Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 20.07.2023 – 1 U 228/22
Titel:

Unzulässigkeit einer Stufenklage

Normenkette:
ZPO § 254
Leitsätze:
1. Eine Stufenklage gem. § 254 ZPO und damit die einstweilige Befreiung von der Bezifferungspflicht des § 253 Abs. 2 S. 2 ZPO ist nur statthaft, wenn die in der ersten Stufe begehrte Auskunft der Bestimmung des Leistungsanspruchs und nicht der Beschaffung von Informationen zu dessen Bestehen dient. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Kläger geht es um den Erhalt von Unterlagen, die eine Anspruchsprüfung erst ermöglichen sollen. Eine solche Informationsbeschaffung stellt eine reine unzulässige Ausforschung dar. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Umdeutung in eine objektive Klagehäufung nach § 260 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn nach dem Rechtsschutzziel der Klagepartei die Verbindung von Auskunfts- und Leistungsantrag derartig eng sein sollte, dass die gesamte Rechtsverfolgung mit dieser Stufung "stehen und fallen" sollte (vgl. BGH BeckRS 2000, 2971). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stufenklage, Ausforschung, Beitragsanpassung, Umdeutung
Vorinstanz:
LG Würzburg, Endurteil vom 20.07.2022 – 91 O 537/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20828

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 20.07.2022, Az. 91 O 537/22 Ver, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Endurteil des Landgerichts Würzburg sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil nicht gegeben ist.
II.
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Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung ist unbegründet.
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1. Die Klage ist insgesamt bereits unzulässig.
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a) Eine Stufenklage gemäß § 254 ZPO und damit die einstweilige Befreiung von der Bezifferungspflicht des § 253 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist nur statthaft, wo die in der ersten Stufe begehrte Auskunft der Bestimmung des Leistungsanspruchs, nicht der Beschaffung von Informationen zu dessen Bestehen dient (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 254 Rn. 4; Becker-Eberhard in MünchKomm ZPO, 6. Auflage 2020, § 254 Rn. 6 f., jeweils m. w. N.).
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aa) Vorliegend geht es dem Kläger indessen um den Erhalt von Unterlagen, die eine Anspruchsprüfung erst ermöglichen sollen. Eine solche Informationsbeschaffung stellt eine reine unzulässige Ausforschung dar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.11.2021, Az. 20 U 269/21, Rn. 5; OLG Dresden, Urteil vom 29.03.2022, Az. 4 U 1905/21, Rn. 62; OLG Nürnberg, Urteil vom 14. März 2022, Az. 8 U 2907/2, Rn. 33 f.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 04.05.2022, Az. 11 U 239/21, Rn. 3 f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.11.2022, Az. 12 U 305/21, Rn. 35). Es fehlt dem klägerischen Vorbringen nicht lediglich an einer Bezifferung, sondern schon an einer hinreichend substantiierten Beschreibung der Grundlage eines Rückzahlungsanspruchs und demzufolge an der Bestimmtheit des Antrags (vgl. OLG München, Beschluss vom 24.11.2021, Az. 14 U 6205/21, Rn. 71).
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bb) Der Kläger hat behauptet, von formell unwirksamen Beitragsanpassungen im Auskunftszeitraum betroffen zu sein, lediglich deren Höhe sei ihm unbekannt. Sein insoweit unsubstantiierter, auch widersprüchlicher und damit unschlüssiger Vortrag reicht jedoch nicht ansatzweise aus, um einen tatsächlich ihm zustehenden Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten schlüssig zu begründen. So stützt er seinen Vortrag nur auf allgemeine Erkenntnisse seines Prozessbevollmächtigten, dem beinahe alle Erhöhungsschreiben der Beklagten vorlägen und die nach dessen Ansicht formell unwirksam seien (vgl. Klageschrift S. 5 und 16 ff, Replik S. 5 sowie Berufungsbegründung S. 7). Konkrete Angaben zu dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag insbesondere dazu, in welchem Tarif bzw. in welchen Tarifen der Kläger im gegenständlichen Zeitraum versichert war und auch noch ist, fehlen völlig, ebenso wie konkrete Angaben dazu, zu welchem Zeitpunkt tatsächlich eine / oder mehrere Anpassungen ihm gegenüber erfolgt sein sollen, für die die vom BGH aufgestellten formalen Voraussetzungen des § 203 VVG gelten. Der Kläger hat zudem auch erklärt, die Beklagte habe „nahezu“ jährlich Anpassungen der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vorgenommen, woraus schon nicht zu sehen ist, dass es tatsächlich in jedem Jahr des angegebenen Zeitraums relevante Anpassungen in einem hier allein maßgeblichen Krankenversicherungstarif gegeben hat. Damit ist zu gegenüber dem Kläger beklagtenseits im Anpassungszeitraum tatsächlich vorgenommenen Beitragsanpassungen im Sinne von § 203 VVG nicht ansatzweise (weder hinsichtlich des Zeitpunktes noch des Tarifs) konkret vorgetragen; vielmehr erfolgten die Angaben schon auf tatsächlicher Ebene ersichtlich „ins Blaue hinein“. Aufgrund der vom Prozessbevollmächtigten geführten Datenbank vermutet der Kläger lediglich, dass auch etwaige Beitragsanpassungen in irgendeinem oder mehreren Tarifen irgendwann im gegenständlichen Zeitraum nicht den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügten, was aber für einen schlüssigen Vortrag zur Begründung eines Leistungs- / Zahlungsanspruchs nicht genügt.
