Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 02.05.2023 – M 10 K 20.5541
Titel:

Corona-Pandemie: Erfolglose Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Versammlungsverbots

Normenketten:
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 1
7. BayIfSMV § 7 Abs. 1
Leitsätze:
1. In versammlungsrechtlichen Verfahren besteht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit dann, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht, die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. In versammlungsrechtlichen Streitigkeiten ist ein schwerwiegender Eingriff in die Versammlungsfreiheit gegeben, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Durchgreifende Mängel an der Rechtsgrundlage des § 7 Abs. 1 S. 4 der 7. BayIfSMV sind nicht ersichtlich. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsverbot, Fortsetzungsfeststellungsklage, Fortsetzungsfeststellungsinteresse (bejaht), Tiefgreifender Grundrechtseingriff, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (bejaht), Corona-Schutzmaßnahmen, tiefgreifender Grundrechtseingriff
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21070

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Versammlungsverbots.
2
Unter dem 28. Oktober 2020 zeigte der Kläger als Veranstalter eine sich fortbewegende Versammlung für den 1. November 2020 in … an. Die Versammlung mit 5000 erwarteten Teilnehmern sollte um 13:30 Uhr auf dem …platz beginnen und um 15:15 Uhr auf der … enden. Das Motto der Versammlung bezog sich darauf, dass ohne Nachweis einer Infektion, die zwingend durch einen Arzt festgestellt werden müsse, Infektionsschutzmaßnahmen nicht ergriffen werden dürften. Jeder, der dies trotzdem mache, zulasse oder nicht verhindere, müsse insbesondere aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsansprüche zur Rechenschaft gezogen werden. Das Hygienekonzept lautete: „Keine Abstände, keine Masken, Sprechchöre erlaubt, Tanzen erlaubt, Umarmungen Fremder erlaubt.“ Wegen des Feiertags am 1. November 2020 nahm der Kläger mit E-Mail vom 30. Oktober 2020 „Singen und Tanzen“ aus dem Konzept heraus.
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Mit Bescheid vom 30. Oktober 2020 untersagte die Beklagte die Versammlung. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Durchführung der angezeigten Versammlung infektionsschutzrechtlich nicht vertretbar sei. Nach dem Hygienekonzept des Klägers seien Umarmungen unter den Versammlungsteilnehmern erlaubt und Masken sollten nicht getragen werden. Dies verstoße gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 7. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV), nach deren Vorgaben bei Versammlungen unter freiem Himmel ein Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten, jeder Körperkontakt mit anderen Versammlungsteilnehmern zu vermeiden und ab einer Teilnehmerzahl von 200 Personen Masken zu tragen seien. Zur Begründung für die gegenwärtige Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung wurde auf die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie die aktuelle 7-Tage-Inzidenz für …, auf die nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) abgestellt werden dürfe, verwiesen. Da für die angezeigte Versammlung bundesweit mobilisiert worden sei, sei zu erwarten, dass es zu einer höheren Teilnehmerzahl als erwartet kommen werde. Der Kläger habe über Twitter angegeben, den Infektionsschutz nicht sicherzustellen. Die versammlungsbeschränkenden Auflagen, die vorliegend erlassen werden müssten, stünden dem Konzept des Klägers konträr gegenüber, so dass es zu einer Umprägung der angezeigten Versammlung käme. Da sich der Kläger ausdrücklich für Verstöße gegen die Corona-Schutzmaßnahmen als vermeintliches Ausdrucksmittel einsetze, sei unmittelbar zu befürchten, dass etwaige versammlungsbeschränkende Auflagen durch den Veranstalter nicht eingehalten würden. Angesichts dessen sei auch die Abhaltung einer stationären Versammlung kein milderes Mittel.
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Mit Beschluss vom 31. Oktober 2020 (M 13 S 20.5546 – juris) lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der (noch zu erhebenden) Klage ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde mit Beschluss des VGH vom 1. November 2020 zurückgewiesen (10 CS 20.2450 – juris). Die angefochtene Verbotsverfügung sei voraussichtlich rechtmäßig und mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit vereinbar. Die Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass von der angezeigten Versammlung unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens in … voraussichtlich infektionsschutzrechtlich nicht mehr vertretbare Gefahren ausgingen und die infektionsschutzrechtlichen Anforderungen auch nicht durch versammlungsrechtliche Beschränkungen als milderes Mittel sichergestellt werden könnten. Bei der Gefahrenprognose habe sich die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise auf die fachliche Einschätzung des RKI gestützt. Es begegne weiter keinen rechtlichen Bedenken, dass angesichts der Erfahrungen vergangener Versammlungen von „Querdenker-Gruppierungen“, der geplanten hohen Teilnehmerzahl und des nicht vorhandenen Hygienekonzepts mit hoher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden müsse, dass sich bei dieser Versammlung Infektionsgefahren verwirklichten. Es sei auch nicht damit zu rechnen, dass der Kläger entsprechende versammlungsrechtliche Beschränkungen akzeptieren oder gar wirksam durchsetzen würde.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2020, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage gegen den Bescheid erhoben. Er beantragt zuletzt sinngemäß:
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Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2020 zum Aufzug im Stadtgebiet der Beklagten rechtswidrig war.
