogen und die diagnostischen bzw. therapeutischen Möglichkeiten im Rahmen einer stationären Therapie bezogen. Bei Problemen mit dem Schulbesuch könne eine Klinik mit Klinikbeschulung den notwendigen Rahmen zum sozialen Lernen bieten, den ein ambulantes Therapiesetting nicht mehr erfüllen könne (Akte des Antragsgegners, Bl. 146).
29
Mit Schriftsatz vom 16.11.2022 vertrat die Antragstellerbevollmächtigte gegenüber dem Oberlandesgericht …, Gerichtsabteilung (Familie), dass seitens des Kreisjugendamtes im Gespräch mit Herrn … falsche Voraussetzungen geschildert worden seien. Es existiere eine gesicherte Diagnose. Ebenso wenig bestehe ein langer Schulabsentismus, da der Antragsteller tatsächlich beschult werde. Die vom Jugendamt vorgelegten Unterlagen seien ohne Beweiswert, da sie sich nicht auf den Fall des Antragstellers beziehen würden (Akte des Antragsgegners, Bl. 148).
30
Mit Schreiben vom 22.12.2022 wies das Oberlandesgericht …, Gerichtsabteilung (Familie), den Antragsgegner darauf hin, dass die Beschwerde nach vorläufiger Einschätzung keine Aussicht auf Erfolg habe, da die Voraussetzungen des § 1666 BGB nicht vorlägen. Der Antragsteller sei bei einem Facharzt angebunden, weitere ambulante Maßnahmen, wie etwa Ergotherapie und Beschulung durch die Web Schule, würden durchgeführt. Der Antragsteller sei für eine ambulante Therapie angemeldet. Dass dies nicht die Maßnahmen seien, die aus Sicht des Jugendamtes wünschenswert seien, rechtfertige ein staatliches Einschreiten nicht (Akte des Antragsgegners, Bl. 151).
31
Mit Schriftsatz vom 24.01.2023 nahm der Antragsgegner die beim Oberlandesgericht … erhobene Beschwerde wegen elterlicher Sorge zurück (Akte des Antragsgegners, Bl. 155).
32
Mit Schriftsatz vom 04.05.2023, eingegangen am selben Tag, wurde vom Antragsteller wegen Eilbedürftigkeit beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, das Schulgeld für die webbasierte Individualschule in Höhe von 1004,00 EUR pro Monat für den Antragsteller beginnend mit dem Monat Juli 2023 vorläufig zu übernehmen.
33
Zugleich wurde beantragt,
dem Antragsteller für das einstweilige Anordnungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung zu bewilligen.
34
Zur Begründung wurde vorgebracht, dass der Antragsteller unter einer Autismus-Spektrum-Störung im Sinne eines Asperger-Syndroms leide. Er habe daher Anspruch auf Eingliederungshilfe im Sinne des § 35a Abs. 1 SGB VIII. Die beantragte webbasierte Individualschule sei für den Antragsteller erforderlich und geeignet. Bereits unter dem Datum 25.06.2021 habe der behandelnde Therapeut, Herr Dr. med. …, die Online-Beschulung als „alternativlos“ bezeichnet. Eine Präsenz Schule mit lntegrationshelfer (Schulassistenz) Nachteilsausgleich genüge nicht, weil sich der Antragsteller nicht in großen Gruppen aufhalten könne. Ebenso wenig komme Hausunterricht in Frage. Ein Eindringen zunächst unvertrauter Lehrpersonen führe beim Antragsteller zu Panik und vegetativen Symptomen. Ebenfalls keine Alternative seien sozialpädagogische Hilfen oder der Besuch einer außerschulischen Einrichtung, da auch hier das Problem des fehlenden sicheren Umfeldes auftreten würde. lm Rahmen der Entscheidung über den Antrag der Eltern habe sich der Antragsgegner nicht an die Empfehlungen des behandelnden Therapeuten gehalten, sondern die eigene Einschätzung über eine vermeintliche Ungeeignetheit der webbasierten Beschulung herangezogen. Hierbei sei auch die Behauptung aufgestellt worden, der Antragssteller akzeptiere die webbasierte Schule nicht. Aus dem Lernstandsbericht vom 25.11.2022 für das 2. Halbjahr 2022 ergebe sich jedoch, dass sich der Antragsteller durch die Unterstützung der Web Schule zwischenzeitlich in massiv positiver Weise entwickelt habe. Er werde als freundlich und respektvoll beschrieben. Die Kommunikation sei stark ausgeweitet worden. Der Antragsteller suche von sich aus Kontakt zur Lehrkraft und bearbeite seine Aufgaben eigenständig. Er werde als motiviert und zuverlässig beschrieben. Die Eilbedürftigkeit der Entscheidung ergebe sich aus dem Umstand, dass die Kindsmutter seit der Einstellung der Leistungen mit Bescheid vom 15.09.2021, die Leistung selbst bzw. unter Mithilfe Dritter bestreite. Die Kindsmutter beziehe Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB ll). Sie selbst sei nicht leistungsfähig. Das Schulgeld werde daher bis dato über Zuwendungen bzw. Darlehen Dritter bestritten. Dies sei jedoch nur noch bis Ende Juni 2023 möglich. Sodann wäre der Antragsteller tatsächlich unbeschult, obwohl er im Rahmen der Web-Beschulung erhebliche Erfolge zu verzeichnen habe. Er würde sein Recht auf den konkreten Web-Schulplatz verlieren. Hierdurch seien nicht wiedergutzumachende Schäden zu befürchten, da der Antragsteller zwischenzeitlich zwei Jahre mit dem für ihn zuständigen Lehrer arbeite, um das für den Antragsteller erforderliche vertraute Umfeld herzustellen. Dem Antragsteller werde einerseits sein Recht auf Bildung genommen. Andererseits sei ab Wegfall der Web-Beschulung eine Verletzung der Schulpflicht gegeben.
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Dem Schriftsatz war eine eidesstattliche Erklärung der Kindsmutter vom 24.04.2023, die Bescheinigung des … Fachklinikums vom 22.11.2019 sowie die medizinischen Unterlagen von Dr. med. … vom 25.06.2021, 04.10.2021, 04.05.2022 sowie der Lernstandsbericht vom 25.11.2022 zur Glaubhaftmachung angefügt (Gerichtsakte B 10 E 23.356, Bl. 8 ff.).
