Titel:
Kostentragung im Falle der erledigten Klage nach Untätigkeit der Datenschutzaufsichtsbehörde
Normenketten:
DS-GVO Art. 78 Abs. 2 Alt. 2
VwGO § 75, § 161 Abs. 3
Leitsätze:
1. Das Tätigwerden der Datenschutzaufsichtsbehörde im Rahmen einer Datenschutzbeschwerde nach Art. 77, Art. 78 DS-GVO ist nicht mittels Untätigkeitsklage, sondern im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Fällen, in denen die Datenschutzaufsichtsbehörde den Beschwerdeführer entgegen der Vorschrift des Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 DS-GVO nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand der Beschwerde in Kenntnis gesetzt und der Beschwerdeführer daraufhin deswegen Klage erhoben hat, ist § 161 Abs. 3 VwGO analog anzuwenden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenentscheidung analog § 161 Abs. 3 VwGO bei Erledigung des Rechtsstreits nach Untätigkeit der Datenschutzaufsichtsbehörde, Datenschutzbeschwerde, Untätigkeit, Kostenentscheidung, Erledigung des Rechtsstreits
Fundstellen:
BeckRS 2023, 20857
ZD-Beil 2024, 789
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
4. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt.
Gründe
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Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die fristgerechte Bearbeitung ihrer Datenschutzbeschwerde.
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Mit E-Mail vom 4. April 2019 beschwerte sich die Klägerin beim Beklagten über einen ihrer Meinung nach ihr gegenüber erfolgten Datenschutzverstoß durch ein Unternehmen. Hierauf erhielt die Klägerin zunächst keinerlei Eingangsbestätigung vom Beklagten oder sonstige Rückmeldung über eine Bearbeitung ihrer Beschwerde.
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Mit Schreiben vom 5. Juli 2019 hat die Klägerin daher die vorliegende Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass sie entgegen Art. 78 Abs. 2 DS-GVO vom Beklagten nicht innerhalb von drei Monaten über den Verfahrensstand ihrer Beschwerde unterrichtet oder ihr der Abschluss des Beschwerdeverfahrens mitgeteilt wurde.
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Daraufhin bearbeitete der Beklagte die Datenschutzbeschwerde der Klägerin und teilte ihr das Ergebnis mit Abschlussmitteilung vom 6. September 2019 mit.
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Hiernach erklärte die Klägerin den Rechtsstreit mit Schreiben vom 22. November 2019 für erledigt und beantragte, dem Beklagten die Kosten gemäß § 161 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, da es sich um eine Untätigkeitsklage in diesem Sinne gehandelt habe. Der Beklagte stimmte der Erledigungserklärung mit Schreiben vom 9. November 2022 zu unter Verwahrung gegen die Kostenlast, da es sich bei der E-Mail der Klägerin vom 5. April 2019 schon gar nicht um eine Beschwerde i.S.d. Art. 77, 78 DS-GVO gehandelt habe, da kein Datenschutzverstoß dargelegt worden sei.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, da die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
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1. Die Kosten des Verfahrens trägt vorliegend analog § 161 Abs. 3 VwGO der Beklagte.
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Entgegen der Ansicht der Klägerin war für die Kostenentscheidung § 161 Abs. 3 VwGO nicht direkt anwendbar, da es sich vorliegend nicht um eine Untätigkeitsklage i.S.d. § 161 Abs. 3, § 75 VwGO gehandelt hat. Denn das Klagebegehren der Klägerin richtete sich nicht auf eine bestimmte, als Verwaltungsakt zu qualifizierende Maßnahme seitens den Beklagten, sondern auf ein Tätigwerden des Beklagten im Rahmen ihrer Datenschutzbeschwerde nach Art. 77 f. DS-GVO. Daher war nicht die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO die hier statthafte Klageart, sondern die allgemeine Leistungsklage.
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§ 161 Abs. 3 VwGO ist auf den hier vorliegenden Fall aber analog anzuwenden, da es sich um eine Interessenlage handelt, welche der einer Untätigkeitsklage vergleichbar ist, für welche aber eine planwidrige Regelungslücke besteht.
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Für den Fall einer Klage nach Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 VwGO besteht hinsichtlich der Kostenentscheidung eine planwidrige Regelungslücke, da die §§ 154 ff. VwGO, welche über § 20 Abs. 2 BDSG auch im Fall einer Klage nach Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 VwGO zur Anwendung kommen, keine spezielle Kostenregelung für diese Klagekonstellation enthalten. Die Interessenlage ist in dieser Konstellation aber insgesamt mit der einer Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO vergleichbar, da beiden Fällen zugrunde liegt, dass eine Behörde pflichtwidrig nicht (rechtzeitig) tätig geworden ist.
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Daher ist in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Beklagte den Beschwerdeführer entgegen der Vorschrift des Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 DS-GVO nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand der Beschwerde in Kenntnis gesetzt hatte und der Beschwerdeführer daraufhin deswegen Klage erhoben hat, § 161 Abs. 3 VwGO analog anzuwenden.
