Titel:
unbegründete Asylklage (Myanmar - Einzelfall)
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Für einen myanmarischen Staatsangehörigen können bereits niederschwellige exilpolitische Aktivitäten (in Verbindung mit einer Asylantragstellung im Ausland) im Fall einer Rückkehr regelmäßig asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Myanmar, exilpolitische Betätigung, mangelnde Glaubhaftmachung, Existenzminimum
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20975
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weiter die Anerkennung als Asylberechtigter, sowie die Zuerkennung des subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten.
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Der Kläger, myanmarischer Staatsangehöriger, ausgewiesen durch Reisepass, nach eigenen Angaben der Volksgruppe der Mon zugehörig und buddhistischen Glaubens, reiste am 27.12.2019 mit dem Flugzeug aus Y. (Rangun) über Bangkok kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.2.2020 Asylantrag.
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Die persönliche Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im weiteren Bundesamt) fand am 20.10.2020 statt. Hier trug der Kläger im Wesentlichen vor, dass er sein Heimatland am 26.12.2019 verlassen habe und seine Frau, mit der er traditionell verheiratet sei, und seine Kinder, sowie sein Vater und seine Schwestern noch in My... leben würden. Er habe bis kurz vor seiner Ausreise im Dorf … in der Mon-Region gelebt. Vor seiner Reise habe er dann einige Tage in einem buddhistischen Kloster in Thailand sowie in My..., Y., gelebt. Er habe My... legal mit seinem Reisepass verlassen. In My... habe er die Schule bis einschließlich der zweiten Klasse besucht und habe etwa 10 Jahre lang auf einer Kautschukplantage gearbeitet. Die finanzielle Situation im Heimatland sei durchschnittlich gewesen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Kläger an, dass er auf einer Kautschukplantage in seinem Heimatdorf gearbeitet habe, welche genau zwischen dem burmesischen Militär und einer Station der Mon-Rebellen gelegen habe. Ab und zu sei die myanmarische Armee zu ihm gekommen um ihn zu fragen, wo sich die Rebellen befinden würden. Er habe nichts gesagt, weil es für ihn zu gefährlich gewesen wäre. Sie seien aber immer wieder gekommen und hätten ihn befragt. Es sei deshalb für ihn in seinem Dorf nicht mehr sicher gewesen und er sei in das thailändische Kloster gegangen. Dort habe das Militär keine Möglichkeit gehabt hinein zu gelangen. Sie hätten auch an seinem Arbeitsplatz nach ihm gesucht. Im Kloster habe er von seinen Schwierigkeiten erzählt und jemanden kennengelernt, der ihn mit dem Schleuser bekannt gemacht habe. Mit dessen Hilfe sei er dann ausgereist. Im Falle einer Rückkehr befürchte er vom myanmarischen Militär verhaftet und vielleicht auch umgebracht zu werden, da er ihnen die gewünschten Informationen nicht gegeben habe. Er habe nämlich sehr wohl gewusst, wo sich die Station der Rebellen befunden habe. Auf die Frage, ob er Kontakt zu den Rebellen gehabt habe, trug der Kläger vor, dass er selbst keinen Kontakt gehabt habe, sie sich aber immer wieder in der Nähe der Plantage aufgehalten hätten. Die Plantage sei etwa 10-15 Minuten Fußweg vom Dorf entfernt gewesen. Auf die Frage, wieso er ohne persönlichen Kontakt zu den Rebellen gewusst habe, wo deren Standort sei, antwortete der Kläger, dass er zusätzlich noch auf einem kleinen Bauernhof neben der Kautschukplantage gearbeitet habe. Die Rebellen hätten dort immer wieder Hühner mitgenommen, ohne sie zu bezahlen. Sie seien immer bewaffnet gewesen und hätten MonDialekt gesprochen. Einen Rebellen habe er gefragt, wo sich ihr Standort befinde. Dieser habe ihm gesagt, wo er wohne. Er solle es aber nicht weiter erzählen. Dieser Rebelle habe es ihm gesagt, weil sie beide vom Volk der Mon seien. Zum ersten Mal sei er vom Militär im November 2019 befragt worden. Das Militär sei erst seit Oktober 2019 in der Nähe ihres Dorfes stationiert gewesen. Seitens des Militär sei er nur an seinem Arbeitsplatz befragt, aber nicht bedroht oder festgenommen worden. Es seien auch noch andere Dorfbewohner vom Militär befragt worden. Weiter trug der Kläger vor, dass sie aus Angst vor dem Militär nicht in ein anderes Dorf umgezogen seien.
