Inhalt

VG München, Beschluss v. 10.08.2023 – M 13L DA 23.3048
Titel:

Aussetzung einer vorläufigen Dienstenthebung

Normenketten:
BayDG Art. 3, Art. 19, Art. 22, Art. 39 Abs. 1 S. 1, Art. 61
BeamtStG § 34 Abs. 1 S. 1
StGB § 263
BayVwVfG Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Dienstvergehens ergibt sich regelmäßig aus der Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO) bzw aus der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO), die einen hinreichenden Tatverdacht voraussetzen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anforderungen an eine Anhörung zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens und insbesondere vor einer vorläufigen Dienstenthebung dürfen nicht überspannt werden, die Dimension des zur Last gelegten Dienstvergehens muss jedoch hinreichend deutlich werden. Dazu gehört auch, ob auch ein strafrechtlicher Vorwurf im Raum steht. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(Landes) Disziplinarrecht, Aussetzung einer vorläufigen Dienstenthebung und Einbehalts von Bezügen, Unterbliebene Anhörung, Vollzug von vorl. Dienstenthebung und Einbehalts ohne Bescheid(szustellung), Unzureichende Darstellung der Dienstpflichtverletzungen, Arbeitszeitmanipulation, Arbeitszeitbetrug, vorläufige Dienstenthebung, Disziplinarverfahren, Einbehalt von Bezügen, Anhörungsmangel, Ermessensfehlgebrauch
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21076

Tenor

I. Die mit Gemeinderatsbeschluss vom 25. Januar 2023 verfügte und durch Bescheid der Gemeinde … vom 24. Juli 2023 wiederholende und ergänzende vorläufige Dienstenthebung sowie die angeordnete Einbehaltung von 50% der monatlichen Dienstbezüge des Antragstellers werden – rückwirkend – ausgesetzt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wehrt sich gegen eine mit Gemeinderatsbeschluss der Antragsgegnerin vom 25. Januar 2023 beschlossene und im vorliegenden Verfahren durch Bescheid vom 24. Juli 2023 wiederholende sowie ergänzende vorläufige Diensthebung verbunden mit einem Einbehalt von 50% seiner monatlichen Bezüge.
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1. Der Antragsteller ist seit dem Jahre 1981 Beamter auf Lebenszeit bei der Antragsgegnerin und dort seit dem Jahre 1984 als Verwaltungsinspektor in der Funktion des geschäftsleitenden Beamten eingesetzt.
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2. Gemäß Auszug aus dem Sitzungsbuch der Antragsgegnerin informierte der Bürgermeister der Gemeinde den Gemeinderat in der Sitzung vom 25. Januar 2023 darüber, dass der Antragsteller mit seinen Befugnissen bezüglich des Zeiterfassungssystems zahlreiche manuelle Umbuchungen vorgenommen habe, wodurch er zusätzliche Arbeitszeit zu bereits erfasster Krankschreibung erhalten habe. Dadurch seien Zeiten doppelt erfasst worden, die nicht erarbeitet worden seien. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Sachverhaltsdarstellung im Sitzungsbuchauszug gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verwiesen.
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Daraufhin hat der Gemeinderat der Antragsgegnerin ausweislich des Sitzungsbuchauszugs Folgendes beschlossen:
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„Der Gemeinderat beschließt nach pflichtgemäßem Ermessen, dass Herr … … auf Grund von schuldhaftem Fehlverhalten bei der Zeiterfassung ein schweres Dienstvergehen begangen hat und deshalb ein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet werden soll. Auf Grund der Schwere des Vergehens ist dringend davon auszugehen, dass eine Disziplinarklage zu erheben ist. Vor diesem Hintergrund soll ein entsprechender Fachanwalt beauftragt werden, der die Gemeinde im Verfahren unterstützt. Die Eröffnung des Disziplinarverfahrens wird dem Mitarbeiter zeitnah bekannt gegeben und ihm Gelegenheit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben.
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Durch das Verbleiben im Dienst könnten die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt werden. Der Gemeinderat beschließt daher weiterhin, dass mit der Einleitung des Disziplinarverfahrens Herr … vorläufig des Dienstes enthoben wird. Gleichzeitig ordnet er an, dass die monatlichen Dienstbezüge in Höhe von 50 v.H. einbehalten werden.“
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(Erst) am 24. Juli 2023 erließ die Antragsgegnerin einen Bescheid und verfügte:
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I. Herr … … wird hiermit ab dem 27.01.2023 vorläufig aus dem Dienst enthoben. Sowie eine vorläufige Enthebung aus dem Dienst ab dem 27.01.2023 unzulässig sein sollte, erfolgt eine vorläufige Dienstenthebung aus dem Dienst ab Zustellung dieses Bescheides.
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II. Es wird hiermit angeordnet, dass ab dem 27.01.2023 50% der Dienstbezüge einbehalten werden. Soweit eine Einbehaltung der Dienstbezüge im Umfang von 50% ab dem 27.01.2023 unzulässig sein sollte, erfolgt die Einbehaltung der Dienstbezüge im Umfang von 50% ab Zustellung dieses Bescheids.
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3. Nachdem der Antragsteller vom Gemeinderatsbeschluss im Rahmen eines Personalgesprächs am 26. Januar 2023 Kenntnis erlangte, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers am 22. Juni 2023 Klage zum Verwaltungsgericht München, zunächst - unter anderem – mit dem Feststellungsbegehren, dass das vorläufige Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte sowie der Einbehalt der monatlichen Dienstbezüge rechtswidrig ist. Zur Begründung wird unter anderem eine fehlende Anhörung des Antragstellers bemängelt. Zum Vorwurf wird ausgeführt, der Antragsteller habe während seiner Erkrankung dringende Arbeiten mit Einscannen von Verträgen im Zusammenhang mit der Umstellung nach § 2b UStG erledigt, die er im Zeiterfassungssystem nachgetragen habe. Unter dem 27. Juli 2023 wird ergänzend angesichts des Bescheids der Antragsgegnerin vom 24. Juli 2023 ausgeführt, auch zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen sei bisher keine Anhörung erfolgt. Auch an einer Belehrung i.S.v. Art. 22 BayDG fehle es bisher. Der Sachverhalt sei längst abgeschlossen, so dass eine Anhörung die Ermittlungen nicht gefährdet hätte. Vielmehr komme die Antragsgegnerin ihrer Ermittlungspflicht nicht nach und ziehe Entlastendes noch nicht einmal in Betracht. Zudem seien die Entscheidungen ermessensfehlerhaft.
