Titel:
Dublin-Verfahren (Portugal)
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 lit. b
Leitsatz:
Es gibt keine ernstzunehmenden Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel im portugiesischen Asylsystem. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren (Zielstaat, Portugal), Abschiebungsanordnung, Bereits erfolgte Dublin-Überstellung nach Portugal, Keine systemischen Mängel, Portugal, unzulässiger Asylantrag, systemische Mängel
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21074
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die angeordnete Überstellung nach Portugal im Rahmen des sog. „Dublin-Verfahrens“.
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Der Antragsteller, nach eigenen Angaben ein jordanischer Staatsangehöriger, reiste erstmalig am 29. August 2021 in das Bundesgebiet ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt durch behördliche Mitteilung vom gleichen Tag schriftlich Kenntnis erlangt hat. Der damalige förmliche Asylantrag datierte vom 15. Januar 2021. Mit Bescheid vom 8. November 2021 lehnte die Antragsgegnerin diesen Asylantrag als unzulässig und ordnete die Abschiebung nach Portugal an. Der Antragsteller ging gegen diesen Bescheid nicht gerichtlich vor, am 23. Februar 2022 wurde er nach Portugal überstellt.
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Am 1. März 2023 reiste der Antragsteller erneut in das Bundesgebiet ein und beantragte am 9. März 2023 erneut die Durchführung eines Asylverfahrens. Am 21. April 2023 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an Portugal, welches von den portugiesischen Behörden am 27. April 2023 gem. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b VO (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) akzeptiert wurde.
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Mit Bescheid vom 16. Juni 2023, zugestellt am 21. Juni 2023, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab und verneinte das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich Portugal (Nrn. 1 und 2). Die Abschiebung nach Portugal wurde angeordnet (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Der Antragsteller hat am 22. Juni 2023 Klage gegen den Bescheid vom 16. Juni 2023 erhoben. Des Weiteren beantragt er,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung hinsichtlich Portugal anzuordnen.
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Zur Begründung wird Bezug genommen auf die Angaben im Asylantrag vom 15. Januar 2021 sowie den neuerlichen Antrag vom 9. März 2023.
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Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 30. Juni 2023,
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Zur Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 23.50641, sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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1. Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
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2. Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zu Lasten des Antragstellers aus. Nach summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im streitgegenständlichen Bescheid als gering anzusehen. Die Abschiebungsanordnung erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, da die Asylanträge zutreffend nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig abgelehnt worden sind.
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a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO ist Portugal für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig. Die Antragsgegnerin hat das Übernahmeersuchen an Portugal am 21. April 2023 und damit innerhalb der nach Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO geltenden Frist von zwei Monaten seit der EURODAC-Ergebnismitteilung vom 9. März 2023 gestellt. Diesem Übernahmeersuchen haben die französischen Behörden am 27. April 2023 innerhalb der nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO geltenden zweiwöchigen Frist zugestimmt.
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b) Die Zuständigkeit ist auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergangen.
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aa) Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18 ff.; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41; grundlegend EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, „Abdullahi“ – NVwZ 2012, 417, Rn. 80 ff.). Dabei ist nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu berücksichtigen, dass der Begriff der systemischen Schwachstellen nicht notwendigerweise gesamtbezogen auf das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im Überstellungsstaat insgesamt zu verstehen ist, sondern auch Teilbereiche hiervon erfasst sein können, die mit individuellen Umständen des Asylbewerbers verknüpft sind (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris Rn. 70 ff. = NVwZ 2017, 691 ff., im Hinblick auf das Gesundheitssystem in Kroatien). Demnach ist mittlerweile geklärt, dass auch die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK eine Überstellung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO unmöglich machen kann, selbst wenn diese Rechtsverletzung nicht die Konsequenz aus der Existenz systemischer Schwachstellen im zuständigen Mitgliedstaat ist (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris Rn. 91). Erforderlich, aber auch ausreichend ist daher, wenn auf Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben dem Gericht Anhaltspunkte für Schwachstellen vorliegen, welche eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller betreffen. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist (auch) erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Bedürfnissen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen (BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C 297/17 „Ibrahim“ u.a. – juris Rn. 89 ff. und C-163/17, „Jawo“ – juris Rn. 91 ff.).
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bb) Daran gemessen gibt es keine ernstzunehmenden Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel im portugiesischen Asylsystem; insoweit nimmt das Gericht gem. § 77 Abs. 3 AsylG auf die entsprechenden Ausführungen im Bescheid Bezug. Diese Einschätzung entspricht der gegenwärtigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, die – soweit ersichtlich – systemische Mängel im portugiesischen Asylsystem nicht annimmt (vgl. VG München, B.v. 22.4.2022 – M 10 S 21.50710 – juris Rn. 17 m.w.N.). Auch wenn die Lebensbedingungen in Portugal nicht gleichwertig zu denen in Deutschland sein mögen, geht das Gericht im Einklang mit der im Bescheid dargestellten tatsächlichen Lage davon aus, dass Portugal über ein im Wesentlichen funktions- und richtlinienkonformes Asylsystem verfügt und hinsichtlich der Bedingungen für Asylsuchende dort auch elementare menschliche Bedürfnisse befriedigt werden können (vgl. auch VG München, GB v. 17.5.2023 – M 10 K 22.31453 – Rn. 21, n.v.). Auch der Antragsteller hat der Hinsicht nichts Gegenteiliges vorgetragen.
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c) Individuelle in der Person des Antragstellers wurzelnde Umstände, welche die Antragsgegnerin zwingend zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO hätten veranlassen müssen (vgl. näher dazu BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50124 – juris Rn. 22 ff.), sind vom Antragsteller nicht dargelegt worden bzw. liegen nach Aktenlage auch nicht vor.
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3. Gründe, dass die Abschiebung nicht i.S.v. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden könnte, sind derzeit ebenso nicht ersichtlich, da weder zielstaatsbezogene noch inländische Abschiebungshindernisse vorliegen (vgl. diesbezüglich zur Prüfungskonzentration beim Bundesamt: BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244). Die Befristung des angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate begegnet nach summarischer Prüfung ebenso keinen ernsthaften rechtlichen Bedenken (§ 114 Satz 1 VwGO).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).