Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 19.07.2023 – W 1 K 23.30277
Titel:

Unzulässiger Asylantrag eines in Griechenland anerkannten und dort fünf Jahre aufhältigen afghanischen Flüchtlings

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Die einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. zB OVG Saarlouis BeckRS 2022, 33026) geht davon aus, dass die tatsächliche Situation für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland die in der Rspr. des EGMR und des EuGH entwickelte besonders hohe Schwelle der für die Annahme einer Verletzung von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK erforderliche Erheblichkeit im Grundsatz erreicht. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Verstöße gegen Art. 4 GRCh im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewähr sind nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen, sondern führen bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung (BVerwG BeckRS 2020, 18319). (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Im Falle von geflüchteten Menschen sind weder das typische Fehlen familiärer Solidarität (EuGH BeckRS 2019, 3600 - Jawo) noch etwaige Mängel in Integrationsprogrammen ausreichende Grundlage und kein ernsthafter und durch Tatschen bestätigter Grund für die Annahme einer drohenden EMRK-Verletzung. (Rn. 20) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Der betroffene Asylbewerber bleibt für die ihm günstige Behauptung, ihm drohe in Griechenland unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh die Verelendung, darlegungspflichtig und materiell beweisbelastet (VGH Mannheim BeckRS 2023, 3324). (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Es liegt nahe, dass ein afghanischen Asylbewerber, der sich vor seine Einreise in die Bundesrepublik vier Jahre als Schutzberechtigter in Griechenland aufgehalten hat und dort im Bereich der Schattenwirtschaft seinen Lebensunterhalt erwirtschaftet hat, im Falle seiner Rückkehr nach Griechenland möglich sein wird, durch eigene Erwerbstätigkeit einen Lebensstandard zu erwirtschaften, der die Anforderungen der Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh nicht verletzt. (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Griechenland, anerkannt Schutzberechtigter, Einzelfall einer Bestätigung der Unzulässigkeitsentscheidung – langer Voraufenthalt mit Erwerbstätigkeit sowie fortbestehende Kontakte nach Griechenland, afghanischer Staatsangehöriger, Schutzgewähr, Sekundärmigration, Unzulässigkeitsentscheidung, nationale Abschiebungsverbote, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Beweislast, Schattenwirtschaft, Voraufenthalt
Fundstelle:
BeckRS 2023, 21050

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger wurde nach eigenen Angaben entweder am … … 2001 bzw. am … … 2001 geboren. Er sei afghanischer Staatsangehöriger schiitischer Religionszugehörigkeit und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er habe sein Heimatland im Laufe des Jahres 2017 verlassen und sei Ende 2017 nach Griechenland eingereist, wo sich vier Jahre lang aufgehalten habe, bevor er von dort aus über Italien am 9. Oktober 2021 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist; die Reise von Griechenland nach Deutschland habe etwa vier bis fünf Tage gedauert. In Deutschland hat der Kläger sodann am 29. Oktober 2021 einen Asylantrag gestellt.
2
Anhand eines Eurodac-Treffers der Kategorie 1 wurde am 11. Oktober 2021 festgestellt, dass der Kläger bereits am 1. August 2016 in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat und ihm dort am 17. August 2016 internationaler Schutz gewährt wurde. Mit Schreiben vom 24. Januar 2022 teilten die griechischen Behörden mit, dass dem Kläger am 5. Juli 2017 in der 2. Instanz Flüchtlingsschutz zuerkannt worden ist.
3
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für ... (im Folgenden: Bundesamt) gab der Kläger am 6. Dezember 2021 an, dass die Angaben über die Asylantragstellung und die Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland zutreffend seien. Er habe dort einen Aufenthaltstitel für sechs Monate und dann für drei Jahre erhalten (zuletzt gültig bis 14.09.2023). Er habe zwei Jahre lang auf Lesbos und zwei Jahre lang in Athen gelebt. Auf die Frage, wie der Kläger für seinen Lebensunterhalt gesorgt habe, gab er an, dass er während seines Aufenthalts auf Lesbos Geld vom griechischen Staat erhalten habe und während des Aufenthalts in Athen in der Landwirtschaft gearbeitet habe; er habe dort Orangen gepflückt und Unkraut gejätet. Er führte weiter aus, dass er in Griechenland keine Hilfe und Unterstützung erhalten habe. Er habe dort ein Jahr lang die Schule besucht. Nach dem Erhalt des Schulzeugnisses habe er keine Unterstützung mehr erhalten. Er habe versucht, bei verschiedenen Hilfsorganisationen Unterstützung zu erhalten, was jedoch nicht erfolgt sei. Insbesondere habe ihm Helios zugesichert, dass sie sich bei ihm meldeten, was jedoch nicht passiert sei. Erkrankungen habe er keine. Er habe in Deutschland zwei Onkel.
