Titel:
Unanfechtbarkeit der gerichtlichen Billigung einer Zwischenvereinbarung über den Elternumgang
Normenketten:
FamFG § 24, § 38 Abs. 1 S. 1, § 52, § 54, § 57 S. 1, S. 2, § 58 Abs. 1, § 70 Abs. 4 § 84, § 156 Abs. 2
FamGKG § 41, § 45 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Wird in einem Verfahren zur elterlichen Sorge ein Umgangsvergleich geschlossen, so muss geklärt werden, ob dieser Vergleich eine einstweilige oder abschließende Einigung enthält. (Rn. 14 – 18)
2. Der Billigungsbeschluss eines solchen Vergleichs ist auch bei offenkundigen Fehlern nur anfechtbar, wenn der Vergleich nicht nur eine einstweilige Einigung enthält. (Rn. 20 – 23)
Bei einer anlässlich der Erörterung der einstweiligen Anordnung zur elterlichen Sorge zwischen den Eltern getroffenen „Zwischenvereinbarung“ über den Umgang des nichtbetreuenden Elternteils mit dem Kind handelt es sich um eine einstweilige Umgangsregelung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Umgangsvereinbarung, Zwischenvereinbarung, einstweilige Anordnung, Endentscheidung, begrenzte Anfechtbarkeit, Hauptsacheverfahren, planwidrige Gesetzeslücke, außerordentliche Beschwerde
Vorinstanz:
AG Erlangen, Beschluss vom 16.05.2023 – 2 F 357/23
Fundstellen:
MDR 2023, 1322
FamRZ 2024, 58
LSK 2023, 20826
BeckRS 2023, 20826
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Erlangen vom 16.05.2023, Az. 2 F 357/23, wird als unzulässig verworfen.
II. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Billigungsbeschluss hinsichtlich einer Umgangsvereinbarung.
2
Die Beteiligten sind die Eltern des sieben Jahre alten Sohnes L… und der fast vier Jahre alten Tochter T… Allein in diesem Jahr haben sie eine Vielzahl von Verfahren vor dem Amtsgericht Erlangen geführt, weil sie sich um Belange der Einschulung, des Kindergartens, der Gesundheitsfürsorge und über den Umgang des Vaters mit den beiden Kindern nicht einigen konnten.
3
Das Hauptsacheverfahren zur elterlichen Sorge wird unter dem Az. 2 F 153/23 geführt. Mit Beschluss vom 17.03.2023 hat das Familiengericht das Einholen eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens angeordnet. Ferner wird ein Hauptsacheverfahren zum Umgang mit dem Az. 2 F 268/23 geführt. Gemäß Beschluss des Familiengerichts vom 07.05.2023 soll auch in diesem Verfahren ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten erholt werden.
4
In dem Verfahren der einstweiligen Anordnung Az. 2 F 557/23 ging es um die Frage einer vorläufigen Regelung des Teilbereiches der elterlichen Sorge „Regelung der schulischen Angelegenheiten“ für L… Im Verfahren der einstweiligen Anordnung zur elterlichen Sorge hinsichtlich des Antrags der Kindesmutter auf einstweilige Anordnung zum alleinigen Auftragsbestimmungsrecht und alleinigen Gesundheitsfürsorge für beide Kinder (Az. 2 F 357/23) haben die Beteiligten am 05.05.2023 nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage sowohl in diesem als auch in den Verfahren 2 F 268/23 und 2 F 557/23 auch über anstehende Umgangstermine diskutiert. Sodann haben die Eltern folgende „Zwischenvereinbarung“ getroffen:
5
1. Der Kindsvater hat das Recht zum Umgang mit beiden Kindern L… und T… von 15. Mai Abholung Kindergarten bis 22. Mai zurückbringen Kindergarten, und vom 5. Juni, Übergabe um 9:00 Uhr am Abenteuerspielplatz Bruck bis 12. Juni, Abgabe Kindergarten.
6
2. Ab der KW 25 findet regelmäßiger 14-tägiger erweiterter Wochenendumgang statt in allen ungeraden Wochen von freitags, Abholung Kindergarten bis Mittwoch, Beginn Kindergarten mit beiden Kindern.
7
3. Ein Konsens hinsichtlich des Sommerferienumgangs kann bislang nicht gefunden werden.
8
Diese Vereinbarung ist laut diktiert, nochmals laut vorgespielt und allseits genehmigt worden.
9
Mit Schreiben vom 11.05.2023 hat die Antragstellerin [ohne Beteiligung ihres Bevollmächtigten] dem Familiengericht mitgeteilt, ihre Zustimmung zur Elterneinigung vom 05.05.2023 zu widerrufen und neue Vorschläge zur künftigen Gestaltung des Umgangs gemacht.
