Titel:
Deckung in der Betriebsschließungsversicherung nach Anordnung der Zurückstellung planbarer Krankenhausbehandlungen und Schließung der Klinik-Cafeteria
Normenketten:
IfSG § 28
BGB § 305c Abs. 2
Leitsatz:
Für behördlich angeordnete, in der Corona-Pandemie auf § 28 IfSG gestützte Einschränkungen des Krankenhausbetriebs (hier: Allgemeinverfügungen v. 16.3., 19.3, und 8.5.2020 sowie Verordnungen v. 24.3. und 27.3.2020 des Bayrischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zur Schließung von Gaststätten jeder Art und Zurückstellung planbarer Krankenhausbehandlungen) besteht Deckungsschutz in der Betriebsschließungsversicherung, wenn deren Bedingungen vorsehen, dass Entschädigung geleistet wird, wenn die zuständige Behörde aufgrund des IfSG den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen ganz oder teilweise schließt, selbst wenn diese Zielsetzung nicht der Haupt- oder Alleinzweck der behördlichen Anordnung war. (Rn. 84 – 107) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Krankenhausbetrieb, Einschränkung, Corona, SARS-CoV-2, Hauptzweck, Alleinzweck
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 27.05.2024 – 8 U 1004/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21573
Tenor
Der Klageanspruch wird in der Hauptforderung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Es ist ein Versicherungsfall dem Grunde nach sowohl für die Zurückstellung und Unterbrechung planbarer Behandlungen der Klägerin ab 20.03.2020 bis 18.05.2020 als auch für die Untersagung und Einschränkung des Betriebs der Cafeteria der Klägerin ab 18.03.2020 bis 16.05.2020 gegeben.
Der Streitwert wird auf 2.852.388,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.
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Die Klägerin, eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, betreibt in das Klinikum, welches in den Krankenhausplan des Freistaats Bayern aufgenommen ist. Zum Klinikbetrieb gehört auch eine Cafeteria.
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Für das Klinikum sowie für vier mitversicherte Tochterunternehmen unterhält die Klägerin bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung für Krankenhäuser, Kliniken und Heimbetriebe gegen Schäden infolge von gefährlichen Infektionskrankheiten. Vereinbart ist eine Betriebsschließungssumme von 118.747.000 EUR und eine Tagesentschädigung von 332.491 EUR. Auf die Anlage K 1 (Nachtrag vom 28.07.2020 zur Betriebsschließungsversicherung) wird vollumfänglich Bezug genommen.
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Außerdem liegen dem Vertrag folgende Bedingungswerke zugrunde: Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung BS 312/02 (Anlage K 2), Besondere Vereinbarungen und Bestimmungen zur Betriebsschließungsversicherung HV 5905/01 und Besondere Vereinbarungen BS 2440/00 (Anlage K 3).
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In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung BS 312/02 heißt es in A.:
„§ 1 Was ist Gegenstand der Versicherung?
I. Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung?
Die Betriebsschließungsversicherung bietet Ihnen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger
1. den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen ganz oder teilweise schließt; …
II. Wann ist der Versicherungsfall gegeben?
Ein Versicherungsfall ist
1. im Fall des Abs. I Ziffer 1: die behördliche Anordnung der Schließung; …“.
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In den Besonderen Vereinbarungen für die Kunden der Funk Hospital-Versicherungsmakler GmbH HV 5905/01 heißt es u.a.:
Der Vertrag erstreckt sich auf den Versicherungsschutz von Betriebsschließungsschäden durch ordnungsbehördliche Maßnahmen nach dem Gesetz zur Verhütung und nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG). A.1.2 Versicherungsbedingungen Es gelten die
A.1.2.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungversicherung gegen Schäden infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern für Krankenhäuser, Kliniken und Heimbetriebe – BS 312/02 …
A.2 Besondere Vereinbarungen und Bestimmungen
A.2.1 Gegenstand der Versicherung
A.2.1.1 Abweichend von § 1 der BS 312/02 bietet der Versicherer Versicherungsschutz für den Fall, dass von der zuständigen Behörde oder auf Empfehlung des Robert-Koch-Institutes a) der versicherte Betrieb/Betriebsteil zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten geschlossen wird. Als Schließung ist es auch anzusehen, wenn sämtliche Betriebsangehörige Tätigkeitsverbote erhalten; …“
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Im Übrigen wird auf die genannten Versicherungsbedingungen vollumfänglich Bezug genommen.
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Im Nachtrag vom 28.07.2020 (Anlage K 1) ist die Betriebsschließungssumme mit EUR 118.747.000,00 und die versicherte Tagesentschädigung mit EUR 332.491,00 beziffert.
9
Die Versicherungsprämie betrug für 2020 EUR 11.542,21 (netto), im Vorjahr EUR 10.900,47 (netto) (Anlage B 1).
10
Durch Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 zur Verschiebung elektiver Eingriffe und geplanter Behandlungen in Krankenhäusern (Allgemeinverfügung vom 19.03.2020, Az. G24-K9000-2020/125, BayMBl. 2020, Nr. 151, Anlage K 4) ordnete das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege an, dass die in den Krankenhausplan des Freistaats Bayern aufgenommenen Krankenhäuser, soweit medizinisch vertretbar, bis auf Weiteres alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen hatten, um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung mit COVID-19-Patienten freizumachen (Ziff. 1 der Allgemeinverfügung). Die Allgemeinverfügung wurde auf § 28 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) gestützt.
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Sie trat am 20.03.2020 in Kraft und galt bis 08.05.2020.
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In Ziff. 1 der Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 (Anlage K 4) heißt es:
„Krankenhäuser, die in den Krankenhausplan des Freistaates Bayern aufgenommen sind, …, haben, soweit medizinisch vertretbar, bis auf Weiteres alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen, um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19 Patienten freizumachen. Die Behandlung von Notfällen ist zu gewährleisten. …“
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In der hierzu ergangenen Begründung heißt es:
„Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 hat sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet. Das Robert Koch-Institut und das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit befürchten eine extrem rasche Verbreitung des Virus und im finalen Szenario eine Infektionsrate von über 50% der Bevölkerung. In Abhängigkeit davon, welchen Erfolg die bereits ergriffenen Maßnahmen des Infektionsschutzes (Schulschließungen etc.) zur Verteilung der Infektionen auf einen möglichst langen Zeitraum haben, stehen die stationären Kapazitäten im Freistaat Bayern vor einer seit Kriegsende nicht dagewesenen Herausforderung.
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Vor diesem Hintergrund müssen alle geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um die Kapazitäten an Krankenhäusern für akut erkrankte Personen vorzuhalten und die Krankenhäuser auf die zu erwartenden massiven Fallzahlsteigerungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf die Akutkrankenhäuser beschränkt bleiben werden, vorzubereiten. Gerade angesichts besonders schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe und den Erfahrungen mit erheblichen Engpässen in anderen Staaten bedarf es zum Schutz der Bevölkerung einer erheblichen Ausweitung der zur Verfügung stehenden Behandlungskapazitäten. Dies wurde auch übereinstimmend zwischen Bund und Ländern festgestellt. Vor diesem Hintergrund ist – soweit dies im Einzelfall medizinisch vertretbar ist – ein Aufschub geplanter Eingriffe an vorhandenen und potentiell zu belegenden stationären Kapazitäten erforderlich. Dies gilt sowohl für die Akutkrankenhäuser, die als erste mit der Behandlung der Corona-Patienten befasst sein werden, als auch für Einrichtungen der Vorsorge und Rehabilitation, deren Kapazitäten nach den derzeit zur Verfügung stehenden Erkenntnissen sehr rasch folgend zusätzlich benötigt werden.
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Hinsichtlich der Finanzierung hat die Bundesregierung die kurzfristige Vorlage eines Gesetzentwurfs angekündigt, wonach Krankenhäuser, die sich aufgrund staatlicher Vorgaben an der Bewältigung der Corona-Krise beteiligen, eine umfassende Refinanzierung etwaiger Erlösausfälle erwarten können.
Zur Begründung im Einzelnen:
Zu den Nrn. 1 bis 3: Verschiebung elektiver Fälle
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Die Allgemeinverfügung richtet sich an sämtliche Plankrankenhäuser, Hochschulklinika, Krankenhäuser mit Versorgungsvertrag nach § 109 SGB V, an Einrichtungen der Rehabilitation und Vorsorge der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung und solche mit Verträgen nach §§ 111 und 111a SGB V sowie an reine Privatkliniken mit Zulassung nach § 30 GewO. Damit wird sichergestellt, dass sämtliche im Freistaat Bayern zur Verfügung stehenden Kapazitäten bereitstehen, um den drohenden, in der Geschichte der Bundesrepublik bislang beispiellosen Notstand in der stationären Versorgung zu bewältigen.
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Angesichts der zu erwartenden massiven Belastung der Krankenhäuser ist sicherzustellen, dass diejenigen Patienten zuerst behandelt werden, bei denen ein Aufschub aus medizinischen Gründen nicht möglich ist. Ein zentraler Schritt für die Freihaltung der Kapazitäten ist deshalb die weitestgehende Verschiebung geplanter Eingriffe auf die Zeit nach Rückgang der Infektionszahlen. In diesem Sinne werden sämtliche Krankenhäuser und sämtliche Einrichtungen der Vorsorge und Rehabilitation mit Verträgen nach §§ 111 und 111a SGB V verpflichtet, geplante Behandlungen, die aus medizinischer Sicht Aufschub dulden, zwischenzeitlich abzusagen. Auf diese Weise können personelle und räumlich-technische Kapazitäten entweder zur Behandlung von Corona-Patienten oder aber zur Entlastung anderer Krankenhäuser verwendet werden.
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Vor dem Hintergrund sich abzeichnender Engpässe ist der Betrieb von Einrichtungen nach § 111a SGBV in dieser Funktion einzustellen, um für die Behandlung stationärer Krankenhauspatienten weitere Vorsorge zu treffen. Die dadurch freiwerdenden Kapazitäten sind bei Bedarf für die Behandlung akut Erkrankter zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen würden bei einem Weiterbetrieb zu Zwecken der Kinderbetreuung ein besonders hohes Infektions- und Übertragungsrisiko bestehen.
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Das Verbot planbarer Behandlungen wurde durch Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration und des Bayerische Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zur Bewältigung erheblicher Patientenzahlen in Krankenhäusern vom 08.05.2020 mit Wirkung zum 9. Mai 2020 in modifizierter Form fortgeschrieben (Allgemeinverfügung vom 8.5.2020, Az. D4-2484-2-7 und G24-K9000-2020/134, BayMBl. 2020, Nr. 253 (Anlage K5).
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Nach Ziff. 1.1. dieser Allgemeinverfügung hatten Plankrankenhäuser grundsätzlich, soweit medizinisch vertretbar, planbare stationäre Aufnahmen, stationäre Operationen und Eingriffe sowie stationäre Rehabilitations- und Vorsorgeleistungen zu verschieben und auszusetzen. Nach Ziff. 1.3.1. waren grundsätzlich 30% der vorhandenen Intensivkapazitäten mit invasiven Beatmungsmöglichkeiten sowie 25% der Allgemein-/Normalpflegebetten für die Behandlung von COVID-10-Erkrankten verfügbar zu halten.
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Diese Anordnungen galten bis 28.05.2020 ohne Einschränkungen.
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In der Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 (Anlage K 5) heißt es in Ziffer 1.1:
„… In den Krankenhausplan des Freistaats Bayern aufgenommene Krankenhäuser, …, haben grundsätzlich, soweit medizinisch vertretbar, planbare stationäre Aufnahmen, stationäre Operationen und Eingriffe sowie stationäre Rehabilitations- und Vorsorgeleistungen zu verschieben oder auszusetzen (Vorhaltepflicht), um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19 Patienten, und die Entlastung anderer Krankenhäuser freizumachen.
1.3 Im Übrigen wird abweichend von der Vorhaltepflicht nach Nr. 1.1 die Durchführung planbarer stationärer Behandlungen, stationärer Operationen und Eingriffe sowie von stationären Rehabilitations- und Vorsorgeleistungen (planbare Leistungen) innerhalb des jeweiligen Versorgungsauftrags und unter Priorisierung nach medizinischer Dringlichkeit mit folgenden Maßgaben und stets widerruflich wieder gestattet:
1.3.1 Plankrankenhäuser, …, haben grundsätzlich 30% ihrer vorhandenen Intensivkapazitäten mit invasiver Beatmungsmöglichkeit sowie 25% der Allgemein- / Normalpflegebetten für die Behandlung von COVID-19-Erkrankten verfügbar zu halten. …
1.3.2 Das Krankenhaus muss in der Lage sein, innerhalb von maximal 48 Stunden weitere Behandlungskapazitäten für COVID-19-Erkrankte bereitzustellen, wenn ein Anstieg der Infektionszahlen dies erfordert. Als Richtgröße sollen binnen 24 Stunden mindestens weitere 10% sowie innerhalb von 48 Stunden mindestens weitere 10% Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit für die Versorgung von COVID-19-Patienten zur Verfügung stehen können.