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Zur Begründung der Klage wird vorgetragen, dass zwischenzeitlich auch der Bundesgesundheitsminister die Maskenpflicht unter freiem Himmel als Exzess bezeichnet habe. Daher werde die Beklagte aufgefordert, entsprechende evidente Nachweise für die konkrete Gefahr vorzulegen.
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Mit Schriftsatz vom 15. April 2023 beantragt die Beklagte sinngemäß:
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Klage sei unbegründet, da der angegriffene Bescheid der Beklagten rechtmäßig sei. Die Rechtmäßigkeit eines versammlungsrechtlichen Eingriffs sei aus der Sicht zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung zu beurteilen.
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Bereits mit Schreiben vom 20. März 2023, zugestellt am 25. und 28. März 2023, wurden die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 13 S 20.5546, sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Über die Klage kann nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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2. Die Klage bleibt ohne Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
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a) Die Klage ist zulässig. Nach Umstellung des Klageantrags ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Der Kläger ist als Veranstalter der von ihm geplanten Versammlung klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).
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Der Kläger verfügt auch über das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse genügt jedes nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei es Sache des Klägers ist, die Umstände darzulegen, aus denen sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1990 – 3 C 49/87 – juris Rn. 25; Schübel-Pfister in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 113 VwGO Rn. 109 m.w.N.). In versammlungsrechtlichen Verfahren besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 36; vgl. auch: BayVGH, B.v. 13.1.2023 – 10 ZB 22.1408 – juris; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 26 ff.) ein solches Interesse unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit dann, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht (a), die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt (b) oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (c).
17
Im vorliegenden Fall ergibt sich jedenfalls ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG), die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. In versammlungsrechtlichen Streitigkeiten ist ein schwerwiegender Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) gegeben, wenn die Grundrechtsausübung – wie hier – durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 37 f.; vgl. auch: BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 31).
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b) Die Klage ist jedoch unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2020 nicht rechtswidrig war und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzte (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
19
Rechtsgrundlage für das im angegriffenen Bescheid verfügte Versammlungsverbot ist Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 4 7. BayIfSMV vom 1. Oktober 2020 (BayMBl. Nr. 562, BayRS 2126-1-11-G) in der Fassung vom 22. Oktober 2020 (BayMBl. Nr. 601). Durchgreifende Mängel dieser Rechtsgrundlage sind weder (substantiiert) vorgetragen noch ersichtlich (vgl. vielmehr zur Rechtmäßigkeit des im Wesentlichen inhaltsgleichen, im Hinblick auf die Maskenpflicht sogar strengeren § 7 11. BayIfSMV: BayVerfGH, Entscheidung vom 30.12.2020 – Vf. 96-VII-20 – juris Rn. 17, 33; BayVGH, B.v. 27.2.2021 – 10 CS 21.602 – juris Rn. 21 ff.; BayVGH, B.v. 21.2.2021 – 10 CS 21.526 – juris Rn. 15 ff.; VG Ansbach, U.v. 22.9.2022 – AN 4 K 21.126 – juris Rn. 40).
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Das streitgegenständliche Versammlungsverbot vom 30. Oktober 2020 war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für eine Untersagung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 4 7. BayIfSMV lagen vor. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt hierfür ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 BayVersG der Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung. Anders als die Klagepartei meint, kommt es damit auf spätere Erkenntnisse, wie sie den Äußerungen des Bundesgesundheitsministers zugrunde liegen könnten, nicht an.
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Im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses nahm die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinn von Art. 15 Abs. 1 BayVersG an, da von der angezeigten Versammlung infektionsschutzrechtlich nicht mehr vertretbare Gefahren ausgingen. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass aufgrund des Hygienekonzepts des Klägers klar ersichtlich war, dass bei der Versammlung gegen die Anforderungen des § 7 Abs. 1 7. BayIfSMV, vor allem die Abstandsregelung, das Gebot der Kontaktvermeidung und die Maskenpflicht, verstoßen würde. Vor diesem Hintergrund konnte die Beklagte auch davon ausgehen, dass ein gegenüber dem Verbot milderes, aber gleich wirksames Mittel nicht existiert. Insbesondere wäre bei einer Anordnung von entsprechenden versammlungsbeschränkenden Auflagen nicht zu erwarten gewesen, dass der Kläger auf deren Einhaltung hinwirken würde. Im Übrigen wird zur Begründung auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid sowie im Beschluss des VGH vom 1. November 2020 (10 CS 20.2450 – juris Rn. 14 ff) verwiesen, zumal der Kläger zur Begründung seiner Klage ergänzend nichts vorgetragen hat.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 1 Satz 3, § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 84 Abs. 1 Satz 3, § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.