36
Laut Schreiben vom 04.10.2021 von Dr. med. … könne der Antragsteller sein intellektuelles Potenzial online gut umsetzen und erstmals in seiner Schulkarriere Erfolgserlebnisse verzeichnen. Er habe dadurch an Selbstvertrauen zugewonnen. Die Hilfsmaßnahmen für Autismus seien in Deutschland ambulant angelegt. Weil der Antragsteller oft übermäßig Lärmempfindlich sei und Angst in größeren Gruppen von Gleichaltrigen habe, seien stationäre oder teilstationäre Behandlungen nicht anzuraten. Er empfehle daher die Fortsetzung der Online-Beschulung. Er empfehle weiterhin die Behandlung in einem Autismus-Zentrum. Laut Attest vom 04.05.2022 von Dr. med. … seien ambulante Hilfsmaßnahmen sinnvoll, weil teilstationäre und stationäre Behandlungen in der Regel von Autisten nicht zu ertragen seien. Autisten würden sich zu Hause in einem vertrauten Rahmen am sichersten fühlen. Neue Situationen, plötzliche Änderungen und Unvertrautes würden zu einem Stationsalltag gehören. Der Antragsteller stehe auf der Warteliste der Autismus-Therapie und er stehe auch auf der Warteliste einer Psychologin, die ambulant arbeite. Laut Resümee des Lernstandsberichts vom 25.11.2022 habe der Antragsteller in den vergangenen Monaten mit nur wenigen Ausnahmen kontinuierlich Lernfortschritte in allen sechs unterrichteten Fächern erzielen können. Außerschulische Störfaktoren hätten ihn nur selten unkonzentriert arbeiten lassen. ln der Regel nehme er täglich motiviert und engagiert am Unterricht teil. Wie die meisten Menschen im Autismus-Spektrum habe der Antragsteller unregelmäßig Schwierigkeiten, Aufgabenstellungen zu verstehen und diese richtig umzusetzen, was nicht als Indiz mangelnder intellektueller Kompetenz zu werten sei, es handele sich stattdessen um eine Besonderheit im Rahmen der lnformationsfilterung und -sortierung. Mithilfe von Erläuterungen seines Lehrers könne der Antragsteller auch derartige Arbeitsaufträge zuverlässig und gut bearbeiten. Seit wenigen Monaten schlage der Antragsteller unregelmäßig zusätzliche Telefonate mit seinem Lehrer vor, was positiv zu bewerten sei. Zuletzt hätten so zwei bis vier Telefonate pro Woche stattgefunden, in denen der Antragsteller weiterhin nur per Chat kommuniziere. Für die Zukunft sei es wünschenswert, dass sich der Antragsteller (wieder) darauf einlasse, mit seinem Lehrer zu sprechen. Weil der Unterricht aber auch so zielführend und die Beschulung weiterhin positiv verlaufe, gebe es aus Sicht der Web-Individualschule keinen Grund, auf eine schnelle Änderung der Kommunikation zu drängen. Bezüglich des Inhalts der weiteren Anlagen wird auf diese bzw. die voranstehend Ausführungen Bezug genommen.
37
Mit Schriftsatz vom 11.05.2023 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die webbasierte Individualbeschulung bestehe. Grundsätzlich stelle eine Beschulung mittels einer Online Schule, mit welcher die bestehende Schulpflicht nicht erfüllt werden kann, keine geeignete Eingliederungshilfe dar. Denn auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hätten Leistungen zur Teilhabe an Bildung prinzipiell lediglich unterstützenden Charakter. Sie seien grundsätzlich weder auf die Finanzierung der Bildungsmaßnahme selbst noch auf die Gestaltung deren pädagogischen Kernbereichs gerichtet. Dies bedeute, dass z.B. Schulgelder und Kursgebühren grundsätzlich nicht in das Leistungsspektrum des Rehabilitationsträgers fallen würden. Die Bereitstellung der räumlichen, sächlichen, personellen und finanziellen Mittel für die Erlangung einer angemessenen, den Besuch weiterführender Schulen einschließenden Schulbildung auch solcher Kinder und Jugendlicher, deren seelische Behinderung festgestellt sei oder die von einer solchen bedroht seien, obliege grundsätzlich nicht dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, sondern dem Träger der Schulverwaltung. Eine Ausnahme hiervon würden lediglich die Fälle des Systemversagens bilden, wenn einem Kind der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven Gründen nicht möglich oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder zumutbar sei. Dies sei hier nicht der Fall. Dr. med. univ. … führe in einer fachärztlichen Stellungnahme wegen Kindeswohlgefährdung vom 28.07.2021 aus, dass aus fachärztlicher Sicht keine weitere Beschulung auf Web-Basis indiziert oder sinnvoll sei. Eine Beschulung auf Web-Basis sei vielmehr kontraindiziert, da der Antragsteller immer mehr Kompetenzen verliere. Darüber hinaus sei die webbasierte Online Schule keine geeignete Eingliederungsmaßnahme im Sinne des § 35a SGB VIII. Die Leistung nach § 35a SGB VIII solle dem Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung ermöglichen und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fördern. Die Leistung soll die Leistungsberechtigten befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich vornehmen zu können. Der Kontakt zu Gleichaltrigen sei essenziell in der Entwicklung junger Menschen. Eine derartige soziale Teilhabe und damit auch eine sozio-emotionale Entwicklung des Antragstellers sei gefährdet, wenn er an keine Schule angebunden sei und keinerlei soziale Kontakte zu Gleichaltrigen habe. Damit sei die webbasierte Online Schule bestenfalls als überbrückende Maßnahme der Eingliederungshilfe zur schulischen Teilhabe geeignet gewesen, allerdings nicht über den im Bewillungsbescheid genannten 31.07.2021 hinaus. Lediglich ergänzend sei auszuführen, dass die Ausführungen im Schriftsatz vom 04.05.2023 im Hinblick auf die täglichen 30 Minuten Live-Unterricht mit Webcam nicht mit dem Lernstandsbericht vom 25.11.2022 übereinstimmen. Ausweislich des Lernstandsberichts fänden Dienstag und Donnerstag Telefonate statt. Der Antragsteller höre und sehe in den Videotelefonaten zu, kommuniziere aber ausschließlich per Chat. Im Resümee werde ausgeführt, dass zwei bis vier Telefonate in der Woche stattfänden, in denen der Antragsteller ausschließlich per Chat kommuniziere. Eine starke Ausweitung der Kommunikation könne daher nicht angenommen werden.
39
Mit weiterem Schriftsatz vom 11.05.2023 teilte der Antragsgegner mit, dass die fachärztlichen Stellungnahmen von Herrn Dr. med. univ. … vom 20.10.2020 und 28.07.2021 in die Entscheidung, die beantragten Leistungen mit Bescheid vom 15.09.2021 abzulehnen, einbezogen worden seien. Maßgeblich sei der Hilfeplan vom 09.07.2021 gewesen.
40
Als Anlagen wurden der Gesprächsvermerk vom 07.07.2020, die fachärztliche Bestätigung vom 20.10.2020, der Hilfeplan vom 09.07.2021 sowie die fachärztliche Stellungnahme wegen Kindeswohlgefährdung vom 28.07.2021 beigefügt. Bezüglich des Inhalts der Anlagen wird auf die voranstehenden Ausführungen verwiesen.
41
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (B 10 K 22.524 und B 10 E 23.356) und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
42
1. Der zulässige Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet und daher erfolglos.
43
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Vorliegend begehrt der Antragsteller (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Kosten für die webbasierte Individualschule beginnend mit dem Monat Juli 2023. Dieses Begehren ist auf die Veränderung des Status quo gerichtet, was einen typischen Fall der Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO darstellt (Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 23).