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Das Bundesamt lehnte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 10.11.2020 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) sowie den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) ab. Ferner lehnte es den Antrag auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde unter Abschiebungsandrohung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen und die Abschiebung nach My... oder einen anderen aufnahmebereiten Staat wurde ihm angedroht. Der Lauf der Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der Klagefrist (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 5). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Am 26.11.2020 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben. Auf die Klagebegründung wird Bezug genommen. Weiterhin trug er mit Schriftsatz vom 1.12.2022 vor, dass er an Demonstrationen in Deutschland gegen das Militärregime teilgenommen habe.
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2020, Az.: 8027547 -427, dem Kläger am 14.11.2020 zugestellt, wird aufgehoben.
2. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
3. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.
4. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen.
5. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird verpflichtet, hinsichtlich My... das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1/2 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Mit Beschluss vom 20.7.2022 hat die Kammer den Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakte, sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Kläger hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Es liegen auch keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes bzw. nationaler Abschiebungsverbote vor. Die von der Beklagten getroffenen Entscheidungen sind auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt zunächst den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug, § 77 Abs. 3 AsylG.
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I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Diese kann ihm nicht zuerkannt werden, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe außerhalb My...s befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat seine Heimat weder wegen einer Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen noch droht ihm bei einer Rückkehr eine solche.
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Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
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dem Staat,
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Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
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nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
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Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
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Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. Ihm droht auch nicht bei einer Rückkehr nach My... Verfolgung. Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend machen können. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG vom 21.7.1989 Az. 9 B 239/89).
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1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus My... ausgereist. Er hat keine konkreten gegen ihn gerichteten Vorverfolgungshandlungen glaubhaft vorgetragen. Die Angaben des Klägers zu seiner Fluchtgeschichte sind widersprüchlich und daher unglaubhaft. So trug er in der mündlichen Verhandlung vor, dass er vom Militär vor seiner Ausreise geschlagen und bedroht worden sei. Bei der Anhörung hingegen hatte er angegeben, dass er nur befragt worden, aber nicht bedroht worden sei. Auf Vorhalt des Gerichts erklärte der Kläger, dass er damals auch gesagt habe, dass er geschlagen worden sei, dies möglicherweise aber nicht übersetzt worden sei. Bei der Rückübersetzung habe er dem Dolmetscher gesagt, dass diese Angaben fehlen, dieser habe aber gemeint, dass das schon passen würde. Dies hält das Gericht für eine bloße Schutzbehauptung. Insbesondere erklärt es nicht, wieso er bei der Anhörung explizit angegeben hat, dass er nicht bedroht worden sei. Mangels ausreichender und überzeugender Erklärung liegt mithin eine unglaubhafte Steigerung in der Sachverhaltsdarstellung des Klägers vor. Weiterhin unglaubhaft ist der Vortrag des Klägers in Bezug auf die Kenntniserlangung vom Standort der Mon-Rebellen. Hierzu trug der Kläger in der Anhörung vor, dass diese immer zu einem Bauernhof gekommen seien, wo er gearbeitet habe, und Hühner mitgenommen hätten ohne sie zu bezahlen. In der mündlichen Verhandlung hingegen erzählte der Kläger, dass immer wieder Mon-Rebellen zu ihm gekommen seien, von unterschiedlichem militärischem Rang, und er habe ihnen kostenlos Reis gegeben. Auch diesen Widerspruch konnte er zur Überzeugung des Gerichts nicht aufklären. Er gab lediglich an, dass die Mon-Rebellen nicht stehlen würden, sondern nur das Militär. Das erklärt jedoch mitnichten die unterschiedlichen Angaben des Klägers. Schließlich wurden dem Kläger seine bei der Anhörung gemachten Angaben rückübersetzt und er hat auf dem Kontrollblatt deren Richtigkeit und Vollständigkeit durch seine Unterschrift bestätigt (vgl. Seite 90 der elektronischen Behördenakte).
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Aufgrund der aufgezeigten Widersprüche glaubt das Gericht dem Kläger seine Fluchtgeschichte nicht.
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Im Übrigen wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 3 AsylG.
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Weitere vorverfolgungsrelevante Handlungen hat der Kläger nicht vorgetragen.
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Damit steht zur Überzeugung der zur Entscheidung berufenen Einzelrichterin fest, dass der Kläger nicht vorverfolgt ausgereist ist.
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2. Dem Kläger droht auch nicht bei Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
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a) Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung, weil er im Ausland einen Asylantrag gestellt hat.
