Titel:
Erfolglose Klage gegen Grundsteuerbescheide wegen Verfristung
Normenketten:
VwGO § 74 Abs. 1, § 75
BGB § 133, § 157
GG Art. 106 Abs. 6
Leitsätze:
1. Erklärungen im Widerspruchsverfahren sind wie Prozesserklärungen entsprechend den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden allgemeinen Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) auszulegen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bringt ein Kläger klar zum Ausdruck, dass er keinen kostenpflichtigen Widerspruchsbescheid wünscht, beendet der damit das förmliche Widerspruchsverfahren. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der beschwerte Grundstückseigentümer kann in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen einen Grundsteuerbescheid im Wege der so genannten Inzidentprüfung auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des von der Gemeinde festgesetzten und angewendeten Hebesatzes verlangen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfristete, unzulässige Klage, Untätigkeitsklage, Widerspruchsrücknahme, Auslegung von Erklärungen im Widerspruchsverfahren, Grundsteuer, Erhöhung des Hebesatzes, Verfristung, Klagefrist, Auslegung, Hebesatz
Rechtsmittelinstanz:
VG Würzburg, Berichtigungsbeschluss vom 09.08.2023 – W 8 K 23.242
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21150
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Aufhebung mehrerer Grundsteuerbescheide.
2
Mit Marktgemeinderatsbeschluss vom 9. November 2021 beschloss der Beklagte unter anderem die Erhöhung der Hebesätze für die Grundsteuern A und B zum 1. Januar 2022 auf jeweils 500%.
3
Mit Änderungsbescheiden vom 16. Mai 2022 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger eine geänderte Grundsteuer für die Objekte Fl.Nrn. …49, …3, …9 und …7 i. H. v. 427,95 EUR, für das Objekt Fl.Nr. …4 i. H. v. 11,65 EUR sowie für das Objekt A* K* … … i. H. v. 416,75 EUR ab dem Jahr 2022 fest.
4
Mit Schreiben vom 22. Mai und 22. Juni 2022 legte der Kläger Widerspruch gegen diese Bescheide ein und führte hierzu im Wesentlichen aus, er bitte um Rechtfertigung der Anhebung des Hebesatzes der Grundsteuern A und B auf jeweils 500% sowie darum, ihm entsprechendes belegbares Zahlenmaterial zur Verfügung zu stellen, da die Erhöhung ungerechtfertigt und unangemessen sei. Auch in der Sitzung des Marktgemeinderates in der die Erhöhung beschlossen worden sei, habe kein konkretes Zahlenmaterial vorgelegen, welches die Anhebung rechtfertigen würde. Die Begründung, man möchte das Schwimmbad sanieren und benötige hierzu Geld, rechtfertige die Erhöhung nicht. Die Anhebung der Hebesätze sei, insbesondere auch unter Betrachtung der gesamten Kommunen im Bereich des Landkreises Main-Spessart, unangemessen hoch.
5
Mit Änderungsbescheid vom 28. Juni 2022 änderte der Beklagte den Bescheid vom 16. Mai 2022 bzgl. des Objekts Fl.Nr. …4 ab und setzte für dieses eine geänderte Grundsteuer i. H. v. 11,60 EUR ab dem Jahr 2022 fest.
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Mit Schreiben vom 28. Juni 2022 teilte der Beklagte dem Kläger im Rahmen einer Anlage unter anderem mit, er habe bereits eine Einnahmeerhöhung durch die Schaffung bzw. Erhöhung von besonderen Einnahmen für erbrachte Leistungen wie z.B. durch die Inauftraggabe einer Kalkulation zur Anpassung der Gebühren für die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung durchgeführt bzw. in die Wege geleitet. Die weiteren sonstigen Einnahmen des Marktes würden regelmäßig überarbeitet und angepasst. Diese Einnahmen würde jedoch nicht zur Finanzierung aller Aufgaben des Marktes ausreichen, sodass eine deutliche Erhöhung der Steuerhebesätze habe vorgenommen werden müssen. Es seien im Wesentlichen die Preissteigerungen in allen Bereichen (Strom, Wasser, Treibstoff etc.) seit der letzten Anpassung 2004, der Wegfall der Einnahmen durch Straßenausbaubeiträge und der Anstieg der Straßenunterhaltskosten berücksichtigt worden. Die Erhöhung diene der Sicherung der Leistungsfähigkeit des Beklagten. Es sei daher beabsichtigt, den Widersprüchen nicht abzuhelfen und sie dem Landratsamt vorzulegen.