44
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Hauptsacheanspruchs besteht. Das ist der Fall, wenn der zu sichernde/regelnde Anspruch des Antragstellers nach den Vorschriften des materiellen Rechts besteht (sog. Anordnungsanspruch) und die in § 123 Abs. 1 VwGO normierten Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung (sog. Anordnungsgrund) erfüllt sind (Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 45). Der Anordnungsgrund ist gleichzusetzen mit der Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (Schoch/Schneider/Schoch, VwGO, 43. EL August 2022, § 123 Rn. 81). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Das erforderliche Maß der richterlichen Überzeugung ist damit auf eine nur überwiegende Wahrscheinlichkeit festgelegt (Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 51). Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 46, 54 i.V.m. § 113 Rn. 55). Ist der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Denn es entspricht dem Wesen der einstweiligen Anordnung, dass es sich um eine vorläufige Regelung handelt und der Antragsteller nicht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das erhalten soll, worauf sein Anspruch in einem Hauptsacheverfahren gerichtet ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2023 – 11 CE 23.60 – juris Rn. 16; B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4; VG Würzburg, B.v. 16.8.2021 – W 3 E 21.985 – juris Rn. 56).
45
a. Im Rahmen der im Eilverfahren möglichen Prüfung hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund, d.h. die Dringlichkeit bzw. die Eilbedürftigkeit der Rechtschutzgewährung glaubhaft gemacht.
46
Die gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung erfolgt nach § 294 ZPO. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn nach richterlicher Überzeugung ihr Vorliegen wahrscheinlicher ist als ihr Nichtvorliegen. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommt unter anderem die eidesstattliche Versicherung in Betracht (BeckOK ZPO/Mayer, ZPO, 48. Ed. 1.3.2023, § 920 Rn. 12). Der eidesstattlichen Versicherung der Kindsmutter vom 24.04.2023 ist zu entnehmen, dass seit September 2021 das Schulgeld für die webbasierte lndividualschule des Antragstellers aus privaten Mitteln finanziert worden sei. Dritte hätten die entsprechenden Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Ab Ende Juni 2023 gebe es keine Möglichkeit mehr, die Gebühren für die webbasierte Individualschule, die sich ab dem neuen Schuljahr auf 1.004,00 € pro Monat belaufen würden, aus privaten Mitteln vorzustrecken. Sie selbst sei dazu nicht in der Lage, weil sie von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) lebe. Dies bedeute, dass der Antragsteller seinen Platz in der Web Schule verlieren werde.
47
Vor diesem Hintergrund ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, um bei Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen die begehrte Finanzierung der Web-Beschulung zu erreichen und somit eine entsprechende Beschulung zu erhalten.
48
b. Allerdings wurde seitens des Antragstellers der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, weshalb der Antrag im Ergebnis abzulehnen ist. Hierzu ist Folgendes auszuführen:
49
aa. Der Antragsteller hat grundsätzlich einen Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.
50
Dies ist bei Kindern oder Jugendlichen der Fall, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Dass der Antragsteller grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII hat, ist ausgehend von den dem Gericht vorliegenden Unterlagen unter den Beteiligten unstreitig. Das … Fachklinikum … bescheinigte dem Antragsteller bereits unter dem Datum 23.01.2019 eine tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne eines Asperger Syndroms (F84.5), weshalb ein Nachteilsausgleich medizinisch indiziert sei (Akte des Antragsgegners, Bl. 9). Des Weiteren diagnostizierten auch Dr. med. univ. … Asperger-Autismus (F84.5G) (vgl. fachärztliche Stellungnahme vom 28.07.2021, Akte des Antragsgegners, Bl. 110) und Dr. med. … eine Autismus-Spektrum-Störung in Sinne eines Asperger-Syndroms (F84.5) und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35a SGB VIII (vgl. u.a. Bericht vom 24.06.2021, Akte des Antragsgegners, Bl. 88 f.). Der Antragsgegner selbst hat den Antragsteller in seinen Hilfeplänen vom 01.02.2021 und vom 09.07.2021 dem Personenkreis des § 35a SGB VIII zugeordnet (Akte des Antragsgegners, Bl. 63, 103) und in der Vergangenheit bereits mehrfach Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gewährt (z.B. Schulassistenz mit Bescheid vom 21.03.2019, Erziehungsbeistand mit Bescheid vom 23.01.2020 und befristete Übernahme des Schulgeldes für die webbasierte Individualbeschulung mit Bescheid vom 10.11.2020 (vgl. Akte des Antragsgegners, Bl. 18 f., 26 f., 50 f.).
51
bb. Es besteht jedoch kein Anspruch des Antragstellers auf die vorliegend konkret begehrte Übernahme des Schulgelds für die webbasierte Individualschule als Leistung der Eingliederungshilfe in Form von Leistungen zur Teilhabe an Bildung gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Nr. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
52
Zwischen den Beteiligten ist vorliegend die Frage streitig, welche Hilfeart für den Antragsteller geeignet ist. Seitens des Antragstellers wird die Übernahme des Schulgelds für die webbasierte Individualschule begehrt, wohingegen seitens des Antragsgegners eine stationäre Aufnahme in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen als zwingend erforderlich gesehen und die Maßnahme der Web-Beschulung als nicht geeignet eingestuft wird (vgl. u.a. Bescheid vom 15.09.2021, Akte des Antragsgegners, Bl. 118).
53
Soweit konkret die Übernahme des Schulgelds für die webbasierte Individualschule als Leistung der Eingliederungshilfe in Form von Leistungen zur Teilhabe an Bildung gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX begehrt wird, ist darauf hinzuweisen, dass Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen sich gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII u.a. nach § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches richten, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können. Besondere Aufgabe der Teilhabe an Bildung ist es gemäß § 90 Abs. 4 SGB IX, Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung und schulische und hochschulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zur Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
54
(1). Grundsätzlich umfassen Leistungen zur Teilhabe an Bildung gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht die Übernahme der für den Besuch einer Privatschule anfallenden Aufwendungen.