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Es liegen keine konkreten Erkenntnisse vor, ob angesichts der zwischenzeitlichen politischen Verhältnisse und Rechtslage in My... allein die illegale Ausreise oder die Asylantragstellung im Ausland bei einer Rückkehr nach My... mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer politischen Verfolgung führt (vgl. VG Frankfurt a.M., U.v. 30.9.2022 – 2 K 3682/21.F.A. – nicht veröffentlicht; VG Leipzig, U.v. 8.3.2022 – 8 K 44/21.A – juris, zweifelnd: VG München, B.v.25.3.2021 – M 7 S 21.30273 – juris, und VG München, B.v. 13.3.2023 – M 7 E 22.32447). Nach Auskünften bzw. Einschätzungen des Auswärtigen Amtes vom 16.8.2021 (an das Bundesamt) und vom 17.8.2021 (an das VG Gelsenkirchen) gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, dass eine vor dem 1.2.2021 im Ausland erfolgte Asylantragstellung einen pauschalen Straftatbestand nach jetzigem Recht darstellt. Es ist danach aber nicht auszuschließen, dass Personen, die nach dem Militärputsch ausgereist sind und anschließend einen Asylantrag gestellt haben, in dem sie sich auf diesen beziehen, nach einer Rückkehr nach My... verfolgt werden. Auch bereits vor der Machtergreifung des Militärs im Jahr 2021 konnte eine illegale Ausreise und/oder Wiedereinreise nach illegalem Auslandsaufenthalt eine Straftat nach myanmarischem Recht darstellen (Bundesamt, Briefing Notes, S. 27 m.w.N.), so dass es angesichts des zwischenzeitlich wieder bestehenden repressiven und brutalen Überwachungsstaates es wahrscheinlich scheint, dass eine intensive Überprüfung von Rückkehrern bei der Wiedereinreise erfolgt und Verfolgungsmaßnahmen allein wegen formaler Aspekte jedenfalls nicht fernliegend sind. Da der Kläger vor der Machtergreifung und mit einem Visum legal ausgereist ist, dürfte im Falle einer Rückkehr allerdings konkret eher kein Verdacht allein wegen der Ausreise und Wiedereinreise auf ihn fallen. Die Asylantragstellung erfolgte ebenfalls bereits weit vor dem 1.2.2021, so dass auch dies allein – falls die Antragstellung überhaupt bekannt geworden ist – keinen konkreten Verdacht erregen dürfte, politischer Gegenspieler zu sein.
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Gefahrerhöhende Umstände sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die exilpolitische Betätigung des Klägers nicht gefahrerhöhend zu berücksichtigen (siehe Ausführungen sogleich).
24
b) Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen seiner exilpolitischen Betätigung.
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Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese – anders als bei der Asylanerkennung – nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur. Für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet, vgl. § 28 Abs. 2 AsylG. Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG.
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Die aktuelle Lage stellt sich in My... nach den zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen (insbesondere Auswärtiges Amt, Sicherheitshinweise My..., Stand 12.10.2022, Amnesty International, My... 2021 vom 29.3.2022, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes Zusammenfassung, My... Januar bis Juni 2022 und Bundesamt, Länderreport My..., Stand 11/2021) derzeit, d.h. nach dem Militärputsch vom 1.2.2021 wie folgt dar:
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Seit dem Militärputsch vom 1.2.2021 wurden landesweit hochrangige Mitglieder der zuvor, d.h. seit 2015 regierenden Zivilregierung und der Zivilgesellschaft durch das Militär festgenommen. Das Militär hat unter Anordnung eines Ausnahmezustandes die Macht zurückerobert und teilweise das Kriegsrecht verhängt. Es ist zu Massenprotesten im ganzen Land gekommen. Die vormalige Regierung der Nationalen Einheit gründete daraufhin die Volkverteidigungskräfte und erklärte am 7.9.2021 den „Volksverteidigungskrieg“. Seitdem kommt es nahezu landesweit zu immer gewalttätigeren Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und bewaffneten Milizen. Durch die Militärregierung kam und kommt es zur gewaltsamen Tötung, Verhaftungen mit langen Haftstrafen in sehr hoher Zahl und unter unzureichenden Haftbedingungen, zu großen Fluchtbewegungen im Land, Brandschatzungen, Hinrichtungen und anderen erheblichen Menschenrechtsverletzungen, darunter auch an Unbeteiligten. Die Kritik an den Machthaber wird grundsätzlich verfolgt. Politische Betätigung einschließlich Äußerungen in sozialen Medien sind verboten. Humanitäre Hilfeleistungen werden von den Militärbehörden teilweise blockiert. Bis ca. März/April 2022 wird von etwa 12.000 getöteten Zivilpersonen ausgegangen, von über 550.000 Binnenflüchtlingen und über 10.000 politischen Gefangenen (Bundesamt Briefing Notes, S. 8 und 9). Es herrscht in My... seit 2021 (wie zuvor bis 2011) wieder ein äußert repressives und brutal vorgehendes System durch das Militär, ohne Meinungsfreiheit und unabhängige Justiz, mit erheblicher Überwachung durch einen Staatssicherheitsdienst unter Zuhilfenahme moderner technischer Mittel (so auch VG Leipzig, U.v. 16.2.2022 – 8 K 1429/20.A – juris, VG Minden, U.v. 11.3.2022 – 4 K 2492/19.A – juris). Eine Strafgesetzänderung vom 14.2.2021 kriminalisiert jegliche Kritik am Militär, der Militärregierung und dem Militärputsch. Wenn prodemokratische Aktivitäten, auch z. B. Posts über Facebook-Accounts festgestellt werden, ist mit Festnahmen und erheblichen Konsequenzen zu rechnen (Human Rights Watch, My...: Death of Activists in Custody vom 13.9.2022).