7
Mit Schreiben vom 10. Juli 2022 führte der Kläger aus, die Ausführungen des Beklagten würden nicht belegen, dass die derzeitigen vielschichtigen Einnahmen des Beklagten zur Finanzierung seiner Ausgaben nicht ausreichen würden. Sie hätten offensichtlich bislang ausgereicht, da in den letzten Jahren Schulden und Schuldenzinsen merklich getilgt worden seien und eine neue Kreditaufnahme habe vermieden werden können. Die Wasser- und Kanalgebühren seien vor nicht allzu langer Zeit angepasst und erhöht worden, weshalb der Faktor Wasser nicht bei der Anhebung des streitgegenständlichen Hebesatzes hätte berücksichtigt werden dürfen.
8
Mit Beschluss vom 20. November 2022 half der Beklagte den Widersprüchen nicht ab und legte sie dem Landratsamt am 13. Dezember 2022 zur Entscheidung vor.
9
Mit Schreiben vom 2. Januar 2023 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass seine Widersprüche keine Aussicht auf Erfolg hätten, da die Grundsteuerbescheide rechtmäßig seien. Rechtsgrundlage für die Erhebung der Grundsteuer sei § 27 Abs. 1, 25 Abs. 1, 1 Abs. 1 KrStG sowie die Haushaltssatzung des Beklagten. Die Gemeinde bestimme, mit welchem Hebesatz des Steuermessbetrages die Grundsteuer zu erheben sei. Dies sei aufgrund des Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 GG) durch die Rechtsaufsichtsbehörde lediglich zu würdigen, jedoch nicht zu genehmigen. Der Marktgemeinderatsbeschluss vom 9. November 2021 über die Erhöhung der Hebesätze sei ordnungsgemäß zu Stande gekommen. Die Erhöhung sei verhältnismäßig, sodass der Beschluss auch rechtmäßig ergangen sei. Gegen die Festsetzung der Hebesätze sei ein Widerspruch zudem nicht der richtige Rechtsbehelf, es sei vielmehr ein Normenkontrollantrag an den BayVGH zu richten. Es gab dem Kläger die Möglichkeit bis zum 3. Februar 2023 zu entscheiden, ob er die Widersprüche aufrechterhalten wolle und teilte ihm mit, dass es im Falle eine Rücknahme keine Gebühr für die Bearbeitung der Widersprüche erheben würde. Sollte er die Widersprüche aufrechterhalten, werde es rechtsmittelfähige und kostenpflichtige Widerspruchsbescheide erlassen, welche ihm die Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage eröffnen würden.
