Titel:
Streitwertbeschwerde - Gegenstandswert für die Auskunftserteilung nach § 2 NachwG
Normenketten:
NachwG § 2, § 4
GKG § 48 Abs. 1
ZPO § 3
Leitsätze:
Der Antrag auf Erteilung eines Nachweises nach § 2 NachwG wird auch nach den zum 01.08.2022 in Kraft getretenen Änderungen des NachwG mit 10% einer Monatsvergütung bewertet. (Rn. 12 – 13)
Die in § 4 NachwG eingefügte Bußgeldregelung vermag keine höhere Wertfestsetzung für den Antrag auf Erteilung eines Nachweises nach § 2 NachwG begründen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wertfestsetzung, Streitwert, Gegenstandswert, Nachweis nach dem NachwG
Vorinstanz:
ArbG Kempten, Beschluss vom 04.05.2023 – 3 Ca 1886/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20823
Tenor
Die Beschwerde des Klägerinvertreters gegen den Gegenstandswertbeschluss des Arbeitsgerichts Kempten vom 04.05.2023 – 3 Ca 1886/22 – wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin begehrt im Beschwerdeverfahren die Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts für das Verfahren zur Berechnung seiner Anwaltsgebühren.
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Im Rahmen des Klageverfahrens wurde u.a. folgender Antrag gestellt:
„8. Die Beklagtenseite wird verurteilt, dem Kläger (richtig: der Klägerin) die wesentlichen Arbeitsbedingungen gemäß § 2 Abs. 1 NachwG schriftlich niederzulegen und zuzusenden.“
3
Das Verfahren endete durch gerichtlichen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO. Das Bruttomonatsgehalt der Klägerin betrug 2.300, 00 €.
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Auf Antrag des Klägerinvertreters hat das Arbeitsgericht Kempten durch Beschluss vom 04.05.2023 – 3 Ca 1886/22 – den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren gem. § 33 RVG auf 8.767,16 € festgesetzt. Den Antrag zu 8. bewertete es mit 10% einer Bruttomonatsvergütung, d. h. mit 230,00 €. Der ohne Rechtsmittelbelehrungversehene Beschluss wurde der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten formlos übersandt.
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Am 22.05.2023 hat der Klägerinvertreter im eigenen Namen Beschwerde eingelegt und beantragte hinsichtlich des Antrags zu 8. die Festsetzung von 1,5 Bruttomonatsgehältern, hilfsweise i. H. v. einem halben Bruttomonatsgehalt. Die Auskunftserteilung nach § 2 NachwG sei nicht mit Bescheinigungen etwa über sozialversicherungsrechtliche Vorgänge vergleichbar. Jedenfalls wäre bei Anwendung der Ziff. I. 7.1 des Streitwertkatalogs der Arbeitsgerichtsbarkeit für sämtliche 15 Einzelauskünfte/Einzelelemente einer Auskunft nach § 2 NachwG jeweils 10% einer Bruttomonatsvergütung festzusetzen.
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Durch Beschluss vom 16.06.2023 hat das Arbeitsgericht Kempten der Beschwerde des Klägerinvertreters nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Die Bewertung des Antrags zu 8. sei nach Ziff. I. 7.2 des Streitwertkatalogs der Arbeitsgerichtsbarkeit erfolgt, die auch im vorliegenden Einzelfall angemessen sei. Die Klägerin habe ausweislich der Anlage K1 über einen dreiseitigen schriftlichen Vertrag verfügt.
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Durch Beschluss vom 20.06.2023 wurde dem Klägerinvertreter und der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Stellungnahme der Klägerin ist nicht erfolgt. Im Rahmen seiner Stellungnahme hat der Klägerinvertreter darauf verwiesen, dass der Arbeitsvertrag nicht den gesamten Informationskatalog des § 2 NachwG abdecke. Die Wertfestsetzung von einem halben Bruttomonatsgehalt vertrete das LAG Baden-Württemberg.
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Im Übrigen wird für das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
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Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Die nach § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist formge recht eingelegt worden. Mangels schriftlicher Rechtsmittelbelehrunghat die zweiwöchige Beschwerdefrist nach § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG nicht begonnen, § 9 Abs. 5 S. 3 ArbGG; die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG wurde nicht überschritten. Der Beschwerdewert ist erreicht, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG.