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Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2023 wird nunmehr beantragt,
1. Der Bescheid wird vom 24.7.2023 wird aufgehoben.
2. Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung durch Bescheid vom 24.7.2023 sowie durch den Gemeinderatsbeschluss vom 25.1.2023 wird ausgesetzt.
3. Die Anordnung des Einbehalts von 50% der Dienstbezüge durch den Bescheid vom 24.7.2023 sowie durch den Gemeinderatsbeschluss vom 25.1.2023 wird ausgesetzt.
4. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22.6.2023 wird angeordnet.
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Der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin beantragt mit Schreiben vom 12. Juli 2023,
die Klage zurückzuweisen.
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Hierzu wird mit Schriftsatz vom 31. Juli 2023 umfangreich ausgeführt. Die Klage sei bereits unzulässig. Zwar wird von Seiten des Bevollmächtigten der Antragsgegnerin der Gemeinderatsbeschluss vom 25. Januar 2023 zunächst auch als vorläufiges Verbot der Führung der Dienstgeschäfte eingeordnet, es gelte jedoch die spezielle Verfahrensregelung nach Art. 61 BayDG auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und des Einbehalts von Dienstbezügen. Insofern sei die Angelegenheit hilfsweise an die Disziplinarkammer beim Bayerischen Verwaltungsgericht zu verweisen. Umfangreich wird dargelegt, welche einzelnen Umbuchungen dem Antragsteller zur Last gelegt werden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO. Der Gemeinderat sei daher zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass der vom Antragsteller vorgenommene Missbrauch ein schweres Dienstvergehen darstelle und ein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet werden solle. Der Gemeinderat sei zu der Überzeugung gelangt, dass der Antragsteller im Falle eines Verbleibens im Dienst die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigen könnte. Im Rahmen des Personalgesprächs am 26. Januar 2023 habe der Antragsteller die Manipulationen der Arbeitszeiterfassung eingeräumt und ihm sei Gelegenheit gegeben worden, sich zu den einzelnen Vorwürfen zu äußern. Nach der Sachlage sei es überwiegend wahrscheinlich, dass die disziplinare Höchstmaßnahme verhängt werden werde. Hierzu wird unter anderem auf den Strafrahmen des § 263 Abs. 1 StGB Bezug genommen. Im Übrigen werde die vorläufige Dienstenthebung von Art. 39 Abs. 1 Satz 2 BayDG getragen. Die Ermittlungen gegen den Antragsteller würden bei einem Verbleib im Dienst wesentlich beeinträchtigt. Auch der Einbehalt sei nicht zu beanstanden. Die Entscheidung habe sich an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers unter Berücksichtigung des Lebensbedarfs einer Familie orientiert.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Trotz gerichtlicher Aufforderung wurde bislang weder die Disziplinarakte im Original noch die Personalakte vorgelegt. Die Parteien wurden telefonisch – am 23. Juni 2023 der Bevollmächtigte des Antragstellers und am 14. Juli 2023 der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin – jeweils darüber informiert, dass die Klage wohl als Antrag nach Art. 61 BayDG auszulegen sei und erhebliche Zweifel gerichtlicherseits an der Einhaltung der förmlichen Vorgaben des Bayerischen Disziplinargesetzes bestünden.
II.
15
Das antragstellerische Begehren ist als Antrag nach Art. 61 BayDG auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und des verfügten Einbehalts auszulegen und insoweit zulässig (1.). Die vorläufige Dienstenthebung begegnet massiven ernstlichen rechtlichen Zweifeln (2.) sowohl hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit (2.a)), als auch in materieller Hinsicht (2.b)). Unabhängig davon ist auch der Einbehalt ernstlich rechtlich zweifelhaft (3.).
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1. Im Wege der nach §§ 86, 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gebotenen Auslegung ist die erhobene Klage vom 22. Juni 2023, insbesondere angesichts der zuletzt erfolgten Antragstellung, als Antrag nach § 61 BayDG auszulegen und insoweit zulässig.
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a) Auf die gebotene Auslegung hat das Gericht die Beteiligten bereits vorab telefonisch hingewiesen und wurde das Verfahren von Anfang an bereits bei der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts München erfasst – und nicht bei der für Beamtenrecht zuständigen Kammer –, was neben dem Aktenzeichen auch durch die übrigen Formulierungen im Kurzrubrum und in den gerichtlichen Schreiben bereits deutlich wird. Der hilfsweise gestellte Verweisungsantrag des Bevollmächtigten der Antragsgegnerin geht somit ins Leere.
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b) Soweit zunächst sowohl der Bevollmächtigte des Antragstellers als auch der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin den Beschluss des Gemeinderats als Verbot der Führung der Dienstgeschäfte bezeichnen, ist dem nicht zu folgen.
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Die Führung der Dienstgeschäfte kann einem Beamten nach § 39 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) aus zwingenden dienstlichen Gründen untersagt werden. Nach Art. 39 BayDG hingegen kann die Disziplinarbehörde einen Beamten gleichzeitig oder nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird oder wenn voraussichtlich eine Entlassung nach § 23 Abs. 3 Nr. 1 oder § 23 Abs. 4 BeamtStG erfolgen wird; sie kann den Beamten außerdem vorläufig des Dienstes entheben, wenn durch das Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würde und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Die Disziplinarbehörde kann gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass bis zu 50 v.H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden.