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Aufgrund des Überwachens von politischen Kritikern und des wohl auch zielgerichteten Suchens nach solchen und des strikten Unterbindens jeglicher politischer Meinungsäußerung und -Betätigung und des gegebenenfalls erheblich repressiven Vorgehens gegenüber Verdächtigen durch das zwischenzeitlich, nach zwei Jahren (wieder) etablierte Militärregime, ist davon auszugehen, dass kleinste Verdachtsmomente im Hinblick auf eine abweichende politische Meinung und Betätigung eine Verfolgung durch das Militärregimes i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nach sich ziehen. Aufgrund der aktuellen Erkenntnismittellage ist nicht davon auszugehen, dass das Militärregime zu einer relativierenden Bewertung exilpolitischer Tätigkeiten willens und in der Lage ist. Die neuere Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (z.B. VG Minden, U.v. 11.3.2022 – 4 K 2492/19.A – juris Rn. 68; VG Frankfurt a.M., U.v. 30.9.2022 – 2 K 3682/21.F.A.- nicht veröffentlicht; VG Leipzig, U.v. 8.3.2022 – 8 K 44/21.A – juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 31.3.2022 – 2a K 2117/19.A – juris; VG Ansbach, U.v. 18.10.2022 – AN 17 K 20.30763 – juris; VG Aachen, U.v. 20.1.2023 – 5 K 1321/20.A – juris; anders: etwa VG Augsburg, U.v. 22.6.2022 – Au 6 K 20.31360 juris) geht deshalb überwiegend davon aus, dass bereits niederschwellige exilpolitische Aktivitäten (in Verbindung mit einer Asylantragstellung im Ausland) im Fall einer Rückkehr regelmäßig asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen können. Dieser Beurteilung schließt sich die erkennende Einzelrichterin grundsätzlich an.
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Die Umstände im vorliegenden Fall führen jedoch nicht dazu, dass dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Der Kläger trug hierzu in der mündlichen Verhandlung vor, dass er an Demonstrationen in Deutschland gegen die Militärregierung teilgenommen und regierungskritische Beiträge auf Facebook geteilt habe. Jedoch ist das Gericht vorliegend davon überzeugt, dass dieses Verhalten des Klägers lediglich durch asyltaktische Gründe motiviert ist. Das erkennende Gericht ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls davon überzeugt, dass der Kläger absichtlich über seinen Facebook-Account regierungskritische Beiträge geteilt hat um angesichts der aktuellen Situation und des unberechenbaren Vorgehens der Militärregierung den Schutzstatus der Flüchtlingseigenschaft zu erlangen. Diese Einschätzung beruht auf den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der Inaugenscheinnahme des Facebook-Accounts des Klägers. Auf die Fragen des Gerichts betreffend die Demonstrationen konnte der Kläger großteils nicht einmal angeben, wo genau diese stattgefunden haben. Er gab schlicht an, dass er von Freunden mitgenommen worden sei. Dies zeigt, dass er kein Interesse an seinem Tun gehabt hat. Weiterhin konnte er auch kein genaues Datum nennen. Seine Angaben zu seiner politischen Überzeugung sind mehr als dürftig. Er konnte das Gericht so nicht davon überzeugen, dass er von dem überzeugt ist, für was er demonstriert hat. Auch der Umstand, dass er erst seit wenigen Monaten bei Facebook ist und er sich auch nicht selbst einen Facebook Account eingerichtet hat, sondern dies, nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung, Freunde von ihm veranlasst haben verstärkt den Eindruck rein asyltaktischen Vorgehens. Auffällig ist des Weiteren, dass der Kläger just wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung ein Video von einem Freund, dem Kläger im Verfahren RN 11 K 20.31714, von der Teilnahme an einer Demonstration, geteilt hat. Gleiches geschah am 6.2.2023 – das Verfahren war für den 8.2.2023 terminiert, musste jedoch kurzfristig verlegt werden. Nicht glaubhaft ist weiterhin der Vortrag des Klägers, dass er zuvor einen anderen Account gehabt habe, auf diesen aber nicht mehr Zugriff habe. Dies hält das Gericht für eine bloße Schutzbehauptung. Nachweise legte der Kläger hierzu nämlich nicht vor.