55
Der Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe ist abzugrenzen von demjenigen der Schulträger. Gegenstand der Eingliederungshilfe können nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur Maßnahmen sein, die die Schulbildung begleiten. Hingegen obliegt die Schulbildung selbst als Kernbereich der pädagogischen Arbeit allein den Schulträgern. Zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrkräfte gehören die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte, somit der Unterricht selbst, seine Inhalte, das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung wie auch die Bewertung der Schülerleistungen. Hingegen ist der Kernbereich der pädagogischen Tätigkeit nicht betroffen, wenn die Maßnahme lediglich dazu dienen soll, die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkräfte abzusichern und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass ein erfolgreicher Schulbesuch möglich ist. Den Kernbereich berühren deshalb alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste nicht, die flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der Leistungsberechtigte das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen kann (BSG, U.v. 9.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – beck-online Rn. 4; U.v. 18.7.2019 – B 8 SO 2/18 R – juris Rn. 16; Grube/Wahrendorf/Flint/Bieback, SGB IX, 7. Aufl. 2020, § 112 Rn. 7). Auch nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung obliegt die Bereitstellung der räumlichen, sächlichen, personellen und finanziellen Mittel für die Erlangung einer angemessen, den Besuch weiterführender Schulen einschließenden Schulbildung auch solcher Kinder und Jugendlicher, deren seelische Behinderung festgestellt ist oder die von einer solchen bedroht sind, grundsätzlich nicht dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, sondern dem Träger der Schulverwaltung. Da die Schulgeldfreiheit in Verbindung mit der Schulpflicht eine Leistung der staatlichen Daseinsvorsorge darstellt und aus übergreifenden bildungs- und sozialpolitischen Gründen eine eigenständige (landesrechtliche) Regelung außerhalb des Sozialgesetzbuches gefunden hat, ist grundsätzlich für einen gegen den Träger der Kinder- und Jugendhilfe gerichteten Rechtsanspruch auf Übernahme der für den Besuch einer Privatschule anfallenden Aufwendungen kein Raum (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 18.10.2016 – 12 CE 16.2064 – juris Rn. 4; BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61/14 – juris Rn. 4). Demnach kann ein Schulgeld für eine private Ersatzschule, mit dem der Unterricht und damit die von der Schule als Kernbereich zu erbringende Leistung finanziert wird, in der Regel nicht vom Eingliederungshilfeträger übernommen werden (Grube/Wahrendorf/Flint/Bieback, SGB IX, 7. Aufl. 2020, § 112 Rn. 8; BSG, U.v. 15.11.2012 – B 8 SO 10/11 R).
56
Ausnahmen von dem voranstehend genannten, durch das Verhältnis der Spezialität geprägten Grundsatz sind nur für den Fall in Betracht zu ziehen, dass auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf des jungen Menschen im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken, weil diesem der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen unmöglich bzw. unzumutbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2016 – 12 CE 16.2064 BVerwG – juris Rn. 5, BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61/14 – juris Rn. 4; Grube/Wahrendorf/Flint/Bieback, SGB IX, 7. Aufl. 2020, § 112 Rn. 7).
57
(2). Die Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe über die Geeignetheit und die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist durch das Verwaltungsgericht nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar.
58
Die Feststellung einer – zumindest drohenden – Teilhabebeeinträchtigung verpflichtet den zuständigen Träger der Jugendhilfe nicht automatisch zu einer bestimmten Hilfemaßnahme. Denn nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Maßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung der Fachkräfte des Jugendamts und des betroffenen Hilfeempfängers, der nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern vielmehr eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation beinhaltet, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. sozialpädagogische Fachlichkeit). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich in diesem Fall darauf, dass allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist daher nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (vgl. VG Würzburg, B.v. 16.8.2021 – W 3 E 21.2021; BayVGH, B.v. 28.6.2016 – 12 ZB 15.1641 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24.98 – juris Rn. 39).
59
Will ein Antragsteller die Verpflichtung des Trägers der Jugendhilfe zur Durchführung einer bestimmten Hilfemaßnahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwirken, muss er im Hinblick auf den in den Grenzen der sozialpädagogischen Fachlichkeit bestehenden Beurteilungsspielraum des Jugendamts darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet, mithin fachlich vertretbar ist (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 30; B.v. 2.8.2011 – 12 CE 11.1180 – juris Rn. 46; B.v. 22.12.2009 – 12 CE 09.2371 – juris Rn. 21 ff.; VG Würzburg, B.v. 16.8.2021 – W 3 E 21.2021 – juris Rn. 68).
60
Richtet sich der Anspruch darüber hinaus – wie im vorliegenden Fall – auf die Übernahme der Kosten einer Privatschule durch den Antragsgegner, setzt aufgrund des Nachrangs der Jugendhilfe nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII die Hilfegewährung voraus, dass keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken (vgl. BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 31).
61
(3). Wenn nicht sogleich der Gesamtbedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe gedeckt werden kann, kann erforderlich sein, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist.
62
Die Eingliederungshilfe zielt grundsätzlich darauf ab, den Hilfebedarf in seiner Gesamtheit zu decken und deshalb alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick zu nehmen. Hilfeleistungen sind demnach so auszuwählen und aufeinander abzustimmen, dass sie den gesamten Bedarf soweit wie möglich erfassen. Denn aus dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (BVerwG, U.v. 19.10.2011 – 5 C 6.11 – juris Rn. 12; U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 25; VG Würzburg, U.v. 22.9.2022 – W 3 K 21.1637 – juris Rn. 81). Allerdings kann der Regelung des § 35a SGB VIII nicht entnommen werden, dass dies zwingend der Fall sein muss. Denn der Systematik und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist zu entnehmen, dass Eingliederungshilfen auch darauf ausgerichtet sein dürfen, einen Teilbedarf zu decken. Denn wenn Teilhabebeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen einen Hilfebedarf erzeugen, der nur durch verschiedene, auf den jeweiligen Bereich zugeschnittene Leistungen abgedeckt werden kann und muss, kann es geboten sein, verschiedene Hilfeleistungen zu kombinieren oder durch mehrere Einzelleistungen den Gesamtbedarf des Hilfebedürftigen abzudecken. In diesem Fall kann es, wenn nicht sogleich der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, erforderlich sein, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist. Steht etwa eine bestimmte Hilfeleistung tatsächlich zeitweilig nicht zur Verfügung oder wird eine bestimmte Hilfe vom Hilfeempfänger oder dessen Personensorgeberechtigten (zeitweise) nicht angenommen, kann es gleichwohl geboten sein, die Hilfen zu gewähren, die den in anderen Teilbereichen bestehenden Bedarf abdecken (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 23; VG Würzburg, U.v. 22.9.2022 – W 3 K 21.1637 – juris Rn. 81).
63
Etwas anderes kann – mit Blick auf Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe – nur dann anzunehmen sein, wenn die Gewährung der Hilfe für einen Teilbereich die Erreichung des Eingliederungsziels in anderen von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereichen erschweren oder vereiteln würde, es also zu Friktionen zwischen Hilfemaßnahmen käme (VG Würzburg, U.v. 22.9.2022 – W 3 K 21.1637 – juris Rn. 82; BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 24).
64
(4). Unter Berücksichtigung der voranstehenden Ausführungen ist durch den Antragsteller im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht glaubhaft gemacht worden, dass ein zu sichernder Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Web-Beschulung beginnend mit dem Monat Juli 2023 besteht.
65
Der Antragsgegner ist als sachlich (§ 85 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. Art. 15 Satz 1 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG)) und örtlich (§ 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) zuständiger Träger der Kinder- und Jugendhilfe der Auffassung, dass es sich bei der Beschulung durch die Web-Individualschule nicht um eine geeignete Maßnahme der Eingliederungshilfe für den Antragsteller handelt. Die Fortführung der Eingliederungshilfe in Form einer Beschulung durch die Web-Individualschule wird als nicht sinnvoll und zielführend erachtet. Die webbasierte Online Schule sei bestenfalls als überbrückende Maßnahme geeignet gewesen, allerdings nicht über den im Bewilligungsbescheid vom 10.11.2020 genannten 31.07.2021 hinaus. Eine stationäre Aufnahme in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen sei von Dr. med. univ. … dringend angeraten worden und werde auch vom Kreisjugendamt als zwingend erforderlich angesehen (vgl. u.a. Bescheid vom 15.09.2021, Akte des Antragsgegners, Bl. 118, und zuletzt Schriftsatz vom 11.05.2023, S. 9).