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Anhaltspunkte für eine Entscheidung nach § 39 BeamtStG lassen sich der Formulierung des Gemeinderatsbeschlusses gerade nicht entnehmen. Vielmehr sind eindeutig disziplinarrechtliche Formulierungen in Bezug auf die Feststellung eines Dienstvergehens und seiner Schwere, die Einleitung eines Disziplinarverfahrens und die voraussichtliche Erhebung einer Disziplinarklage sowie ein Bezug auf die weiteren Ermittlungen gegeben. Zudem spricht der im weiteren beschlossene Einbehalt deutlich für eine vorläufige Dienstenthebung, da eine solche Voraussetzung für einen Einbehalt ist und ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gerade einen solchen Einbehalt nicht zur Folge hat.
21
Der Antragsteller ist somit von einer disziplinarrechtlichen vorläufigen Dienstenthebung und nicht von einem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte betroffen.
22
c) Ein von einer vorläufigen Dienstenthebung und Einbehalts der Bezüge nach Art. 39 BayDG betroffener Beamter kann hiergegen gemäß Art. 61 BayDG bei dem Gericht der Hauptsache die Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen beantragen. Über den Antrag ist durch Beschluss zu entscheiden (vgl. Art. 61 Abs. 3 BayDG).
23
Hierbei handelt es sich um einen spezialgesetzlichen Rechtsschutz. Für eine (Anfechtungs) Klage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegen die (verwaltungsaktmäßige) vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltsverfügung ist demgemäß kein Raum, ebensowenig für vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO im Wege der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (vgl. Conrad in Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Art. 61 Rn. 1 m.w.N.).
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Das antragstellerische Begehren mit der ursprünglichen Klageerhebung und einer neben der nunmehr zuletzt beantragten Aussetzung auch begehrten Aufhebung des Bescheids verbunden mit Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist entsprechend auszulegen. Das Rechtsschutzziel kommt insoweit unmissverständlich deutlich zum Ausdruck.
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Dabei bildet das Rechtsschutzbegehren eine Einheit, dass es keiner eigenständigen Ablehnung durch (Unzulässigkeits) Entscheidung des Gerichts über die Anträge Nr. 1 und Nr. 4 des Antragstellers bedarf. Diese gehen vielmehr im spezialgesetzlichen Rechtsschutz nach Art. 61 BayDG auf.
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d) Soweit mit Bescheid vom 24. Juli 2023 (nochmals bzw. erstmalig im Bescheidswege) eine vorläufige Dienstenthebung und Einbehalt von Bezügen dem Antragsteller gegenüber ausgesprochen wurde, handelt es sich nicht um eine eigenständige neue Entscheidung, sondern vielmehr erkennbar um eine bescheidsmäßig wiederholende und bestätigende Verfügung mit ergänzender Begründung. Insbesondere erfolgte gerade keine Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung vom 25. Januar 2023, wie sie dem Antragsteller im Nachgang am 26. Januar 2023 bekanntgegeben und sogleich vollzogen wurde.
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e) Der Antragsteller hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Entscheidung nach Art. 61 BayDG. Zwar besteht im Regelfall kein Rechtsschutzbedürfnis für einen solchen Antrag, solange die vorläufige Dienstenthebung nicht zugestellt und damit wirksam wurde (vgl. Conrad in Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Art. 61 Rn.3). Vorliegend ist aber offensichtlich die vorläufige Dienstenthebung ebenso wie der Einbehalt der Bezüge bereits im Vollzug. Dies löst jedenfalls ein Rechtsschutzbedürfnis aus.
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2. Die gegenständliche vorläufige Dienstenthebung begegnet ernstlichen Zweifeln an ihrer Rechtmäßigkeit und ist daher – mit ex tunc Wirkung – auszusetzen.
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a) Die vorläufige Dienstenthebung ist nach Art. 61 Abs. 2 BayDG ganz oder zum Teil auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die von der Behörde getroffene Anordnung rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Im Hinblick auf die Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayDG ist zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden, was dann der Fall ist, wenn nach dem Kenntnisstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens die Möglichkeit der Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind insoweit ernstliche Zweifel im Sinne des Art. 61 Abs. 2 BayDG zu bejahen. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass es bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist. Da im gerichtlichen Verfahren nach Art. 61 BayDG für eigene Beweiserhebungen im Regelfall kein Raum ist, muss das Gericht anhand einer ihrer Natur nach nur kursorisch möglichen Prüfung des Sachverhalts aufgrund der gerade aktuellen Entscheidungsgrundlage entscheiden (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 16a DS 13.706 – juris Rn. 18). Eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Dienstvergehens ergibt sich regelmäßig aus der Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO) bzw. aus der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO), die einen hinreichenden Tatverdacht voraussetzen (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2002 – 2 WDB 1.02 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 28.10.2019 – 16a DS 19.1720 – beck-online Rn 7 mit Verweis auf BayVGH, B.v. 20.12.2018 – 16a DS 18.928 – BA Rn. 3; SächsOVG, B.v. 26.9.2013 – D 6 B 151/11 – juris Rn. 11; OVG SH, B.v. 29.1.2018 – 14 MB 3/17 – juris Rn. 4).
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b) Vorliegend bestehen bereits ernstliche Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit.
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(1) Zwar ermöglicht Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayDG ausdrücklich eine vorläufige Dienstenthebung (bereits) gleichzeitig mit der Einleitung eines Disziplinarverfahrens. Eine vorläufige Dienstenthebung ohne vorherige Anhörung des Beamten ist dennoch rechtlich formell zu beanstanden (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 22.11.2022 – 3 MD 8/22 – beck-online Rn. 54 ff; VGH Mannheim, U.v. 27.10.2022 – DL 16 S 752/22 – beck-online Rn. 49, a.A. VG Ansbach, B.v. 13.11.2007 – AN 13b DS 07.02249 – beck-online).