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In der diesbezüglichen Begründung heißt es:
„Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 hat sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet. Das Robert Koch-Institut und das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) befürchten bei nachlassenden Vorkehrungen des Infektionsschutzes nach wie vor eine extrem rasche Verbreitung des Virus. In Abhängigkeit davon, welchen Erfolg die bereits ergriffenen Maßnahmen des Infektionsschutzes (Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen etc.) zur Verteilung der Infektionen auf einen möglichst langen Zeitraum haben, stehen die stationären Kapazitäten im Freistaat Bayern weiterhin vor einer andauernden erheblichen Herausforderung. Vor diesem Hintergrund müssen alle geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um die Krankenhäuser auf die weiterhin möglichen massiven Fallzahlsteigerungen vorzubereiten und die Patientenströme so geordnet und effizient wie möglich zu lenken. Gerade angesichts besonders schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe und den Erfahrungen mit erheblichen Engpässen in anderen Staaten bedarf es im Besonderen einer optimalen Kooperation und der Mitwirkungsbereitschaft aller Einrichtungen zur stationären Versorgung.
Der Bund flankiert die bayerischen Maßnahmen über das Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz, wonach die dort genannten Einrichtungen, die sich aufgrund staatlicher Vorgaben an der Bewältigung der Corona-Krise beteiligen, eine finanzielle Unterstützung angesichts der drohenden Erlösausfälle erhalten können. Für den Freistaat Bayern hat der Ministerrat am 21. April 2020 ein eigenes Hilfsprogramm im Seite 9 von 16 Umfang von knapp 140 Millionen Euro beschlossen, das insoweit greifen soll, als die Maßnahmen des Bundes für die Kompensation entstandener finanzieller Einbußen nicht ausreichen.
Gleichzeitig geben die Entwicklung der Infektionszahlen und die bislang gute Bewältigung der COVID-19-Fallzahlen in den bayerischen Krankenhäusern Anlass, die strikten Verbote aufschiebbarer planbarer Leistungen schrittweise zu lockern und den stationären Einrichtungen eine moderate Rückkehr zum Regelbetrieb zu gestatten. Dies erfolgt stets widerruflich sowie unter ständiger Beobachtung des Infektionsgeschehens und des örtlichen Versorgungsbedarfs. …
Zur Begründung im Einzelnen:
Zu Nr. 1: Verschiebung planbarer Behandlungs- und Versorgungsleistungen …
Die Regelung nach Nr. 1.1 stellt sicher, dass grundsätzlich sämtliche im Freistaat Bayern zur Verfügung stehenden Kapazitäten bereitstehen, um einen drohenden, in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bislang beispiellosen Notstand in der stationären Versorgung zu bewältigen.
Angesichts der weiterhin nicht ausgeschlossenen massiven Belastung der Krankenhäuser ist im Grundsatz sicherzustellen, dass diejenigen Patienten zuerst behandelt werden, bei denen ein Aufschub aus medizinischen Gründen nicht möglich ist. Ein wichtiger Schritt ist deshalb auch weiterhin die Verschiebung bzw. Aussetzung von planbaren Aufnahmen, Operationen und Eingriffe bis auf Weiteres, soweit medizinisch vertretbar. Auf diese Weise können personelle und räumlich-technische Kapazitäten entweder zur Behandlung von COVID-19-Erkrankten oder aber zur Entlastung anderer Krankenhäuser verwendet werden.
Zugelassenen Krankenhäusern und Einrichtungen der Vorsorge und Rehabilitation wird die Durchführung planbarer stationärer Aufnahmen, stationärer Operationen und Eingriffe sowie stationärer Rehabilitations- und Vorsorgeleistungen (planbare Leistungen) zunächst nur teilweise und stets widerruflich wieder gestattet. Maßgabe ist, dass bei Krankenhäusern weiterhin mindestens 30% der Intensivkapazitäten mit Möglichkeit zur invasiven Beatmung (ICU: Intensive Care Unit – Intensivpflegebett mit invasiver Beatmung) und 25% der Normalkapazitäten für die Behandlung von COVID-19-Erkrankten zur Verfügung gestellt werden. Diese Anteile beziehen sich jeweils auf die bereits derzeit mit COVID-19-Erkrankten belegten und die zusätzlich freizuhaltenden Kapazitäten. … Wesentliche Grundlage für diese Freigabe ist das aktuell in allen Teilen Bayerns vorliegende Infektionsgeschehen, nach dem sich bereits seit mehreren Tagen eine weitere Abflachung abzeichnet. Mit der anteiligen Freigabe soll dieser Entwicklung differenziert und mit der gebotenen Sorgfalt Rechnung getragen werden, aber auch die Grundlage dafür geschaffen werden, einer befürchteten etwaigen „zweiten Welle“ im Sinne der Patientinnen und Patienten, aber auch der behandelnden Einrichtungen rechtzeitig und effektiv entgegenzutreten.
Von den Krankenhäusern ist stets einzufordern, dass planbare Behandlungen mit Augenmaß vorgenommen werden, sodass Raum bleibt, die Intensivkapazitäten und bei Bedarf auch die Normalkapazitäten kurzfristig zugunsten von COVID-19-Erkrankten und anderen Notfällen wieder deutlich zu erhöhen. Maßstab ist insoweit ein jederzeit möglicher Aufwuchs von 10% in 24 Stunden sowie von insgesamt 20% innerhalb von 48 Stunden.
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Erst mit Allgemeinverfügung vom 28.05.2020 gestattete die Regierung der Oberpfalz, gestützt auf 1.3.5 der Allgemeinverfügung vom 08.05.2020, über das durch die Allgemeinverfügung vom 8.5.2020 allgemein genehmigte Maß hinaus planbare Leistungen durchzuführen (Allgemeinverfügung vom 28.5.2020, Az. ROP-SG55.2-2452.1-19-14-27, Anlage K 6).
25
Außerdem untersagten die Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales durch Allgemeinverfügungen vom 16.03.2020 den Betrieb von Gaststätten jeder Art mit Wirkung zum 18.03.2020 (Allgemeinverfügung vom 16.03.2020, Az. 51-G8000-2020/122-67, Anlage B 2, und vom 20.03.2020, Az. Z6a-G8000-2020/122-98).
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In der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16.03.2020 heißt es u.a.:
„3. Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. (…) Begründung:
Aus den gleichen Gründen wie in Nummer 1 dargelegt, ist es erforderlich, Gastronomiebetriebe zu schließen, da sonst über die dortigen Kontakte die Weiterverbreitung des Virus erfolgt. (…)“
27
Am 24.03.2020 und am 27.03.2020 erließ das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege Verordnungen mit identischem Inhalt (2126-1-4-G, BayMBl. 2020, Nr. 130; 2126-1-4-G, 2126-1-5-G, BayMBl. 2020 Nr. 158, die Betriebsuntersagungen finden sich jeweils in § 2). Diese Verbote wurden durch diverse Folgeverordnungen bis Mitte Mai 2020 fortgeschrieben.
28
Ab dem 18.05.2020 war die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im Freien unter bestimmten Voraussetzungen wieder gestattet.
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Ab dem 25.05.2020 war, unter gewissen Voraussetzungen, der Betrieb von Speisewirtschaften auch in Innenräumen wieder gestattet.
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Nach § 21 Abs. 1 bis Abs. 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) i.d.F.v. 27.03.2020 konnten zugelassene Krankenhäuser für die durch das Verbot planbarer Behandlungen ergebenden Einnahmeausfälle Ausgleichszahlungen in Form einer tagesbezogenen Pauschale beanspruchen. Die Klägerin erhielt für den geltend gemachten Schließungszeitraum von 60 Tagen staatliche Ausgleichszahlungen nach § 21 Abs. 2, Abs. 3 KHG in Höhe von insgesamt 5.105.412,60 EUR.
31
Die Klägerin zeigte der Beklagten die Betriebsschließung am 19.03.2020 an.
32
Mit Schreiben vom 04.05.2020, Anlage B 9, lehnte die Beklagte der Klägerin gegenüber ihre Einstandspflicht ab und begründete dies mit der fehlenden Zielsetzung des Aufnahmestopps, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern, und mit dem zu erwartenden Ausgleich der Erlösausfälle durch das COVID19-Krankenhausentlastungsgesetz sowie mit dem Betten-Preis. Auf das Schreiben vom 04.05.2020, Anlage B 9, wird Bezug genommen.
33
Mit Schreiben vom 27.07.2020 lehnte die Beklagte ihre Eintrittspflicht erneut ab und begründete dies damit, dass die Einnahmeverluste bereits durch öffentlich-rechtliche Zahlungen ausgeglichen worden seien. Auf das Schreiben vom 27.07.2020, Anlage K 9, wird Bezug genommen.
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Die Prozessbevollmächtigen der Klägerin forderten die Beklagte daraufhin im Namen der Klägerin erfolglos vorgerichtlich zur Leistung auf.
35
Die Klägerin behauptet, dass der vorliegende Versicherungsvertrag zwischen den Parteien nicht erst mit dem Nachtrag zum Versicherungsschein vom 28.07.2020 (Anlage K1) geschlossen worden sei, sondern der Vertrag bereits vor 2020 geschlossen worden sei und sich jeweils automatisch um ein Jahr verlängert habe. Ein gesonderter Vertragsschluss habe 2020 nicht stattgefunden.
36
Ferner trägt sie vor, im Hinblick auf die genannten Verbote im Klinikbetrieb der Klägerin vom 20.03.2020 an alle planbaren Behandlungen und Eingriffe soweit medizinisch vertretbar im geltend gemachten Zeitraum bis 18.05.2020 unterlassen zu haben.
37
Die Klägerin habe wegen dieser Verbote auch den Geschäftsbetrieb der Klinik-Caféteria für insgesamt 60 reguläre Öffnungstage vom 20.03.2020 bis 18.05.2020 vollständig eingestellt. Ohne das Verbot des Betriebs von Gaststätten wäre die Cafeteria, so die Klägerin, an allen genannten Tagen regulär geöffnet gewesen.
38
Der von der Klägerin für das Jahr 2019 an die Beklagte gemeldete Gesamterlös habe sich auf insgesamt 118.756.565 EUR belaufen. Davon seien auf den Betrieb des Klinikums ein Erlös von 109.403.565 EUR entfallen. Von dem Erlös von 109.403.565 EUR für das Klinikum sei auf planbare stationäre Krankenhausleistungen ein Erlös von 47.114.526 EUR entfallen. Der in die Meldung als Teil der Ziff. 4 (= Erlöse aus Leistungen und Lieferungen Dritter) eingegangene Erlös der Cafeteria des Klinikums habe 261.467 EUR betragen.
39
Die Klägerin meint, dass sich aus der zwischen den Parteien geschlossenen Betriebsschließungsversicherung ein Anspruch auf Entschädigung ergebe. Der Versicherungsschutz erstrecke sich auch auf coronabedingte Betriebsschließungen. Eine solche (Teil-)Schließung sei erfolgt. Die Allgemeinverfügungen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 19.03.2020 und vom 08.05.2020 hätten ein unmittelbar geltendes Verbot für die Klägerin begründet, planbare Behandlungen vorzunehmen bzw. fortzuführen. Damit sei der Klägerin die Fortführung eines erheblichen Teils ihres Klinikbetriebs verboten worden. Darüber hinaus habe sich aus den Allgemeinverfügungen und den einschlägigen Verordnungen ein unmittelbar geltendes Betriebsverbot für den Betrieb von Gaststätten und damit auch für die zur Klinik gehörende Cafeteria ergeben.
40
Die Betriebsschließungen seien aufgrund des Infektionsschutzgesetzes zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten erfolgt. Nach dem Wortlaut – der mit demjenigen des § 28 IfSG übereinstimme – würden von den Bedingungen alle (Schließungs-)Maßnahmen erfasst, die nach dem IfSG zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten getroffen werden könnten. Das entspreche auch dem erkennbaren Zweck der Bedingungen, den Versicherungsnehmer gegen alle nach dem IfSG möglichen Eingriffe abzusichern und einen Gleichlauf von Eingriffsmöglichkeiten und Versicherungsschutz anzustreben. Um eine nach dem IfSG getroffene, zulässige Schutzmaßnahme handle es sich auch bei dem Verbot, planbare Behandlungen vorzunehmen bzw. fortzusetzen. Auch die Verpflichtung zur Zurückstellung und Unterbrechung planbarer Behandlungen sei eine Maßnahme zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus i.S.d. IfSG, da dadurch sichergestellt werde, dass an COVID-19 erkrankte Personen möglichst wirksam in den dafür vorgesehenen medizinischen Einrichtungen isoliert und behandelt werden könnten.
41
Das Verbot der Vornahme bzw. Fortführung von planbaren Behandlungen habe der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gedient.