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Mit Schreiben vom 6. Januar 2023 führte der Kläger aus, es obliege dem Beklagten die Verhältnismäßigkeit der Anhebung seiner Hebesätze unter Beweis zu stellen und öffentlich zu rechtfertigen. Es bestünden erhebliche Zweifel an den, den Markträten und dem Bürgermeister vorgelegten konkreten Unterlagen, welche zur Anhebung der Hebesätze geführt hätten. Insbesondere habe der Bürgermeister den Vorschlag unterbreitet den Hebesatz lediglich auf 400% anzuheben. Zum Zwecke der rechtlichen Würdigung der korrekten Vorgehensweise des Beklagten bedürfe es von Seiten des Landratsamtes sicher nicht des Erlasses eines gebührenpflichtigen Widerspruchbescheides. Hierauf könne er gerne verzichten. Gemäß der Rechtsmittelbelehrungen der streitgegenständlichen Grundsteuerbescheide sei unter anderem eine Klageerhebung möglich, soweit den eingereichten Widersprüchen nicht innerhalb von drei Monaten nach Erhebung der Widersprüche abgeholfen bzw. darüber entschieden werde. Diese Frist sei sicherlich wesentlich verstrichen. Einem gebührenpflichtigen Erlass von Widerspruchsbescheiden bedürfe es seines Erachtens nicht, damit sich das Landratsamt gegenüber dem Beklagten mit seinen Sachargumenten zu Erhöhung des Hebesatzes auseinanderzusetze und um ihm die einschlägigen Unterlagen/Berechnungen zukommen zu lassen. Auch ohne gebührenpflichtige Bescheide werde er entscheiden, inwieweit er eine gerichtliche Klärung herbeigeführt haben möchte.
11
Mit Schreiben vom 12. Januar 2023 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass sich seine Widersprüche erledigt hätten, da er diese mit Schreiben vom 6. Januar 2023 zurückgenommen habe.
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Mit Schreiben vom 17. Februar, bei Gericht eingegangen am 20. Februar 2023, erhob der Kläger Klage und begründete dies im Wesentlichen damit, dass er gegen die Änderungsbescheide vom 16. Mai und 28. Juni 2022 form- und fristgerecht Widerspruch erhoben habe und den Beklagten mehrfach darum gebeten habe, nachhaltig darzulegen und nachzuweisen, dass die vollzogene Anhebung der gemeindlichen Hebesätze zu den Grundsteuern A und B verhältnismäßig, gerechtfertigt und erforderlich gewesen sei. Dem sei weder der Beklagte noch das Landratsamt, an das der Beklagte den Vorgang unverständlicherweise weitergeleitet habe, bis heute nicht nachgekommen.
13
Mit Schriftsätzen vom 24. März und 8. April 2023 ließ der Beklagte im Wesentlichen erwidern, die Klage sei bereits unzulässig. Es bestünde kein Rechtsanspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Nachweis der Berechtigung der Hebesatzerhöhung und ein solcher sei rechtlich auch nicht denkbar, weshalb keine Klagebefugnis bestehe. Auch seien isolierte Widersprüche gegen die Änderung des Hebesatzes nicht die statthaften Rechtsbehelfe und seien daher von vorneherein unzulässig. Darüber hinaus habe der Kläger seine Widersprüche mit Schreiben vom 6. Januar 2023 zurückgenommen, indem er auf den Erlass eines Widerspruchbescheides „verzichtet habe“ und hierdurch offensichtlich kein Interesse mehr an der Überprüfung der zunächst angefochtenen Grundsteuerbescheide mehr zeigte. Er habe daher kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Jedenfalls sie die Klage aber unbegründet. Die Grundsteuer stelle keine Gebühr und keinen Beitrag dar, denen die, einer Gemeinde entstandenen, Kosten und Aufwendungen gegenüberstünden und für deren Ermittlung bestimmte Umlageregeln (Kostendeckungsprinzip, haushaltsrechtliche Verpflichtung zur Bewirtschaftung etc.) gelten würden. Bei der Festlegung von Hebesätzen als Realsteuer stünden keine konkrete Ausgabe der Gemeinde im Hintergrund, welche umgelegt würden. Da