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Die Voraussetzungen des § 161 Abs. 3 VwGO liegen hier vor. Die Klägerin durfte grundsätzlich aufgrund der Vorschrift des Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 VwGO damit rechnen, dass der Beklagte sie innerhalb von drei Monaten über den Stand ihrer Datenschutzbeschwerde vom 5. April 2019 in Kenntnis setzt. Entgegen der Ansicht des Beklagten handelte es sich bei dieser E-Mail der Klägerin auch um eine Beschwerde i.S.d. Art. 77, 78 DS-GVO, denn die Voraussetzungen an die bloße Einleitung eines Beschwerdeverfahrens dürfen im Sinne des hier bezweckten effektiven Rechtsbehelfs nicht überspannt werden. Die Klägerin hat in dieser E-Mail ausdrücklich einen Verstoß gegen das Kopplungsverbot (Art. 7 Abs. 4 DS-GVO) gerügt, sodass die Behandlung ihrer E-Mail als Beschwerde i.S.d. Art. 77, 78 DS-GVO mit der entsprechenden Unterrichtungspflicht aus Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 DS-GVO angezeigt gewesen wäre.
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Da die inhaltlichen Anforderungen an ein Inkenntnissetzen i.S.d. Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 DS-GVO wohl nicht allzu hoch sind, dürfte sich auch der behördliche Zeitaufwand hierfür in Grenzen halten und in der Regel innerhalb von drei Monaten umsetzbar sein. Es sind im vorliegenden Fall auch keine außergewöhnlichen Anhaltspunkte ersichtlich, die möglicherweise eine Verlängerung der starren Frist des Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 DS-GVO rechtfertigen könnten. Daher durfte die Klägerin analog § 161 Abs. 3 VwGO mit einem Tätigwerden des Beklagten vor Klageerhebung rechnen.
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Deswegen waren die Kosten des Verfahrens vorliegend analog § 161 Abs. 3 VwGO dem Beklagten aufzuerlegen.
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2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 51 Abs. 2 GKG. Da das Begehren der Klägerin allein auf die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens gerichtet war und somit hinter einem Begehren auf eine solche Durchführung eines Beschwerdeverfahrens einschließlich einer bestimmten behördlichen Entscheidung zurückbleibt, erscheint nach dem Ermessen des Gerichts die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe des hälftigen Auffangstreitwerts aus § 52 Abs. 2 GKG angemessen (§ 52 Abs. 1 GKG) (vgl. VG Ansbach, U.v. 12.10.2022 – AN 14 K 19.01728 – juris Rn. 48-50).
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3. Der Klägerin war auch Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe wird damit regelmäßig nur für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung gewährt. Ist das Hauptsacheverfahren, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, bereits durch Vergleich, Klagerücknahme oder – wie hier – beiderseitige Erledigungserklärungen beendet, scheidet die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich aus, da diese voraussetzt, dass die fragliche Rechtsverfolgung noch „beabsichtigt“ ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 166 Rn. 14; BayVGH, B.v. 13.7.2010 – 11 C 10.1212). Ausnahmsweise kommt eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe allerdings auch noch nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens in Betracht, wenn die antragstellende Partei bereits vorher alles Erforderliche für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe getan hat, also unter Vorlage der vorgeschriebenen und sonst erforderlichen Unterlagen einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt hat und sich neben den hinreichenden Erfolgsaussichten auch ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse damit zweifelsfrei – ohne ergänzende Erklärungen – beurteilen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2014 – 7 C 14.1020; B.v. 13.7.2010 – 11 C 10.1212; B.v. 8.1.2007 – 9 C 05.532; B.v. 12.12.2006 – 9 C 06.2407 – juris Rn. 13).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die Klägerin hat bereits vor der Erledigung der Hauptsache alles Erforderliche für die Prozesskostenhilfebewilligung getan, insbesondere eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Zwar ist die in diesem Verfahren vorgelegte Erklärung unvollständig gefaxt worden, jedoch konnte das Gericht hier die im Parallelverfahren der Klägerin unter dem Aktenzeichen AN 14 K 19.02093 zwei Tage zuvor eingereichte Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zugrunde legen, da auch diese, vollständige Erklärung dort schon vor Erledigung des hiesigen Rechtsstreits vorgelegt wurde.
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Auch hatte die beabsichtigte, nunmehr erledigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg, da der Beklagte die Klägerin wie oben ausgeführt nicht (rechtzeitig) über den Stand ihrer Beschwerde in Kenntnis gesetzt hat i.S.d. Art. 78 Abs. 2 Alt. 2 DS-GVO, sodass der Klägerin mit der erforderlichen gewissen Wahrscheinlichkeit (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26) ein Anspruch aus Art. 57 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO i.V.m. Art. 78 Abs. 2 DS-GVO gegen den Beklagten auf ein entsprechendes Tätigwerden (vgl. VG Ansbach, U.v. 12.10.2022 – AN 14 K 19.01728 – juris Rn. 37; U.v. 8.8.2019 – AN 14 K 19.00272 – juris Rn. 39 m.w.N.) zustand.