32
Das Bayerische Disziplinarrecht beinhaltet insbesondere in Art. 19 ff. BayDG umfangreiche, gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz spezielle Verfahrensregelungen. Insoweit sieht Art. 22 BayDG die Unterrichtung und Anhörung des Beamten bezüglich der Einleitung eines Disziplinarverfahrens vor. Für den Fall, dass die Disziplinarbehörde von der Möglichkeit einer vorläufigen Dienstenthebung gleichzeitig mit der Einleitung eines Disziplinarverfahrens Gebrauch machen möchte, bedarf es jedoch zur Wahrung eines fairen Verfahrens einer Anhörung des Beamten über Art. 3 BayDG i.V.m. Art. 28 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Soweit das Verwaltungsgericht Ansbach einen betroffenen Beamten insoweit auf die Möglichkeit des Rechtsschutzes nach Art. 61 BayDG verweist, kommt dies zu kurz. Schließlich handelt es sich bei Entscheidungen nach Art. 39 BayDG um im Ermessen der Disziplinarbehörde stehende Entscheidungen, die das Gericht im Rahmen des Art. 61 BayDG auf ernstliche Zweifel hin zu überprüfen hat. Um entsprechend beanstandungsfrei Ermessen ausüben zu können, ist jedoch eine vorherige Anhörung des Beamten geboten, um effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Der diesbezüglich erforderliche Rückgriff auf Art. 28 BayVwVfG über die allgemeine Verweisungsklausel des Art. 3 BayDG begegnet dabei gegenüber der Regelung in Art. 22 BayDG keinen Bedenken.
33
aa) Vor Beschlussfassung im Gemeinderat am 25. Januar 2023 erfolgte vorliegend keine Anhörung des Antragstellers.
34
Diese konnte auch nicht nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BayVwVfG unterbleiben, weil eine Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheine bzw. ein zwingendes öffentliches Interesse entgegenstehe.
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Insbesondere vermag das Gericht nicht zu erkennen, inwieweit eine Anhörung des Beamten die weiteren Ermittlungen hätten gefährden sollen. Hierauf beruft sich zwar sowohl der Gemeinderat im Beschluss vom 25. Januar 2023 als auch der Bescheid vom 24. Juli 2023, jedoch ohne nähere Begründung. Soweit hierzu im Rechtsanwaltsschriftsatz vom 31. Juli 2023 ausgeführt wird, der Beamte hätte vollständige Zugriffsmöglichkeiten auf das Zeiterfassungssystem und die gesamte EDV-Struktur mit allen verfahrensrelevanten Unterlagen und Daten, so dass die konkrete Gefahr einer Beeinträchtigung von Ermittlungen zu relevanten Sachverhalten und Zusammenhängen, auch für die noch vorzunehmende Prüfung von Arbeitszeiterfassungen für die Zeiten vor 2022, bestünde, vermag dies nicht zu überzeugen. Der Antragsgegnerin wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die Daten in der Zeiterfassung entsprechend vollständig zu sichern, dass sie vor einer – etwaig befürchteten – Manipulation des Antragstellers geschützt wären. Alternativ wäre es möglich, eine Beschränkung der Zugriffsrechte vorzunehmen. Soweit es um mögliche Nachweise in Bezug auf (den Zeitpunkt) eingescannte(r) Verträge geht, wäre es möglich gewesen, auch dies vorher zu sichern. Derart eilbedürftig war die vorläufige Dienstenthebung nicht, dass für solche Sicherungsmaßnahmen nicht noch Zeit gewesen wäre. Anhaltspunkte für anderweitiges dienstpflichtwidriges Verhalten des Antragstellers als geschäftsleitender Beamter, das dieser bei einer Anhörung bzw. Verbleib im Dienst vertuschen könnte, sind gerade nicht vorgetragen. Ein derartiger Rückgriff auf eine Unterlassung einer Anhörung wegen weiterer, über die verfahrensgegenständlichen Verdachtsmomente hinausgehende Verdächtigungen ins Blaue hinaus erachtet das Gericht als rechtswidrig.
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bb) Der Verstoß gegen die Pflicht zu vorherigen Anhörung ist nicht unbeachtlich i.S.v. Art. 46 BayVwVfG (vgl. ausführlich OVG Lüneburg, B.v. 22.11.2022 – 3 MD 8/22 – beck-online Rn. 59 ff.), schon da die Entscheidung über eine vorläufige Dienstenthebung im Ermessen der Disziplinarbehörde steht und bei Ausübung des Ermessens die möglichen Einlassungen des Beamten zu berücksichtigen sind.
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cc) Ernstlich zweifelhaft ist auch, ob mittlerweile eine Heilung des Anhörungsmangels i.S.v. Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG eingetreten ist (vgl. ausführlich VGH Mannheim; U.v. 27.10.2022 – DL 16 S 752/22 – beck-online Rn. 55 ff.).
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Zwar wurde dem Antragsteller wohl im Rahmen eines Personalgesprächs am 26. Januar 2023 und zu einem späteren Zeitpunkt Mitte März 2023 mit Übergabe von Zeiterfassungsjournalen Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Inwieweit den Anforderungen nach Art. 22 BayDG dabei Rechnung getragen wurde, dürfte insoweit ohne Auswirkung sein, da sich das Anhörungserfordernis vor Erlass einer vorläufigen Dienstenthebung gerade nicht aus Art. 22 BayDG, sondern aus dem Rückgriff auf Art. 28 BayVwVfG ergibt.
