Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 26.07.2023 – 3 Ta 123/23
Titel:

Vergleichsmehrwert bei Regelung über eine variable Vergütung

Normenketten:
RVGVV Nr. 1000
ZPO § 278 Abs. 6
RVG § 33
Leitsätze:
1. Ein Vergleichsmehrwert fällt nur dann an, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. (Rn. 11)
2. Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers können den Vergleichswert erhöhen, wenn der Arbeitgeber meint, er sei zur Entgeltzahlung nicht verpflichtet, und der Vergleich über sie eine Regelung trifft. (Rn. 12)
Treffen die Parteien des Arbeitsvertrags über einen Anspruch auf Zahlung einer variablen Vergütung eine vergleichsweise Regelung, so fällt ein Vergleichsmehrwert nicht an, wenn der Arbeitnehmer dennoch erneut Klage erheben müsste, um die variable Vergütung ausgezahlt zu erhalten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wertfestsetzung, Gegenstandswert, Streitwert, Vergleich, Mehrwert, Vergütungsansprüche
Vorinstanz:
ArbG München, Beschluss vom 09.02.2023 – 35 Ca 10472/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20819

Tenor

Die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Gegenstandswertbeschluss des Arbeitsgerichts München vom 09.02.2023 – 35 Ca 10472/22 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers begehrt im Beschwerdeverfahren die Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts des Vergleichs zur Berechnung seiner Anwaltsgebühren.
2
Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens hat das Arbeitsgericht München durch Beschluss vom 19.12.2022 einen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt, der neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2023 u.a. folgende Vereinbarung enthielt:
„2. …
Dem Kläger wird die variable Vergütung (Scorcard) für das Jahr 2022 gemäß Zielerreichung spätestens mit der Gehaltsabrechnung März 2023 ausgezahlt. Die Parteien sind sich einig, dass der Kläger für das Jahr 2023 keinen Anspruch auf die variable Vergütung hat.“
3
Auf Antrag des Klägervertreters hat das Arbeitsgericht München durch Beschluss vom 09.02.2023 – 35 Ca 10472/22 – den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren antragsgemäß auf 54.400,00 € und für den Vergleich auf 82.000,00 € festgesetzt. Soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung, hat es für die Einigung, dass der Kläger für das Jahr 2023 keinen Anspruch auf die variable Vergütung habe, 10.000,00 € festgesetzt, die sich aus 4/12 der jährlichen variablen Vergütung von 30.000,00 € errechneten. Ein weitergehender Vergleichsmehrwert sei nicht festzusetzen. Ein solcher sei nur dann zu berücksichtigen, wenn der Vergleich über die deklaratorische Feststellung der Rechtsfolgen der arbeitsvertraglichen Rechtsbeziehungen hinaus Vergleichsinhalte aufweise, die zumindest ein Titulierungsinteresse begründen könnten. Dies sei hinsichtlich der Regelung zur variablen Vergütung für 2022 nicht der Fall.
4
Gegen den ihm am 10.02.2023 zugestellten Beschluss hat der Klägervertreter am 23.02.2023 im eigenen Namen Beschwerde eingelegt. Die variable Vergütung sei für die Jahre 2022 und 2023 streitig gewesen. Die Beklagte habe überhaupt keine variable Vergütung mehr zahlen wollen.
5
Durch Beschluss vom 31.05.2023 – 35 Ca 10472/22 – hat das Arbeitsgericht München der Beschwerde des Klägervertreters nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Hinsichtlich der variablen Vergütung für das Jahr 2022 weise der Vergleich lediglich die Feststellung auf, dass dem Kläger die variable Vergütung gemäß Zielerreichung ausgezahlt werde. Dies stelle lediglich eine deklaratorische Feststellung der Rechtsfolgen der arbeitsvertraglichen Regelungen dar und sei mangels Bezifferung auch nicht vollstreckbar.
6
Durch Beschluss vom 20.06.2023 wurde dem Klägervertreter und dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Stellungnahme des Klägers ist nicht erfolgt. Im Rahmen seiner Stellungnahme hat der Klägervertreter begehrt, die variable Vergütung für das Jahr 2022 mit 30.000,00 € zu berücksichtigen. Sie sei zwischen den Parteien grundsätzlich streitig gewesen.
7
Im Übrigen wird für das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II.
8
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
9
1. Die nach § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden, insbesondere wurde die zweiwöchige Beschwerdefrist, § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG, gewahrt. Der Beschwerdewert ist erreicht, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG.
10
2. Die Beschwerde ist unbegründet. Der Gegenstandswert für den Vergleich ist durch das Arbeitsgericht mit 82.000,00 € in zutreffender Höhe festgesetzt worden.
11
a) Eine Einigungsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit fällt gem. Nr. 1000 VV RVG (An lage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages an, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Dem tragen die Regelungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs 2018 Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert anfällt, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses.
12
Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers können den Vergleichswert erhöhen, wenn der Arbeitgeber meint, er sei zur Entgeltzahlung nicht verpflichtet, und der Vergleich über sie eine Regelung trifft (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.05.2020 – 1 Ta 35/20 – Rn. 17).
13
b) Danach war für die Regelung bzgl. des variablen Vergütung für das Jahr 2022 kein Wert festzusetzen.
14
Zwischen den Parteien mag streitig gewesen sein, ob der Kläger für das Jahr 2022 überhaupt Anspruch auf Zahlung einer variablen Vergütung habe. Sie haben diesen Streit jedoch durch Ziff. 2 des gerichtlichen Vergleichs nicht beseitigt, weil es an einer Regelung der variablen Vergütung fehlt. Mit der Vereinbarung, dass dem Kläger „die variable Vergütung (Scorcard) für das Jahr 2022 gemäß Zielerreichung … ausgezahlt“ werde, bleibt ein bestimmter, seitens der Arbeitgeberin zu zahlender Betrag offen. Die Parteien haben sich damit über die für das Jahr 2022 zu zahlende variable Vergütung gerade noch nicht geeinigt, sondern lediglich die arbeitsvertragliche Regelung (Ziff. „5.2: Zusätzlich zum Grundgehalt erhält der Mitarbeiter eine variable Vergütung. Die variable Vergütung wird auf jährlicher Basis in Form einer „Scorecard“ geregelt. Die variable Vergütung bei 100%iger Zielerreichung der vorgegebenen Ziele beträgt EUR 30.00000 brutto .“) in anderen Worten auszugsweise wiederholt. Wollte der Kläger für das Jahr 2022 eine variable Vergütung ausgezahlt erhalten, müsste er erneut Klage erheben. Durch den Vergleichsabschluss wird ein weiterer Rechtsstreit nicht vermieden.
III.
15
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil Kosten nicht erstattet werden, § 33 Abs. 9 RVG. Aufgrund der Zurückweisung der Beschwerde hat der Klägervertreter die angefallene Gebühr, Nr. 8614 KV GKG, zu tragen.
IV.
16
Diese Entscheidung, die gem. § 78 S. 3 ArbGG durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer allein ergeht, ist unanfechtbar, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG (vgl. zur Vorgängerbestimmung des § 10 Abs. 2 Satz 2 BRAGO BAG, Beschluss vom 17.03.2003 – 2 AZB 21/02 – NZA 2003, 682).