die Grundsteuer der Einnahmenerzielung diene, dürften über eine Hebesatzerhöhung auch Einnahmeausfälle aus anderen Bereichen, wie z.B. Ausfälle bei den Straßenausbaubeiträgen, kompensiert werden. Es liege im pflichtgemäßen, grundsätzlich weiten Ermessen der Gemeinde, den Hebesatz und damit die Höhe der Grundsteuer zu bestimmen. Diese Gestaltungsfreiheit sei lediglich durch die allgemeinen Grundsätze des Steuerrechts und in einem bestimmten Umfang durch haushaltsrechtliche Grundsätze der Gemeindeordnung begrenzt. Der den Gemeinden innerhalb dieser Grenzen verbleibende Spielraum sei der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung grundsätzlich nicht zugänglich. Die Rechtskontrolle beschränke sich insoweit darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien oder ob der Hebesatz willkürlich sei. Dies wäre nur zu bejahen, wenn ein wirtschaftlich in keinem Fall mehr vertretbarer und deshalb nicht im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung liegender Verbrauch öffentlicher Mittel festzustellen wäre. Im Rahmen ihres weiten Ermessens könne die Gemeinde die Hebesätze für die Grundsteuer nach ihren eigenen finanziellen Bedürfnissen festlegen. Der Beklagte habe im Vermerk vom 28. Juni 2022 dargelegt, weshalb für ihn die Anhebung des Hebesatzes haushaltsrechtlich sinnvoll, aber auch notwendig gewesen sei. Dass die Grundsätze des vernünftigen Wirtschaftens nicht mehr eingehalten wären, sei nicht ersichtlich. In steuerrechtlicher Hinsicht sei das Hebesatzrecht der Gemeinden allein durch das aus Art. 20 Abs. 1 GG folgende Gebot sozialer Steuerpolitik begrenzt. Dieses bedeute aber nur, dass Geldleistungspflichten die Betroffenen nicht übermäßig belasten und ihre Vermögensverhältnisse nicht grundlegend beeinträchtigen dürften. Eine derartige Erdrosselungswirkung liege erst dann vor, wenn die Steuer unter normalen Umständen nicht nur von einzelnen Steuerpflichtigen, sondern von den Steuerpflichtigen allgemein nicht mehr aufgebracht werden könne. Hierfür fehle es an Anhaltspunkten. Schließlich komme es nicht darauf an, welche Hebesätze in anderen Gemeinden, im Landkreis- oder Landesdurchschnitt bestünden. Denn der Hebesatz werde von jeder einzelnen Gemeinde eigenverantwortlich festgesetzt. Dass es keinen einheitlichen Hebesatz gebe, stelle keinen Verstoß gegen Art. 3 GG dar.
14
Mit Schreiben vom 22. Mai 2023 entgegnete der Kläger im Wesentlichen: Der Beklagte sei verpflichtet, die Notwendigkeit, die Verhältnismäßigkeit sowie die Erforderlichkeit der Erhöhung der Hebesätze gegenüber den veranlagten Grundstückseigentümern nachzuweisen. Dieser Darlegungspflicht sei der Beklagte bisher nicht ausreichend nachgekommen. Die Ausführungen des Beklagten vom 28. Juni 2022 seien faktisch falsch, so seien entgegen der als wesentlichen Faktor angegebenen Preissteigerung im Bereich von Wasser die Wassergebrauchsgebühren des Beklagten sogar gesenkt worden. Daher sei sowohl die gewählte Begründung als auch die Höhe der Hebesatzerhöhung nicht sachbezogen und demnach willkürlich erfolgt. Dass die durch die Erhöhung erzielten Mehreinnahmen nicht zur Finanzierung einzelner Ausgaben vorgesehen seien, sei lediglich eine Schutzbehauptung. Die Erhöhung des Hebesatzes sei primär dem Umstand geschuldet, dass in derselben Marktgemeinderatssitzung zuvor eine Sanierung des Schwimmbades i. H. v. ca. 5 Millionen EUR beschlossen worden sei. Es sei offensichtlich bewusst darauf verzichtet worden, dies im Protokoll zu dokumentieren. Dass die Hebesatzerhöhung hierauf zurückzuführen sei, sei in der Sitzung auch gegenüber den Zuhörern kommuniziert worden. Der Beklagte habe die ihm zukommende Entscheidungsspanne bzgl. der Höhe des Hebesteuersatzes vorliegend überschritten