10
Mit Beschluss vom 16.05.2023 hat das Familiengericht den Vergleich vom 05.05.2023 gerichtlich gebilligt. In den Gründen führt es aus, dass die Umgangsregelung zu billigen sei, da sie dem Kindeswohl nicht widerspreche. Die Kindesanhörung habe ergeben, dass sich L… sogar – und das nun konstant seit über einem Jahr – längere Zeiten beim Vater wünsche. Auch T… habe im Rahmen der Anhörung in alterstypischer Weise ebenso positiv von den Zeiten im väterlichen Haushalt erzählt wie im mütterlichen Haushalt. Eine Präferenz zu einem Haushalt sei gerade nicht zu erkennen gewesen. Soweit die Zustimmung durch die Mutter nunmehr mit Schreiben vom 12.5.2023 widerrufen worden sei, sei dies unerheblich. Die ursprüngliche Zustimmung zur Vereinbarung sei verbindlich unter anwaltlicher Vertretung abgegeben worden. Für Abänderungen gälten die gesetzlichen Bestimmungen des § 166 FamFG i.V.m. § 1696 BGB.
11
Gegen diesen, ihrem Bevollmächtigten am 24.05.2023 zugestellten Billigungsbeschluss wendet sich die Antragstellerin mit am 22.06.2023 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde.
12
Der Senat hat die Beteiligten im Beschwerdeverfahren gebeten klarzustellen, ob es sich bei der zwischen den Eltern getroffenen „Zwischenvereinbarung“ vom 05.05.2023 um eine vorläufige Umgangsregelung handeln sollte. Nachdem – insoweit übereinstimmend – geschildert worden ist, dass lediglich eine vorläufige Regelung getroffen werden sollte, hat er auf die mögliche Unstatthaftigkeit der Beschwerde hingewiesen.
13
Gegen die Absicht des Senats, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wurden von den Beteiligten keine Einwände erhoben.
14
Die Beschwerde der Mutter ist als unzulässig zu verwerfen, da gegen den Billigungsbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Erlangen vom 16.05.2023 eine Beschwerde nicht statthaft ist (§ 57 S. 1 FamFG).
15
Gemäß § 57 Abs. 1 S. 1 FamFG sind Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen nicht anfechtbar.
16
1. Bei der anlässlich einer Erörterung der einstweiligen Anordnung zur elterlichen Sorge zwischen den Eltern getroffenen „Zwischenvereinbarung“ vom 05.05.2023 hat es sich um eine vorläufige und einstweilige Umgangsregelung gehandelt, welche allenfalls bis zum Abschluss des Umgangsverfahrens in der Hauptsache Gültigkeit haben sollte.
17
Zwar stellt ein die protokollierte Einigung über den Umgang mit dem Kind billigender Beschluss nach § 156 Abs. 2 FamFG wegen der dazu erforderlichen Kindeswohlprüfung eine Sachentscheidung und aufgrund seiner verfahrensbeendenden Wirkung eine Endentscheidung i. S. d. § 38 Abs. 1 S. 1 FamFG dar, so dass nach § 58 Abs. 1 FamFG die Beschwerde stattfindet (Göbel, in: Sternal FamFG 21. Aufl. § 58 Rn. 30).
18
2. Indes sind Entscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen nicht anfechtbar, § 57 S. 1 FamFG; die in S. 2 genannten Ausnahmen umfassen keine einstweilige Regelung des Umgangs.
19
a) Die gesetzlichen Ausnahmetatbestände des § 57 S. 2 FamFG sind abschließend. Die analoge Anwendung von Vorschriften durch die Gerichte findet da ihre Grenze, wo der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen hat; eine solche liegt im Fall des § 57 FamFG vor (vgl. Anm. Burschel, FamFR 2013, 140 zur Entscheidung OLG Saarbrücken FamRZ 2013, 1153; ebenso Dose/Kraft in: Dose/Kraft, Einstweiliger Rechtsschutz in Familiensachen, 4. Aufl. Kap. 7 Rn. 366). Denn die Änderungen des § 57 S. 2 FamFG in den Jahren 2009 und 2012 haben nicht zu einer Anfechtbarkeit von Umgangsregelungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung geführt. Eine planwidrige Lücke liegt daher jedenfalls nach der Gesetzesänderung des Jahres 2012 und den dort getroffenen Erweiterungen der Anfechtbarkeit bzw. den dort nicht vorgenommenen Erweiterungen der Anfechtbarkeit nicht mehr vor (hierzu eingehend OLG Saarbrücken FamRZ 2013, 1153; ebenso OLG Oldenburg FamRZ 2014, 1929). Das Amtsgericht hat nur eine vorläufige Regelung der Beteiligten gebilligt und damit einen Umgangsbeschluss in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung (mit fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung) erlassen.