39
Dem Bescheid vom 24. Juli 2023 und der Aktenlage lässt sich aber nicht entnehmen, dass sich das bei der Antragsgegnerin zuständige Organ, nämlich der Gemeinderat, mit den späteren Äußerungen des Antragstellers befasst und damit seine Ermessensentscheidung überprüft hat. Das zuständige Organ hat die Einwendungen jedoch (nicht nur) zur Kenntnis zu nehmen, sondern ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen; eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken (VGH Mannheim, a.a.O. m.w.N.).
40
Des Weiteren ist ernstlich zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin dem Antragsteller gegenüber im Rahmen der gebotenen Anhörung hinreichend dargelegt hat, welche Dienstpflichtverletzungen diesem zur Last gelegt werden. Die ausführliche Darstellung des zur Last gelegten Sachverhalts mit den einzelnen Umbuchungen, die die Antragsgegnerin als dienstpflichtwidrig einstuft, ist – nach Aktenlage – erstmalig im Schriftsatz vom 31. Juli 2023 enthalten. Sollte dies im Rahmen des Personalgesprächs ausgiebig erörtert worden und den im März 2023 überlassenen Unterlagen hinreichend zu entnehmen sein, ergibt sich daraus noch nicht, welche genauen Dienstpflichtverletzungen dem Beamten damit zur Last gelegt werden. Zwar mag der Begriff des „Arbeitszeitbetrugs“ gefallen sein, dass die Antragsgegnerin dem Beamten (nunmehr) aber sogar ein strafbares Verhalten nach § 263 StGB zur Last legt, dürfte nach Aktenlage erstmalig im Schreiben an das Gericht vom 31. Juli 2023 zu Tage treten. Zwar dürfen die Anforderungen an eine Anhörung zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens und insbesondere vor einer vorläufigen Dienstenthebung nicht überspannt werden, die Dimension des zur Last gelegten Dienstvergehens muss jedoch hinreichend deutlich werden. Dazu gehört auch, ob auch ein strafrechtlicher Vorwurf im Raum steht. Dass die Dimension des zur Last gelegten Dienstvergehens beim Antragsteller nicht ankam, lässt seine von der Antragsgegnerin zitierte Äußerung, „wegen ein paar Stunden“ müsse doch nicht gleich ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, erkennen. Nach Aktenlage ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinde wegen des Verdachts nach § 263 StGB eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt hat und insoweit ein Strafverfahren gegen den Antragsteller läuft. Wäre die Frage einer Strafbarkeit des Verhaltens bei der Befassung im Gemeinderat schon im Raum gestanden, wäre zu erwarten, in der Beschlussfassung des Gemeinderats würde sich niederschlagen, ob insoweit eine Strafanzeige erfolgen soll oder nicht.
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Ist aber die Anhörung unzureichend (geblieben), weil dem Beamten gegenüber die Charakterisierung und Dimension des zur Last gelegten Dienstvergehens nicht hinreichend klar umrissen wurde, kann auch keine entsprechende Heilung eintreten.
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(2) Zu beanstanden ist zudem, dass die vorläufige Dienstenthebung – und ebenso der Einbehalt der Dienstbezüge – ohne Einhaltung des sich aus Art. 40 BayDG unzweifelhaft ergebenden Zustellerfordernisses bereits augenscheinlich unverzüglich nach der Beschlussfassung des Gemeinderats am 25. Januar 2023 in Vollzug gesetzt wurden. Die vorgelegte Bezügemitteilung vom Februar 2023 enthält bereits einen 50%igen Einbehalt, obwohl die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltsverfügung erstmalig mit Bescheid vom 24. Juli 2023 verbescheiden wurden. Die Übergabe eines Auszugs aus dem Sitzungsbuch, die gemäß Ausführungen im Bescheid vom 24. Juli 2023 am 14. März 2023 gegenüber dem Antragsteller zusammen mit Monatsjournalen und Änderungsprotokollen erfolgt sein soll, vermag keine hinreichende Zustellung nach Art. 40 BayDG darzustellen und erklärt im Übrigen nicht den Vollzug der vorläufigen Dienstenthebung sowie des Einbehalts bereits im Februar 2023.
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c) Ernstlich zweifelhaft ist die vorläufige Dienstenthebung jedoch hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Art. 39 Abs. 1 BayDG.
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(1) Insofern hat das Gericht ernstliche Zweifel an der Prognose der Höchstmaßnahme aufgrund des zur Last gelegten Sachverhalts. Die Herleitung der Prognose ist schon nicht hinreichend nachvollziehbar.
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aa) Im Schriftsatz vom 31. Juli 2023 in Erwiderung auf den vorliegenden Aussetzungsantrag nach Art. 61 BayDG ist erstmalig eine geordnete Darstellung des dem Antragsteller zu Last gelegten Sachverhalts enthalten. Dieser stellt sich – so zumindest das Verständnis des Gerichts – jedoch durchaus erheblich differenzierter dar, als er dem Gemeinderat am 25. Januar 2023 zur Beschlussfassung vorgetragen wurde.
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Nach gerichtlichem Verständnis der Ausführungen im Schriftsatz vom 31. Juli 2023 wird dem Antragsteller nunmehr Folgendes vorgeworfen:
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aaa) So wird dem Antragsteller zur Last gelegt, am 20. Dezember 2022 von 7:38 bis 12:08 tatsächlich erbrachte Arbeitszeit nach einer späteren Krankschreibung und damit verbundenen ganztägigen Zeitgutschrift für diesen Tag auf Freitag, 16. Dezember 2022 von 13:00 bis 17:30 „umgebucht“ zu haben. Am Mittwoch, 21. Dezember 2022 von 7:16 bis 12:08 tatsächlich eingebrachter Arbeitszeit soll er nach Krankschreibung für den Tag dies auf Samstag, 10. Dezember 2022 von 7:16 bis 12:08 „umgebucht“ haben.
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bbb) Des Weiteren soll der Antragsteller für Freitag, 9. Dezember 2022 nachträglich eine Buchung von 14:00 bis 15:30 vorgenommen haben, ohne gearbeitet zu haben.
