Inhalt

OLG München, Beschluss v. 17.01.2023 – 27 U 4750/22
Titel:

Unzulässige Berufung mangels ausreichenden Angriffs der erstinstanzlichen Feststellungen

Normenkette:
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Leitsatz:
Der Berufungsangriff genügt nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Berufungsführer zwar die Feststellung des Landgerichts, das Beseitigungsbegehren sei mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden, kritisiert, sich aber nicht mit den vom Sachverständigen ermittelten Kosten der Beseitigung bzw. dem Umfang des Überbaus auseinandersetzt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungsbegründung, Unzulässigkeit, Überbau, Beseitigungskosten, Verhältnismäßigkeit
Vorinstanz:
LG Augsburg, Endurteil vom 30.06.2022 – 101 O 2330/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.07.2023 – V ZB 3/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21060

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 30.06.2022, Aktenzeichen 101 O 2330/20, wird verworfen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger nehmen die Beklagten auf Beseitigung in Anspruch.
2
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Die Klägerin zu 2) ist Eigentümerin des Grundstücks Flurnummer …75 der Gemarkung B. Der Kläger zu 1) soll laut notarieller Urkunde Nr…51/2006 vom 11.12.2006 der Notarin M. S., H., (Mit-)Eigentümer werden. Er ist jedoch noch nicht im Grundbuch eingetragen. Der Beklagte zu 2) ist Eigentümer des benachbarten Grundstücks mit der Flurnummer …77. Die Beklagte zu 1) ist Pächterin des Anwesens. Die Beklagten haben im Jahr 2014 auf ihrem Grundstück eine Maschinenhalle errichten lassen. Durch diese Maschinenhalle wurde eine Fläche von ca. 7 m² des Grundstücks der Klägerin zu 1) überbaut (vgl. Anlagen K 1 – K 2). Die Maschinenhalle sollte auf der Grundfläche eines alten Kuhstalls gebaut werden, der an das Grundstück der Klägerin zu 2) angrenzte. Die Klägerin zu 2) hat mit Schreiben vom 22.06.2016 dem Überbau widersprochen (Anlage K 3).
3
Die Kläger tragen im Wesentlichen vor, dass ein widerrechtlicher Überbau vorläge. Die Beklagten hätten grob fahrlässig gehandelt, da sie bei der Vermessung keinen Vermessungsingenieur hinzugezogen haben. Es bestehe daher ein Anspruch auf Beseitigung des Überbaus.
4
Die Kläger haben in der ersten Instanz beantragt,
I. Die Beklagten werden verurteilt, den Überbau auf das Grundstück Flurnummer …75 durch das auf dem Flurstück …77 errichtete Gebäude mit etwa 7 m2 der Gemarkung B. zu beseitigen.
II. Die Beklagten werden verurteilt, an die Kläger einen Betrag in Höhe von 600,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5% Zinspunkten hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
5
Die Beklagten haben in der ersten Instanz beantragt,
Klageabweisung.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
7
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass den Klägern kein Anspruch auf Beseitigung des Überbaus zustehe. Dem Kläger zu 1) fehle die Aktivlegitimation, da er nicht Eigentümer des Grundstücks sei. Die Kläger müssten gemäß § 912 Abs. 1 BGB den Überbau dulden, da den Beklagten weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden könne. Des Weiteren sei das Gericht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen B. davon überzeugt, dass die Kosten der Beseitigung des Überbaus mindestens 50.000,00 € betragen. Diese Kosten seien im Vergleich zu der eher geringen Überbauung unverhältnismäßig.
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Gegen dieses, den Klägern am 14.07.2022 zugestellte Urteil des Landgerichts Augsburg vom 30.06.2022, Az. 101 O 2330/20, richtet sich die mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 08.08.2022, eingegangen am 08.08.2022, eingelegte Berufung der Kläger, die in der Berufungsinstanz beantragen,
1.