4
Mit Bescheid vom 9. Februar 2023, zugestellt am 4. Mai 2023, wurde der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls er nach Griechenland abgeschoben werde. Er dürfe nicht nach Afghanistan abgeschoben werden (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
5
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 11. Mai 2023 Klage erheben lassen. Er ließ auf die obergerichtliche Rechtsprechung verweisen, wonach die zu erwartenden Lebensverhältnisse in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh darstellten. Auf seine Angaben beim Bundesamt wurde verwiesen. Es liege in seinem Falle auch keine explizite Zusage zu seiner Betreuung vor. Das Bundesamt selbst treffe in ähnlich gelagerten Fällen, d.h. bei jungen gesunden Männern, anderslautende Entscheidungen.
6
In tatsächlicher Hinsicht ließ er ausführen, dass er trotz seiner relativ langen Aufenthaltsdauer in Griechenland, jedenfalls nunmehr, über keine soliden Kenntnisse der griechischen Sprache mehr verfüge. In den Flüchtlingslagern Moria und Mytilini, wo sich der Kläger zunächst aufgehalten habe, habe es keine Möglichkeit gegeben, die griechische Sprache zu erlernen. Im Jahr 2017 sei der Kläger dann nach Athen gekommen, wo er zunächst in einem Jugendheim untergebracht gewesen sei, für das er schließlich ein Aufenthaltsverbot erhalten habe. Die nächsten Monate bis etwa zum Frühling 2018 habe er auf der Straße verbracht. Sodann sei er in ein anderes Jugendheim aufgenommen worden und nach 3 Monaten in ein weiteres. In dieser Zeit habe der Kläger etwas griechisch gelernt. Als er zum 01.01.2019 volljährig geworden sei, habe er in ein anderes Haus in Athen ziehen müssen, wo er offiziell 3 Monate gelebt habe. Mithilfe eines befreundeten Betreuers habe er dann ein griechisches Reisedokument und eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Er habe es selbst mit Unterstützung einer griechischen Nichtregierungsorganisationen nicht geschafft, eine Wohnung zu finden. Daher sei er nachts immer illegal in die zuvor von ihm bewohnte Flüchtlingsunterkunft gegangen. Im Sommer 2019 habe er in Argos als Hilfsarbeiter Orangen und Oliven gepflückt und illegal einen Tageslohn von 20 EUR bekommen, von denen er 5 EUR an Miete für einen Bretterverschlag habe zahlen müssen.
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Anders als in den vom Bundesamt angeführten Referenzfällen habe der Kläger keine soziale Verwurzelung in Griechenland; das nicht ausreichende griechisch habe er mittlerweile größtenteils wieder vergessen. Die in Deutschland aufhältigen Onkel könnten eine finanzielle Unterstützung in Griechenland nicht gewährleisten. Soweit in den vom Bundesamt genannten Urteilen ausgeführt sei, dass die schwierigen sozialen Verhältnisse in Griechenland griechische Staatsangehörige in vergleichbarem Ausmaß träfen, sei dies unzutreffend. Die griechische Gesellschaft funktioniere nach wie vor als Kollektivgesellschaft, in der sich auch entfernte Verwandte bzw. Familienmitglieder gegenseitig in Notsituationen helfen würden. Staatliche Leistungen existierten de facto nicht. Die Eigenheimquote betrage etwa 80%; auf dem engen Mietmarkt müssten Höchstpreise gezahlt werden. Nachdem es dem Kläger in der Vergangenheit nicht gelungen sei, einer ordnungsgemäßen angemeldeten Arbeit nachzugehen, sei auch die Anmietung einer Wohnung unmöglich.
