Titel:
In der Regel kein besonders schwerer Fall des Betruges bei Gewerbsmäßigkeit, wenn die Geringwertigkeitsgrenze nur knapp überschritten wird
Normenkette:
StGB § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Bei Betrugsdelikten, bei denen sowohl der Vermögensschaden als auch der erstrebte Vermögensvorteil die Geringwertigkeitsgrenze nur in geringem Umfang übersteigen, ist das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nicht automatisch anzunehmen. Da bei Betrugsdelikten in erster Linie die Schadenshöhe für die Strafzumessung ausschlaggebend ist, lässt sich vielmehr ohne Hinzutreten besonderer Umstände in diesen Fällen die Anwendung des erhöhten Strafrahmens in der Regel nicht rechtfertigen. (Rn. 8) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
besonders schwerer Fall des Betruges, Gewerbsmäßigkeit, geringer Schaden, Geringwertigkeitsgrenze, Schadenshöhe
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 08.02.2023 – 22 Ns 243 Js 186540/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21112
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 8. Februar 2023 im Rechtsfolgenausspruch (Ziff. II und IV. des Urteilstenors) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
III. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Gründe
1
Mit Urteil vom 1. Februar 2022 hat das Amtsgericht München den Angeklagten des Betrugs in sieben tatmehrheitlichen Fällen schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit Bewährung verurteilt. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass es den Angeklagten wegen Betruges in 6 Fällen (hinsichtlich eines weiteren Falles erfolgte eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 2 StPO) unter Einbeziehung dreier weiterer Einzelgeldstrafen aus anderen (nicht vollstreckten) Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 4 Monaten verurteilte, welche es nicht zur Bewährung aussetzte. Ferner erfolgten die Einziehung von Wertersatz und die Aufrechterhaltung eines Fahrverbotes aus einer Vorverurteilung.
2
Dabei erkannte es für die sechs Fälle des Betruges mit Betrugsschäden zwischen 35 und 96 € unter Zugrundelegung des sich aus § 263 Abs. 3 Satz 1 StGB i. V. m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB ergebenden Strafrahmens auf Einsatzstrafen von jeweils sechs Monaten. Dabei hat das Landgericht nach Bejahung der Gewerbsmäßigkeit lediglich ausgeführt, dass „Anhaltspunkte für das Abweichen von der Regelwirkung“ nicht vorliegen würden (UA S. 17).
3
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, der die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Vorlageschreiben vom 16. Mai 2023 beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
4
Die statthafte (§§ 333, 335 Abs. 1 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) Revision erzielt mit der Sachrüge zumindest vorläufig in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang einen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
1. Zweifel an der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch bestehen nicht. Die Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch. Die Entscheidung über die Rechtsfolgen kann im vorliegenden Fall auch rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden, ohne dass eine Überprüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig würde (vgl. dazu MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 318 Rdn. 6ff. m. w. N.). Damit ist der Schuldspruch der Überprüfung des Revisionsgerichtes entzogen und die Revision des Angeklagten bleibt insoweit schon deshalb erfolglos.
6
2. Die festgesetzten Einzelstrafen, die vom erhöhten Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 1 StGB ausgehen, und die hierauf beruhende Gesamtstrafe können dagegen keinen Bestand haben.
7
a) Angesichts des geringen Gesamtertrags ist bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich mit seinen Straftaten eine nicht nur vorübergehende, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., vor § 52 Rdn. 61) verschaffen wollen, nicht unproblematisch. Da die „Einkünfte“ aus den Straftaten jedoch nicht die alleinige oder überwiegende Einkunftsquelle des Angeklagten sein müssen (vgl. Fischer aaO § 263 Rdn.210), sind die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts (UA S. 16) noch ausreichend.