42
Das behördliche Verbot planbarer Leistungen sei sowohl objektiv dazu geeignet gewesen als auch habe es aus Sicht der anordnenden Behörde dazu gedient, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Die von den handelnden Behörden ausdrücklich herangezogene Ermächtigungsgrundlage des § 28 IfSG decke überhaupt nur Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten; ansonsten seien die im Krankenhausbereich zur Bekämpfung von COVID-19 erlassenen Maßnahmen insgesamt als rechtswidrig anzusehen. Die AVB würden an mehreren Stellen ausdrücklich auf das IfSG Bezug nehmen und damit eindeutig zum Ausdruck bringen, dass ein Gleichlauf zwischen bedingungsgemäßem Versicherungsschutz und gesetzlicher Eingriffsermächtigung gewollt sei. Die einleitende Anknüpfung an das IfSG in § 1 BS312/02 könne ein verständiger Versicherungsnehmer bei unbefangenem Lesen nur dahin verstehen, dass sich der Versicherungsschutz auf die Eingriffstatbestände des IfSG und deren Voraussetzungen beziehe. Das gelte insbesondere auch für § 1 Abs. 1 Nr. 1 BS312/12, der die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannte Eingriffsvoraussetzung „zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten“ wörtlich wiederhole. Dafür, dass die Formulierung in den Bedingungen anders zu verstehen sein könnte als im Gesetz, gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Erst recht komme darin nicht andeutungsweise zum Ausdruck, dass die Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten das „Leitmotiv“ der Behörde gewesen sein müsse. Auch A.1.1. HV 5905/01 der ergänzenden Besonderen Vereinbarungen und Bestimmungen nehme zur Umschreibung des versicherten Betriebsschließungsschadens ausdrücklich auf das IfSG Bezug und mache damit deutlich, dass Versicherungsschutz gerade für Eingriffe nach dem IfSG zugesagt werde. A.2.1.1 a) HV 5905/01 wiederhole ebenso wie § 1 Abs. 1 Nr. 1 BS312/12 das in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannte Kriterium „zur Verhinderung der Verbreitung“. Im Vergleich zu BS312/12 werde lediglich der Kreis der versicherten Krankheiten erweitert (alle „gefährlichen“ statt alle „meldepflichtigen“ Krankheiten). Auch diese Regelung könne ein verständiger Versicherungsnehmer nur dahin verstehen, dass mit „zur Verhinderung der Verbreitung“ dasselbe gemeint sei wie in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Dies entspreche auch dem Zweck der Betriebsschließungsversicherung, Ertragsausfälle in Folge behördlich angeordneter Betriebsschließungen abzusichern.
43
Die behördlichen Allgemeinverfügungen bzw. Rechtsverordnungen hätten auch eine versicherte (Teil-)Schließung bewirkt.
44
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 BS 312/02 setze lediglich eine „Schließung durch eine Behörde“ voraus. Das erfasse sämtliche durch das IfSG vorgesehenen behördlichen Handlungsformen und damit auch den Erlass von Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen nach §§ 28, 32 IfSG. Es komme für den Versicherungsschutz aus einer Betriebsschließungsversicherung nicht darauf an, in welcher Rechtsform eine Schließungsanordnung erlassen worden sei. Erfasst seien daher auch Verbote durch Allgemeinverfügungen oder Rechtsverordnungen.
45
Die Klägerin macht der Höhe nach eine Entschädigung in Höhe von 2.852.388 EUR geltend. Diesen Betrag berechnet sie wie folgt:
„Die Beklagte schulde nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 BS 312/02, A.2.2.1 HV 5905/01 die Zahlung einer Tagesentschädigung von 132.630,00 EUR für 60 Schließungstage. Wegen der Teilschließung bestimme sich die Höhe der Tagesentschädigung gemäß A. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 3 BS 312/02; Ziff. 1.2 BS 2440/00 nach dem Verhältnis der durch die Schließungsanordnung betroffenen Betriebsschließungssumme zur Gesamtbetriebsschließungssumme, so dass die vereinbarte Tagesentschädigung entsprechend anteilig zu kürzen sei. Dabei sei für die Bestimmung der Gesamtbetriebsschließungssumme gemäß A.2.2.1 HV 5905/01 der im Versicherungsschein dokumentierte Gesamterlös nach A.1.4 HV 5905/01 maßgeblich. Dieser habe sich auf 118.747.000 EUR belaufen. Der Anteil der Betriebsschließungssumme der von der Schließung betroffenen Betriebsteile habe 39,89% der Gesamtbetriebsschließungssumme ausgemacht. Der auf verbotene planbare stationäre Leistungen entfallende Erlös habe 47.114.526 EUR betragen. Er habe damit einen Anteil am Gesamterlös von 39,67 Prozent gehabt. Auf den Betrieb der Cafeteria sei ein Erlös von 261.467 EUR entfallen. Das entspreche einem Anteil am Gesamterlös von 0,22%. Die Klägerin könne daher für jeden Schließungstag 39,89% der vereinbarten Tagesentschädigung von 332.491 EUR beanspruchen. Damit ergebe sich eine anteilige Tagesentschädigung von 0,3989 x 332.491 EUR = 132.630 EUR. Da die Teilschließung mehr als 60 Tage angedauert habe, schulde die Beklagte diese Entschädigung für die gesamte vereinbarte Haftzeit von 60 Tagen. Damit ergebe sich ein zu ersetzender Betrag von 60 x 132.630 EUR = 7.957.800 EUR.“
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Von diesem Betrag bringt die Klägerin gem. A. § 4 Nr. 5 BS 312/02 die Ausgleichszahlungen in Höhe von 5.105.412 EUR in Abzug, die sie nach § 21 KHG erhalten hat. Daraus ergibt sich nach der Berechnung der Klägerin der Klagebetrag.
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Den geltend gemachten Zinsanspruch stützt die Klägerin auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Die Beklagte sei mit der Zahlung spätestens mit ihrer Leistungsablehnung und damit jedenfalls ab dem 28.07.2020 in Verzug gewesen.
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Den Antrag auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stützt die Klägerin auf § 280 Abs. 1 BGB sowie auf §§ 280 Abs. 1,2 i.V.m. § 286 BGB, da die Beklagte durch ihre Leistungsablehnung ihre Pflichten aus dem Vertrag schuldhaft verletzt habe. Zur Höhe der Geschäftsgebühr führt die Klägerin aus, dass wegen der vorliegenden Spezialmaterie eine weit überdurchschnittliche Schwierigkeit gegeben sei.
49
Die Klägerin beantragt,
- 1.
-
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.852.388,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.7.2020 zu zahlen.
- 2.
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die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 20.478,12 EUR freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte geht davon aus, dass die Parteien mit dem als Anlage K 1 vorliegenden Nachtrag vom 28. Juli 2020 eine Betriebsschließungsversicherung für das Kalenderjahr 2020 abgeschlossen hätten.
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Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass kein Versicherungsfall vorliege. Die Auslegung der Versicherungsbedingungen ergebe, dass ein Versicherungsfall nur vorliege, wenn die behördliche (Teil-)Betriebsschließung ausdrücklich und primär zu dem Zweck erfolgt sei, die weitere Verbreitung von COVID-19 zu verhindern (“Leitmotiv“).
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Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen liege ein Versicherungsfall nur dann vor, wenn die zuständige Behörde eine (Teil-)Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten getroffen habe. Der Wortlaut der Versicherungsbedingungen verlange also ausdrücklich eine entsprechende Zwecksetzung der behördlichen Maßnahme.
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Auch eine Auslegung der Versicherungsbedingungen nach ihrem Sinn und Zweck ergebe, dass allein das Risiko von behördlichen Maßnahmen versichert werden solle, die ergehen würden, um eine Übertragung einer gefährlichen Infektionskrankheit auf weitere Personen (z.B. andere Patienten, Personal und / oder Besucher der Einrichtung) zu verhindern, die bei Fortführung des Betriebs ansonsten zu befürchten wäre. Typische Versicherungsfälle von Betriebsschließungsversicherungen für medizinische Einrichtungen seien dabei etwa Schließungen einzelner Stationen oder Bereiche, in denen vermehrt bestimmte Krankheitserreger aufgetreten seien, damit die Gefahr einer weiteren Verbreitung innerhalb und außerhalb der Einrichtung verhindert werde. Den Versicherungsbedingungen könne an keiner Stelle entnommen werden, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer gegen sämtliche während einer Pandemie denkbaren betrieblichen Einschränkungen absichern wöllte, die zur Bekämpfung einer Pandemie auf Grundlage des IfSG angeordnet werden könnten.
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Das allgemeine Risiko, dass der Betrieb eines Krankenhauses von weitreichenden staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung einer globalen Pandemie mit z.T. erheblichen wirtschaftlichen Folgen getroffen werde, sei auf dieser Basis nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung. Zum Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen der entsprechenden Maßnahmen seien deshalb auch staatliche Entschädigungsleistungen eingeführt worden.
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Den Versicherungsbedingungen lasse sich auch nicht entnehmen, dass diese einen Gleichlauf von Eingriffsmöglichkeiten nach dem IfSG und Versicherungsschutz anstrebten. Würde, so die Beklagte, die Tatsache genügen, dass die Maßnahme von irgendeiner Ermächtigungsnorm des IfSG gedeckt wäre, hätte es keines ausdrücklichen Hinweises auf das Kriterium „zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten“ in den Versicherungsbedingungen bedurft. Vielmehr hätte es, so die Beklagte, in diesem Fall nahegelegen, den Versicherungsfall ausschließlich dahingehend zu definieren, dass die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten gefährlicher Infektionskrankheiten den versicherten Betrieb ganz oder teilweise schließe.
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Auf dieser Basis könne beim durchschnittlichen Versicherungsnehmer keine begründete Erwartung bestehen, dass auch eine behördliche Maßnahme nach dem IfSG versichert sei, die entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Versicherungsbedingungen nicht primär der Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Krankheiten diene.
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Auch die Systematik der Versicherungsbedingungen spreche eindeutig dafür, dass ein Versicherungsfall nur dann vorliege, wenn die behördliche (Teil-)Schließung zum Zwecke der Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten erfolge, da neben der (Teil-)Betriebsschließung in den Versicherungsbedingungen weitere behördliche Maßnahmen genannt seien, die erkennbar auf die Verhinderung der Ausbreitung von Erregern bzw. Krankheiten abzielten, so u.a. Desinfektionsmaßnahmen und die Vernichtung von Waren bzw. Vorräten, in denen sich Krankheitserreger befinden könnten, und es des weiteren um ein Beschäftigungsverbot von Personen gehe, die infiziert seien oder sein könnten. All dies diene erkennbar dazu, eine Ansteckung weiterer Personen zu verhindern.
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Die Verwendung des Begriffs „zur Verhinderung der Verbreitung“ in den Versicherungsbedingungen sei unmissverständlich und könne nur dahingehend verstanden werden, dass die Ausbreitungsverhinderung gerade das handlungsleitende Motiv der Behörde für den Erlass der entsprechenden Maßnahme gewesen sein müsse. Dies sei bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ableitbar: „zur Verhinderung“ entspreche „um zu verhindern“, d.h. es bedürfe eines (behördlichen) Tätigwerdens gerade mit der Intention, den genannten Zweck (hier: die Ausbreitung von COVID-19) zu erreichen. Ein bloßer Nebeneffekt genüge insoweit nicht. Leitmotiv der Behörden sei aber die Sicherstellung von ausreichenden Behandlungskapazitäten für akute Notfälle gewesen.
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Hingegen seien die Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 (Anlage K4) und 08.05.2020 (Anlage K5) nicht zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 ergangen. Sie hätten vielmehr die Sicherung von ausreichend stationären Kapazitäten zur Behandlung von akut erkrankten Patienten während der Pandemie bezweckt.
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Im Vergleich dazu seien andere behördliche Maßnahmen, etwa die Schließung von Gastronomiebetrieben, ausdrücklich zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 ergangen.
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Auch habe es im Zusammenhang mit der Verschiebung planbarer Behandlungen auch behördliche Anordnungen für Krankenhäuser gegeben, die ausdrücklich die Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 im Krankenhausbetrieb bezweckt hätten, so die Allgemeinverfügung u.a. des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 24. März 2020 (Az. D4-2484-2-7 und G24-K9000-2020/134, Anlage B 16) unter Ziff. 8 zu bestimmten organisatorischen Maßnahmen. Auch in der Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 (Anlage K 5) seien unter Ziff. 9 entsprechende organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 vorgesehen gewesen, etwa präklinische Screenings, die Durchführung von Abstrichen, die Isolierung von Patienten etc. Im Gegensatz zu der Verschiebung elektiver Eingriffe bzw. der Vorhaltung von Behandlungskapazitäten hätten diese organisatorischen Maßnahmen für den Krankenhausbetrieb im Frühjahr 2020 der Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 gedient.