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Grundsätzlich ist im Hinblick auf die Systematik und den Wortlaut des § 28 AsylG durchaus zweifelhaft, ob ein rein asyltaktisches Vorgehen nach § 28 Abs. 1a AsylG einen Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft in solchen Fällen bewirken kann. Dagegen spricht wohl der Vergleich mit dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 AsylG, der lediglich für Folgeverfahren bei selbstgeschaffenen Fluchtgründen in der Regel einen Ausschluss der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft normiert. Zudem sieht § 28 Abs. 1a AsylG, der für den internationalen Schutz Anwendung findet, im Gegensatz zu § 28 Abs. 1 AsylG, der nur die Asylanerkennung betrifft, vor, dass selbstgeschaffene Umstände nicht auf einem Verhalten beruhen müssen, welches Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (vgl. zum Ganzen Hailbronner, Ausländerrecht, § 28 a AsylG, Rn. 28 ff.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Umstand, dass ein Verhalten aus rein asyltaktischen Gründen vorgenommen wurde, überhaupt nicht zu berücksichtigen wäre. Im Hinblick auf die Bewertung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung kann dies durchaus eine Rolle spielen. Denn jedenfalls setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen subjektiver Nachfluchtgründe voraus, dass die eine Verfolgungsgefahr begründenden Aktivitäten nach Ausreise aus dem Heimatland für den möglichen Verfolgungsakteur im Herkunftsland erkennbar sind bzw. diesem mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zur Kenntnis gelangen werden (vgl. OVG Lüneburg vom 14.3.2022, 4 LB 20/19). Andernfalls ist eine Verfolgungsgefahr unbegründet.
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Zwar hat der Kläger vorliegend – mutmaßlich aus asyltaktischen Gründen – regimekritische Beiträge öffentlich unter seinem Klarnamen auf Facebook geteilt. Jedoch hat er es selbst in der Hand diese exilpolitischen Aktivitäten nicht nur zu beenden, sondern auch aus dem Internet zu löschen. Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit verstreichen ließ die erkennende Einzelrichterin von der Ernsthaftigkeit seiner politischen Meinung zu überzeugen und aufgrund der Umstände des Einzelfalls von einem rein asyltaktischen Vorgehen auszugehen ist, ist dem Kläger auch zumutbar seinen Facebook-Account vor einer Rückführung zu löschen. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Militärregierung bisher von seinen Tätigkeiten Kenntnis erlangt hat. Da er bisher auch lediglich wenige Fotos in Facebook veröffentlicht und wenige Beiträge geteilt bzw. gepostet hat, ist auch nicht davon auszugehen, dass diese trotz Löschung weiterhin über das Internet zu finden sind bzw. diese mit dem Kläger in Verbindung gebracht werden können.
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II. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kam auch die Anerkennung als Asylberechtigter nicht in Betracht.
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III. Der Kläger hat aus diesen Gründen auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihm bei einer Rückkehr nach My... ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
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Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Alle drei Gefahrensituationen müssen auf das zielgerichtete Handeln einer Person oder Gruppe im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG zurückgehen; Defizite der allgemeinen Lebensumstände und Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems ohne zielgerichtete Anwendung auf den Ausländer (anders z.B. bei bewusster Vorenthaltung von verfügbarer Versorgung) genügen hierfür nicht (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 12 f.). Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.). Da der Kläger nicht substantiiert geltend gemacht hat, dass ihm die Todessstrafe i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG droht, ist hiervon nicht auszugehen.
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1. Weiterhin hat der Kläger eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begründen würde, nicht glaubhaft gemacht.
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Als Menschenrechtsverletzungen werden aus My... Folter, Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt sowie willkürliche Inhaftierungen – auch von politischen Akteuren und Journalisten – und strafrechtliche Verfolgungen durch die Regierung sowie unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger berichtet. Strenge Einschränkungen gelten hinsichtlich der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und der Tätigkeiten der Zivilgesellschaft sowie der Religionsfreiheit und der Bewegungsfreiheit, insbesondere für Rohingya (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 29; Amnesty International AI, Amnesty Report My... 2021 vom 29.3.2022).