8
b) Das Landgericht hat jedoch nicht bedacht, dass bei Betrugsdelikten, bei denen sowohl der Vermögensschaden als auch der erstrebte Vermögensvorteil die Geringwertigkeitsgrenze nur in geringem Umfang übersteigen, das Regelbeispiel bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nicht automatisch anzunehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.02.2001, 2 StR 509/00, zitiert nach juris, dort Rdn. 5). Vielmehr liegt die Annahme eines besonders schweren Falles dann eher fern (BGH aaO; Fischer aaO § 263 Rdn. 210). Bei Betrugsdelikten ist in erster Linie die Schadenshöhe für die Strafzumessung ausschlaggebend, so dass sich ohne Hinzutreten besonderer Umstände in Fällen, in denen die Geringwertigkeitsgrenze nur knapp überschritten wird, die Anwendung des erhöhten Strafrahmens in der Regel nicht rechtfertigen lässt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.06.2020, III-4 RVs 64/20, zitiert nach juris, dort Rdn. 28; KG, Beschluss vom 13.01.2010, 1 Ss 465/09 (23/09), zitiert nach juris, dort Rdn. 5f.; Senatsbeschluss vom 29.10.2020, 207 StRR 365/20, n. v.). So liegt es auch hier: die Schäden bei den Einzeltaten lagen mit einmal 35 €, zweimal 50 €, einmal 70 €, einmal 89 € und einmal 96 € jeweils im zweistelligen Bereich, auch der Gesamtschaden betrug lediglich 390 € (vgl. zur Bedeutung dieses Umstandes BGH aaO und OLG Hamm aaO), es lagen bereits nach der (nicht vollständigen, s. u.) Strafzumessung des Landgerichtes (UA S. 17) einige Umstände zugunsten des Angeklagten vor. Vor diesem Hintergrund führen auch die (in weiten Teilen nicht einschlägigen) Vorstrafen des Angeklagten nicht dazu, dass sich die Bejahung der Regelwirkung von selbst versteht.
9
c) Die Anwendung des erhöhten Strafrahmens für die sechs Delikte mit einem Vermögensschaden zwischen 35 und 96 € lagen somit auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht nahe, so dass diese keinen Bestand haben kann. Die Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen entzieht auch der Gesamtstrafe ihre Grundlage. Angesichts des ggf. veränderten Strafrahmens und der Tatsache, dass für eine (geringere) Gesamtstrafe bei geringeren Einzelstrafen möglicherweise auch hinsichtlich der Strafaussetzung zur Bewährung andere rechtliche Maßstäbe gegolten hätten (nur § 56 Abs. 1 StGB), kann der Senat auch nicht ausschließen, dass die Kammer bei Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen zu einer für den Angeklagten günstigeren Rechtsfolge gelangt wäre.
10
Entsprechend unterliegen gemäß § 353 Abs. 1 StPO die Festsetzung der sechs Einsatzstrafen zu je sechs Monaten sowie der Gesamtstrafenausspruch der Aufhebung. Gemäß § 353 Abs. 2 StPO sind die dem Urteil insoweit zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben.
11
Auch die Aufrechthaltung des Fahrverbots aus einer einbezogenen Verurteilung kann nicht bestehen bleiben, weil die Voraussetzungen des § 55 StGB vom neuen Tatrichter erneut zu prüfen sein werden. Lediglich die (zwingende) Einziehung des Wertersatzes (§§ 73, 73c StGB, Ziff. III des Urteilstenors) unterliegt keinen Bedenken.
12
Gemäß § 354 Abs. 2 StPO ist das Verfahren an eine andere Kammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen, die auch über die Kosten des Verfahrens zu befinden haben wird. Der nunmehr zuständige Tatrichter wird bei der Strafzumessung und ggf. der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung die nunmehr schon länger zurückliegenden Tatzeiten, den jeweiligen Anlass der Fahrten, zu deren Zweck die Betankung des Fahrzeuges erfolgte (Wahrnehmung des Umgangsrechtes für den 4-jährigen Sohn, UA S. 5 und 16), den nach den gegenständlichen Taten erstmals erfolgten Strafvollzug (UA S. 6) und die nach den Urteilsfeststellungen mindestens seit diesem Zeitpunkt bestehende Straflosigkeit zu berücksichtigen haben.