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Die landesspezifischen Maßnahmen, die die Aussetzung von medizinisch nicht dringend notwendigen Behandlungen in den Krankenhäusern zum Gegenstand gehabt hätten, seien auf übergeordnete Beschlüsse der sog. Bund-Länder-Konferenz zurückzuführen gewesen, so auf den Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 12.03.2020, ein Schreiben von Gesundheitsminister Spahn an die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Krankenhäuser vom 13.03.2020 und einen Beschluss der Bundeskanzlerin und der Länderchefs vom 30.04.2020, welche jeweils die Sicherung der klinischen Versorgungskapazitäten zum Ziel gehabt hätten; diese Zwecksetzung der Aussetzung elektiver Behandlungen sei auch in Ärztekreisen und von der Deutsche Krankenhausgesellschaft in diesem Sinne verstanden worden. Im Vergleich dazu seien zur selben Zeit andere behördliche Maßnahmen, etwa die Absage von Veranstaltungen sowie der Betrieb von Restaurants unter Auflagen oder die Schließung von Gastronomiebetrieben ergangen, die ausdrücklich die Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 bezweckt hätten. Die Sicherstellung der Versorgung durch „Stärkung der Intensiv- und Beatmungskapazitäten in den Krankenhäusern“ werde von den „Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des Corona-Virus“ abgegrenzt, was belege, dass die Maßnahmen zur Stärkung der Intensiv- und Beatmungskapazitäten nicht als Instrument der Ausbreitungseindämmung verstanden und zu diesem Zweck nicht beschlossen worden seien.
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Es sei auch zweifelhaft, ob die Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.05.2020 überhaupt geeignet gewesen seien, die weitere Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Die Krankenhäuser seien aufgrund der Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 faktisch angewiesen gewesen, sich vermehrt Corona-Fälle ins Haus zu holen, so dass man kaum von einer Reduzierung der innerbetrieblichen Ausbreitungsrisiken sprechen könne. Auch die Annahme, die vorrangige Bereitstellung von stationären Behandlungskapazitäten für COVID-19-Patienten habe das Risiko der Verbreitung von COVID-19 außerhalb des Krankenhausbetriebs reduziert, gehe fehl, da nicht ersichtlich sei, ob die Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 überhaupt dazu geführt habe, dass mehr COVID-19-Patienten in Krankenhäusern behandelt worden seien, als es ohne die Maßnahme der Fall gewesen wäre. Zudem ziehe eine Krankenhausbehandlung eine Vielzahl von möglichen Kontakten nach sich, beispielsweise auf dem Transportweg in die Klinik (z.B. Rettungssanitäter bei Krankentransport, Taxifahrer, andere Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr etc.) und auch durch die Behandlung selbst (z.B. schichtbedingt wechselnde Krankenschwestern und Ärzte, andere Patienten bei Mehrbettzimmern etc.). Auch wenn in den Krankenhäusern besondere Hygienemaßnahmen gegolten hätten, so seien doch Schutzkleidung, Masken, Desinfektionsmittel etc. zu Beginn der Pandemie auch in den Krankenhäusern Mangelware gewesen. Eine häusliche Isolation sei demgegenüber kontaktärmer und daher in der Regel mit einem geringeren Verbreitungsrisiko verbunden, zumal im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 für Privatpersonen zahlreiche Einschränkungen (Kontaktverbote etc.) gegolten hätten, die unkontrollierbare Infektionsketten hätten vermeiden sollen. Zudem hätten Angehörige, die einen COVID-19-Patienten pflegten, als Kontaktpersonen ersten Grades auch mit einer Quarantäneanordnung rechnen müssen, was ebenfalls gegen die Annahme von unkontrollierbaren Infektionsketten durch pflegende Angehörige spreche.
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Ein Gleichlauf des in § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG mit den hier streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen ergebe sich nicht. Die Ermächtigungsgrundlagen im IfSG hätten die Handlungsfähigkeit des Staates zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten möglichst allumfassend sicherstellen sollen und fänden ihre Grenzen im Prinzip der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns.
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Demgegenüber werde in den Versicherungsbedingungen im Verhältnis zwischen zwei privaten Vertragsparteien das wirtschaftliche Risiko von Ertragsausfällen wegen bestimmter behördlicher Betriebsschließungsmaßnahmen verteilt, so dass hier andere Auslegungsgrundsätze greifen müssten. Die Bezugnahme auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG in den Allgemeinverfügungen könne daher nicht dazu führen, dass das in den Versicherungsbedingungen verankerte Erfordernis, die Betriebsschließung müsse „zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten“ erfolgen, gleichermaßen weit auszulegen sei; ansonsten hätte ein bloßer Verweis auf das IfSG in den AVB genügt. Eine gesonderte Erwähnung des Merkmals „zur Verhinderung der Verbreitung gefährlicher Infektionskrankheiten“ wäre nicht erforderlich gewesen.
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Zudem könne, nachdem die streitgegenständliche Police zeitlich erst nach dem ersten Lockdown abgeschlossen worden sei, auch nicht ernsthaft angenommen werden, dass die Parteien im Juli 2020 davon ausgegangen seien, die Auswirkungen der Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.05.2020 seien von der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung erfasst. Eine entsprechende Annahme seitens der Klägerin wäre sachlich keinesfalls gerechtfertigt gewesen, insbesondere, weil die Versicherungsprämie im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert geblieben sei.
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Ein Versicherungsfall liege zudem nicht vor, weil mit den Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.05.2020 keine (Teil-)Betriebsschließungen angeordnet worden seien. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer werde die Versicherungsbedingungen der Klägerin dahingehend verstehen, dass ein Versicherungsfall nur dann vorliege, wenn der betroffene Betrieb vollständig oder teilweise geschlossen werde. Nach den Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.05.2020 habe der Betrieb der Klägerin gerade weitergeführt werden sollen, wobei Behandlungskapazitäten in dem geöffneten Krankenhaus primär für COVID-19-Patienten hätten freigehalten werden sollen. Maßnahmen, die lediglich eine Umplanung der Betriebsvorgänge erforderlich gemacht hätten und dabei einzelne Betriebsvorgänge priorisiert hätten, seien nach verständiger Würdigung der Versicherungsbedingungen vom Versicherungsschutz nicht umfasst. Eine den Versicherungsfall auslösende (Teil-)Betriebsschließung könne nur vorliegen, wenn auch für den Versicherer anhand objektiv nachvollziehbarer und sachlicher Abgrenzungskriterien feststellbar sei, welche konkreten Betriebsteile durch eine behördliche Maßnahme geschlossen bzw. welche Betriebsvorgänge untersagt würden, was nicht der Fall sei.
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Auch sei eine Betriebsschließung aufgrund von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen, die eine unbekannte Vielzahl von Adressaten beträfen, von den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen nicht umfasst. Diese verlangten eine konkret-individuelle, gerade auf den versicherten Betrieb ausgerichtete behördliche Schließungsmaßnahme. Dies sei bereits im Wortlaut von A. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AVB angelegt, wonach der Versicherungsfall eintritt, wenn „die zuständige Behörde (…) den versicherten Betrieb ganz oder teilweise schließt“. Ein verständiger Versicherungsnehmer werde diese Formulierung dahingehend verstehen, dass ein Handeln der Behörde in Bezug auf den konkreten, versicherten Betrieb vorausgesetzt sei.
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Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin auch im Zeitraum ab dem 09.05.2020 sämtliche planbaren stationären Behandlungen unterlassen haben will, obwohl die Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 deren Durchführung in den unter Ziff. 1.3 genannten Grenzen wieder gestattet habe. Die Klägerin hätte, so die Beklagte, im Rahmen der in Ziff. 1.3 der Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 festgelegten Grenzen ab dem 09.05.2020 wieder planbare Behandlungen durchführen können. Im einschränkungsfreien Vorjahr 2019 habe zudem ein Bettenleerstand vorgelegen, der von der Größenordnung her den gemäß Ziff. 1.3 freizuhaltenden Kapazitäten entsprochen habe. Der klägerische Betrieb sei durch die Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 nicht in nennenswertem Umfang beeinträchtigt gewesen, so dass die Annahme einer (Teil-)Betriebsschließungsmaßnahme fernliegend sei. Nachdem der Klägerin unter der Geltung der Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 insgesamt 70% bzw. 75% ihrer Bettenkapazitäten zur Verfügung gestanden hätten, wäre die Annahme fernliegend, ihr sei die Durchführung planbarer Behandlungen im maßgeblichen Zeitraum ab dem 09.05.2020 nur in ganz geringem Umfang möglich gewesen.
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Der von der Klägerin dargestellte Fallzahlenrückgang sei nicht kausal auf die Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 zurückzuführen, sondern darauf, dass die Menschen in der streitgegenständlichen Zeit ohnehin Kontakte vermieden und viele Patienten von sich aus nur noch dringende Termine wahrgenommen hätten und geplante Eingriffe abgesagt oder verschoben hätten.
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Es hätten allenfalls 50 Schließtage vorgelegen, da die Maßnahmen am 09.05.2020 außer Kraft getreten seien (20.03.2020 bis einschließlich 08.05.2020).
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Die Höhe des vermeintlichen Anspruchs sei nicht hinreichend dargelegt. Ein Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Tagesentschädigung bestehe nur, wenn aus der betrieblich angeordneten (Teil-)Betriebsschließung auch ein Schaden wegen Einnahmeausfalls entstanden sei. Etwaige Einnahmeausfälle der Klägerin seien aber durch staatliche Ausgleichszahlungen nach dem KHG kompensiert worden. Für den Fall, dass die Ausgleichszahlungen nach § 21 Abs. 1 KHG nicht ausgereicht hätten, um etwaige Einnahmeausfälle zu kompensieren, hätten die Krankenhäuser gemäß § 21 Abs. 10 KHG i.V.m. der Corona-Ausgleichsvereinbarung vom 18.12.2020 („Corona-Ausgleichsvereinbarung 2020“) weitere staatliche Leistungen beanspruchen und bis zu 85% des Erlösrückgangs in 2020 im Vergleich zum Vorjahr 2019 kompensiert verlangen können. Da die Klägerin nicht vorgetragen habe, weitere Zahlungen nach § 21 Abs. 10 KHG i.V.m. der Corona-Ausgleichsvereinbarung 2020 beantragt/erhalten zu haben, sei davon auszugehen, dass sie die Beantragung unterlassen habe, weil es keine danach zu kompensierenden Einnahmeausfälle mehr gegeben habe. Ein etwaiger Anspruch der Klägerin sei der Höhe nach jedenfalls auf 15% der versicherten Tagesentschädigung begrenzt, da der Klägerin in diesem Fall weitergehende Ansprüche nach der Corona-Ausgleichsvereinbarung zugestanden hätten, die bis zu 85% ihrer Einnahmeausfälle kompensiert hätten. Bei der Klägerin hätten daher allenfalls Einnahmeausfälle in Höhe von maximal 15% verblieben sein können. Dass sämtliche öffentlich-rechtliche Entschädigungsleistungen, die der Klägerin in Folge der Allgemeinverfügungen vom 19. März und 8. Mai 2020 zugeflossen seien (bzw. hätten zufließen können) von einer etwaigen Versicherungsleistung abzuziehen seien, ergebe sich ausdrücklich aus § 4 Nr. 5 AVB, folge aber gleichermaßen aus den allgemeinen Grundsätzen zur Vorteilsausgleichung.
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Ein Versicherungsfall im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 AVB liege auch hinsichtlich der Schließung der Klinik-Cafeteria nicht vor, da es sich bei Allgemeinverfügungen und Verordnungen nicht um behördliche Schließungsmaßnahmen im Sinne der Versicherungsbedingungen handle, da diese sich nicht konkret auf den versicherten Betrieb beziehen würden.
75
Es erscheine zweifelhaft, dass die Cafeteria in einem Zeitraum von zwei Monaten tatsächlich an jedem einzelnen Kalendertag geöffnet gewesen wäre.
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Nachdem die Cafeteria dauerhaft zu einer Art Aufnahmestelle umfunktioniert worden sei, liege nahe, dass diese unabhängig von der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 und der BayIfSMV im streitgegenständlichen Zeitraum geschlossen gewesen wäre.
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Die Bewirtung von Gästen im Freien wäre ab dem 18.05.2020, in Innenräumen ab dem 25.05.2020, wieder möglich gewesen.
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Die Klägerin habe auch die Höhe eines etwaigen Entschädigungsanspruchs nicht hinreichend dargelegt. Die Erlöse seien um die Kosten des Wareneinsatzes zu bereinigen, da bei Schließung eines Gastronomiebetriebs die Kosten für den Einkauf von Lebensmitteln entfallen würden.
79
Zudem wären sämtliche staatliche Entschädigungsleistungen, Kurzarbeitergeld etc., die die Klägerin aufgrund der Schließung der Cafeteria erhalten habe bzw. hätte beantragen können, auf die Versicherungsleistung anzurechnen.