und darüber hinaus den Marktgemeinderatsbeschluss unter teilweise sachlich falschen Annahmen gefasst. Eine Erhöhung um 51,5% sprenge den, der Kommune zustehenden, vernünftigen sachlich vertretbaren Entscheidungsrahmen. Auch, dass den anderen Kommunen, die der selben Verwaltungsgemeinschaft angehörten, vorgeschlagen worden sei, die Grundsteuerhebesätze einheitlich auf 500% anzuheben, zeige, dass dies dem Finanzbedarf der einzelnen Gemeinden nicht gerecht werden könne und dass eine differenzierte und detaillierte Betrachtung unterblieben sei. Es sei seinem Schreiben vom 15. Januar 2023 zweifelsfrei zu entnehmen, dass er die Widersprüche gegen die Grundsteuerbescheide nicht zurückgenommen habe. Aus seiner Formulierung, dass auf den Erlass eines gebührenpflichtigen Widerspruchbescheids verzichtet werden könne, könne nicht der verbindliche Schluss auf eine Widerspruchsrücknahme gezogen werden. Die Formulierung sei insbesondere gewählt worden, um Kosten für einen „verbindlichen“ Bescheid zu vermeiden. Eine detaillierte Stellungnahme wäre dem Landratsamt auch ohne kostenverursachenden Bescheid zuzumuten und umsetzbar gewesen. Nachdem das Landratsamt bisher nicht weiter tätig geworden käme eine Untätigkeitsklage in Betracht.
15
Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2023 ließ der Beklagte ergänzend vortragen, er habe zusammen mit der Haushaltssatzung sein Investitionsprogramm für die Jahre 2022 bis 2025 aufgestellt. Danach stünden in den nächsten Jahren unter anderem folgende Investitionsmaßnahmen an: Neukauf eines Feuerwehrfahrzeuges mit 331.000,00 EUR, Sanierung des Freibades mit 1,935 Mio. EUR, Straßenausbaumaßnahmen mit 709.000,00 EUR bei einem jährlichen staatlichen Zuschuss von 40.000,00 EUR. Hinzu käme der Schuldendienst für ca. 2,8 Mio EUR Verbindlichkeiten (1,5 Mio EUR Neuaufnahme eingeschlossen).
16
In der mündlichen Verhandlung am 17. Juli 2023 beantragte der Kläger:
Die Änderungsbescheide Grundsteuer der Beklagten vom 16. Mai 2022 werden insoweit aufgehoben als die festgesetzte Grundsteuer für die Objekte Fl.Nrn. …49, …3, …9 und …7 einen Betrag i. H. v. 282,45 EUR, für das Objekt Fl.Nr. …4 einen Betrag i. H. v. 7,69 EUR, sowie für das Objekt A* K* … … einen Betrag i. H. v. 275,05 EUR übersteigt, und der Beklagte wird verpflichtet unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über eine Erhöhung der Hebesätze zu entscheiden.
17
Der Beklagtenbevollmächtigte beantragte,
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
19
Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist. Sie wäre im Übrigen jedoch auch unbegründet.
20
Die Klage ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht erhoben wurde.
21
Nach § 74 Abs. 1 VwGO muss eine Anfechtungsklage binnen eines Monats nach Bekanntgabe der angefochtenen Bescheide erhoben werden. Hierauf wurde der Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrungder streitgegenständlichen Änderungsbescheide Grundsteuer vom 16. Mai und 28. Juni 2022 auch ausdrücklich hingewiesen. Die am 20. Februar 2023 eingereichte Klage war mithin offensichtlich nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden.
22
Etwas Anderes ergibt sich – wie der Kläger wohl meint – auch nicht daraus, dass er Widersprüche gegen die streitgegenständlichen Bescheide eingelegt hatte. Denn es handelt es sich bei der Klage nicht um eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO. Das Landratsamt hat nicht ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht über die Widersprüche des Klägers entschieden (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da der der Kläger seine Widersprüche mit Schreiben vom 6. Januar 2023 zurückgenommen und das Vorverfahren damit beendet hatte.