8
Der Kläger ließ zuletzt beantragen,
Der Bescheid der Beklagten vom 09.02.2023, zugestellt am 04.05.2023, wird, mit Ausnahme der in Nr. 3 Satz 4 getroffenen Feststellung, dass der Kläger nicht nach Afghanistan abgeschoben werden darf, aufgehoben.
9
Eine Vertreterin der Beklagten hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh wegen der zu erwartenden Lebensverhältnisse in Griechenland sei im konkreten Einzelfall des Klägers nicht erkennbar. Es handele sich bei ihm um einen jungen, gesunden und alleinstehenden Mann, der sich bereits von August 2016 bis Oktober 2021 (im Alter von 15 – 21 Jahren) in Griechenland aufgehalten habe. Der internationale Schutz sei bereits am 17.08.2016 gewährt worden, sodass er sich nahezu für die gesamte Zeit als Schutzberechtigter in Griechenland gelebt habe. Er habe dort für ein Jahr die Schule besucht, sodass davon auszugehen sei, dass er zumindest solide Kenntnisse der griechischen Sprache erworben habe und eine Integration in die griechische Gesellschaft erfolgt sei. Da sich der Kläger während der prägenden Zeit als Jugendlicher und junger Erwachsener in Griechenland aufgehalten habe, sei zu erwarten, dass er sich auch nach einer Rückkehr dort gut zurechtfinden werde. Auch habe er dort bereits 2 Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet. Hinsichtlich seiner Vorerfahrungen und seiner Arbeitsfähigkeit sei davon auszugehen, dass er auch künftig eine Beschäftigungsmöglichkeit finden werde. Weiter könne der Kläger sich in Griechenland durch seine Familienangehörigen in Afghanistan sowie 2 in Deutschland lebende Onkel unterstützen lassen. Auf Rechtsprechung wurde verwiesen.
11
Durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 15.05.2023 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamts vom 09.02.2023 angeordnet. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen, § 77 Abs. 3 AsylG.
12
Durch weiteren Beschluss des Gerichts vom 23.05.2023 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, § 76 AsylG.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren, im Verfahren W 1 S 23.30278 sowie der vorgelegten Bundesamtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

14
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in der Sache verhandelt und entschieden werden, da die Beteiligten rechtzeitig und ordnungsgemäß und unter Hinweis auf die Folge ihres Ausbleibens geladen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
15
Die zulässige Anfechtungsklage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 9. Februar 2023 ist zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
16
Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig im Hinblick auf die Zuerkennung internationalen Schutzes durch Griechenland als einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union konnte rechtmäßigerweise auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt werden.
17
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der inhaltlich Art. 33 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) entspricht, ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Zwar hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf diese Vorschrift berufen kann, wenn der Antragsteller, der internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat genießt, der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn in dem Schutz gewährenden Mitgliedstaat erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) zu erfahren (EuGH, Beschluss vom 13.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 [ECLI: EU: C: 2019: 964] – Rn. 35 ff.).
18
Das Gericht geht mit der – soweit erkennbar – einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. zuletzt OVG des Saarlandes, U.v. 15.11.2022 – 2 A 82/22; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 03.04.2023 – OVG 3 N 18/23; Sächs. OVG, U.v. 27.04.2022 – 5 A 492/21 A – juris Rn. 42; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 5.04.2021 – 11 A 2982/20.A –; Nds. OVG, U.v. 19.04.2021 – 10 LB 244/20 – juris Rn. 23; OVG Bremen, U.v. 16.11.2021 – 1 LB 371/21 – juris Rn. 29; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.01.2022 – A 4 S 2443/21 –, alle bei juris) davon aus, dass die tatsächliche Situation für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland die in der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH entwickelte besonders hohe Schwelle der für die Annahme einer Verletzung von Art. 4 GrCh, Art. 3 EMRK erforderlichen Erheblichkeit im Grundsatz erreicht (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 [ECLI: EU: C: 2019: 964] – Rn. 34 ff.; U.v. 19.03.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 [ECLI: EU: C: 2019: 219] – Rn. 90 ff.; U.v. 19.03.2019 – C-163/17 [ECLI: EU: C: 2019: 218] – Rn. 92 f.; EGMR <GK>, U.v. 21.01.2011 – Nr. 30696/09 [ECLI: CE: ECHR: 2011: …09] – M. S. S./Belgien und Griechenland – Rn. 253 ff.). Auf die weiterhin Gültigkeit beanspruchende umfangreiche Darstellung der Situation, auf die international schutzberechtigte Rückkehrer nach Griechenland treffen, insbesondere des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts im Urteil vom 27.04.2022 – 5 A 492/21 A – juris –, welches den Verfahrensbeteiligten bekannt ist und über die Erkenntnismittelliste zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen, § 77 Abs. 3 AsylG.