Das Endurteil des Landgerichts Augsburg (AZ: 101 O 2330/20) vom 30.06.2022 wird aufgehoben.
2.
Die Beklagten werden verurteilt, den Überbau auf das Grundstück Flur Nr. …75 durch das auf dem Flurstück ..77 errichtete Gebäude mit etwa 7 m2 der Gemarkung B. zu beseitigen.
3.
Die Beklagten werden verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 600,71 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
9
Zur Begründung ihres Rechtsmittels führen die Kläger im Wesentlichen aus, dass unstreitig ein Überbau des klägerischen Grundstückes durch die Maschinenhalle der Beklagten gegeben sei. Das Landgericht habe aber zu Unrecht die Klage abgewiesen. Wenn – wie vorliegend – ein Bauwerk im Bereich der Grenze zum Nachbarn gebaut werde, bestünden erhöhte Sorgfaltspflichten. Vor Baubeginn habe der Bauherr darauf zu achten, dass er die Grenzen seines Grundstücks zum Nachbarn tatsächlich nicht überschreitet. Hierfür habe er gegebenenfalls einen Vermessungsingenieur hinzuziehen. Eine Verletzung dieser Pflicht begründe grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 912 Abs. 1 BGB. Im Übrigen seien die Beseitigungskosten auch nicht unverhältnismäßig hoch und seien letztlich dem Umstand geschuldet, dass eine vorsätzliche bzw. eine grob fahrlässige Überbauung i. S. d. § 912 Abs. 1 BGB vorliege.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 12.09.2022 (Bl. 255 – 259 d. A.) Bezug genommen.
11
Die Beklagten beantragen in der Berufungsinstanz:
12
Die Berufung der Kläger wird zurückgewiesen.
13
Die Beklagten verteidigen das Ersturteil. Zur Begründung führen die Beklagten insbesondere aus, dass die rechtliche Einschätzung des Landgerichts zum Thema grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz bei Überbau einer rechtlichen Überprüfung standhalte. Die dagegen erhobenen Angriffe würden isoliert vom tatsächlichen Sachverhalt erhoben. Im Übrigen habe das Landgericht die Klage hinsichtlich des Klägers zu 1) wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen. Trotzdem werde der Kläger zu 1) wieder als Berufungskläger geführt. Eine Begründung, was insoweit an der Argumentation des Landgerichts falsch sein soll, werde in der Berufungsbegründung nicht gegeben. Schlussendlich setze sich die Berufungsbegründung nur sehr lapidar und rudimentär mit dem Argument des Erstgerichts auseinander, dass die Beseitigung unverhältnismäßig wäre im Hinblick auf die vom Sachverständigen festgestellten Kosten. Man dürfe von einer Berufungsbegründung erwarten, dass sie sich mit den Grenzen der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit auseinandersetzt. Daran fehle es. Insofern sei die Begründung des Erstgerichts nicht angegriffen.
14
Wegen des weiteren Vortrags der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungserwiderung vom 10.11.2022 (Bl. 268 – 270 d. A.) Bezug genommen.
15
Mit Verfügung des Vorsitzenden des 27. Senats vom 11.11.2022, den Prozessbevollmächtigten der Kläger zugestellt am 18.11.2022, wurden die Kläger darauf hingewiesen, dass der Senat die Berufung derzeit für unzulässig hält und beabsichtigt, die Berufung daher als unzulässig zu verwerfen, weil die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO genüge. Zwar erfülle die Berufungsbegründung die Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO, soweit sich die Kläger gegen die Begründung des Landgerichts, nämlich den fehlenden Nachweis von Vorsatz bzw. grober Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit dem Überbau des im Eigentum der Klägerin zu 2) stehenden Grundstücks Flurnummer …75 der Gemarkung B. bei Errichtung der Maschinenhalle im Jahr 2014 durch die Beklagten wenden. Mit der Berufungsbegründung nicht angegriffen sei aber die selbständig tragende Begründung des Landgerichts, dass – auf Grundlage des vom Landgericht eingeholten und in den Entscheidungsgründen in Bezug genommenen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. B. – die Kosten der Beseitigung des Überbaus mindestens 50.000,00 € betragen und diese Kosten im Vergleich zu der nach Ansicht des Landgerichts eher geringen Überbauung unverhältnismäßig seien. Eine Stellungnahme hierzu ist binnen der den Klägern eingeräumten Frist mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 23.12.2022 erfolgt.