20
b) Soweit hierzu – worauf die Antragstellerin zu Recht hingewiesen hat – auch die Meinung vertreten wird, dass es dennoch eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit bei offenkundigem Fehlen „jeder gesetzlicher Grundlage“ geben soll, was an der zitierten Stelle zudem als herrschende Meinung dargestellt wird (Seiler, in: Thomas/Putzo ZPO 44. Aufl. § 57 FamFG Rn. 4 unter Berufung auf OLG Hamm FamRZ 2005, 532; a.A. Feskorn, in: Zöller ZPO 34. Aufl. § 57 FamFG Rn. 2; Giers, in: Sternal FamFG 21. Aufl. § 57 Rn. 4; ders. in Giers, Einstweiliger Rechtsschutz in Familiensachen, 2. Aufl., Rn. 267; Schwonberg, in: Schulte-Bunert/Weinreich FamFG 7. Aufl. § 57 Rn. 6; Dürbeck, in: Prütting/Helms FamFG 6. Aufl. § 57 Rn. 2.; KG FamRZ 2007, 1259; OLG Celle FamRZ 2011, 574; OLG Jena FamRZ 2021, 1043), fehlt hierzu aber eine den Senat überzeugende Begründung.
21
(1) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits vor über zwanzig Jahren zu den von der Rechtsprechung teilweise außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffenen außerordentlichen Rechtsbehelfen schon allein deshalb Zweifel geäußert, weil sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht genügten. Rechtsbehelfe müssten in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein. Das Rechtsstaatsprinzip fordere, dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet. Wann dies der Fall ist, entscheide das Gesetz (BVerfGE 107, 395).
22
(2) Seit der ZPO-Reform (01.01.2002) sieht der Bundesgerichtshof die außerordentliche Beschwerde nicht mehr als statthaft an (vgl. BGH NJW 2002, 1577 und FamRZ 2003, 1550), weil keine planwidrige Gesetzeslücke mehr besteht, welche die Zulassung eines nicht im Gesetz geregelten Rechtsmittels rechtfertigen könnte (vgl. Anm. Greger, NJW 2017, 3089). Gleiches lässt sich, wie oben aufgezeigt, bezogen auf das FGG-Reformgesetz (01.09.2009) für das FamFG feststellen. Ausnahmen von der Unanfechtbarkeit im Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen sind nur für einzelne Angelegenheiten vorgesehen (vgl. Schwamb, in: Bumiller/Harders/Schwamb FamFG 13. Aufl. § 57 Rn. 6; Soyka, in Münchener Kommentar zum FamFG 3. Aufl. § 57 Rn. 3 f.; Kohlenberg, in: Johannsen/Henrich/Althammer Familienrecht 7. Aufl. § 57 FamFG Rn. 5).
23
Ein Ausgleich für die begrenzte Anfechtbarkeit ergibt sich aus der Möglichkeit, ein Hauptsacheverfahren einzuleiten (§ 52 Abs. 1 FamFG), einen Antrag auf Fristbestimmung zur Einleitung eines Hauptsacheverfahrens zu stellen (§ 52 Abs. 2 FamFG) oder die Einleitung des Hauptsacheverfahrens durch das Gericht anzuregen (§ 24 FamFG) oder im Rahmen des § 54 FamFG auf eine Aufhebung oder Änderung der Entscheidung hinzuwirken (vgl. Schwamb a.a.O. Rn. 2). Vorliegend ist das Hauptsacheverfahren zum Umgang längst eingeleitet worden.
24
(3) Unabhängig davon ist das vorliegende Verfahren nicht mit dem der oben genannten Kommentarstelle zugrunde liegenden Fall (OLG Hamm FamRZ 2005, 532) vergleichbar. Dort hatte das Amtsgericht durch einen im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens – nach mündlicher Verhandlung – angeordneten Ausschluss des Umgangs für die Dauer von 12 Monaten de facto in der Hauptsache entschieden und so eine ansonsten dort noch zu treffende – und dann beschwerdefähige – Entscheidung vorweggenommen.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung über die Festsetzung des Verfahrenswerts auf §§ 41, 45 Abs. 1 Nr. 2 FamGKG.
26
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 4 FamFG nicht zulässig (vgl. Heiß, in: Dutta/Jacoby/Schwab FamFG 4. Aufl. § 57 Rn. 16). Deshalb ist der Beschluss des Senats mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht angreifbar.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG):
Übergabe an die Geschäftsstelle Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 28.07.2023.
|