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Verzug sei mangels Fälligkeit nicht eingetreten. Gemäß § 5 Abs. II Nr. 1 AVB erfolge die Auszahlung der Versicherungssumme binnen zwei Wochen, wenn der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach feststehe. Die Zahlungsfrist sei gemäß § 5 Abs. II Nr. 2 AVB gehemmt, solange die Entschädigung infolge des Verschuldens des Versicherungsnehmers nicht ermittelt werden könne, was nach Auffassung der Beklagten der Fall sei.
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Daher bestehe auch kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
82
Zum weiteren Parteivortrag wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
83
Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.
Entscheidungsgründe
84
Die zulässige Klage ist im Hauptanspruch dem Grunde nach begründet. Die Voraussetzungen des Eintritts des hier streitgegenständlichen Versicherungsfalls liegen sowohl bzgl. der Einschränkungen des Krankenhausbetriebs als auch bzgl. der Schließung der Cafeteria vor. Nachdem die Anspruchshöhe streitig ist und umfangreiche, kostenintensive Beweiserhebungen erforderlich wären, war der Erlass eines Grundurteils zweckmäßig und sachgerecht, um die Haftung dem Grunde nach zu klären.
85
Die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils liegen vor. Die Klage ist zulässig; die Prozessvoraussetzungen liegen vor; Prozesshindernisse bestehen nicht (Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 304 Rn. 2).
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Ein grundurteilsfähiger Klageanspruch ist gegeben. Streitgegenstand ist ein bezifferter Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme und es besteht Streit nach Grund und Betrag (hierzu Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 304 Rn. 3, 5). Die Entscheidungsreife zum Grund ist vollständig und im bejahenden Sinn gegeben; der geltend gemachte Anspruch besteht auch unter Berücksichtigung der Einwendungen gegen ihn mit Wahrscheinlichkeit zumindest teilweise (Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 304 Rn. 6 f).
87
Der Versicherungsfall ist eingetreten, so dass der Klageanspruch im Hauptanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist.
88
I. Nach dem Nachtrag vom 28.07.2020 zur Betriebsschließungs-Versicherung der Klägerin bei der Beklagten, gültig ab 01.01.2020, Anlage K 1, sind Vertragsbestandteile die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung gegen Schäden infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern für Krankenhäuser, Kliniken und Heimbetriebe BS 312/02, die Besonderen Vereinbarungen und Bestimmungen zur Betriebsschließungsversicherung gegen Schäden infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern für Krankenhäuser, Kliniken und Heimbetriebe für die Kunden der F2. H. Versicherungsmakler GmbH HV 5905/01 und die Besondere Vereinbarung BS 2440/00.
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II. Die Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalles dem Grunde nach sind vorliegend in den Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen nach BS 312/02 und HV 5905/01 geregelt.
90
Hierbei handelt es sich um Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Die Einbeziehung dieser AGB ist unstreitig.
91
III. Zunächst ist voranzustellen, dass in der Zusammenschau der hier anwendbaren Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen nach BS 312/02 und HV 5905/01 vorliegend für den Eintritt des Versicherungsfalls Folgendes gilt:
A.2.1.1 der HV 5905/01 regelt die Voraussetzungen „Abweichend von § 1 der BS 312/02…“. Damit ist der Vertragsgegenstand aus einer Zusammenschau von A.1.1 und A.2.1 der HV 5905/01 zu ermitteln. Hiernach erstreckt sich der Vertrag auf den Versicherungsschutz von Betriebsschließungsschäden durch ordnungsbehördliche Maßnahmen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) (vgl. hierzu A.1.1 Vertragsgegenstand). Versicherungsschutz besteht u.a. für den Fall, dass von der zuständigen Behörde oder auf Empfehlung des Robert-Koch-Institutes der versicherte Betrieb/Betriebsteil zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten geschlossen wird (A.2.1.1 der HV 5905/01).
92
IV. Welche Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls vorliegen müssen, ist durch Auslegung zu ermitteln.
93
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (st. Rspr., BGH, Urteil vom 17.02.2016, IV ZR 353/14, VersR 2016, 720 Rn. 15; BGH, Urteil vom 23.06.1993, IV ZR 135/92; BGHZ 123, 83 unter III 1 b.). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 22.01.2020, IV ZR 125/18 –, Rn. 10, juris).
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Die Auslegung orientiert sich, wie bei sämtlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, auch bei Versicherungsbedingungen, an einem objektiven Maßstab. Die besonderen Umstände des Einzelfalles bleiben dabei außer Betracht. Dies folgt aus der Funktion vorformulierter Vertragsklauseln, eine generalisierende Regelung ohne Einflussnahme des individuellen Klauseladressaten zu erreichen. Auszugehen ist dabei vom Wortlaut der vorformulierten vertraglichen Bedingung, wie er aus Sicht der typischerweise beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist. Der standardisierende Auslegungsmaßstab richtet sich dabei nach dem Willen verständiger und redlicher Vertragspartner, wobei auch die systematische Stellung der jeweiligen Vertragsregelung im Bedingungswerk und der mit ihr verfolgte Sinn und Zweck Berücksichtigung finden. Entscheidend bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen ist demnach grundsätzlich die Sicht eines rechtsunkundigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne einschlägige versicherungsspezifische Fachkenntnis. Zu fragen ist, wie dieser die konkrete Klausel bei verständiger Würdigung und aufmerksamer Durchsicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verstehen musste. Das Verständnis Dritter ist unerheblich, bei Gruppenversicherungen ist hingegen nach dem Verständnis der betroffenen Versicherten zu fragen. Nicht ausschlaggebend ist grundsätzlich das individuelle Verständnis des einzelnen Versicherungsnehmers. Dies gilt allerdings nicht, soweit ein übereinstimmendes Verständnis der betreffenden Klausel auf Seiten von Versicherer und Versicherungsnehmer festzustellen ist, welches in diesem Fall maßgeblich ist. Besitzt der als Klauseladressat angesprochene Personenkreis für die Auslegung relevante Vorkenntnisse, sind diese zu berücksichtigen. Neben dem Wortlaut der Klausel sind auch der Sinnzusammenhang sowie der mit der Klausel erkennbar verfolgte Zweck maßgebend. Der Wortlaut der Bedingungen kann allerdings nicht allein maßgebend sein; von wesentlicher Bedeutung für die Auslegung ist vielmehr auch, was ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer billigerweise vom Versicherungsschutz erwarten kann. Diese Erwartungen werden zwar in erster Linie vom Text des Versicherungsvertrages – also des Antrags, des Versicherungsscheins und der Versicherungsbedingungen – bestimmt; es muss dabei aber auch die Verkehrsauffassung und die Interessenlage in Betracht gezogen werden. Die Auslegung von Versicherungsbedingungen erfolgt dabei aus ihrem Sinnzusammenhang, wie er für den Versicherungsnehmer erkennbar ist (zum Ganzen: Beckmann/Matusche-Beckmann-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Auflage 2015, § 10 F.
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Klauseln in Versicherungsbedingungen, die Risikoausschlüsse oder -begrenzungen vorsehen, sind grundsätzlich eng auszulegen, da der Versicherungsnehmer mit Verkürzungen des Versicherungsschutzes, die ihm nicht hinreichend verdeutlicht wurden, nicht zu rechnen braucht. Entscheidend ist dabei der für den Versicherungsnehmer erkennbare Sinn der jeweiligen Regelung unter Beachtung ihres Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise (zum Ganzen: Beckmann/Matusche-Beckmann-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Auflage 2015, § 10 F.
96
Weiter ist im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen, ob der typische Adressaten- und Versichertenkreis in der Betriebsschließungsversicherung geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2020, IV ZR 217/19, juris Rn. 11). Bei einer Betriebsschließungsversicherung richtet sich die Auslegung daher nach dem in Unternehmerkreisen zu erwartenden Verständnis, weil die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.2010, IV ZR 308/07, juris Rn. 12; OLG Stuttgart, Urteil vom 18.02.2021, 7 U 351/20, juris Rn. 34; OLG Hamburg, Urteil vom 16.07.2021, 9 U 199/20, BeckRS 2021, 21551). V. Nach diesen Maßstäben ergibt die Auslegung vorliegend, dass die hier streitgegenständlichen Teilschließungen vom Versicherungsschutz umfasst waren.
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In den Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 (Anlage K 4) und 08.05.2020 (Anlage K 5) heißt es jeweils einleitend, dass die Allgemeinverfügungen jeweils auf Grundlage von § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG erlassen werden. In § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG heißt es u.a.:
„Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 28a, 28b und 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.“
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Nach dem Wortlaut von A.1.1 und A.2.1 der HV 5905/01 ist eine Betriebs-/Betriebsteilschließung durch ordnungsbehördliche Maßnahme nach dem IfSG zur Verhinderung der Verbreitung einer gefährlichen Infektionskrankheit erforderlich.
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Nach dem Wortlaut ist vorausgesetzt, dass die Maßnahme nach dem IfSG der Verhinderung der Verbreitung der Krankheit dienen muss; ob dies der Hauptzweck sein muss oder dies als Nebenzweck ausreichend ist, bleibt bzgl. des Wortlautes offen. Der Wortlaut enthält keinen Hinweis darauf, dass die Maßnahme nur dann Versicherungsschutz auslösen soll, wenn die Maßnahme ausschließlich oder hauptsächlich der Verhinderung der Krankheitsverbreitung dienen würde. Dann hätte man im Wortlaut Begriffe wie „hauptsächlich“, „im Hauptzweck“, „vorrangig“, „in erster Linie“ erwartet. Der Wortlaut ist vielmehr offen gestaltet; „zur Verhinderung“ kann ohne Weiteres auch eine Maßnahme neben- oder mitursächlich dienen. Konkreter hätte man auch (Teil-)Schließungen zur Gewährleistung ausreichender Versorgungskapazitäten für COVID-Patienten vom Versicherungsschutz ausnehmen können.
100
2. a) Im Hinblick auf die Systematik wird zunächst nach A.1.1 HV 5905/01 unter „Allgemeine Vertragsbestimmungen“ eine Maßnahme nach dem IfSG vorausgesetzt. Unter A.2.1.1 HV 5905/01 ist dann zu „Besondere Vereinbarungen und Bestimmungen“ die Voraussetzung des Dienens der Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung der Infektionskrankheit aufgelistet.
101
Insofern ist festzustellen, dass A.2.1.1 HV 5905/01 die Voraussetzungen nach A.1.1 HV 5905/01 nicht verdrängt, sondern nach der Systematik hierzu kumulativ gelten soll, da zwar § 28 IfSG die Voraussetzung „zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten“ enthält, in A.1.1 HV 5905/01 aber keine Beschränkung auf § 28 IfSG gegeben ist, sondern jedwede Betriebsschließung nach IfSG umfasst wird. Dass A.1.1 HV 5905/01 hier zusätzlich zu berücksichtigen ist, ergibt sich auch daraus, dass A.1.1 HV 5905/01 sonst keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr hätte und obsolet wäre; man hätte dann von einer Aufnahme des A.1.1 HV 5905/01 absehen können. Nachdem in A.2.1.1 HV 5905/01 auch § 1 BS 312/02 abbedungen wird, machte die entsprechende Ergänzung der in § 1 BS 312/02 im Vorspann unter I. (vor 1. und 2.) genannten Voraussetzungen, die hier eben gerade nicht gelten, anstelle dazu in A.1.1 der HV 5905/01 auch Sinn. Ferner sind beide Voraussetzungen demgemäß unter derselben sprachlichen Überschrift (“A.1.1 Vertragsgegenstand“ – „A.2.1 Gegenstand der Versicherung“) aufgelistet. Die Systematik beschränkt damit die Voraussetzungen des Versicherungsschutzes nicht auf die reine Voraussetzung „… zur Verhinderung der Verbreitung…“. Die Voraussetzungen sind vielmehr in einer Gesamtschau der beiden Bestimmungen festzulegen.
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b) Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht die Systematik der Versicherungsbedingungen nicht eindeutig dafür, dass ein Versicherungsfall nur dann vorliegen soll, wenn die behördliche (Teil-)Schließung dem Haupt- oder Alleinzweck der Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten dient.
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Zwar sind als weitere Versicherungsfälle neben der (Teil-)Betriebsschließung in den Versicherungsbedingungen weitere behördliche Maßnahmen genannt, die der Verhinderung der Ausbreitung von Erregern bzw. Krankheiten dienen wie z.B. Desinfektionsmaßnahmen oder die Vernichtung von Waren, des weiteren ein Beschäftigungsverbot von infizierten oder möglicherweise infizierten Personen (A.2.1.1 b) bis d) der HV 5905/01).
104
Hieraus ist vielmehr nur abzuleiten, dass auch Versicherungsschutz für betriebsinterne Gefahren besteht, nicht hingegen, dass der Versicherungsschutz auf solche beschränkt sein soll (BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, NJW 2023, 684). Gleichfalls lässt sich hieraus kein gemeinsamer Hauptzweck für alle genannten Maßnahmen ableiten. Die jeweiligen Versicherungsfälle sind jeweils einzeln unter a) bis e) aufgelistet. Die gemeinsame Voraussetzung ist in A.2.1.1 vorangestellt (“… von der zuständigen Behörde oder auf Empfehlung des Robert-Koch-Institutes …“).