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So, wie die Anträge formuliert und von ihm begründet sind, geht es dem Kläger gerade nicht um die bloße Bezifferung von dem Grunde nach bekannten Forderungen, sondern vorgelagert um die Möglichkeit, die Existenz von ihm gegenüber der Beklagten zustehenden Erstattungsansprüchen überhaupt erst zu prüfen.
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cc) Seitens des Klägers wird ferner nicht substantiiert dargelegt, dass er bislang von einer tatsächlichen oder gerichtlich festgestellten Unwirksamkeit von Beitragsanpassungen betroffen gewesen wäre, von der auf eine Unwirksamkeit weiterer Beitragsanpassungen geschlossen werden könnte. Der pauschale schriftsätzliche erstinstanzliche Vortrag (s.o.), der Kläger wisse, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des BGH die Beitragsanpassungsmitteilungen der Beklagten aus den Jahren 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022 formell mangelhaft seien, genügt insoweit nicht – abgesehen davon, dass es schon an jeglichen Vortrag zu vorangegangenen Anpassungen seit dem Jahr 2008 bis einschließlich 2012 fehlt. Auch hieraus ergibt sich der bloße Ausforschungscharakter der erhobenen Stufenklage.
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Aus diesem Grund liegt der in § 254 ZPO vorgesehene Ausnahmefall, in dem entgegen § 253 Abs. 2 ZPO von der Bezifferung eines Leistungsantrags abgesehen werden kann, nicht vor.
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b) Die Unzulässigkeit der Stufenklage hat in der konkreten Konstellation zur Folge, dass sämtliche zugehörigen Anträge unzulässig sind und insbesondere der Auskunftsantrag nicht isoliert als zulässig aufrechterhalten zu werden vermag.
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aa) Zwar kommt bei einer unzulässigen Stufenklage grundsätzlich eine Umdeutung in eine ungestufte objektive Klagehäufung gemäß § 260 ZPO in Betracht (vgl. Becker-Eberhard in MünchKomm ZPO, 6. Auflage 2020, § 254 Rn. 7). Dies gilt jedoch nicht, wenn nach dem Rechtsschutzziel der Klagepartei die Verbindung von Auskunfts- und Leistungsantrag derartig eng sein sollte, dass die gesamte Rechtsverfolgung mit dieser Stufung „stehen und fallen” sollte (vgl. BGH NJW 2000, 1645, 1646). So liegt es hier: Dient die nach der Konzeption des § 254 ZPO als bloßes Hilfsmittel für die (noch) ausstehende Bezifferung des Leistungsanspruchs anzusehende Auskunft dem alleinigen Zweck, die Prüfung und Durchsetzung etwaiger Erstattungsansprüche aus nicht bereits feststehenden, sondern lediglich in Betracht kommenden bzw. klägerseits vermuteten unwirksamen Beitragserhöhungen zu ermöglichen, ist für eine Umdeutung in eine objektive Klagehäufung mit isoliertem (zulässigem) Auskunftsantrag und weiteren unbestimmten (unzulässigen, § 253 Abs. 2 Satz 2 ZPO) Klageanträgen kein Raum. Für eine solch enge Verknüpfung von Auskunfts- und Leistungsantrag spricht auch der Umstand, dass die Rechtshängigkeit allein des Auskunftsantrags keine Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB für den Feststellungs- und den Leistungsanspruch herbeiführen würde; diese Wirkung kommt nur der Stufenklage zu (vgl. BGH, Urteil vom 24.01.2019, Az. IX ZR 233/17, Rn. 12). Nachdem die Frage der Verjährung für die Erfolgsaussichten der nach Erhalt der Auskunft beabsichtigten Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen – gerade bei länger zurückliegenden Beitragsanpassungen – von essentieller Bedeutung ist, hat der Kläger ein erhebliches Interesse daran, den Feststellungs- und den Leistungsantrag so früh wie möglich rechtshängig zu machen und die Auskunftsklage gerade nicht isoliert zu erheben. Dementsprechend bestand das mit der Stufenklage ursprünglich und eigentlich verfolgte Rechtsschutzziel neben der Beschaffung von Informationen fraglos darin, sich die Durchsetzbarkeit etwaiger Rückzahlungsansprüche aus Beitragsanpassungen der Jahre 2008 bis 2019 bereits ab 01.01.2020 zu sichern. Dies wäre durch eine isolierte Auskunftsklage von vornherein nicht zu erreichen gewesen.