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ccc) Während seiner Krankschreibung soll er zudem am Donnerstag, 27. Oktober 2022 1,5 Stunden und am 3. November 2022 1,5 Stunden zusätzlich über das Maß von 8,5 Stunden wegen Krankschreibung manuell gebucht haben.
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ddd) Für Samstag, 22. Oktober 2022 soll der Antragsteller von 7:30 bis 12:45 eine Gutschrift vorgenommen haben, ohne dass dem an diesem Tag eine Anwesenheit und Arbeitsleistung gegenüberstand.
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eee) Am Montag, 17. Oktober 2022 sei Arbeitszeit von 7:30 bis 12:00 und 13:30 bis 17:00 eingetragen, obwohl der Antragsteller an dem Tag nicht gearbeitet habe.
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fff) Eine Arbeitszeiterbringung von Mittwoch, 23. Februar 2022 von 14:24 bis 15:14 soll er zudem nach einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diesen Tag auf Freitag, 25. Februar 2022 umgebucht haben.
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bb) Das Gericht vermag nicht nachzuvollziehen, dass und inwieweit sich hieraus auf die Prognose der Höchstmaßnahme schließen lassen sollte.
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aaa) Dabei ist die Darlegung der zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen im Gemeinderatsbeschluss vom 25. Januar 2023 sowie im Bescheid vom 24. Juli 2023 schon derart vage, dass weder der Antragsteller noch das Gericht eine hinreichende Überprüfung der Prognose der Antragsgegnerin vornehmen können (vgl. hierzu bereits oben).
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Erstmalig erfolgt im rechtsanwaltschaftlichen Schriftsatz vom 31. Juli 2023 der Vorwurf strafbaren Verhaltens nach § 263 StGB. Zutreffend wird insofern auf einen eröffneten disziplinarischen Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis aufgrund des gesetzlichen Strafrahmens für Betrugshandlungen verwiesen. Eine nähere Darlegung zur Erfüllung des Straftatbestandes unterbleibt jedoch. Inwieweit der Antragsteller durch seine Umbuchung einen – tatbestandlich vorauszusetzenden – rechtswidrigen Vermögensvorteil erlangt haben soll, wird nicht näher ausgeführt. Dass dem Antragsteller die gebuchten Stunden in irgendeiner Form zusätzlich vergütet worden seien und sich dieser entsprechend eigennützig bereichert hätte (vgl. insoweit z.B. VG Wiesbaden, B.v. 24.5.2013 – 28 L 483/12.WI.D – beck-online), ist nicht vorgetragen oder ersichtlich. Auch der subjektive Tatbestand der Bereicherungsabsicht bedarf näherer Betrachtung (vgl. OVG Schleswig, U.v. 9.12.2021 – 14 LB 3/20 – beck-online Rn. 43 ff., wenngleich der dort zugrundeliegende Sachverhalt nicht vergleichbar ist, als der Antragsteller vorliegend durchaus das Zeiterfassungssystem beherrscht und somit Falscheintragungen ausgeschlossen sein dürften.).
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Das Gericht verkennt nicht, dass Manipulationen bei der Zeiterfassung und damit einhergehende unberechtigte Zeitgutschriften im allgemeinen Sprachgebrauch und auch im disziplinarischen Kontext oftmals als „Arbeitszeitbetrug“ bezeichnet werden. Inwiefern es sich bei zur Last gelegtem Verhalten aber um eine Straftat nach § 263 StGB oder § 263a StGB handelt, bedarf jeweils entsprechender Darstellung. So findet sich in disziplinarrechtlichen Entscheidungen oftmals gerade keine Einstufung von Zeiterfassungsmanipulationen als Straftat (vgl. z.B. OVG Münster, U.v. 1.12.2021 – 3d A 4611/19.O – beck-online Rn. 98; ausdrücklich offengelassen: VG Münster, U.v. 8.1.2024 – 20 K 3325/12.O – beck-online). Im Urteil des OVG Münster vom 6. Juli 2016 – 3d A 376/14.O – wird hingegen ein Betrug nach § 263 StGB bzw. Computerbetrug nach § 263a StGB unter anderem mangels irrtumsbedingter Vermögensverfügung zu Gunsten des Beamten abgelehnt; die Alimentierung erfolge unabhängig von den Eintragungen in der Zeiterfassung (OVG Münster, a.a.O. beck-online Rn. 42).
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bbb) Soweit der Antragsteller durch die ihm zur Last gelegten Umbuchungen seinen Dienstpflichten nach Art. 35 Abs. 1 BeamtStG, dienstlichen Anordnungen zu folgen und die folglich die Zeiterfassung korrekt vorzunehmen, verstoßen hätte, er seiner Pflicht zum vollen Einsatz im Beruf nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtSG nicht nachgekommen wäre, da er sich durch die Gutschriften teilweise Arbeitsleistung „erspart“ hätte und sich durch sein Verhalten i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG ansehens- und vertrauensschädigend verhalten hätte, vermag dies die Prognose der Höchstmaßnahme nicht zu rechtfertigen.