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Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen werden aus den Unruhegebieten der Bundesstaaten Kachin und Shan gemeldet, insbesondere gegenüber der Volksgruppe der Rohingya; es kam auch zu Menschenrechtsverletzungen durch bewaffnete ethnische Gruppen wie zu Zwangsarbeit und Menschenhandel Erwachsener und Kinder sowie Rekrutierungen von Kindersoldaten. In Konfliktgebieten waren die Behörden nicht in der Lage, die Bevölkerung vor Tötungen, schweren Übergriffen und Vertreibung zu schützen (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 29, 46). Alle Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit oder deren Auferlegung sind gesetzlich verboten und Verstöße unter Strafe gestellt, aber für den Einsatz beim Militär und in Strafvollzugsanstalten sind sie erlaubt (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 30). Rechtliche Mechanismen, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen und zu verfolgen, werden selten genutzt und allgemein als unwirksam empfunden (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 30). Die Haftbedingungen für die geschätzt 100.000 Häftlinge (bei nur 66.000 Haftplätzen) in den ca. 47 Gefängnissen und ca. 48 Arbeitslagern in My... sind u.a. aufgrund unzureichenden Zugangs zu hochwertiger medizinischer Versorgung und Grundbedürfnissen wie Nahrung, Unterkunft und Hygiene weiterhin hart und manchmal lebensbedrohlich. Mehr als 20.000 Häftlinge verbüßen ihre Strafen in den über das Land verteilten Arbeitslagern, wobei sich die Häftlinge auch dafür entscheiden können, einen Teil ihrer Haftstrafe in Form von „harter Arbeit“ zu verbüßen – was von vielen als wünschenswerter angesehen wird. In vielen Gefängnissen werden Untersuchungshäftlinge zusammen mit verurteilten Häftlingen untergebracht, ausnahmsweise auch politische Gefangene (im Dezember 2019 74 politische Gefangene in Haft und 164 in Untersuchungshaft) mit gewöhnlichen Kriminellen untergebracht (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 34). Die Haftbedingungen im Bundesstaat Rakhine zählen zu den schlechtesten; Hunderte Rohingya wurden willkürlich festgenommen und ohne ordentliches Gerichtsverfahren in Haft und sonstigen Einrichtungen untergebracht, wo sie Folter und Misshandlungen durch Gefängnispersonal und Sicherheitsbeamten ausgesetzt waren. Die verhängten Informationsblockaden erschweren eine Überprüfung von Berichten über willkürliche Inhaftierungen, Folter und Todesfällen in Militärgewahrsam sowie über Gefängnisrevolten. Das IKRK (Internationale Komitee des Roten Kreuzes) hat nur bedingten Zugang zu Gefängnissen und Arbeitslagern und keinen Zugang zu militärischen Haftanstalten (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 35). Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts müssen die Haftbedingungen für Inhaftierungen insbesondere seit der Machtergreifung durch das Militär am 1.2.2021 als oft grausam und unzumutbar dargestellt werden; Berichte über Folterungen, sexuelle Übergriffe und schwere Fälle von Infizierung mit Krankheiten an inhaftierten Regimegegnern liegen vor (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 16.8.2021 an das BAMF, S. 2).
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Vorliegend ist aber nicht davon auszugehen, dass dem Kläger beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung mit Gefängnisstrafe droht. Schließlich ist er unverfolgt ausgereist und ihm droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Falle der Rückkehr. Seine Volkszugehörigkeit oder der Umstand, dass er im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, wirken sich insoweit nicht gefahrerhöhend aus. Gleiches gilt im Hinblick auf seine exilpolitische Betätigung. Auf die möglicherweise gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Haftbedingungen in My... kommt es daher nicht an. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verwiesen (s.I. 2.).
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2. Der Kläger hat eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts darstellte, nicht glaubhaft gemacht. Er stammt nicht und lebte auch zuletzt nicht in einer der von den aktuellen Auseinandersetzungen betroffenen Regionen My...s (vgl. hierzu BAMF, Briefing Notes Zusammenfassung My..., Juli bis Dezember 2022, 23.1.2023; https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/Zusammenfassungen/briefingnotes-zf-hj-2-2022-myanmar.pdf? blob=publicationFile& v=2).