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2. Die Beschwerde ist unbegründet. Der mit dem Klageantrag zu 8. geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Nachweises nach § 2 NachwG ist zutreffend mit 10% einer Bruttomonatsvergütung bewertet worden.
12
a) Nach Ziff. I. 7.2 des Streitwertkatalogs der Arbeitsgerichtsbarkeit (derzeitige Fas sung vom 09.02.2018, vgl. NZA 2018, 498), dem die seit dem 01.06.2023 für Streit- und Gegenstandswertbeschwerden allein zuständige Kammer 3 des LAG München im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit grundsätzlich folgt (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 –; zur Veröffentlichung bestimmt), ist der Nachweis nach dem NachwG grundsätzlich mit 10% einer Monatsvergütung zu bewerten. Dieser Empfehlung liegt die Erwägung zugrunde, dass ein solcher Wert dem nach § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO zu berücksichtigenden Interesse der Klagepartei auf bloße Festschreibung unstreitig geltender Arbeitsbedingungen zu etwaigen späteren Beweiszwecken ausreichend Rechnung trägt (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.01.2016 – 5 Ta 161/15 – unter II. 2.b) bb) (1) der Gründe).
13
An dieser Bewertung ist auch nach den zum 01.08.2022 in Kraft getretenen Änderungen des NachwG festzuhalten, die den Katalog der nachweispflichtigen Tatbestände in § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG um die Angabe zur Dauer der etwaigen Probezeit (Nr. 6), zur Überstundenvergütung (Nr. 7), zu Ruhepausen und -zeiten, Schichtsystem und -rhythmus, Voraussetzungen für Schichtänderungen (Nr. 8), zu wesentlichen, konkret aufgezählten Inhalten bei Vereinbarung der Arbeit auf Abruf (Nr. 9), zur Möglichkeit der Überstundenanordnung und dessen Voraussetzungen (Nr. 10), zum Anspruch auf Fortbildung (Nr. 12), zum Versorgungsträger bei gegebenenfalls angebotener betrieblicher Altersversorgung (Nr. 13) und zu dem bei einer Kündigung einzuhaltenden Verfahren (Nr. 14) ergänzt und eine Bußgeldvorschrift in § 4 NachwG eingefügt haben (vgl. zu den Einzelheiten der Änderungen etwa Kolbe, Mehr als ein neues Nachweisrecht – Zur Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie in das deutsche Recht, EuZA 2023, S. 3 ff..; Preis/Schulze: Die Reform des Nachweisgesetzes, NJW 2022, 2297 ff.). Zwar wird vertreten, dass die Bedeutung des Nachweises durch die Neufassung, das Bußgeld und auch die Komplexität der Regelungen erheblich gestiegen sei, wodurch ohne Weiteres mindestens ein Bruttomonatsgehalt als Streitwert gerechtfertigt sei (so. BeckOK ArbR/Besgen, 68. Ed. 1.6.2023, NachwG § 2 Rn. 114).
14
Diese Auffassung überzeugt indessen nicht. Der Nachweis gibt dem Arbeitnehmer bzw. der Arbeitnehmerin schriftlich Auskunft über die vereinbarten Arbeitsbedingungen und dient solchermaßen ihrer Beweissicherung (vgl. ErfK/Preis, 23. Aufl. 2023, NachwG § 1 Rn. 2).