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Dass mit der begehrten Auskunft (auch) ein anderer Zweck verfolgt wird, als die tatsächlichen Grundlagen einer vermeintlichen und nicht feststehenden unwirksamen Beitragsanpassung auszuforschen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein Rechtschutzbedürfnis für die begehrte Auskunft ist daher auch bei isolierter Betrachtung nicht dargetan.
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bb) Ohne dass es hierauf entscheidend ankommt, fehlt es auch an einem Nachweis, dass der Kläger nicht mehr im Besitz der begehrten Unterlagen ist. Der Kläger hat lediglich pauschal behauptet, die relevanten Unterlagen könnten in entschuldbarer Weise nicht mehr beigebracht werden, was beklagtenseits zutreffend als unschlüssig gerügt und mit Nichtwissen zulässig bestritten wurde. Der Kläger ist diesbezüglich jeglichen weiteren substantiierten Vortrag mit entsprechendem Beweisangebot schuldig geblieben, sodass unabhängig von den obigen Erwägungen ein Rechtschutzbedürfnis an der begehrten Auskunft nicht ersichtlich ist, worauf auch das Landgericht in seiner Entscheidung (LGU S. 7) abgestellt hat.
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cc) Im Übrigen ist der Auskunftsantrag als solcher auch zu weit gefasst und unbestimmt. Der Kläger muss zumindest wissen, in welchen Tarifen er aktuell versichert ist. Auch ist nicht ersichtlich, dass und warum der Kläger keine Kenntnis davon haben sollte, ob es in der Vergangenheit zu Tarifwechseln oder -beendigungen gekommen ist. Es wäre dem Kläger daher möglich und zumutbar gewesen, die Anträge auf die Anpassungen in den konkret genannten, relevanten Tarifen zu beschränken.
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c) Nach alledem sieht der Senat, abweichend von der landgerichtlichen Bewertung, die Stufenklage einschließlich sämtlicher zu ihr gehörenden einzelnen Anträge in der konkreten Konstellation insgesamt als unzulässig an (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 18.08.2022, Az. 7 U 429/21).
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2. Auf die Frage, ob ein (isolierter) Auskunftsanspruch überhaupt besteht (verneinend etwa OLG München, Beschluss vom 24.11.2021, Az. 14 U 6205/21; OLG Hamm, Beschluss vom 15.11.2021, Az. 20 U 269/21; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 04.05.2022, Az. 11 U 239/21), kommt es im Ergebnis nicht mehr an.
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Aus diesem Grund war auch eine Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO bis zur Klärung der Rechtsfrage, ob in vorliegender Konstellation ein Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO hergeleitet werden kann, nicht veranlasst.
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3. Die Nebenforderungen (Zinsen, Nutzungen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) teilen das Schicksal der Hauptforderung.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, weicht der Senat nicht von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ab. Es handelt sich um eine im Rahmen tatrichterlicher Würdigung getroffene Einzelfallentscheidung auf Grundlage des hier vorliegenden Sachvortrags der Parteien.