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Der Kläger hielt sich bis zuletzt mit seiner Familie in der Region Mon auf. Dabei handelt es sich um eine der Regionen, die im Vergleich zu anderen Regionen wie Rakhine, Kayin oder Chin nicht so sehr von den Auseinandersetzungen zwischen Militär und Widerstandsgruppen betroffen ist. Er hat diesbezüglich auch nicht substantiiert vorgetragen, dass er fürchte Opfer der Auseinandersetzungen zu werden.
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III. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. Die Gefahren müssen ein Mindestmaß an Schwere unter Berücksichtigung der Gesamtumstände aufweisen. Eine bloße Verschlechterung der Lebensumstände oder Verringerung der Lebenserwartung im Zielstaat gegenüber den Verhältnissen im Aufenthaltsstaat genügt nicht; es muss sich vielmehr um einen so außergewöhnlichen Fall handeln, dass humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 10 f.). Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor.
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a) Der erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Kläger würde im Fall einer Abschiebung nach My... keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass seine elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. Er kann zu seiner Frau und seinen Kinder, welche bei seinem Vater leben, zurückkehren und sich am Lebensunterhalt beteiligen. Der Kläger hat nicht substantiiert vorgebracht, dass er den Familienunterhalt nicht sicherstellen könnte. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass seine Familie derzeit über eine Unterkunft verfügt und versorgt wird. Im Übrigen leben auch noch weitere Verwandte von ihm in My..., die ihn nach seiner Rückkehr unterstützen können.
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Der Lebensstandard für die Mehrheit der Menschen My...s ist als Vermächtnis der Isolationspolitik der früheren Regierungen und des wirtschaftlichen Missmanagements – schlechte Infrastruktur, Korruption, unterentwickelte Humanressourcen und unzureichender Zugang zu Kapital – weiterhin niedrig. My... ist ein ressourcenreiches Land, das über große Erdgasvorräte, Edelsteine und andere Rohstoffe und umfangreiche landwirtschaftliche Nutzflächen verfügt. Schätzungsweise zwei Drittel der Bevölkerung My...s sind in der Landwirtschaft beschäftigt, etwa ein Viertel im Dienstleistungssektor und unter zehn Prozent in der Industrie. Durch sein niedriges Bruttonationaleinkommen zählt das Land weiterhin zu den ärmsten der Welt; etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze. Die schlechte sozioökonomische Situation hat dazu geführt, dass viele My...en ins Ausland gehen; allein in Thailand leben schätzungsweise mehr als zwei Millionen Arbeitsmigranten, deren Überweisungen erheblich zum Bruttosozialprodukt des Landes beitragen (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 49 f.).
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Soziale Hilfen sind begrenzt; die Hauptverantwortung für die Bewältigung sozialer Probleme liegt nach wie vor bei den Familien; auch religiöse Einrichtungen wie eine Reihe von Klöstern unterhalten Schulen oder Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen. Eine der größten Nicht-Regierungs-Organisationen des Landes, die 1991 gegründete My... Maternal Child Welfare Association (MMCWA), bildet ein Gegengewicht gegen die Ortsverbände der von Aung San Suu Kyi geführten National League for Democracy (NLD) und nimmt in zahlreichen Regionen des Landes auch soziale Aufgaben wie die Versorgung von Kindern armer Familien und die Durchführung von Veranstaltungen zur Gesundheitsfürsorge wahr. Abgesehen von den Pensionskassen für Staatsbedienstete gibt es kein staatlich gestütztes Rentensystem. Auch Versicherungen können nur privat abgeschlossen werden (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 50).