66
Wie bereits ausgeführt ist die Entscheidung über die Geeignetheit und die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme verwaltungsgerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar. Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass bei der Entscheidung über die Geeignetheit der Web-Beschulung allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind.
67
Der Antragsgegner kam vertretbar zu der Auffassung, dass es sich bei der Web-Beschulung um keine geeignete Hilfsmaßnahme für den Antragsteller handelt.
68
In der Zeit zwischen der befristeten Bewilligung der Übernahme des Schulgeldes durch Bescheid vom 10.11.2020 und dem Ablehnungsbescheid vom 15.09.2021 wurden durch den Antragsgegner zwei Hilfepläne i.S.v. § 36 SGB VIII erstellt, wobei laut Schriftsatz des Antragsgegners vom 11.05.2023 der zweite Hilfeplan vom 09.07.2021 (Akte des Antragsgegners, Bl. 99 ff.), der sich ausführlich mit der Beschulung durch die Web-Individualschule auseinandersetzt, für den Ablehnungsbescheid vom 15.09.2021 maßgeblich war. Laut Hilfeplan vom 09.07.2021 wurden als fachärztliche Stellungnahmen das Gutachten des … Fachklinikums … vom 31.01.2019 (Akte des Antragsgegners, Bl. 9) und die fachärztliche Bestätigung von Dr. med. univ. … vom 20.10.2020 (Akte des Antragsgegners, Bl. 49) einbezogen. Laut Letzterer wurde nur wegen der unerwartet uneinschätzbaren langen Wartezeit auf einen stationären Therapieplatz doch die Genehmigung der Web-Beschulung als rein überbrückende Maßnahme empfohlen. Des Weiteren wurde im Rahmen des Hilfeplans vom 09.07.2021 auch der der Arztwechsel zu Dr. med. … berücksichtigt und der bisherige Verlauf der Web-Beschulung dargestellt. Für die Vertretbarkeit der Befristung und gegen die erneute Bewilligung der Beschulung durch die Web-Individualschule spricht ferner, dass Dr. med. univ. … im Gespräch am 07.07.2020 (Akte des Antragsgegners, Bl. 35) äußerte, dass er die soziale Komponente in der Schule als sehr wichtig ansehe, die Web Schule lediglich der letzte Ausweg sein solle und eine stationäre Diagnostik empfohlen werde. In seiner fachärztlichen Stellungnahme wegen Kindeswohlgefährdung vom 28.07.2021 (Akte des Antragsgegners, Bl. 110 f.) führte er des Weiteren aus, dass aus fachärztlicher Sicht keine weitere Beschulung auf Web-Basis indiziert oder sinnvoll sei, da die Kindsmutter den Antragsteller immer mehr isoliere und ihn nicht mehr außer Haus lasse und er somit immer weiter desintegriert werde. Selbst wenn die Web-Beschulung möglich wäre, sei sie aus fachärztlicher Sicht kontraindiziert.
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Auch unter Berücksichtigung des unmittelbar vor dem Hilfeplan vom 09.07.2021 erstellten Lernstandsberichts der Web-Individualschule vom 01.07.2021 (Akte des Antragsgegners, Bl. 94 ff.) erweist sich die durch Ablehnungsbescheid vom 15.09.2021 zum Ausdruck gebrachte Einschätzung des Antragsgegners, dass es sich bei der Web-Beschulung um keine geeignete Hilfsmaßnahme handelt, nach Ansicht des Gerichts als vertretbar. Denn im Lernstandsbericht vom 01.07.2021 heißt es unter anderem, dass der Antragsteller oft wochenlang gar nicht zum Live-Unterricht bereit sei, sich seine Kommunikation auf die Chat-Funktion beschränke. Er sei sehr launisch. Bei guter Laune könne er aufgeschlossen und ausgelassen sein, bei Frustration sei er teilweise grob beleidigend. Er entschuldige sich zwar danach, sei aber nicht bereit, Regeln für einen respektvollen Umgang zu vereinbaren, etwa lautstarkes Essen, Trinken und Computerspielen während des Unterrichts zu unterlassen. Er sei kaum zur Teilnahme am Live-Unterricht zu bewegen gewesen, weshalb dessen Frequenz auf Vorschlag seiner Mutter reduziert worden sei. Diese Struktur habe zeitweise sehr gut funktioniert, seit Ende Mai sei der Antragsteller jedoch überhaupt nicht mehr bereit, am Live-Unterricht teilzunehmen. Daher sei der Live-Unterricht in Absprache mit seiner Mutter bis auf Weiteres ausgesetzt. Der Antragsteller bekomme aktuell Aufgaben zur Selbstarbeit in verschiedenen Fächern ohne Bearbeitungsfrist. Seine Motivation sei schwer zu beurteilen, da sie starken Schwankungen unterliege. Er sei für den Live-Unterricht im Regelfall nicht erreichbar und halte Absprachen nicht ein. Das Zurücksenden der Aufgaben erfolge unvollständig und unregelmäßig. Teilweise reiche er auch handschriftliche Ausarbeitungen in einer sehr ordentlichen Handschrift ein, hierbei sei unklar, ob diese von ihm oder seiner Mutter stammen würden. Aus Sicht der Web-Individualschule sei ein gemischtes Fazit zu ziehen. Im ersten Halbjahr wechselten sich relativ problemlose Zeiten mit längeren Phasen ab, in denen faktisch keine Beschulung stattgefunden habe. Laut Gesprächsvermerk vom 22.04.2021 äußerte Herr …, die seinerzeitige Lehrkraft des Antragstellers in der Web-Individualschule, unter anderem, dass zwar auch kleine Fortschritte gesehen würden, im Vergleich zu anderen Schülern falle jedoch auf, dass die Fortschritte und auch die Motivation gering seien. Insgesamt sei fraglich, wie viel der Antragsteller wirklich vom Unterricht mitbekomme und ob die Web-Individualschule die geeignete Schulform für ihn sei (Akte des Antragsgegners, Bl. 76). Auch Herr …, stellvertretender Schulleiter der Web-Individualschule, habe im Rahmen eines Telefonats am 09.07.2021 geäußert, dass aufgrund des fehlenden Vertrauensverhältnisses zwischen der Kindsmutter, dem Antragsteller und der Schule sowie der fehlenden Mitarbeit und Einsicht der Kindsmutter und der kaum sichtbaren Entwicklung des Antragstellers die Weiterführung der Maßnahme kritisch zu sehen sei. Er sehe die stationäre Abklärung in einer Klinik als durchaus sinnvoll und notwendig an (Akte des Antragsgegners, Bl. 105).