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Zwar wiegen Dienstpflichtverletzungen durch unrichtige bzw. manipulierte Zeiterfassung durchaus schwer. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat hierzu in einer Entscheidung aus dem Jahre 2007 ausgeführt:
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„Denn die Verletzung innerdienstlicher Pflichten durch Manipulationen im Rahmen der Zeiterfassung mit der Folge der vorsätzlichen Täuschung der Vorgesetzten über nicht eingebrachte Dienstzeiten führte zu nachhaltigen Störungen der berechtigten Interessen des Dienstherrn. Diese eigennützigen Verstöße gegen die Gleitzeitvorschriften sind als gravierende Verletzungen des vom Dienstherrn entgegengebrachten Vertrauens zu qualifizieren. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass ein solches Verhalten und der darin liegende Verstoß gegen eine beamtenrechtliche Kernpflicht schon für sich gesehen ernstlich die Frage nach der weiteren Tragbarkeit des Beamten im Beamtenverhältnis für den Dienstherrn stellt, weil es eine grobe Verletzung des beträchtlichen Vertrauens bedeutet, das der Dienstherr mit der im Interesse der Beschäftigten erfolgten Einrichtung der gleitenden Arbeitszeit seinen Bediensteten entgegen bringen muss (so: BayVGH vom 17.3.2004 Az. 16a D 03.138 S. 17 ff. AU; vom 15.2.1984 BayVBl 1984, 307/308; vom 1.6.1978 DÖD 1979, 29/30; zur vergleichbaren Sichtweise im Arbeitsrecht [Verstöße gegen Gleitzeitregelungen als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung]: BAG vom 24.11.2005 NJW 2006,1545 m.w.N.). Es bleibt festzustellen, dass dieses vorsätzliche, als Betrug strafrechtlich geahndete, durch immer neue Tatentschlüsse getragene und über einen Zeitraum von fast zwei Jahren andauernde Verhalten des Beamten (Anschuldigungspunkte 1, 2 und 6) einen schweren Vertrauensmissbrauch darstellt, ohne dass es in diesem Zusammenhang auf eine etwaige mangelhafte Überwachung durch die Vorgesetzten ankäme (so bereits: BayVGH vom 1.6.1978 a.a.O.). Es handelt sich mithin um ein Versagen des Beamten im Bereich seiner leicht einsehbaren Kernpflichten, welches schon für sich allein die Dienstentfernung trägt.“
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(BayVGH, U.v. 11.7.2007 – 16a D 06.71 – beck-online)
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Der dieser Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugrundeliegende Sachverhalt ist jedoch mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, schon nicht hinsichtlich des Umfangs der Zeitmanipulationen (115 Stunden und 40 Minuten), aber auch im Hinblick darauf, dass der Beamte im Fall des Bayerisches Verwaltungsgerichtshofs die Manipulationen nutze, um sich zeitliche Freiräume für seine ungenehmigte Nebentätigkeit zu verschaffen
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Die vorliegende Gesamtstundenzahl von 28,5 Stunden betrachtend, die der Antragsteller – nach dem Verständnis des Gerichts bei Auswertung des schriftsätzlichen Vorbringens – zu seinen Gunsten zusätzlich gebucht haben soll, beläuft sich auf gerade einmal etwas mehr als 3 Arbeitstage.
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Unter Heranziehung der in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe der Ahndung unerlaubten Fernbleiben vom Dienstes (vgl. zur Orientierung der Bewertung einer unkorrekten Arbeitserfassung an den Maßstäben für die Ahndung des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst BVerwG, U.v. 27.1.2011 – 2 A 5/09 – beck-online Rn. 30; OVG Schleswig, U.v. 9.12.2021 – 14 LB 3/20 – beck-online Rn 74; OVG Münster, U.v. 6.7.2016 – 3d A 376/14.O – beck-online Rn. 46), ist ernstlich zweifelhaft, bereits von einer Schwere des Dienstvergehens im Bereich der Zurückstufung oder gar Höchstmaßnahme auszugehen. Ein Fernbleiben nur wenige einzelne Tage rechtfertigt regelmäßig keine Zurückstufung oder Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (vgl. nur OVG Schleswig und OVG Münster je a.a.O.). Dies dürfte vorliegend selbst unter der Annahme gelten, dass der Antragsteller in der Vergangenheit schon einmal bezüglich Zeiterfassungskorrekturen konfrontiert wurde.
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Selbst wenn das zur Last gelegte Verhalten als strafbarer Betrug nach § 263 StGB zu qualifizieren sein sollte, erscheint vor diesem Hintergrund ernstlich zweifelhaft, die Höchstmaßnahme zu prognostizieren.
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(2) Soweit die Antragsgegnerin die vorläufige Dienstenthebung zudem auf Art. 39 Abs. 1 Satz 2 BayDG stützt, dass durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden, ist dies ebenso ernstlich zweifelhaft.
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Wie bereits ausgeführt, vermag das Gericht nach der bisherigen Aktenlage diese Annahme nicht nachzuvollziehen. Auf die obigen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Im Falle der Verdunklungsgefahr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beamte versuchen wird, in rechtswidriger Weise die Beweisermittlungen zu beeinträchtigen (Conrad in Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Art. 39 Rn. 27).
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Zu einer Störung des Dienstbetriebs durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst ist nicht hinreichend vorgetragen, ungeachtet dessen, dass diese Tatbestandsalternative des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 BayDG weder im Gemeinderatsbeschluss vom 25. Januar 2023 noch im Bescheid vom 24. Juli 2023 enthalten und erstmalig im Schreiben des Bevollmächtigten an das Gericht vom 31. Juli 2023 Erwähnung findet, somit kaum die Ausübung des Ermessens diesbezüglich durch den Gemeinderat erfolgt sein dürfte.
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(3) Insgesamt begegnet die Ermessensausübung durch den Gemeinderat als zuständige Disziplinarbehörde ernstlichen Bedenken.
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aa) Dahinstehen kann vorliegend, dass der Gemeinderat in seinem Beschluss vom 25. Januar 2023 – ebenso nunmehr in der Bescheidsbegründung vom 24. Juli 2023 enthalten –, das Vorliegen eines Dienstvergehens bereits – ohne vorherige Anhörung – feststellt, ohne dass das hierzu erforderliche Disziplinarverfahren nach den Vorschriften der Art. 19 ff. BayDG durchgeführt wurde, und nicht (nur) den Verdacht eines solchen feststellt. Ob es sich hierbei wirklich um eine sprachliche Ungenauigkeit handelt oder bereits eine Vorfestlegung bedarf somit keiner gerichtlichen Einwertung.