23
Soweit der Kläger vorträgt, er habe mit seinem Schreiben vom 6. Januar 2023 die Widersprüche nicht zurücknehmen wollen, ist dies unschädlich. Denn aus der Sicht eines objektiven Betrachters war seine Erklärung als Widerspruchsrücknahme zu verstehen.
24
Für das Widerspruchsverfahren ist, soweit keine abweichende spezialgesetzliche Regelung existiert, auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen, die für das Klageverfahren gelten (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO 29.Auflage. 2023, Vorb. § 68 Rn. 14 ff.). Erklärungen im Widerspruchsverfahren sind demzufolge wie Prozesserklärungen entsprechend den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden allgemeinen Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) auszulegen. Danach kommt es nicht auf den inneren Willen der erklärenden Partei, sondern darauf an, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei tritt der Wortlaut hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird. Maßgeblich für den Inhalt einer Erklärung ist daher, wie die Behörde ihn unter Berücksichtigung aller ihr erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben zu verstehen hat. Dabei muss sich die Auslegung auf den Schriftsatz in seiner Gesamtheit und das mit ihm erkennbar verfolgte Ziel beziehen. Bei der Ermittlung des wirklichen Willens ist nach anerkannter Auslegungsregel insbesondere zugunsten des anwaltlich nicht vertretenen Bürgers davon auszugehen, dass er diejenige Handlung vornehmen will, die nach Lage der Sache seinen Belangen entspricht und die vorgenommen werden muss, um den erkennbar angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.2001 – 8 C 17.01 – juris Rn. 40 m. w. N.; VGH BW, B.v. 18.07.2019 – 1 S 871/19 – juris Rn. 10).
25
In Anwendung dieser Grundsätze ist das Schreiben des Klägers vom 6. Januar 2023 als Rücknahme der Widersprüche zu werten. Denn der Kläger erklärte in diesem ausdrücklich, dass es von Seiten des Landratsamtes nicht des Erlasses eines gebührenpflichtigen Widerspruchbescheides bedürfe und er hierauf gerne verzichten könne. Zudem handelte es sich hierbei um die Antwort auf das Schreiben des Landratsamtes vom 2. Januar 2023, in dem dieses dem Kläger mitteilte, dass seine Widersprüche keine Aussicht auf Erfolg hätten und es beabsichtige rechtsmittelfähige und kostenpflichtige Widerspruchsbescheide zu erlassen, es ihm jedoch die Möglichkeit einräumte, die Widersprüche zurückzunehmen, und ankündigte in diesem Falle keine Gebühr für die Bearbeitung der Widersprüche zu erheben. Unter Berücksichtigung aller der Behörde erkennbaren Umstände ist das Schreiben des Klägers daher aus Sicht eines objektiven Betrachters dahingehend auszulegen, dass er den Erlass von kostenpflichtigen Widerspruchsbescheiden nicht (mehr) begehrte. Wenn auch ohne Relevanz für die Auslegung, bestätigte der Kläger im gerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 22. Mai 2023 selbst, dass dies darüber hinaus auch sein subjektiver Erklärungswille war, da er angab, er habe die Formulierung insbesondere gewählt, um Kosten für einen verbindlichen Bescheid zu vermeiden.