19
Bei einer in dieser Weise drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. ausdrücklich EuGH, B.v. 13.11.2019 – a.a.O. – Rn. 35). Damit ist geklärt, dass Verstöße gegen Art. 4 GrCh im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen sind, sondern bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung führen (BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35.19 –, juris Rn. 23).
20
Hinsichtlich der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt zwar nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, dass jeder Mitgliedstaat, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgehen kann, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Im Kontext des europäischen Asylsystems gilt deshalb die Vermutung, dass die Mitgliedstaaten den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der EMRK und der Charta entsprechen (vgl. EuGH, U.v. 19.03.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17- Rn. 84 f. und EuGH, U.v. 19.03.2019 – C-163/17- Rn. 80 f.). Diese Vermutung ist aber nicht unwiderlegbar, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Asylsystem in einem bestimmten Mitgliedstaat auf größere Funktionsstörungen stößt. Im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährten Schutzstandard der Grundrechte ist deshalb zu würdigen, ob in dem schutzgewährenden Mitgliedstaat entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. EuGH, U.v. 19.03.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 86 ff. und EuGH, U.v. 19.03.2019 – C-163/17- Rn. 83 ff.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt, sondern es muss eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werden, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Sie wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17- Rn. 92; EGMR <GK>, Urteil vom 21.01.2011 Rn. 254). Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17- Rn. 93). Im Falle von geflüchteten Menschen sind auch weder das typische Fehlen familiärer Solidarität (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17- Rn. 94) noch etwaige Mängel in Integrationsprogrammen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17- Rn. 96) ausreichende Grundlage und kein ernsthafter und durch Tatsachen bestätigter Grund für die Annahme einer entsprechenden drohenden EMRK-Verletzung.
21
Unter Umständen ist weiter auch die spezifische Situation des Betroffenen in den Blick zu nehmen und dabei zwischen gesunden und arbeitsfähigen Schutzberechtigten sowie vulnerablen Gruppen mit besonderer Verletzbarkeit (z. B. Kleinkinder, minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, Hochschwangere, erheblich Erkrankte etc.) zu unterscheiden (vgl. EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 – Rn. 95; Urteil vom 19.03.2019 – C-297/17 – Rn. 93). Bei Letzteren ist der Schutzbedarf naturgemäß höher, da ihnen kein so hohes Maß an Eigeninitiative zugemutet werden kann, wie etwa arbeitsfähigen alleinstehenden Männern (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 06.09.2019 – 4 LB 17/18 – juris Rn. 74 m.w.N., 162, 174; Beschluss vom 16.02.2021 – 4 LA 259/19 – juris Rn. 9). Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die einer vulnerablen Gruppe zumutbare Eigeninitiative generell nicht zum Erfolg führen kann (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 16.02.2021 – 4 LA 259/19 – juris Rn. 9).
22
Für die Gesamtwürdigung ist irrelevant, ob notwendige Hilfen vom Zielstaat, aus EU-Programmen, durch internationale Organisationen oder private Gruppen bereitgestellt werden, um die Situation äußerster materieller Armut, in die ein mittelloser Schutzberechtigter ohne private und familiäre Kontakte bei seiner Rückführung gelangen kann, abzuwenden (vgl. EGMR, B.v. 24.05.2018, N.T.P. u.a. v. Frankreich, 68862/13 Rn. 45 sowie OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 22.08.2018 – 3 L 50/17 – juris Rn. 17 unter Hinweis auf Thym, Rücküberstellung von Schutzberechtigten, NVwZ 2018, 609, 613). Insbesondere sind Unterstützungsleistungen von vor Ort tätiger nichtstaatlicher Hilfeorganisationen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 07.09.2021 – 1 C 3.21 – juris Leitsatz). Im Sinne der EMRK ist nicht das Bereitstellungssubjekt, sondern die tatsächliche Hilfestellung maßgeblich.