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Aufgrund der voranstehenden Ausführungen gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Einschätzung des Antragsgegners hinsichtlich der Ungeeignetheit der Web-Beschulung im Bescheid vom 15.09. 2021 durchaus vertretbar ist.
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Nach Ansicht der Kammer gilt dies insbesondere auch im vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weiterhin. Seitens des Antragstellers wurde nicht – wie aufgrund des Beurteilungsspielraums des Jugendamts erforderlich – ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme der Beschulung durch die Web-Individualschule zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet, mithin fachlich vertretbar ist.
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Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das … Fachklinikum … unter dem Datum 22.11.2019 bescheinigte, dass die Flex-Fernschule als geeignete Schulform erachtet werde, das Ruhen der Schulpflicht medizinisch indiziert scheine (Akte des Antragsgegners, Bl. 28) und auch Dr. med. … eine abweichende fachliche Meinung vertritt. Laut ihm ist die Online-Beschulung alternativlos, eine Präsenzschule mit Integrationshelfer (Schulassistenz) und Nachteilsausgleich reiche nicht aus (vgl. Attest vom 25.06.2021, Akte des Antragsgegners, Bl. 92). Der Antragsteller sei vom 28.06.2021 bis auf Weiteres schulbesuchsunfähig (vgl. Attest vom 28.06.2021, Akte des Antragsgegners, Bl. 93). Die Hilfsmaßnahmen für Autismus seien deutschlandweit ambulant angelegt, stationäre oder teilstationäre Behandlungen seien nicht anzuraten. Die Fortsetzung der Online-Beschulung werde empfohlen (vgl. Attest vom 28.07.2021, Akte des Antragsgegners, Bl. 113 f.). Mit Attesten vom 04.10.2021, 04.05.2022 und 09.08.2022 bestätigte Dr. med. … im Wesentlichen erneut, dass die Hilfsmaßnahmen bei einer Autismus-Spektrum-Störung ambulant angelegt seien und eine teilstationäre oder stationäre Behandlung in der Regel von Autisten nicht zu ertragen sei (vgl. Gerichtsakte B 10 E 23.356, Bl. 10 f.; Gerichtsakte B 10 K 22.524, Bl. 59).
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Hinsichtlich der Bescheinigung des … Fachklinikums … vom 22.11.2019 ist darauf hinzuweisen, dass daraus hervorgeht, dass die Flex-Fernschule als geeignete Schulform erachtet wird, jedoch nicht alleine zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet, mithin fachlich vertretbar ist. Insofern lässt sich hieraus auch nicht auf einen Anspruch des Antragstellers auf Beschulung durch die Web-Individualschule schließen.
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Soweit Dr. med. … unter dem Datum 25.06.2021 und 28.06.2021 unter anderem attestierte, die Online-Beschulung sei alternativlos, eine Präsenz Schule mit Integrationshelfer reiche nicht aus, weil sich der Antragsteller nicht in großen Gruppen aufhalten könne (vgl. Attest vom 25.06.2021, Akte des Antragsgegners, Bl. 92) und der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen vom 28.06.2021 an bis auf Weiteres schulbesuchsunfähig sei (Akte des Antragstellers. Bl. 93), ist darauf hinzuweisen, dass er noch in seinem Bericht vom 24.06.2021 – und damit lediglich wenige Tage zuvor – unter der Überschrift „Zusammenfassung und Empfehlung“ ausführte, dass der Antragsteller Anspruch auf eine Schulassistenz und einen Nachteilsausgleich habe und dieser Anspruch durch das Amt geprüft werden solle (Akte des Antragsgegners, Bl. 89). Hinzu kommt, dass auch Herr …, Leitender Psychologe der Kinder- und Jugendpsychiatrie …, am 15.07.2022 telefonisch mitteilte, dass ein Kind/Jugendlicher mit Autismus-Spektrum-Störung lernen könne, in Interaktion zu gehen. Es müsse unterstützt werden, Kontakt mit anderen anzubahnen, aufzubauen und zu stärken. Es sei schwierig, aber besser als wenn nichts gemacht werde. Im Alter von zwölf Jahren sei schon vieles in der Entwicklung verpasst. Es sei schädlicher für die Entwicklung, nichts zu unternehmen (Akte des Antragsgegners, Bl. 141). Herr … äußerte ferner am 08.11.2022, dass zwar keine pauschalen Aussagen getroffen werden könnten, jedoch sehe er es sehr kritisch, dass der Junge seit mehreren Jahren die Schule nicht mehr besuche und nur online beschult werde. Ein adäquates Sozialverhalten könne nicht erprobt werden, hierfür werde Kontakt mit anderen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen benötigt. Es müsse zumindest ein Therapieversuch gestartet werden, der nur außerhalb der Familie möglich sei. Für Herrn … sei eine stationäre Behandlung auch für Kinder mit Autismus sinnvoll und dringend angeraten. In einer stationären Behandlung könne erprobt werden, wie genau sich die Autismus-Spektrum-Störung auf das Verhalten des Antragstellers auswirke und wie er unterstützt werden könne. In der Klinikbeschulung könne ebenso erprobt werden, mit wie vielen anderen Kindern die Beschulung möglich sei und was der Antragsteller benötige, um wieder in den Klassenverband zurückzukehren (Akte des Antragsgegners, Bl. 142). Bei Problemen mit dem Schulbesuch könne eine Klinik mit Klinikbeschulung den notwendigen Rahmen zum sozialen Lernen bieten, den ein ambulantes Therapiesetting nicht mehr erfüllen könne (Akte des Antragsgegners, Bl. 146). Herrn … wurde der Fall zwar ohne spezifischen Patientenbezug, mit schwieriger diagnostischer Klärung und langem Schulabsentismus geschildert, da sich seine Aussagen jedoch grundsätzlich auf Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung und den diagnostischen bzw. therapeutischen Möglichkeiten im Rahmen einer stationären Therapie bezogen haben und er ebenfalls über die Online-Beschulung in Kenntnis gesetzt wurde, stützen diese Aussagen die Haltung von Dr. med. univ. … und letztendlich auch die des Antragsgegners.