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Eine abweichende Auslegung ergibt sich auch nicht aufgrund dessen, dass der Kläger in dem Schreiben vom 6. Januar 2023 weiter ausführte, dass es seines Erachtens eines gebührenpflichtigen Erlasses von Widerspruchsbescheiden nicht bedürfe, damit sich das Landratsamt mit seinen Sachargumenten zu Erhöhung des Hebesatzes auseinandersetze und damit zu verstehen gab, er begehre eine ausführliche Auseinandersetzung mit seinem Vortrag, ohne dass ihm Kosten auferlegt würden. Denn die Befassung mit dem Vortrag des Widerspruchführers ist gerade Inhalt des kostenpflichtigen Widerspruchsverfahrens, an dessen Ende die Behörde dem Widerspruch abhilft oder einen Widerspruchsbescheid erlässt. Hilft die Behörde vollumfänglich ab, werden dem Widerspruchsführer zwar keine Kosten auferlegt, vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG. Gem. Art. 39 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 BayVwVfG bedarf es in der Regel jedoch auch keiner Begründung der Abhilfe, da dem Antrag entsprochen wird. Bleibt der Widerspruch erfolglos, erlässt die Widerspruchsbehörde einen Widerspruchsbescheid in dem die Entscheidung begründet wird und die Kosten gem. § 73 Abs. 3 Satz 3 VwGO i.V. m. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG demjenigen auferlegt werden, der den Widerspruch eingelegt hat. Eine Befassung mit dem Vortrag des Widerspruchsführers und die Abgabe einer detaillierten Stellungnahme, ohne dass eine Kostentragungspflicht entsteht, ist im System des Rechtsbehelfsverfahren – mit Ausnahme der Billigkeitsregelung des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 KG, nach der von der Festsetzung der Kosten abgesehen oder der Kostenanspruch erlassen werden kann, wenn die Einziehung der Beträge nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, wofür vorliegend nichts ersichtlich ist – daher nicht vorgesehen. Ein anderweitiger Anspruch des Klägers auf eine detaillierte Stellungnahme zu seinem Vortrag außerhalb des Widerspruchsverfahrens ist auch sonst nicht ersichtlich.
27
Da der Kläger ausdrücklich dargelegt hatte, dass er keine kostenpflichtigen Widerspruchsbescheide begehre, ergibt sich daher bei objektiver Betrachtung aus Sicht der Behörde, daraus, dass er im gleichen Schreiben angab, dass er eine kostenfreie Auseinandersetzung mit seinem Vortrag wünsche, kein der Annahme einer Widerspruchsrücknahme entgegenstehendes Verständnis. Der Kläger brachte vielmehr klar zum Ausdruck, dass er keinen kostenpflichtigen Widerspruchsbescheid wünsche, und beendete damit das förmliche Widerspruchsverfahren. Die gleichwohl begehrten Informationen sollte das Landratsamt gerade außerhalb des kostenpflichtigen Verfahrens geben.
28
Da das Widerspruchsverfahren damit beendet war und weder das Landratsamt noch der Beklagte auch sonst nicht zur Abgabe einer detaillierten Stellungnahme zum Vortrag des Klägers im Widerspruchverfahren verpflichtet waren, lag keine Untätigkeit i. S. d. § 75 Satz 1 VwGO vor, weshalb die Klage nicht als Untätigkeitsklage zulässig ist. Der Irrtum des Klägers darüber, er könne trotz Verzichts auf den Erlass kostenpflichtiger Widerspruchsbescheide und der hierdurch bedingten Beendigung des Widerspruchs- und mithin des Rechtsbehelfsverfahrens eine Untätigkeitsklage erheben, stellt auch keinen Widereinsetzungsgrund bezüglich der verpassten Klagefrist dar. Da mangelnde Rechtskenntnis und Rechtsirrtum eine Fristversäumnis nicht entschuldigen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 4 B 38.17 –, juris; BayVGH, B.v. 26.6.2020 – 12 ZB 20.978 – juris), war das Versäumen der Klagefrist nicht unverschuldet i. S. d. § 60 Abs. 1 VwGO.
29
Die Klage ist daher bereits unzulässig.