23
Die Würdigung hat auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben zu erfolgen und muss den Maßstäben an die Überzeugungsgewissheit aus § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO genügen (vgl. OVG Schleswig, U.v. 06.09.2019 – 4 LB 17/18 – juris Rn. 61 m.w.N.).
24
Dies zugrunde gelegt ist der oben zitierten – soweit ersichtlich – einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der erkennende Einzelrichter anschließt, zu entnehmen, dass für in Griechenland international Schutzberechtigte grundsätzlich – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – die ernsthafte Gefahr besteht, dass sie im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland ihre elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum nicht befriedigen können und so der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh ausgesetzt sind (vgl. etwa: OVG Sachsen, U.v. 27.04.2022 – 5 A 492/21 A – juris). Dies gilt im Falle einer Rückkehr anerkannt Schutzberechtigter nach Griechenland grundsätzlich nicht nur für vulnerable Personengruppen. Denn für die Annahme, von der für anerkannt Schutzberechtigte bestehenden Gefahr, in eine existenzielle Notlage zu geraten und obdachlos zu werden, seien alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige Personen ausgenommen, besteht keine hinreichende tatsächliche Grundlage (vgl. etwa: OVG Saarland, U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22 – juris). Der Kläger bleibt jedoch für die ihm günstige Behauptung, ihm drohe in Griechenland unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh die Verelendung darlegungspflichtig und materiell beweisbelastet (vgl. etwa: VGH Baden-Württemberg, U.v. 22.02.2023 – A 11 S 1329/20 – juris Rn. 210; VG Bremen, U.v. 23.02.2023 – 5 K 1434/22 – juris Rn. 34).
25
Die international schutzberechtigten Rückkehrern nach Griechenland nach der bestehenden Erkenntnismittellage in Übereinstimmung mit der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung drohenden unzumutbaren Lebensumstände, die grundsätzlich zur Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GrCh, Art. 3 EMRK führen, sind jedoch aufgrund der besonderen Umstände im Einzelfall des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Anders als die Mehrzahl der nach Griechenland zurückkehrenden Personen mit internationalem Schutzstatus wird dieser dort seine elementarsten Bedürfnisse befriedigen können. Insbesondere geht der erkennende Einzelrichter davon aus, dass der Kläger in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu erwirtschaften, so dass ihm auch trotz der fehlenden staatlichen und sonstigen Hilfen das ernsthafte Risiko, in eine Situation extremer materieller Not zu geraten und insbesondere keinen Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft zu erhalten, sich zu ernähren und zu waschen, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
26
Der Einzelfall des Klägers zeichnet sich – unter Zugrundelegung der Ausführungen des Klägers beim Bundesamt, schriftsätzlich im gerichtlichen Verfahren sowie im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung – in besonderer Weise dadurch aus, dass er sich in der Vergangenheit bereits für längere Zeit, konkret mehr als 5 Jahre lang, in Griechenland aufgehalten hat und zwar (mindestens) vom 01.08.2016, als er nach den nicht zu bezweifelnden Erkenntnissen aus der Eurodac-Datenbank einen Asylantrag in Griechenland gestellt hat, bis zu seiner Ausreise aus Griechenland Anfang Oktober 2021 (Einreise nach Deutschland am 19.10.2021; die Reise von Griechenland aus habe 4-5 Tage im Lkw gedauert). In Griechenland wurde ihm spätestens am 05.07.2017 internationaler Schutz zuerkannt (vgl. das Schreiben der griechischen Behörden vom 24.01.2022), sodass er jedenfalls mehr als 4 Jahre lang als anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland gelebt hat, wobei er als international Schutzberechtigter anfänglich noch von seiner Minderjährigkeit profitiert hat und aufgrund dessen bis zu seiner Volljährigkeit – nach eigenen Angaben im Schreiben vom 04.07.2023 am 01.01.2019 – noch auf die Unterstützung des griechischen Staates