105
Weitere gemeinsame Voraussetzungen ergeben sich aus der Systematik nicht.
106
3. Nach dem Sinn und Zweck der Versicherung sollen Betriebsschließungsschäden aus ordnungsbehördlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten abgedeckt sein. Ergehen also Verfügungen, auf § 28 IfSG gestützt, der die Voraussetzung der Verhinderung der Verbreitung der Krankheiten enthält, entspricht es dem Sinn und Zweck der Versicherung, auch diese abzudecken, auch wenn die Maßnahme nebenher oder vorrangig andere Zielsetzungen erfolgt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer im Krankenhausbereich wird davon ausgehen, dass derartige Maßnahmen vom Versicherungsschutz erfasst sind. Nach dem naheliegenden Verständnis wird der Versicherungsnehmer nach dem ihm erkennbaren Sinn und Zweck der Betriebsschließungsversicherung, ihn – möglichst umfassend – gegen Ertragsausfälle infolge einer behördlich angeordneten Betriebsschließung zu versichern (hierzu auch: BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris), von einem Versicherungsschutz ausgehen, wenn eine Maßnahme auf der Grundlage von § 28 IfSG erfolgt, der bereits impliziert, dass diese der Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus dienen.
107
4. Nach dieser Auslegung der AVB in einer Zusammenschau von A.1.1 und A.2.1.1 der HV 5905/01 soll der Versicherungsfall eintreten bei Vorliegen einer ordnungsbehördlichen Maßnahme nach dem IfSG, welche zu einer Schließung des versicherten Betriebs oder Betriebsteils führt, welche der Verhinderung der Verbreitung einer gefährlichen Infektionskrankheit dient; Maßnahmen, die auf § 28 IfSG gestützt und entsprechend legitimiert sind, sind aus Sicht des maßgeblichen Versicherungsnehmers in Krankenhauskreisen hierfür ausreichend.
108
Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer bzw. hier den Versicherungsnehmer in Unternehmer-, speziell Krankenhauskreisen, ist davon auszugehen, dass dann, wenn eine Maßnahme nach § 28 IfSG erlassen wird, die das Tatbestandsmerkmal „zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit“ impliziert, und eine (Teil-)Betriebsschließung zur Folge hat, grundsätzlich Versicherungsschutz besteht.
109
Es wäre für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer in Krankenhauskreisen zu erwarten, dass die Beklagte dann, wenn sie auf den Hauptzweck der Schließung abstellen wöllte, also das Vorliegen des Versicherungsfalles enger zu fassen beabsichtigt hätte, dies deutlich gemacht hätte, nachdem in § 28 IfSG Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten legitmiert werden.
110
5. Dies ergibt sich auch aus den weiteren Umständen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass zum Zeitpunkt des Erhaltes des hier streitgegenständlichen Nachtrags nebst zugehöriger AGB vom 28.07.2020 die streitgegenständlichen Maßnahmen durch die Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.05.2020 bzgl. des Verbots planbarer Behandlungen bereits beendet waren, der Beklagten zu diesem Zeitpunkt bekannt sein musste, dass die (Teil-)Schließungen auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt wurden und damit die Problemstellung offenkundig war, ob hierfür Versicherungsschutz bestehen soll oder nicht. Werden bei einer solchen Sachlage keine entsprechenden Einschränkungen bzw. Klarstellungen vorgenommen, geht dies zu Lasten des Versicherers.
111
Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die Klägerin bereits mit Schreiben vom 19.03.2020 der Beklagten die streitgegenständliche Betriebsschließung angezeigt hatte. Zwar hatte die Beklagte zunächst im Schreiben vom 04.05.2020, Anlage B 9, auf den ihrer Meinung nach fehlenden Versicherungsfall dem Grunde nach hingewiesen, hatte dann aber im weiteren zeitlich nachfolgenden Schreiben vom 27.07.2020 (Anlage K 9) Leistungen allein mit der Begründung, dass die Entschädigungsleistungen nach dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz/§ 21 Krankenhausfinanzierungsgesetz der Höhe nach in vergleichbarer Weise errechnet würden wie die Versicherungsleistungen der Betriebsschließungsversicherung und die entsprechenden Einnahmeverluste in den Entschädigungsleistungen bereits berücksichtigt seien, abgelehnt. Die Beklagte stützte sich damit im zeitlich letzten Schreiben, kurz vor Übersenden des Nachtrags vom 28.07.2020, nicht mehr auf das Nichtvorliegen eines Versicherungsfalls dem Grunde nach (auf den nunmehr geltend gemachten fehlenden Hauptzweck der Betriebsschließung), sondern darauf, dass sich der Höhe nach kein Anspruch ergeben würde, da sich die Entschädigungsleistungen in vergleichbarer Weise berechnen würden. Wenn einen Tag später, am 28.07.2020, der hier gegenständliche, für den geltend gemachten Zeitraum rückwirkend geltende Nachtrag ohne entsprechende Klarstellung ausgestellt wird, so kann dies vom Versicherungsnehmer nur so verstanden werden, dass der Versicherungsfall dem Grunde nach gegeben sein soll.
112
6. Damit war für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer in Krankenhauskreisen die Bestimmung so zu verstehen, dass dann, wenn Maßnahmen nach § 28 IfSG erlassen werden, diese vom Versicherungsschutz erfasst sind. Wöllte man den Anwendungsbereich hiervon abweichend weiter einschränken, hätte dies die Beklagte, der zudem die Maßnahmen zum Zeitpunkt der Übersendung des Versicherungsnachtrags bereits bekannt waren, deutlich machen müssen.
113
7. Insgesamt wird damit also gerade nicht ausreichend deutlich, dass vorliegend nicht Versicherungsschutz für alle auf § 28 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus gestützten (Teil-)Betriebsschließungen gewährt werden soll, sondern dass die HV 5905/01 eine eigenständige, engere Definition des Begriffs „zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus“ enthalten sollen.
114
8. Diese Einschätzung ist auch unter Berücksichtigung des Aspekts gerechtfertigt, was ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bzw. hier die Krankenhäuser billigerweise vom Versicherungsschutz erwarten können. Insofern ist für den objektiven Empfängerhorizont des durchschnittlichen maßgeblichen Versicherungsnehmers nicht allein die wirtschaftliche Logik des konkreten Versicherungsprodukts maßgeblich, so dass nicht auf die Prämienhöhe abgestellt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass gem. A.2.2.1 die Entschädigungsleistungen und die beitragsfreie Vorsorge auf max. 50.000.000 Euro begrenzt sind. Nachdem eine solche Höchstsumme bei der ausgewiesenen Prämie möglich sein kann, entsteht für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer in Krankenhauskreisen nicht der Eindruck, dass derartige Schäden hier schon dem Grunde nach nicht abgedeckt sein könnten. Vielmehr gehen mit derartigen Teil- und erst recht vollständigen Schließungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 der BS 312/02 (vgl. in A.2.2.1 der HV 5905/01) bis zum 60-fachen der Tagesentschädigung nach allgemeinem Verständnis regelmäßig sehr hohe Ersatzbeträge einher. Zudem ist insofern auch zu berücksichtigen, dass bei der Schadenshöhe staatliche Entschädigungsleistungen angerechnet werden, so dass insofern nicht von vorneherein absehbar ist, in welcher Höhe überhaupt Schäden verbleiben würden. Daher war es nicht klar ersichtlich, dass die jeweiligen Schäden hier außerhalb jeglicher Kalkulation liegen würden, zumal dies bei Risikoversicherungen für Versicherungsnehmer ohnehin schwer einschätzbar ist. Aus Sicht des Versicherungsnehmers in Krankenhauskreisen wäre es also naheliegend, davon auszugehen, dass das Restrisiko unter Abzug der doch erheblichen staatlichen Entschädigungsleistungen von der Prämie gedeckt sein wird.
115
9. Dass es im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 28 IfSG, der den Erlass zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheitserregern voraussetzt, zu einer größeren Anzahl von (Teil-)Betriebsschließungen im Krankenhausbetrieb gekommen war, konnte der Beklagten bei Abfassung ihrer Bedingungen, die sich speziell auch auf diesen Bereich bezogen, nicht verborgen geblieben sein. Hätte sie hierauf beruhende Betriebsschließungen vom Versicherungsschutz von vornherein ausnehmen wollen, hätte sie dies – wie z.T. in anderen Versicherungsbedingungen geschehen – ausdrücklich in ihren Bedingungen regeln müssen (zu einer ähnlichen Konstellation bzgl. dieses Aspektes auch BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris).
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10. So hat auch der BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris, im Zusammenhang mit einer anderen Fragestellung zur Betriebsschließungsversicherung im Kontext des Coronavirus entschieden, dass ein Anspruch unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme bestehen soll, da es dem Versicherungsnehmer nicht zumutbar sei, zunächst ein langwieriges verwaltungsgerichtliches Verfahren durchzuführen, um erst anschließend mit Erfolg Leistungen gegen den Versicherer geltend machen zu können. Hierbei wird der systematische Zusammenhang mit einer Klausel herangezogen, welche auch vorliegend in § 4 5.1 der BS 312/02 (der in HV 5905/01 nicht abbedungen wird) gilt. Hiernach ist eine Beschränkung des Anspruchs insoweit vorgesehen, als der Versicherungsnehmer Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beanspruchen kann, was auch im Fall rechtswidrigen Verwaltungshandelns einen Leistungsanspruch dem Grunde nach voraussetzt (Urteil des BGH vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris, unter Rekurs auf Günther, in: Günther/Seitz/Thiel [Hrsg.], Betriebsschließungs- und Ausfallversicherung in der Covid-19-Pandemie, 2021, S. 25). Dieser Rechtsgedanke kann im übertragenen Sinne auch vorliegend herangezogen werden. Ergeht also eine ordnungsbehördliche Maßnahme auf der Grundlage von § 28 IfSG, der die Verhinderung der Verbreitung der Krankheit zur Voraussetzung hat, so ist dieser Zweck nach dem Verständnis des Versicherungsnehmers nicht mehr in Frage zu stellen; eine Trennung bzw. isolierte Betrachtung der verwaltungsrechtlichen Maßnahme ist also auch unter diesem Gesichtspunkt nicht angezeigt.
117
11. Dies gilt umso mehr, als -wie oben ausgeführtKlauseln in Versicherungsbedingungen, die Risikoausschlüsse oder -begrenzungen vorsehen, grundsätzlich eng auszulegen sind, da der Versicherungsnehmer mit Verkürzungen des Versicherungsschutzes, die ihm nicht hinreichend verdeutlicht wurden, nicht zu rechnen braucht.
118
12. Die Kammer schließt sich damit nicht der vom Landgericht München I, Urteil vom 25.03.2022, 25 O 1883/21, Anlage B 17, vertretenen Auffassung an.
119
Dort wurde ausgeführt, dass die dort maßgebliche Formulierung in § 1 Ziff. 1.1.1 der AVB nicht auf die Rechtsgrundlage der Verordnung oder Allgemeinverfügung bzw. des Verwaltungsaktes ziele, sondern an die getroffene Regelung und die sich aus dieser Regelung ergebende Zielsetzung anknüpfe, nämlich die Sicherung der medizinischen Versorgung von an Covid-19 erkrankten Personen und nicht die Verhinderung der Verbreitung von Covid-19. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde das Benennen der ausdrücklichen Zielrichtung der Schließungsanordnung in den AVB dahingehend, dass diese zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern dienen müsse, nicht so verstehen, dass damit lediglich der Zweck des IfSG, wie er in § 1 IfSG definiert sei, wiederholt werde, ohne dass der Benennung eine eigenständige Bedeutung zukomme. Nach § 1 Abs. 1 IfSG sei Zweck des Gesetzes, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. § 1 Abs. 2 IfSG regle, dass die hierfür notwendige Mitwirkung und Zusammenarbeit von Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen, Ärzten, Tierärzten, Krankenhäusern, wissenschaftlichen Einrichtungen sowie sonstigen Beteiligten entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen und epidemiologischen Wissenschaft und Technik gestaltet und unterstützt werden solle und dass die Eigenverantwortung der Träger und Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen, Lebensmittelbetrieben, Gesundheitseinrichtungen sowie des Einzelnen bei der Prävention übertragbarer Krankheiten verdeutlicht und gefördert werden solle. Damit seien die Voraussetzungen des Versicherungsfalls in den AVB deutlich enger geregelt als die Zielsetzung des IfSG, so dass sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne weiteres erschließe, dass dem angeführten Zweck der Schließungsanordnung eine eigenständige, den Versicherungsfall definierende Bedeutung zukomme. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass als Rechtsgrundlage der Verordnung § 32 Satz 1 IfSG aufgeführt werde, mit dem die Landesregierungen ermächtigt würden, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28. 28a und 29 bis 31 maßgebend seien, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. … Es erschließe sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass die Formulierung in § 1 Ziffer 1.1.1 der AVB nicht auf die Rechtsgrundlage der Verordnung oder Allgemeinverfügung bzw. des Verwaltungsaktes ziele, sondern an die getroffene Regelung und die sich aus dieser Regelung ergebende Zielsetzung anknüpfe. Die Zielsetzung, die sich aus den hier relevanten Verordnungen ergebe, sei die Sicherung der medizinischen Versorgung von an Covid 19 erkrankten Patienten und nicht die Verhinderung der Verbreitung von Covid 19.