30
Die Klage wäre – ohne, dass er hierauf noch streitentscheidend ankommen würde – überdies jedoch auch unbegründet, da die streitgegenständlichen Grundsteuerbescheide rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31
Zwar kann der beschwerte Grundstückseigentümer entgegen der Ansicht des Beklagten in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen einen Grundsteuerbescheid im Wege der so genannten Inzidentprüfung (vgl. Schenke in Kopp/Schenke VwGO, 29. Aufl. 2023, § 47 Rn. 6) auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des von der Gemeinde festgesetzten und angewendeten Hebesatzes verlangen, vorliegend ist die Erhöhung Grundsteuerhebesätze auf 500% jedoch rechtlich nicht zu beanstanden.
32
Der Beklagte hat die streitgegenständlichen Hebesätze formell rechtmäßig festgesetzt und weder gegen höherrangiges Recht verstoßen noch die Grenzen seines – aufgrund der verfassungsrechtlich in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG garantierten Steuerhoheit der Gemeinden weiten – Normsetzungsermessens, welches seine Grenze lediglich in einer willkürlichen oder erdrosselnden Steuererhöhung findet (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2021 – 2 BvL 1/13 – juris Rn. 51, Rn. 55 ff. u. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14 u.a. – juris Rn. 94 ff.; BVerwG, B.v. 26.10.2016 – 9 B 28.16 – juris Rn. 4), überschritten. Insbesondere ist angesichts der, der Hebesatzerhöhung zugrundeliegenden, den Auszügen aus den Sitzungsprotokollen des Marktgemeinderates des Beklagten vom 9. November 2021 und 25. Januar 2022, der Haushaltssatzung und dem Haushaltsplan des Beklagten für das Haushaltsjahr 2022 einschließlich der Anlagen wie der Übersicht über den voraussichtlichen Stand der Schulden sowie des Investitionsprogramms für die Haushaltsjahre 2022 bis 2025, der Anlage des Schreiben des Beklagten vom 28. Juni 2022 sowie dem Schriftsatz des Beklagten vom 15. Mai 2023 zu entnehmenden Erwägungen nicht ersichtlich, dass ein wirtschaftlich in keinem Fall mehr vertretbarer und deshalb nicht im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung liegender Verbrauch öffentlicher Mittel und mithin eine willkürliche Normsetzung (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.1976 – 243 IV 74 – BeckRS 1976, 105739; VG München, U.v. 9.8.2007 – M 10 K 07.1318 – juris Rn. 35; VG Würzburg, U.v. 12.7.2006 – W 2 K 06.55 – juris Rn. 17) vorliegt. Auch eine erdrosselnde Wirkung, welche erst dann anzunehmen ist, wenn die Steuer unter normalen Umständen nicht nur von einzelnen Steuerpflichtigen, sondern von den Steuerpflichtigen allgemein nicht mehr aufgebracht werden kann (vgl. OVG SH, U.v. 9.2.2023 – 2 KN 1/21 – juris Rn. 39; BVerwG, B.v. 25.1.2022 – 9 B 20/21 – juris Rn. 28; VG Düsseldorf, U.v. 6.11.2019 – 5 K 2524/19 – juris Rn. 144), ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen.
33
Darüber hinaus ist unerheblich, ob der Grundsteuersatz in anderen Gemeinden niedriger liegt. Bei kommunalen Steuern, deren Festsetzung und Erhebung den Gemeinden kraft Verfassung überlassen worden ist, erfordert die Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes nur, dass die Steuer im Amtsbezirk der jeweiligen Gemeinde einheitlich festgesetzt und erhoben wird. Art. 3 Abs. 1 GG begründet keinen Anspruch auf die Gleichbehandlung von Bürgern durch mehrere voneinander unabhängige Verwaltungsträger. Andernfalls ließe sich weder die durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützte Selbstverwaltung der Gemeinden noch die föderalistische Struktur der Bundesrepublik ausreichend schützen (vgl. BVerwG, U.v. 7. 3. 1958 – VII C 84/57 – BVerwGE 6, 247; VG Würzburg, U.v. 12.7.2006 – W 2 K 06.55 – juris Rn. 24).
34
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
35
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
36
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.