zumindest in Form von Unterkunft und Ernährung zurückgreifen konnte. In direktem Anschluss hat er sich dann noch 3 Monate legal in einer anderweitigen Unterkunft in Athen aufhalten dürfen. Sodann hat er von einem Bekannten die Telefonnummer eines potentiellen Arbeitgebers erhalten und mit diesem Kontakt aufgenommen, sodass er hieraus resultierend eine Arbeitsstelle in Argos bekommen hat. Er ist daher im Sommer 2019 nach Argos gegangen, wo er bis zu seiner Ausreise Anfang Oktober 2021 durchgängig gelebt und auf Plantagen in der Landwirtschaft gearbeitet hat, wenn nach seinen Angaben auch im Bereich der sog. Schattenwirtschaft (vgl. zur grds. Möglichkeit eines Verweises auf eine derartige Tätigkeit: BVerwG, B.v. 17.01.2022 – 1 B 66/21 – juris; B.v. 09.01.1998 – 9 B 1130/97 – juris); von dort herrschenden unzumutbaren Arbeitsbedingungen hat der Kläger nichts berichtet. Er hat darüber hinaus an der Arbeitsstelle – wenn auch unter einfachen Verhältnissen – eine Unterkunft gehabt, wobei von ihm weder konkret vorgetragen wurde noch anderweitig ersichtlich ist, dass es sich insoweit um eine unzumutbare, Art. 3 EMRK verletzende Unterbringung gehandelt hat. Er hat mit dem durch die genannte Tätigkeit erzielten Verdienst bis zu seiner Ausreise durchgängig nicht nur seinen laufenden Lebensunterhalt vollständig sicherstellen können, sondern hat zusätzlich noch 800,00 EUR ansparen können, um hieraus seine Weiterreise nach Deutschland aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Der Kläger hat überdies auch nicht angegeben, dass er während seines Voraufenthalts in Griechenland, insbesondere während des Zeitraums, in dem er auf sich selbst gestellt war, etwa Hunger gelitten oder sonstige existenzielle Bedürfnisse nicht hätte befriedigen können.
27
Darüber hinaus hat der Kläger in Griechenland – während seines Aufenthalts in Athen – nach Überzeugung des erkennenden Einzelrichters auch die griechische Sprache in einem Maße gelernt, um sich dort zurechtfinden und verständigen zu können. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung etwa bestätigt, dass er sich etwa beim Einkaufen habe verständigen können. Das Gericht geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass der Kläger nicht nur einen 4,5-monatigen Sprachkurs absolviert hat, wie er in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, sondern dass es sich insoweit um einen einjährigen Schulbesuch – er war seinerzeit minderjähriger unbegleiteter Flüchtling – gehandelt hat („er habe ein Schulzeugnis erhalten“), wie er bei seiner Anhörung beim Bundesamt angegeben hat, bei dem der Kläger bei lebensnaher Betrachtung profunde Kenntnisse der griechischen Sprache erworben hat. Hinsichtlich des abweichenden Vorbringens in der mündlichen Verhandlung geht das Gericht von einer asyltaktischen Darstellung aus, um Umfang und Tiefe der in Griechenland erworbenen Sprachkenntnisse tatsachenwidrig zu verschleiern und zu marginalisieren. So war der Kläger auf Vorhalt des Gerichts auch nicht in der Lage, die sich widersprechenden Angaben zur Dauer der Unterrichtung nachvollziehbar zu erläutern. Vielmehr hat er allein pauschal darauf beharrt, dass er auch beim Bundesamt gesagt habe, dass er (lediglich) einen 4,5 Monate dauernden Kurs besucht habe, was jedoch ausweislich der über die Bundesamtsanhörung erstellten Niederschrift vom 06.12.2021, die dem Kläger auch rückübersetzt wurde und deren Vollständigkeit und Korrektheit er unterschriftlich bestätigt hat, nicht den Tatsachen entspricht. Vor diesem Hintergrund geht das Gericht weiter davon aus, dass die Behauptung des Klägers, dass er seine griechischen Sprachkenntnisse seit er in Deutschland sei, bis auf etwa 10% vergessen habe, so nicht zutreffend ist, sondern dass der Kläger angesichts des einjährigen Schulbesuchs/Spracherwerbs sowie des mehrjährigen Aufenthalts in Griechenland mit einer realistischerweise anzunehmenden Sprachpraxis im jetzigen Rückkehrfalle nach Griechenland weiterhin auf grundlegende Kenntnisse der griechischen Sprache zurückgreifen kann, die er zudem dort in kürzerer Zeit und relativ einfach wieder auffrischen und erweitern könnte.