120
Insofern ist zunächst voranzustellen, dass die Ausführungen auf den hier vorliegenden Fall nicht unmittelbar zu übertragen sind, da mit A.1.1 und A.2.1.1 der HV 5905/01 (s.o.) hier bereits andere Formulierungen einschlägig sind und sich vorliegend die Betrachtung nach dem Zusammenspiel dieser beiden Voraussetzungen ergibt (s.o.). Zudem stützten sich im vorliegenden Fall die Allgemeinverfügungen direkt auf § 28 IfSG, welcher als Tatbestandsvoraussetzung bereits unmittelbar die Verhinderung der Verbreitung der Krankheit als Zielrichtung enthält, welche sich mit dem Inhalt der A.2.1.1 a) der HV 5905/01 deckt. Weiterhin ist entscheidend nicht eine Auslegung der ordnungsbehördlichen Maßnahmen, sondern allein der Versicherungsbedingungen. Letzlich wäre zumindest nach der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB der hier gefundenen Auslegung der Vorzug zu geben (hierzu sogleich).
121
13. Die Kammer verkennt hierbei auch nicht, dass es im Zusammenhang mit der Verschiebung planbarer Behandlungen auch behördliche Anordnungen für Krankenhäuser gegeben hat, die ausdrücklich die Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 im Krankenhausbetrieb bezweckt hätten, so z.B. die Allgemeinverfügung u.a. des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 24. März 2020 (Az. D4-2484-2-7 und G24-K9000-2020/134, Anlage B 16) unter Ziff. 8 zu bestimmten organisatorischen Maßnahmen bzw. in Ziffer 9 der Allgemeinverfügung vom 08.05.2020, und dass die entsprechenden landesspezifischen Maßnahmen auf Beschlüsse zurückgehen, welche jeweils die Sicherung der klinischen Versorgungskapazitäten zum Ziel gehabt hätten.
122
Dies ändert jedoch unter Rekurs auf obige Einschätzung nichts an der Tatsache, dass die hier streitgegenständlichen Maßnahmen zumindest auch der Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus dienten und nach dem Verständnis des maßgeblichen Versicherungsnehmers vom Versicherungsschutz erfasst waren.
123
14. Im Übrigen würde sich die hier von der Kammer vorgenommene Auslegung ohnehin zumindest unter Anwendung der Unklarheitenregelung gem. § 305c Abs. 2 BGB ergeben, wonach Zweifel bei der Auslegung von AGBs zu Lasten des Verwenders gehen.
124
Diese ist auch im Verkehr zwischen Unternehmern anwendbar (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., 2023, § 305c Rn. 15) und kommt auch im hier vorliegenden Fall des Vorliegens von Versicherungsbedingungen bzgl. der Betriebsschließungsversicherung zur Anwendung (vgl. auch BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris).
125
Sie setzt voraus, dass nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., 2023, § 305c Rn. 15; BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris; BGH, Urteil vom 14.06.2017, IV ZR 161/16, VersR 2017, 1012).
126
Dies ist vorliegend der Fall; beide Auslegungen wären auch wirksam (hierzu Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., 2023, § 305c Rn. 15). c)
127
Damit ist gem. § 305c Abs. 2 BGB die dem Verwendungsgegner günstigere Auslegung vorzuziehen. Die Beklagte als Verwenderin des Vertragsformulars trägt das Risiko der für sie unschwer vermeidbaren Unklarheit der von ihr gestellten Vertragsbedingungen (§ 305 c Abs. 2 BGB). Diese Auslegungszweifel gehen zumindest gem. § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Hätte die Beklagte den Versicherungsschutz auf Maßnahmen, die ausschließlich oder im Hauptzweck der Verbreitung des Coronavirus dienen, beschränken wollen, hätte sie dies durch eine ihr ohne Weiteres mögliche und zumutbare Klarstellung in den Versicherungsbedingungen erreichen können. Es ist deshalb von der für den Versicherungsnehmer günstigeren Auslegung auszugehen (hierzu auch BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris).
128
15. Eine Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB ist weder geltend gemacht noch kann sie erfolgen (hierzu: BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris), da sich die Umstände nach Vertragsschluss nicht geändert haben, vielmehr der Nachtrag vom 28.07.2020 die Versicherung bereits nachträglich zum 01.01.2020 ändert, also den hier relevanten Zeitraum bereits retrospektiv einbezieht. Überdies war auch eine Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes zur Verhinderung der Verbreitung meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger bereits zum Vertragsinhalt gemacht worden (hierzu auch BGH, Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris).
129
VI. Unter diesem Verständnis sind die Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls gegeben.
130
1. Die Maßnahmen der Verschiebung elektiver Eingriffe und geplanter Behandlungen dienten nach diesem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers in Krankenhauskreisen der Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus.
131
a) In den Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 (Anlage K 4) und 08.05.2020 (Anlage K 5) heißt es, wie ausgeführt, jeweils einleitend, dass die Allgemeinverfügungen jeweils auf Grundlage von § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG erlassen werden; insofern besteht die Notwendigkeit, dass die Maßnahmen der Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten dienen.
132
In den Allgemeinverfügungen selbst und in den diesbezüglichen Begründungen werden die Maßnahmen in erster Linie damit gerechtfertigt, möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Behandlung von COVID-19-Patienten und die Entlastung anderer Krankenhäuser freizumachen. Nachdem dies der Kerngehalt der Allgemeinverfügungen, sprich der jeweilige Auftrag an die Adressaten war, wird selbstredend dieser Aspekt umfangreich erläutert und konkretisiert. Allerdings setzt, wie ausgeführt, § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG voraus, dass die Maßnahme auch der Verhinderung der Verbreitung der Krankheit dienen muss. Dass dieses Ziel ebenfalls anvisiert war, zeigt zum einen die Bezugnahme auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG und zum anderen die einleitenden Ausführungen zur Schnelligkeit und zum Umfang der Verbreitung des Virus´:
133
In der Begründung zur Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 ist u.a. ausgeführt, dass sich das Coronavirus in kurzer Zeit weltweit verbreitet habe, eine extrem rasche Verbreitung des Virus und im finalen Szenario eine Infektionsrate von über 50% der Bevölkerung vom Robert-Koch-Institut und vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit befürchtet werde.
134
In der Begründung zur Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 heißt es u.a. wiederum, dass sich das Coronavirus in kurzer Zeit weltweit verbreitet habe und nach wie vor bei nachlassenden Vorkehrungen des Infektionsschutzes eine extrem rasche Verbreitung des Virus vom Robert-Koch-Institut und vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit befürchet werde.
135
In beiden Allgemeinverfügungen werden diese Ausführungen explizit als Hintergrund der ergriffenen Maßnahmen aufgeführt.
136
b) Dazu korrespondierend hat auch das VG Ansbach, Beschluss vom 25.04.2020, AN 18 S 20.00739, abrufbar in juris, ausgeführt, dass bzgl. der hier streitgegenständlichen Regelungen der § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG als Rechtsgrundlage herangezogen werden durfte. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ sei umfassend und ermögliche der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt werde. Für ein solch weites Verständnis spreche auch die Gesetzgebungsgeschichte der Vorschrift, nämlich dem Anknüpfen an die Vorgängerregelungen und mithin auch an die Vorschrift des § 34 BSeuchG an, bzgl. derer nach der Gesetzesbegründung zu § 34 BSeuchG in Anbetracht der Fülle der Schutzmaßnahmen, die beim Ausbruch einer übertragbaren Krankheit infrage kämen, eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufgenommen werden sollte, so dass der Gesetzgeber daher § 28 Abs. 1 IfSG als Generalklausel ausgestaltet habe. Unter Zugrundelegung eines derart weiten Normverständnisses spreche vieles dafür, dass auch die hier streitgegenständlichen Regelungen auf Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG hätten getroffen werden dürfen. Zwar ziele Ziffer 1 der Allgemeinverfügung vom 19.03.2020, der die dort genannten Krankenhäuser dazu verpflichte, nach Möglichkeit alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen, um auf diese Weise möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten freizumachen und die Behandlung von Notfällen zu gewährleisten, in erster Linie auf die Bewältigung eines im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erwarteten Notstands in der stationären Versorgung ab. Auf diese Weise trage die Regelung aber zugleich zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus bei, indem sie sicherstelle, dass an COVID-19 erkrankte Personen möglichst wirksam in den dafür vorgesehenen medizinischen Einrichtungen isoliert und behandelt werden können. Nichts anderes gelte in Bezug auf die Ziffern 3.1 und 3.2 der Allgemeinverfügung vom 24. März 2020. Soweit danach die in den betreffenden Einrichtungen vorhandenen Kapazitäten vollumfänglich für die Behandlung von COVID-19-Patienten zur Verfügung gestellt und nach Möglichkeit sowohl in personeller als auch in räumlich-technischer Hinsicht ausgebaut werden sollten, ermögliche auch diese Maßnahme eine Isolation und möglichst effektive Behandlung von Corona-Patienten und damit letztlich die Eindämmung des Virus.
137
Auch hieraus ergibt sich letztlich, dass die streitgegenständlichen Maßnahmen zumindest auch der Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus dienten.
138
2. Auch die Schließung der Cafeteria diente der Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus.
139
Dies ist zum einen unstreitig und ergibt sich zum anderen auch aus der entsprechenden Begründung in der jeweiligen Allgemeinverfügung, in welchen die Maßnahmen mit der Verhinderung der Weiterverbreitung des Coronavirus begründet werden. Insofern ist die Begründung zur Schließung der Gastronomiebetriebe, damit auch der hier streitgegenständlichen Cafeteria, eindeutig formuliert.
140
3. Die Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.05.2020 waren auch dazu geeignet, die weitere Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Dies ergibt sich bereits aus den diesbezüglichen Ausführungen des VG Ansbach, Beschluss vom 25.04.2020, AN 18 S 20.00739, abrufbar in juris, s.o., wonach durch die Maßnahmen sichergestellt wird, dass an COVID-19 erkrankte Personen möglichst wirksam in den dafür vorgesehenen medizinischen Einrichtungen isoliert und möglichst effektiv behandelt werden können, was letztlich die Eindämmung des Virus diene.
141
Im Übrigen würde es auf die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen für die Frage der Leistungspflicht der Beklagten ohnehin nicht ankommen (BGH vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris).
142
4. Dass es sich bei COVID-19 um eine gefährliche Infektionskrankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen (A.2.1.1 der HV 5905/01) handelt, ist zwischen den Parteien unstreitig. Im Übrigen ist gem. A.2.1.4 der HV 5905/01§ 1 Abs. III der BS 312/02 mit dem dortigen Krankheits-/Erregerkatalog gestrichen.
143
5. Weiterhin lag auch eine Schließung eines Betriebsteils im Hinblick auf die Verschiebung elektiver Eingriffe und geplanter Behandlungen vor.
144
Mit den Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.05.2020 war nicht lediglich eine Umplanung der Betriebsvorgänge unter Priorisierung einzelner Betriebsvorgänge erforderlich, sondern die Klägerin wurde verpflichtet, soweit medizinisch vertretbar, planbare Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen. Eine Umstrukturierung/Umorganisation lag dabei nicht vor, da unklar war, ob die freigewordenen Kapazitäten benötigt werden würden oder nicht; die Betten waren freizuhalten. Damit notwendig einher ging die Teilschließung der ursprünglichen Bereiche, sonst wäre ein Freihalten nicht möglich gewesen. Die ausgesprochene Verpflichtung ging dahin, verschiebbare Behandlungen zu unterlassen, abzusagen, nach hinten zu verschieben, also nicht durchzuführen. Damit einhergehend war eine Teilschließung verbunden.