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bb) Im Rahmen der nach Art. 39 BayDG gebotenen Ermessensausübung ist jedenfalls nicht erkennbar, dass sich der Gemeinderat mit dem bisherigen Vorbringen des Antragstellers und den zur Last gelegten Details auseinandergesetzt hat.
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Schon bezüglich der unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen (vgl. z.B. die unter 2.c) (1) aa) oder fff) beschrieben Konstellation) scheint der Gemeinderat nicht hinreichend differenziert informiert worden zu sein.
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Nach der Sachverhaltsdarstellung im Sitzungsbuch ist – übrigens ebenso im Bescheid vom 24. Juli 2023 – der zeitliche Umfang der Zeitmanipulation noch nicht einmal in ungefährer Größenordnung ersichtlich, ein für die Prognose der Maßnahmebemessung jedoch wichtiger Fakter, der dem zuständigen Gremium somit nicht hinreichend bekannt gewesen sein dürfte.
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Erkennbar enthält die Sachverhaltsdarstellung zur Gemeinderatssitzung aber Bezüge auf frühere Verdächtigungen des Antragstellers. Mangels entsprechender Einleitung nach Art. 19 BayDG bzw. Ausdehnung nach Art. 21 BayDG dürften diese jedoch nicht Gegenstand des Verfahrens sein. Ob und inwieweit diese früheren Verdächtigungen aber den Gemeinderat bei seiner Ermessensentscheidung beeinflusst haben, ist unklar.
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Deutlich wird, dass ein Gemeinderatsmitglied gerade nachgefragt hat, ob der Antragsteller entsprechend seiner Zeitkorrekturen Arbeitsleistungen erbracht hat, somit während seiner Krankheitstage (überobligatorisch) arbeitete. Dies trägt der Antragsteller gerade vor, die Antragsgegnerin bestreitet dies. Damit hätte sich das zuständige Organ der Antragsgegnerin aber näher auseinandersetzen müssen. Nachvollziehbar hat zumindest ein Gemeinderatsmitglied darauf abgestellt, mildernd berücksichtigen zu wollen, wenn der Antragsteller tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht hat und es sich um dringende Angelegenheiten gehandelt habe, die sonst niemand habe verrichten können. Dies hat gemäß Sitzungsbuchauszug der Erste Bürgermeister verneint, das Einscannen sei weder zeitkritisch noch im direkten Aufgabenbereich des Beamten gewesen. Im Bescheid vom 24. Juli 2023 findet sich zu dieser Einlassung des Beamten schon gleich gar nichts. Für ein bloßes Bestreiten, wie es im Schriftsatz vom 31. Juli 2023 nunmehr erfolgt, ist im Disziplinarverfahren kein Raum. Insbesondere erscheint es dem Gericht nicht ausgeschlossen, beispielsweise bei den einscannten Dokumenten anhand des Speicherdatums den Vortrag des Antragstellers zu überprüfen. Auch wird nochmals auf die Konstellation vom 20. Dezember 2022 und 21. Dezember 2022 Bezug genommen.
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3. Ernstlich zweifelhaft ist zudem der verfügte Einbehalt der Dienstbezüge.
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a) Nach Art. 39 Abs. 2 Satz 1 BayDG steht auch die Entscheidung über einen Einbehalt von Bezügen im Ermessen der Disziplinarbehörde. Ernstlich zweifelhaft ist vorliegend, ob und inwieweit der Gemeinderat bei seiner Beschlussfassung am 25. Januar 2023 sein Ermessen erkannt und ausgeübt hat. Auch der Bescheid vom 24. Juli 2023 lässt kein Ermessen erkennen. Die Aussage, der Einbehalt sei „als wirtschaftlicher Ausgleich als Folge der Freistellung von der Pflicht zur Dienstleistung geboten“, dürfte insoweit noch keine Ermessensausübung darstellen.
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b) Zu bemängeln ist zudem, dass die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Beamten vor der Einbehaltsverfügung nicht abgefragt wurden. Dass der Gemeinderat sich mit der Frage befasst hat, ob der Einbehalt von 50% der Dienstbezüge, dem an sich zulässigen Höchstmaß, den konkret wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen des Beamten gerecht würde, lässt sich dem Gemeinderatsbeschluss vom 25. Januar 2023 jedenfalls nicht entnehmen. Auch im Bescheid vom 24. Juli 2023 finden sich keinerlei Ausführungen zur wirtschaftlichen und persönlichen Situation des Antragstellers. Die Entscheidung über die Höhe des Einbehaltungssatzes ist jedoch in der Verfügung zu begründen, damit im Verfahren nach Art. 61 BayDG nachgeprüft werden kann, ob das Ermessen der Disziplinarbehörde fehlerhaft ausgeübt wurde (Conrad in Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Art. 39 Rn. 35). Erstmalig im Rechtsanwaltsschriftsatz vom 31. Juli 2023 sind nunmehr nähere Angaben enthalten. Das Nachschieben von Erwägungen in gerichtlichen Schriftsätzen führt jedoch in ständiger Rechtsprechung nicht ohne weiteres dazu, dass Ermessensfehler geheilt sind. Vielmehr ist dies vorliegend ernstlich zweifelhaft, als der zuständige Gemeinderat nach Aktenlage mit der Frage der Einbehaltshöhe nicht mehr näher befasst war.
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Dem Antrag i.S.v. Art. 61 BayDG auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und des Einbehalts von 50% der monatlichen Dienstbezüge war somit rückwirkend (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 8.3.2022 – 16a DS 22.110 – juris Rn. 11; vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2019 – 16a DS 19.435 – juris Rn. 13-15; Herrmann in Herrmann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, 2. Auflage, § 9 Rn. 900 – beck-online) stattzugeben.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 BayDG i.V.m. § 154 VwGO. Das Verfahren ist nach Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG gerichtsgebührenfrei.