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Ende 2020 gaben 83% der Haushalte in My... an, dass sich ihr Einkommen aufgrund der Pandemie im Durchschnitt fast halbiert hat, wodurch die Zahl der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Menschen um schätzungsweise 11% zunahm. Zu Beginn des Jahres 2021 waren fast eine Million Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Am 21.07.22 veröffentlichte die Weltbank einen Bericht, aus dem hervorging, dass die Wirtschaft 2021 um 18% im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft war und anderthalb Jahre nach dem Militärputsch vom 01.02.21 etwa 22 Mio. Menschen und damit rd. 40% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebten. Damit sei „fast ein Jahrzehnt der Armutsbekämpfung zunichte gemacht“ worden. Obwohl für 2022 ein Wirtschaftswachstum von 3% erwartet wird und einige Sektoren (verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe u. a.) sich in den letzten zwölf Monaten stabilisiert oder erholt haben, bleiben die Aussichten schwach. Die von der Inlandsnachfrage abhängigen Wirtschaftszweige leiden unter niedrigeren Haushaltseinkommen und steigenden Preisen, die landwirtschaftliche Produktion unter gestiegenen Inputpreisen, Transportstörungen und dem anhaltenden Konflikt. Der sprunghafte Anstieg der Inflation beeinträchtigt die Tätigkeit aller Unternehmen und die gestiegenen Ölpreise machen sich in einem deutlichen Anstieg der Kraftstoffpreise und damit der Transportkosten und der Kosten für den Betrieb von Dieselgeneratoren bemerkbar. Die Generatoren werden benötigt, um die wiederkehrenden Stromausfälle zu kompensieren. Es wird von einem durchschnittlichen Preisanstieg von 30 bis 70% bei Grundnahrungsmitteln als Folge der politischen Krise gepaart mit den Auswirkungen der Pandemie berichtet. Manche Lebensmittel kosteten anderthalb Jahre nach dem Putsch doppelt oder dreimal so viel wie zuvor, darunter Reis, Kartoffeln und Palmöl. Erwachsene in jedem fünften Haushalt schränken sich bei Mahlzeiten ein, damit ihre Kinder nicht hungern müssen und ein Drittel der Haushalte leiht sich Lebensmittel aus oder ist auf die Hilfe anderer angewiesen, um die eigene Ernährung zu sichern. Betroffen sind auch Haushalte mit mittlerem Einkommen, die vom Wirtschaftswachstum des Landes zwischen 2011 und dem Beginn der Pandemie profitiert haben. Am wahrscheinlichsten leiden Binnenvertriebene (landesweit über 1,2 Mio.; Stand: Juli 2022) und Angehörige ethnischer Minderheiten, insbesondere der Gemeinschaft der Rohingya, sowie Frauen, Kinder und Haushalte mit weiblichen Familienoberhäuptern unter Armut (vgl. BAMF, Länderreport My..., August 2022).
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Die medizinische Versorgung in My... ist schlecht. Das Gesundheitssystem in My... zählt zu den schlechtesten in ganz Asien. Es mangelt an medizinischen Geräten, ausgebildeten Ärzten und an Hygiene. Entgegen offizieller Angaben, wonach es in jeder Region ein größeres Krankenhaus gibt, erstreckt sich das Gesundheitssystem jedoch tatsächlich gerade einmal auf das zentrale Drittel des Landes. Im Süden ist eine ärztliche Behandlung kaum vorhanden. Schwerwiegende Erkrankungen von Personen mit entsprechendem Einkommen werden daher in Thailand oder in Europa behandelt (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 51). Das Sozialversicherungssystem des Landes ruht auf zwei Säulen: Einem Pensionssystem für Beamte und einem Sozialversicherungssystem zur Deckung der formellen Beschäftigung im privaten Sektor. Während die militärischen Organisationen für die soziale Sicherheit ihrer Soldaten sorgen, ist der Schutz für die übrige Bevölkerung mit weniger als zwei Millionen Versicherten unzureichend. „Staatenlose“ sind offiziell von einer Versorgung durch das Gesundheitssystem ausgeschlossen; die Gebiete ethnischer Minderheiten werden medizinisch vernachlässigt und das kaum vorhandene Personal ist chronisch unterbezahlt und überlastet. Auch die Versorgung mit den einfachsten Medikamenten gestaltet sich außerhalb der größeren Städte sehr schwierig. Generell wenden sich die Einwohner bei einer Erkrankung erst einmal an ihren traditionellen Heiler, denn Aufenthalte in den wenigen staatlichen Krankenhäusern sind kostenpflichtig und Angehörige verschulden sich daher schnell (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 51 f.). „Staatenlose“ sind offiziell von einer Gesundheitsversorgung ausgeschlossen (BFA, Länderinformationsblatt My... vom 8.7.2020 i.d.F.v. 2.4.2021 S. 52).
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Trotz dieser prekären Verhältnisse ist jedoch nicht davon auszugehen, dass der Kläger seine Existenz nicht sichern könnte. Er hat in My... bereits auf einer Kautschukplantage gearbeitet, ist gesund und arbeitsfähig. Es ist daher trotz seiner schlechten schulischen Bildung davon auszugehen, dass er wieder eine Arbeitsstelle finden wird. Außerdem lebt seine Familie noch in My..., so dass sie sich gegenseitig unterstützen können.
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b) Der Kläger würde im Fall einer Abschiebung nach My... auch nicht wegen der Asylantragstellung oder Ausreise unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Auf die o.g. Ausführungen wird verwiesen.
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2. Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist nicht ersichtlich. Hierzu wurde auch nichts vorgetragen.
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Im Übrigen begegnet der Bescheid keinen rechtlichen Bedenken.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.