II.
16
Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Berufungsbegründung vom 12.09.2022, eingegangen am 13.09.2022, genügt nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO. Der fristgerechte Schriftsatz der Kläger vom 23.12.2022 und der nicht nachgelassene Schriftsatz der Kläger vom 03.01.2023 enthalten keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Der Senat hat das Vorbringen der Kläger zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, NJW 2021, 3525 Rn. 13; BGH, NZG 2022, 1255 Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 16.02.2022 – 101 Sch 60/21, BeckRS 2022, 2046 Rn. 50). Der Senat bleibt jedoch bei seiner in der Verfügung des Vorsitzenden vom 11.11.2022 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung. Soweit die Kläger der rechtlichen Einschätzung des Senats mit rechtlichen Ausführungen entgegentreten sind, ist lediglich ergänzend auszuführen wie folgt:
„Die Vorschrift des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO soll den Berufungsführer dazu anhalten, die angegriffene Entscheidung nicht nur im Ergebnis, sondern in der konkreten Begründung zu überprüfen und im Einzelnen darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen das angefochtene Urteil für unrichtig gehalten wird. Insofern reicht es nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (vgl. BGH, NZM 2022, 98 Rn. 13 ff.; BGH, Beschluss vom 25.09.2018 – XI ZB 7/17, BeckRS 2018, 26273 Rn. 10; BGH, NJW-RR 2017, 365 Rn. 10 m. w. N.).“
17
Den vorgenannten Anforderungen wird die Berufungsbegründung im Hinblick auf die selbständig tragende Begründung des Landgerichts zur Frage der Verhältnismäßigkeit/Zumutbarkeit der Beseitigung des Überbaus nicht gerecht. Soweit die Kläger vorgetragen haben, dass es sich bei der Ansicht des Landgerichts, dass die Beseitigungskosten im Vergleich zu der „eher geringen“ Überbauung unverhältnismäßig seien, um eine These des Landgerichts, aber keine Begründung handle, ist insoweit anzumerken, dass das erstinstanzliche Urteil unter Bezugnahme auf die vom Sachverständigen Dipl.-Ing. M. B. ermittelten Kosten des Überbaus in Höhe von 50.000,00 € brutto (vgl. Gutachten, S. 12, 14) und den Hinweis auf eine eher geringe Überbauung Ausführungen enthält, die mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das Landgericht im Hinblick auf den Beseitigungsanspruch der Klägerin zu 2) aus § 1004 Abs. 1 BGB (vgl. BeckOGK/Vollkommer, Stand: 01.11.2022, BGB § 912 Rn. 61) die Klageabweisung neben der Frage des Nichtvorliegens von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 912 Abs. 1 S. 1 BGB auch im Hinblick auf die von den Beklagten im Schriftsatz vom 29.12.2020, S. 3, zumindest konkludent erhobene Einrede des § 275 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, NJW 2008, 3123, 3124 f.; BeckOGK/Vollkommer, BGB § 912 Rn. 61), dass die Kosten der Beseitigung unverhältnismäßig seien, begründet hat. Insofern ist die Begründung des Landgerichts nicht angegriffen, da sich die Berufungsbegründung mit Rücksicht auf die nach § 275 Abs. 2 BGB zu treffende Abwägung – anders als das Landgericht – nicht mit den vom Sachverständigen ermittelten Kosten der Beseitigung bzw. dem Umfang des Überbaus auseinandersetzt.
III.
18
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
19
2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, §§ 47, 48 GKG.