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Die vorstehend geschilderten Erkenntnisse zu dem rund 5-jährigen Voraufenthalt des Klägers in Griechenland und die hierbei von ihm erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen legen nach Überzeugung des Gerichts den Schluss nahe, dass es ihm auch nach seiner Rückkehr dorthin möglich sein wird, durch eigene Erwerbstätigkeit einen Lebensstandard zu erwirtschaften, der die Anforderungen der Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh nicht verletzt. Dies ergibt sich für den erkennenden Einzelrichter insbesondere daraus, dass der Kläger entsprechend seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung noch über 2 Bekannte in Griechenland verfügt, zu denen er auch aktuell – wenn auch sporadisch – noch Kontakt hält. Insoweit ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass es sich hierbei nach Angaben des Klägers um 2 Arbeitsvermittler handelt und es sich bei einem der beiden um die Person handelt, die ihm bereits bei seinem Voraufenthalt in Griechenland geholfen hat, ein griechisches Reisedokument und eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen (im Schriftsatz vom 04.07.2023 als „befreundeter Betreuer“ bezeichnet). Vor diesem Hintergrund wird es dem weiterhin uneingeschränkt arbeitsfähigen Kläger bei lebensnaher Betrachtung realistischerweise möglich sein, durch Kontaktaufnahme mit diesen beiden Personen (Arbeitsvermittler) alsbald an eine Arbeitsstelle zu gelangen, wo er – wie bei seinem früheren Aufenthalt – auch unterkommen könnte, wenn auch auf einfachem Standard. Auch die Erwerbsmöglichkeit bei seinem Voraufenthalt hat der Kläger über seine Kontakte in Griechenland erhalten und es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass ihm dies unter den nunmehr herrschenden Umständen nicht erneut gelingen wird.
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Überdies steht dieser Annahme auch nicht etwa entgegen, dass sich die Verhältnisse in Griechenland, insbesondere wirtschaftlicher Art, seit dem Voraufenthalt des Klägers und insbesondere seit der Zeit, in der er dort bereits in der Vergangenheit eigenständig seinen Lebensunterhalt sichergestellt hat (2019-2021), maßgeblich verschlechtert hätten. Hierbei ist auch zu bedenken, dass es der Kläger gerade in dem wirtschaftlich besonders problematischen Zeitraum während der Covid-19-Pandemie vermocht hat, seinen notwendigen Lebensunterhalt in Griechenland zu erwirtschaften. Die Arbeitslosenquote in Griechenland hat sich in den letzten Jahren vielmehr stetig verringert und ist von 17,9% im Jahr 2019 über 17,6% und 14,7% auf 12,5% in 2022 gesunken. Für 2023 wird eine Quote i.H.v. 12,2% und in 2024 von 11,8% erwartet, die in den Folgejahren noch weiter sinken soll (Statistik | Eurostat (europa.eu); Economic forecast for Greece (europa.eu); Griechenland – Arbeitslosenquote bis 2028 | Statista; Statistisches Länderprofil Griechenland (destatis.de)). Auch wenn Flüchtlinge aus Drittstaaten besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind, so zeigt sich hieran doch gleichwohl eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Situation, die sich positiv auch auf die Situation international Schutzberechtigter in Griechenland auswirkt. Auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ist von 2020-2022 spürbar gestiegen und für 2023 und 2024 wird ein weiterer Anstieg des BIP erwartet; im Hinblick auf die Inflation wird gleichzeitig ein deutlicher Rückgang prognostiziert (Statistics | Eurostat (europa.eu); Economic forecast for Greece (europa.eu)). Die griechische Wirtschaft erweist sich für das Jahr 2022 trotz des Krieges in der Ukraine als solide und robust. Laut Angaben der nationalen statistischen Behörde ELSTAT stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 5,9% und lag damit über allen Prognosen. Für das Gesamtjahr 2023 rechnet die Bank of Greece inzwischen mit einem Wachstum von 2,2%. Griechenland liegt damit über dem Durchschnitt in der