15
Im Rahmen der Bewertung eines Auskunftsverlangens ist anerkannt, dass der Wert des Auskunftsanspruchs nicht identisch ist mit dem des Leistungsanspruchs, sondern in der Regel einen Bruchteil desselben beträgt, da die Auskunft die Geltendmachung dieses Anspruchs erst vorbereiten und erleichtern soll. Die Rechtsprechung nimmt den Bruchteil mit 1/4 bis 1/10 des Leistungsanspruchs an (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2014 – III ZR 75/13 – Rn. 9). Der Streitwertkatalog der Arbeitsgerichtsbarkeit – Stand 09.02.2018 – bemisst das Auskunftsersuchen nach Ziff. I. 10.1.mit 10% bis 50% eines zu erwartenden Leistungsantrags, je nach Bedeutung der Auskunft für die klagende Partei im Hinblick auf die Durchsetzung eines Zahlungsanspruchs. Hat der geltend gemachte Nachweisanspruch keinen unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Leistungsanspruch, geht es um das bloße Informationsinteresse der Klagepartei an den vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses. Da die Monatsvergütung den Wert des Arbeitsverhältnisses in besonderem Maße prägt und die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit für ein Anknüpfen an das jeweilige Monatseinkommen bei der Bewertung arbeitsrechtlicher Ansprüche, die nicht auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet sind, sprechen (vgl. LAG BadenWürttemberg, Beschluss vom 18.01.2016 – 5 Ta 161/15 – unter II. 2. a) aa) der Gründe), ist der Anspruch auf Nachweis nach dem NachwG in diesem Fällen ausreichend mit 10% einer Monatsvergütung abgebildet. Die Festsetzung mit nur 10% rechtfertigt sich dabei unter dem Gesichtspunkt, dass auch nach Änderung des NachwG der Nachweis lediglich deklaratorische Wirkung hat (vgl. Preis/Schulze, a.a.O., Rn. 4). Dieser Wertfestsetzung im Regelfall entspricht die Einschätzung, dass ein Arbeitnehmer zumeist kein Interesse daran hat, seinen Erfüllungsanspruch einzuklagen (vgl. Preis/Schulze, a.a.O., Rn. 17).
16
Die Einfügung der Bußgeldregelung in § 4 NachwG vermag keine höhere Wertfestsetzung begründen. Die Bußgeldvorschrift hat keinen Einfluss auf das Interesse des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin an der Unterrichtung über die wesentlichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses. Sie soll in Umsetzung des Art. 19 ArbeitsbedingungenRL das bestehende Interesse schützen. Die Komplexität der Regelungen betrifft das Abwehrinteresse des Arbeitgebers an dem begehrten Nachweis, das in erster Linie durch den voraussichtlichen Aufwand an Zeit und Kosten bestimmt wird, der für ihn mit der Nachweiserstellung verbunden ist. Bei Auskunftsverlangen ist zwischen dem Interesse der Klagepartei und dem Abwehrinteresse der unterliegenden Beklagtenpartei in der Rechtsmittelinstanz zu unterscheiden (vgl. Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 3 ZPO, Rn.16.28 „Auskunft“).
17
Schließlich vertritt auch das LAG Baden-Württemberg, dessen Entscheidung der Klägerinvertreter im Übrigen nicht zitiert hat, für den Fall der bloßen Festschreibung unstreitig geltender Arbeitsbedingungen zu etwaigen späteren Beweiszwecken keine andere Auffassung. Es hielt vielmehr eine abweichende Wertfestsetzung in Fällen geboten, in denen ein offener Streit über wesentliche inhaltliche Fragen des Arbeitsverhältnisses (Höhe der Vergütung, Verpflichtung zur Leistung von Überstunden, Nacht-, Sonntags- und Feiertagstätigkeit, Vorbehalte betreffend die Sonderzahlung und das Entstehen einer betrieblichen Übung sowie die Nichtanwendbarkeit tariflicher Regelungen auf das Arbeitsverhältnis) im Gewand der Berichtigung eines Nachweises gemäß § 2 NachwG ausgetragen wird (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.01.2016 – 5 Ta 161/15 II. 2. b) bb) (1)) .
18
b) Danach war für den Antrag zu 8 wie geschehen nur ein Wert in Höhe von 10 5 der Monatsvergütung der Klägerin festzusetzen.
19
Der Antrag auf Niederlegung und Zusendung der wesentlichen Arbeitsbedingungen nach § 2 NachwG wurde in der Klageschrift nicht zu einem sonstigen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis in Bezug gesetzt. Im Gegenteil war die Klägerin in der Lage, ihre Ansprüche auf Vergütung und Urlaubsabgeltung gerichtlich geltend zu machen.
20
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil Kosten nicht erstattet werden, § 33 Abs. 9 RVG. Aufgrund der Zurückweisung der Beschwerde hat der Klägerinvertreter die angefallene Gebühr, Nr. 8614 KV GKG, zu tragen.IV.
21
Diese Entscheidung, die gem. § 78 S. 3 ArbGG durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer allein ergeht, ist unanfechtbar, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG (vgl. zur Vorgängerbestimmung des § 10 Abs. 2 Satz 2 BRAGO BAG, Beschluss vom 17.03.2003 – 2 AZB 21/02 – NZA 2003, 682).