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Insbesondere berücksichtigt die Kammer im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung auch, dass die nach Erlass des Ablehnungsbescheids vom 15.09.2021 vorgelegten Lernstandsberichte der Web-Individualschule teilweise positiv ausgefallen sind. Laut Lernstandsbericht vom 24.09.2021 seien die vergangenen acht Wochen aus Sicht der Web-Individualschule positiv verlaufen (Akte des Antragsgegners, Bl. 122 f.). Aus dem Resümee des Lernstandsberichts vom 15.11.2021 geht jedoch unter anderem hervor, dass der Antragsteller seit etwa Anfang September nicht mehr an den täglichen Telefonaten habe teilnehmen können oder wollen. Die Kommunikation finde seitdem per Chat statt, was insgesamt nicht wünschenswert sei (Akte des Antragsgegners, Bl. 131 ff.). Aus dem Kurzbericht vom 29.04.2022 ergibt sich, dass sich der Unterricht mit der Umstellung des Unterrichtsbeginns gefestigt habe. An den Videotelefonaten nehme der Antragsteller nur per Chat teil. Um tägliche Lernfortschritte zu erzielen, reiche das aktuelle Setting momentan aus. Trotzdem sei es aus Sicht der Web-Individualschule wünschenswert, dass sich der Antragsteller zukünftig mündlich an den Unterrichtsgesprächen beteilige. Dazu solle er weiter ermutigt und schrittweise an regelmäßige Telefonate herangeführt werden (Gerichtsakte B 10 K 22.524, Bl. 11 f.). Aus dem Lernstandsbericht vom 31.05.2022 ergibt sich unter anderem, dass die Kommunikation mit dem Antragsteller stets freundlich und respektvoll sei, sie finde größtenteils per Chat statt. Jeweils dienstags und donnerstags fänden die beiden vereinbarten Pflichttelefonate statt, an denen der Antragsteller stets teilnehme. Er kommuniziere währenddessen allerdings nur per Chat (seine Kamera sei ausgeschaltet), nehme die Ausführungen seines Lehrers aber wahr und an. Weil nicht alles planbar sei, seien manchmal spontane Umgestaltungen des Unterrichts nötig. Auch hier zeige der Antragsteller die Bereitschaft, sich auf derartige Unannehmlichkeiten einzulassen, sodass es zu keinerlei Unterrichtsausfall komme. Die Beschulung verlaufe aus Sicht der Web-Individualschule positiv. Aus dem gefestigten Lernsetting solle es dem Antragsteller in Zukunft möglich sein, sich auf weitere Telefonate einzulassen, beispielsweise, wenn sie zur Klärung einer Frage hilfreich sein könnten. Ein täglicher Austausch per Telefonat zu Unterrichtsbeginn sei perspektivisch zwar wünschenswert, allerdings nicht zwingend und möglichst bald notwendig, weil der Antragsteller täglich motiviert arbeite und seine Arbeitsaufträge gut erledige (Gerichtsakte B 10 K 22.524, Bl. 65 ff.). Laut Resümee des Lernstandsberichts vom 25.11.2022 habe der Antragsteller in den vergangenen Monaten mit nur wenigen Ausnahmen kontinuierlich Lernfortschritte in allen sechs unterrichteten Fächern erzielen können. Außerschulische Störfaktoren hätten ihn nur selten unkonzentriert arbeiten lassen. In der Regel nehme er täglich motiviert und engagiert am Unterricht teil. Wie die meisten Menschen im Autismus-Spektrum habe der Antragsteller unregelmäßig Schwierigkeiten, Aufgabenstellungen zu verstehen und diese richtig umzusetzen, was nicht als Indiz mangelnder intellektueller Kompetenz zu werten sei, es handele sich stattdessen um eine Besonderheit im Rahmen der lnformationsfilterung und -sortierung. Mithilfe von Erläuterungen seines Lehrers könne der Antragsteller auch derartige Arbeitsaufträge zuverlässig und gut bearbeiten. Seit wenigen Monaten schlage der Antragsteller unregelmäßig zusätzliche Telefonate mit seinem Lehrer vor, was positiv zu bewerten sei. Zuletzt hätten so zwei bis vier Telefonate pro Woche stattgefunden, in denen der Antragsteller weiterhin nur per Chat kommuniziere. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass sich der Antragsteller (wieder) darauf einlasse, mit seinem Lehrer zu sprechen. Weil der Unterricht aber auch so zielführend und die Beschulung weiterhin positiv verlaufe, gebe es aus Sicht der Web-Individualschule keinen Grund, auf eine schnelle Änderung der Kommunikation zu drängen (Gerichtsakte B 10 E 23.356, Bl. 13 ff.). Aus dem Zwischenbericht der Web-Individualschule vom 20.03.2023 geht zudem im Wesentlichen hervor, dass sich der Antragsteller nach einigen Schwierigkeiten zu Beginn der Beschulung Schritt für Schritt besser an den Unterricht und den täglichen Kontakt zu seinem Lehrkörper habe gewöhnen können. Nach dem Lehrerwechsel im August 2021 habe der Antragsteller erneut etwas Zeit benötigt, um sich auf die neue Lehrkraft einzulassen. Erst nach einigen Monaten sei es ihm gelungen, kontinuierlich am Unterricht teilzunehmen und sich an die vereinbarten Regeln zu halten. Es habe zuerst ein Vertrauensverhältnis entstehen müssen und gemeinsam bestimmte Vereinbarungen erarbeitet werden müssen. Eine dieser Vereinbarungen besage bis heute, dass die Kommunikation zwischen Schüler und Lehrer mindestens an zwei Tagen per Videotelefonat stattfinden solle (an den anderen Tagen per Chat). Der Antragsteller habe die Regel zu Beginn nur ungern angenommen, mittlerweile habe sie sich aber verselbstständigt. Videotelefonate würden auf Wunsch des Antragstellers nun fast täglich stattfinden, nur in wenigen Ausnahmefällen bitte er darum, nicht zu telefonieren. Die Videotelefonate würden zwar nach wie vor leicht eingeschränkt stattfinden, der Antragsteller habe seine Kamera ausgeschaltet und kommuniziere per Chat, während er seinen Lehrer sehen und hören könne, dennoch sei die wechselseitige Kommunikation und der Austausch über Lerninhalte quasi vollumfänglich möglich. Zudem nutze der Antragsteller auch nach dem Live-Unterricht rege den Chat, um sich über die täglichen Arbeitsaufträge auszutauschen und Fragen zu stellen. So setze er sich zumeist intensiv und motiviert mit seinen Aufgaben und den behandelten Themen auseinander und bearbeite diese zuverlässig und wie vereinbart. Mit sehr wenigen Ausnahmen laufe der Unterricht so seit vielen Monaten kontinuierlich und verlässlich, weil der Antragsteller offenbar durch die Beständigkeit und Sicherheit der Beschulung seine Leistungsbereitschaft stetig habe steigern können. Er erziele in den vergangenen Monaten kontinuierlich Lernfortschritte in allen sechs unterrichteten Fächern. Selbst außerschulische Störfaktoren ließen ihn nur selten unkonzentriert arbeiten. Der flexible Unterricht an der Web Schule biete zudem die Möglichkeit, auf Situationen zu reagieren, in denen der Antragsteller aufgrund seiner Autismus-Spektrum-Störung eine Pause benötige oder gesonderten Erklärungsbedarf habe. Die Beschulung verlaufe weiterhin positiv und zielführend (Gerichtsakte B 10 K 22.524, Bl. 114 f.).