EU und kommt mit den neuen Herausforderungen offenbar viel besser zurecht als die meisten anderen europäischen Staaten. Tourismus, Produktion und Einzelhandel sind die Haupttreiber der Wirtschaftsentwicklung. Alle Ratingagenturen sind sich einig, dass Griechenland im Jahr 2023 das ausgesprochene Ziel „Investment Grade“ erreicht. Dies würde die endgültige Rückkehr des Landes zu den internationalen Kreditmärkten bedeuten. Im August 2022 wurde die „erweiterte Überwachung“ der Hauptkreditgeber bereits eingestellt und Griechenlands Status als vollwertiges Mitglied der Eurozone wiederhergestellt. In den nächsten Jahren hat das Land Anspruch auf mehr als 70 Milliarden Euro an EU-Mitteln, von denen etwa die Hälfte (30,9 Milliarden Euro) im Rahmen des EU-Konjunkturprogramms (NGEU) bereitgestellt wird. Der Rest sind Strukturfondsmittel aus dem EU-Haushalt 2021-2027 (Griechenland: Wirtschaftslage – WKO.at). Unter diesen Rahmenbedingungen ist festzustellen, dass sich die Situation für den Kläger im Hinblick auf die Erlangung einer Erwerbsmöglichkeit sowie einer Unterkunft in Griechenland gegenüber der Zeit seines Voraufenthalts jedenfalls nicht verschlechtert hat.
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In der Gesamtschau liegen im Einzelfall des Klägers entsprechend der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung besondere Umstände vor, die im Falle seiner Rückkehr nach Griechenland eine Verletzung von Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh – abweichend vom Regelfall – nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Dies ergibt sich zusammenfassend insbesondere aus dem langen, über 5 Jahre währenden Voraufenthalt des Klägers in Griechenland, im Rahmen dessen er eine Vielzahl lebenspraktischer Erfahrungen über die griechische Gesellschaft und die dort geltenden Gepflogenheiten hat sammeln können, er profunde Kenntnisse der griechischen Sprache erworben hat (die der Kläger bei Rückkehr in kürzerer Zeit auffrischen und erweitern könnte) und es ihm – wenn auch sicherlich unter erheblicher Eigenanstrengung, die jedoch auch von ihm zu erwarten ist – gelungen ist, über bestehende Kontakte zeitnah nach der Einstellung der staatlichen Unterstützung seinen Lebensunterhalt eigenständig, vollständig und durchgängig bis zur Ausreise durch eine Erwerbstätigkeit im Landwirtschaftssektor zu erwirtschaften. Auch im jetzigen Rückkehrfalle wird der Kläger an diese Vorerfahrungen sowie seine dortigen Kontakte zu 2 Arbeitsvermittlern, mithin ein effektives und ausreichendes soziales Netzwerk, anknüpfen können, um nach seiner Wiedereinreise nach Griechenland seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken. Der Kläger hebt sich nach alledem deutlich von anderen in der veröffentlichten Rechtsprechung entschiedenen Fällen ab, wo solche Voraussetzungen jeweils nicht festgestellt wurden.
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Die unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides getroffene Feststellung des Fehlens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist aus den vorgenannten Gründen, auf die verwiesen wird, ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 Sätze 1-3 ist ebenfalls rechtmäßig, §§ 34, 35, 36 Abs. 1 AsylG. Schließlich ist auch das in Ziffer 4 getroffene Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG rechtmäßig. Das Verbot ist nach dem Gesetzeswortlaut zwingend anzuordnen. Die Festsetzung der Frist erfolgt nach § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessenswege. Die Beklagte hat ihr Ermessen vorliegend auch ausgeübt. Dass die festgesetzte Frist von 30 Monaten ab dem Tag der Abschiebung vorliegend ermessensfehlerhaft wäre, ist nicht erkennbar. Die Tatsache, dass der Kläger über 2 in Deutschland lebende Onkel verfügt, steht der Entscheidung nicht entgegen. Es wird insoweit auf die Begründung des Bescheides des Bundesamts vom 9. Februar 2023 verwiesen, § 77 Abs. 3 AsylG.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.