145
Selbst wenn nach den Versicherungsbedingungen eine Betriebsschließung (keine Teil-Schließung wie vorliegend) vorausgesetzt ist, schließt der Umstand, dass weiterhin in geringem Umfang eine geschäftliche Tätigkeit möglich war, die Annahme eines Versicherungsfalles nicht aus; vielmehr ist entscheidend, ob sich die behördliche Anordnung im konkreten Fall faktisch wie eine Betriebsschließung ausgewirkt hat, was z.B. auch bei einer begrenzten Beherbergung von Geschäftsleuten in einem Hotel oder dem Außer-Haus-Verkauf von Speisen durch ein Restaurant im Einzelfall noch angenommen werden kann; dann liegt zumindest faktische Betriebsschließung vor, für die Versicherungsschutz besteht (hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2021, 12 U 4/21, r+s 2021, 438, abrufbar in beck-online m.w.N.). Dies schloss das Gericht insbesondere aus der Formulierung der dort einschlägigen CoronaVO, wonach der Betrieb von Gaststätten und Beherbergungsbetrieben generell untersagt wurde und nur „ausnahmsweise“ eine Beherbergung zu geschäftlichen, dienstlichen oder – in besonderen Härtefällen – zu privaten Zwecken erfolgen durfte. Aus dieser Formulierung und dem vom Verordnungsgeber bestimmten Regel-Ausnahmeverhältnis folgerte das OLG Karlsruhe, dass auch eine geschäftlich oder dienstlich veranlasste Übernachtung nur im Ausnahmefall zulässig sein sollte und nicht lediglich ein Verbot touristischer Übernachtungen angeordnet wurde.
146
Diese Argumentation ist auf den hier zu entscheidenden Fall übertragbar. Vorliegend wurde angeordnet, dass grundsätzlich alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen sind. Davon wurden gewisse Ausnahmen gemacht.
147
Nachdem vorliegend aber auch Teil-Betriebsschließungen versichert sind, gibt es keinen Zweifel, dass die Maßnahmen vorliegend unter die Voraussetzung der Teil-Schließung fielen.
148
Darüber hinaus wirkten sich die Anordnungen der streitgegenständlichen Allgemeinverfügungen auch wie eine faktische Betriebsteilschließung aus, nachdem zumindest großbeträgige staatliche Entschädigungsleistungen gezahlt wurden, was zeigt, dass entsprechende weitreichende Ausfälle gegeben waren (zu diesem Aspekt auch näher OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.6.2021,12 U 4/21, r+s 2021, 438, abrufbar in juris).
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6. Ferner war auch die Teil-Betriebsschließung aufgrund der Allgemeinverfügungen versichert. Eine konkret-individuelle, gerade auf den versicherten Betrieb ausgerichtete behördliche Schließungsmaßnahme, ein konkreter, die Klägerin betreffender, individualisierter Verwaltungsakt, war nicht erforderlich.
150
Wie bereits ausgeführt, ist insofern A.1.1 der HV 5905/01 maßgeblich, der eine ordnungsbehördliche Maßnahme nach dem IfSG fordert. Eine Einschränkung auf eine Maßnahme einer Behörde ist in A.1.1 der HV 5905/01, anders als in A.§ 1 I. der BS 312/02 (der nach A.2.1.1 der HV 5905/01 nicht gilt, wofür stattdessen A.1.1 der HV 5905/01 zur Anwendung kommt) schon nicht vorgesehen.
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Aber auch ohnehin fallen unter diese Maßnahmen auch Allgemeinverfügungen:
152
Wie unlängst der BGH durch Urteil vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris, entschieden hat (so auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2021,12 U 4/21, r+s 2021, 438, abrufbar in beck-online), ist auch der Erlass der Rechtsverordnung als das Handeln einer „zuständigen Behörde“ zu werten, was auch für den Erlass einer Allgemeinverfügung gilt. Zuvor war in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob eine in den Bedingungen vorausgesetzte behördliche Anordnung der Schließung des Betriebs des Versicherungsnehmers eine konkret-individuelle Maßnahme durch Verwaltungsakt voraussetzt (so OLG Schleswig, Urteil vom 10.05.2021, 16 U 25/21, BeckRS 2021, 10599; LG Stuttgart; Urteil vom 07.12.2020, 18 O 270/20, COVuR 2021 S. 41, Rn. 12 f.; LG Stuttgart, Urteil vom 02.11.2020, 18 O 264/20, COVuR 2020 S. 871, Rn. 9; Goergen/Derkum, VersR 2020, 907, 910 f.; Keunecke/Püttgen, VW 2020, 76, 78) oder auch auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes erlassene Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen umfasst (so OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2021, 12 U 4/21, r+s 2021, 438; LG München I, Urteil vom 01.12.2020, 12 O 5895/20, r+s 2020, 618; LG München I, Urteil vom 17.09.2020, 12 O 7208/20, r+s 2020, 578; Armbrüster, in: Prölss/Martin [Hrsg.], VVG, 31. Aufl., AVB BS 2002 Rn. 5; ders., r+s 2020 S. 507, 509; Rixecker, in: Schmidt [Hrsg.], COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl., § 12 Rn. 58; Eusani, MDR 2020, 889; Fortmann, ZfV 2020, 300, 302; ders., VersR 2020, 1073, 1079 f.; Frohnecke, COVuR 2021, 352, 353; Korff, COVuR 2020, 246; Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250, 251; Notthoff, r+s 2020, 551, 554; Reiff, ZfV 2020, 465, 468; Schimikowski, r+s 2020, 581; Schneider/Schlüter, r+s 2020, 691, 692; Schreier, VersR 2020, 513, 516; Vos, KSI 2020, 170, 171). Der BGH hat sich im o.g. Urteil ausdrücklich der letztgenannten Auffassung angeschlossen und konstatiert, dass derartige, auch inhaltsgleiche, Klauseln in Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung behördliche Schließungsanordnungen unabhängig von ihrer Rechtsform erfassen, wie die Auslegung der Klausel ergebe. Aus dem Wortlaut des Tätigwerdens der „zuständigen Behörde“ aufgrund des Infektionsschutzgesetzes sei eine Unterscheidung zwischen verschiedenen öffentlich-rechtlichen Handlungsformen für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nach dem Wortlaut der Klausel und ihrem Sinn und Zweck ebenso wenig zu entnehmen wie eine Einschränkung, dass mit „Behörde“- je nach landesrechtlicher Regelung – nur die örtlichen Gesundheitsämter oder Ordnungsbehörden gemeint seien. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, der den Sinnzusammenhang der Versicherungsbedingungen zusätzlich in den Blick nehme, werde davon ausgehen, dass es sich bei einer Rechtsverordnung des zuständigen Landesministeriums um eine behördliche Anordnung handelt. Für ihn mache es mit Blick auf den erkennbaren Sinn und Zweck der Betriebsschließungsversicherung, ihn gegen Ertragsausfälle infolge behördlich angeordneter Betriebsschließung zu versichern, keinen Unterschied, aufgrund welcher hoheitlich angeordneten Maßnahme der zuständigen Stelle sein Betrieb geschlossen werde. Er werde insoweit nicht zwischen den verschiedenen Formen exekutiven Handelns, sei es in Form eines Einzelverwaltungsaktes, einer Allgemeinverfügung oder einer Rechtsverordnung, differenzieren. Diese Erwägungen sind dabei ohne Weiteres auch auf die hier gegebenen Allgemeinverfügungen übertragbar.
153
Die von der Beklagtenpartei insofern angeführte Entscheidung des OLG Schleswig, Urteil vom 10.05.2021, 16 U 25/21, BeckRS 2021, 10599, ist damit bereits überholt. Ohnehin wäre sie auch schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar, da es sich in der dortigen Entscheidung um die hier nicht einschlägige Formulierung aus A.§ 1 I. „… wenn die zuständige Behörde aufgrund des … IfSG … den versicherten Betrieb … zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern … schließt …), handele. Überdies geht aus der Begründung des Urteils des OLG Schleswig hervor, dass im dortigen Fall -anders als hierdie maßgebliche Versicherung zu einer Zeit abgeschlossen wurde, in der an ein zu einem praktisch allgemeinen Lockdown führendes pandemisches Virus nicht auch nur entfernt zu denken war. Diese Tatsache hat natürlich entscheidenden Einfluss auf die entsprechende Auslegung der Versicherungsbedingungen, nachdem einhergehend mit einer Pandemie flächendeckendere Maßnahmen erforderlich wurden.
154
7. Der Eintritt des Versicherungsfalls setzt auch nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sog. intrinsischen, Infektionsgefahr voraus (Urteil des BGH vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris).
155
Nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ergibt sich nicht die Voraussetzung, dass sich der Versicherungsfall auf eine aus dem Betrieb selbst herrührende Gefahr beziehen müsse. Die Bedingungen verdeutlichen dem Versicherungsnehmer hiernach vielmehr nur, dass sie im Grundsatz auch Versicherungsschutz für betriebsinterne Gefahren bieten, nicht hingegen, dass der Versicherungsschutz auf solche beschränkt sein solle (Urteil des BGH vom 18.01.2023, IV ZR 465/21, DB 2023, 442-448, abrufbar in juris, m.w.N., u.a. unter Rekurs auf Fortmann, VersR 2020, 1073, 1079; Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250, 252).
156
8. Letztlich ist für die Schließung der Cafeteria noch auszuführen, dass die Kammer nicht davon ausgeht, dass diese unabhängig von der ordnungsbehördlichen Anordnung der Schließung ohnehin geschlossen worden wäre, um die Cafeteria als Aufnahmestelle zu nutzen.
157
Die Schließung wurde durch Allgemeinverfügung angeordnet und erfolgte zu dem dort angegebenen Geltungszeitpunkt. Sie erfolgte damit in sachlich und zeitlich engem Zusammenhang zur Anordnung.
158
Damit ist naheliegend, dass die Schließung der Cafeteria dann insofern organisatorisch genutzt wurde, den damit einhergehend leerstehenden Raum für die Einrichtung der Aufnahmestelle zu nutzen.
159
Die Kammer geht daher nicht davon aus, dass die Cafeteria unabhängig von der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 und der BayIfSMV im streitgegenständlichen Zeitraum ohnehin geschlossen gewesen wäre.
160
VII. Für die Zurückstellung und Unterbrechung planbarer Behandlungen liegt ein Versicherungsfall dem Grunde nach ab 20.03.2020 bis 18.05.2020 vor.
161
1. Die einschlägige Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 trat am 20.03.2020 in Kraft und untersagte ab diesem Zeitpunkt elektive Eingriffe und geplante Behandlungen gänzlich. Der Anspruch beginnt daher am 19.03.2020.
162
2. Aber auch der Geltungszeitraum der Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 ist vom Versicherungsfall umfasst. Diese trat am 09.05.2020 in Kraft. Insofern wurden gem. 1.3.1 dieser Allgemeinverfügung Plankrankenhäuser verpflichtet, grundsätzlich 30% ihrer vorhanden Intensivkapazitäten mit invasiver Beatmungsmöglichkeit sowie 25% der Allgemein-/Normalpflegebetten für die Behandlung von COVID-19-Erkrankten verfügbar zu halten. Nachdem vorliegend auch Teilschließungen versichert sind, fällt auch diese Anordnung unter den Versicherungsfall (siehe oben).
163
Die Frage, ob ein Unterlassen sämtlicher planbarer stationärer Behandlungen, wie klägerseits geltend gemacht, auch im Zeitraum ab dem 09.05.2020 (nachdem die Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 deren Durchführung in den unter Ziff. 1.3 genannten Grenzen wieder gestattete) vom Versicherungsschutz gedeckt ist, ist eine Frage der Anspruchshöhe und nicht des Anspruchs dem Grunde nach.
164
3. Die Klägerin macht Ersatzansprüche insofern bis 18.05.2020 geltend. Dies entspricht 60 Tagen.
165
Gem. A.2.2.1 der HV 5905/01 sind Entschädigungsleistungen für Maßnahmen nach § 1 Abs. I Nr. 1 der BS 312/02 auf maximal das 60-fache der Tagesentschädigung begrenzt.
166
VIII. Ein Versicherungsfall dem Grunde nach liegt weiter für die Untersagung und Einschränkung des Betriebs der Cafeteria der Klägerin ab 18.03.2020 bis 16.05.2020 vor. Dies entspricht dem Zeitraum von 60 Tagen nach § 1 Abs. I Nr. 1 der BS 312/02.
167
Ob ein Versicherungsfall auch ab dem 18.05.2020 vorlag, nachdem ab diesem Zeitpunkt die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im Freien unter bestimmten Voraussetzungen wieder gestattet war, bzw. ab dem 25.05.2020, wonach unter gewissen Voraussetzungen der Betrieb von Speisewirtschaften auch in Innenräumen wieder gestattet, vorlag, bedarf damit keiner Entscheidung.
168
Die Entscheidungen zur Anspruchshöhe und zu den Nebenforderungen (Zinsananspruch, Freiststellung bzgl. vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten) werden dem Betragsverfahren vorbehalten.
169
Der Anspruch auf Zinsen und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Nebenforderungen hängen von Höhe des Anspruchs in der Hauptsache ab, da z.B. für den Eintritt des Verzugs relevant ist, ob Zuvielforderung vorlag, und sich die Rechtsanwaltskosten aus der zustehenden Forderungshöhe ergeben. Diese bleiben damit der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
170
Das Grundurteil enthält keinen Ausspruch über Kosten und Vollstreckbarkeit (Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 304 Rn. 29 a.E.).