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Trotz der geschilderten positiven Entwicklung, insbesondere auch der geschilderten Lernfortschritte, fällt auf, dass der Antragsteller, der nunmehr seit dem 01.12.2020 durch die Web-Individualschule beschult wird, auch nach rund zweieinhalb Jahren lediglich per Chat kommuniziert. Soweit es im Zwischenbericht vom 20.03.2023 heißt, die Videotelefonate würden zwar nach wie vor leicht eingeschränkt stattfinden, ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller seine Kamera ausgeschaltet hat und lediglich per Chat kommuniziert, sodass seinerseits weder eine mündliche noch visuelle Teilnahme an den Videotelefonaten gegeben ist, was nach Ansicht des Gerichts keine nur leichte Einschränkung der Kommunikation zwischen Lehrkörper und Schüler darstellt. Diesbezüglich weist das Gericht insbesondere auf die nachvollziehbaren Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 20.04.2022 hin, in dem es unter anderem heißt, dass sich der Antragsteller der Maßnahme entziehe und die Umstände zu viel Raum für „Entweichung“ lassen würden (Widerspruchsakte, Bl. 19). Im Übrigen sei erwähnt, dass es verwundert, dass im Lernstandsbericht vom 24.09.2021 steht, die vergangenen acht Wochen seien aus Sicht der Web-Individualschule positiv verlaufen (Akte des Antragsgegners, Bl. 122 f.), im Lernstandsberichts vom 15.11.2021 dagegen berichtet wird, dass der Antragsteller seit Anfang September nicht mehr an den täglichen Telefonaten habe teilnehmen können oder wollen (Akte des Antragsgegners, Bl. 131 ff.).
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Voranstehende Erwägungen sprechen nach Ansicht des Gerichts weiterhin für eine Vertretbarkeit der Entscheidung des Antragsgegners über die Ungeeignetheit der vorliegend begehrten Hilfsmaßnahme der Web-Beschulung. Weiter untermauert wird dies dadurch, dass es laut Antragsgegner unterschiedliche Schulformen gebe, die auf die diagnostizierte Autismus-Spektrum-Störung ausgelegt seien. In solchen Schulformen würden Klassengrößen, Unterrichtsmaterial, etc. auf die Kinder und Jugendlichen mit Autismus ausgerichtet. Der Antragsteller könne lernen, sich in kleinen Gruppen zurechtzufinden, sich auszuprobieren, seine eigenen Stärken und Schwächen kennenzulernen und auch unangenehme Dinge auszuhalten und sich über eigene Erfolge zu freuen. Solche Schulformen seien in ambulanter, teilstationärer oder stationärer Form möglich (Akte des Antragsgegners, Bl. 134 ff.).
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Im Übrigen bleibt anzuführen, dass aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Unterlagen hervorgeht, dass beim Antragsteller sowohl in schulischer als auch in sozialer Hinsicht Eingliederungshilfebedarf besteht. Bereits laut Abschlussbericht zum Hilfeverlauf nach § 27 i.V.m. § 35a SGB VIII müsse der Antragsteller aus Sicht der Fachkraft dringend einen Rahmen bekommen, in dem er soziales Verhalten lerne und sich in sozialen Kontexten bewege. Eine Therapiebereitschaft müsse notfalls von außen hergestellt werden. Die Kindsmutter sei sehr engagiert, schaffe es aber noch nicht, Veränderungsimpulse zu initiieren oder Fortschritte anzuregen (Akte des Antragsgegners, Bl. 115). Unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme, der Äußerungen von Dr. med. univ. … und Herrn … sowie der Tatsache, dass der Antragsteller bereits nunmehr seit rund zweieinhalb Jahren online beschult wird, erscheint die Erwägung des Antragsgegners durchaus vertretbar, dass der Kontakt zu Gleichaltrigen essenziell in der Entwicklung junger Menschen sei. Eine derartige soziale Teilhabe und damit auch eine sozio-emotionale Entwicklung des Antragstellers sei gefährdet, wenn er an keine Schule angebunden sei und keinerlei soziale Kontakte zu Gleichaltrigen habe. Deshalb sei die webbasierte Online Schule bestenfalls als überbrückende Maßnahme der Eingliederungshilfe zur schulischen Teilhabe geeignet gewesen, allerdings nicht über den im Bewillungsbescheid genannten 31.07.2021 hinaus (Gerichtsakte B 10 E 23.356, Bl. 37). Denn eine weitere Gewährung der ursprünglich befristeten Online-Beschulung als Leistung zur Teilhabe an Bildung würde die Erreichung des Eingliederungsziels in anderen von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereichen – nämlich der sozialen Teilhabe – erschweren oder gar vereiteln. Deshalb erscheint es vorliegend vertretbar, den im Teilbereich der Teilhabe an Bildung bestehenden Hilfebedarf nicht weiterhin isoliert zu decken. Insbesondere ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller anderweitig in hinreichendem Umfang in der Gesellschaft integriert ist. Das Gericht berücksichtigt dabei, dass seitens des Antragstellers unter anderem vorgetragen wurde, dass dieser auf der Warteliste für das Autismus-Zentrum … vorgemerkt und in einem Verein für Modelleisenbahnen sei sowie einige wenige Freunde habe, mit denen persönlicher Kontakt stattfinde (Gerichtsakte, B 10 K 22.524, Bl. 57). Vor allem hinsichtlich des Vortrags zum Verein für Modelleisenbahnen und der Freunde des Antragstellers wird jedoch darauf hingewiesen, dass dem Gericht hierüber keinerlei Nachweise oder Ähnliches vorgelegt wurden.
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Soweit die Bevollmächtigte des Antragstellers im Schriftsatz vom 04.05.2023 anführt, dem Antragsteller werde einerseits sein Recht auf Bildung genommen und andererseits sei ab Wegfall der Web-Beschulung eine Verletzung der Schulpflicht gegeben, ist darauf hinzuweisen, dass seitens des Antragsgegners im Ergebnis die Anbindung des Antragstellers an eine Schule sowie soziale Kontakte zu Gleichaltrigen – und damit Teilhabe an Bildung sowie soziale Teilhabe – angestrebt werden. Hinsichtlich der nach Art. 35 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) bestehenden Schulpflicht ist anzuführen, dass diese bereits nicht durch die aktuell noch erfolgende Beschulung an der Web-Individualschule erfüllt wird (vgl. Art. 36 BayEUG). Denn die Web-Individualschule ist eine Bildungseinrichtung in privater Trägerschaft ohne staatliche Anerkennung. Die Schulpflicht wird nicht erfüllt. Alle Schülerinnen und Schüler benötigen das Ruhen der Schulpflicht oder eine dauerhafte Krankschreibung (vgl. http://webindividualschule.de/, abgerufen am 14.06.2023).
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Die voranstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass der Antragsgegner bei der Entscheidung über die begehrte Teil-Hilfe in Form der Kostentragung für die Beschulung durch die Web-Individualschule allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet hat und keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind. Das Gericht gelangt nicht zu dem Ergebnis, dass allein die Beschulung durch die Web-Individualschule zur Deckung des Hilfebedarfs des Antragstellers erforderlich und geeignet, mithin fachlich vertretbar ist, weshalb der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis abzulehnen ist.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden in Verfahren der Jugendhilfe nicht erhoben, § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
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3. Gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerin abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den voranstehend dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Infolgedessen scheidet auch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gemäß § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit§ 121 Abs. 2 ZPO aus.