Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.07.2023 – 9 ZB 23.758
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen Wohnanlage

Normenkette:
BauGB § 34 Abs. 1
Leitsatz:
Auch bei bestehender vergleichbarer Ausgangslage gibt es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Gebot der Rücksichtnahme., Gebot der Rücksichtnahme, Gleichbehandlung im Unrecht, Hinterlandbebauung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 07.03.2023 – W 4 K 22.759
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20809

Tenor

I. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger wenden sich als (Mit-) Eigentümer ihres mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks (FlNr. … Gemarkung …) gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Wohnanlage mit 13 Wohnungen und einer Arztpraxis in drei Mehrfamilienhäusern nebst Garagen sowie Stellplätzen auf einem in südlicher Richtung gelegenen Nachbargrundstück (FlNr. … derselben Gemarkung).
2
Die Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 30. März 2022 hat das Verwaltungsgericht unter Verweis auf den im Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 23. Mai 2022 (Az. W 4 S 22.758) mit Urteil vom 7. März 2023 abgewiesen. Die Baugenehmigung verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften zugunsten der Kläger. Sie könnten sich mangels Drittschutzwirkung nicht darauf berufen, dass sich das Innenbereichsvorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung oder der überbaubaren Grundstücksfläche nicht einfüge. Ebenso wenig wirke die im fraglichen Bereich geltende gemeindliche Gestaltungssatzung, von der Abweichungen erteilt wurden, nachbarschützend. Das Gebot der Rücksichtnahme werde ebenfalls nicht verletzt. Die erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger würden eingehalten und eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung des Bauvorhabens sei nicht zu erkennen. Entstehende Einsichtnahmemöglichkeiten sowie die Anzahl und Lage der vorgesehenen Stellplätze seien zumutbar. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Bezüglich der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
4
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
5
In rechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, die erteilte Baugenehmigung verletze die Kläger nicht in eigenen Rechten. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen deshalb zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils sowie des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2022 (Az. W 4 S 22.758), auf den im Urteil zur Begründung ausdrücklich verwiesen wurde. Im Hinblick auf das klägerische Vorbringen bleibt folgendes zu bemerken:
6
Das Vorbringen der Kläger im Zulassungsverfahren, die erstinstanzliche Entscheidung lasse Gleichbehandlungsgesichtspunkte unberücksichtigt, weil ihnen bei einem eigenen Bauvorhaben im hinteren Grundstücksbereich die Unvereinbarkeit mit der Gestaltungssatzung und dem Gebietscharakter entgegengehalten bzw. eine an der Straße ausgerichtete Bebauung gefordert worden sei, ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu wecken. Dieser vage Vortrag lässt schon nicht erkennen, ob eine vergleichbare Ausgangslage bestand oder Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Versagung ausgeschöpft wurden. Es gibt auch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (vgl. BayVGH, B.v. 21.11.2008 – 15 CS 08.2683 – juris Rn. 12). Der Lageplan zeigt im Übrigen eine von der Straße deutlich zurückversetzte Bebauung auf dem klägerischen Grundstück. Darüber hinaus ist Gegenstand des hiesigen Verfahrens allein die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung und die Frage, ob diese rechtswidrig ist und die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzt werden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die (ggf. rechtswidrige) Versagung einer Baugenehmigung gegenüber den Klägern könnte nichts daran ändern, dass für den Erfolg der Klage das streitgegenständliche Bauvorhaben gegen eine Norm verstoßen müsste, die zumindest auch dem Nachbarschutz zu dienen bestimmt ist (sogen. Schutznormtheorie; vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 25 m.w.N.). Auf der Ablehnung eines in der Vergangenheit gestellten Bauantrags kann dementsprechend auch nicht die behauptete Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme beruhen. Vielmehr kommt es auf die Zumutbarkeit des Bauvorhabens unter Berücksichtigung der Interessen der Kläger und der Beigeladenen an (vgl. BVerwG, B.v. 13.3.2019 – 4 B 39.18 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 22.6.2012 – 9 ZB 21.492 – juris Rn. 11). Die insoweit gebotene einzelfallbezogene Abwägung hat das Verwaltungsgericht zutreffend vorgenommen.
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Soweit die Kläger gegen die erstinstanzliche Bewertung der Zumutbarkeit vortragen, dass mit dem Bauvorhaben erstmalig Hinterlandbebauung in einem bisherigen Ruhebereich zugelassen würde, trifft dies nicht zu. Zum einen ignorieren sie dabei, dass das Baugrundstück ehemals gewerblich genutzt wurde. Sie setzen sich nicht damit auseinander, dass auch das Verwaltungsgericht von einer vormals auf dem Baugrundstück betriebenen Schreinerei ausging. In den Gerichtsakten vorhandene Bildaufnahmen (s. GA, Bl. 34 ff. und GA zum Az. W 4 S 22.758, Bl. 39) lassen erkennen, dass sich die gewerblichen Anlagen weit in die hinteren Grundstücksbereiche bzw. bis zur südlichen und südöstlichen Grundstücksgrenze der Kläger erstreckt haben. Zum anderen ergibt sich aus den Luftbildern und dem Lageplan, dass auch die an den Gartenbereich der Kläger westlich angrenzenden Grundstücke (FlNr. …, … und …*) diesbezüglich grenzständige oder zumindest grenznahe Bebauung mit Hauptgebäuden aufweisen.
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Darüber hinaus führt auch der Einwand, das Verwaltungsgericht habe unzureichend berücksichtigt, dass für das Bauvorhaben zahlreiche Abweichungen von der Gestaltungssatzung erforderlich gewesen seien, nach dieser aber eine innenliegende, beruhigte Hof- oder Gartenfläche angestrebt werde und aus der hiermit nicht zu vereinbarenden Zulassung dreier hintereinander angeordneter Wohngebäude die Notwendigkeit der Errichtung einer „P. straße“ sowie im Geviertinneren liegender Stellplätze resultierten, zu keiner anderen Beurteilung.
9
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Gestaltungssatzung nicht nachbarschützend wirkt, sondern städtebaulich motiviert ist, wogegen sich das Zulassungsvorbringen auch nicht substantiiert wendet. Unter dem Blickwinkel des Gebots der Rücksichtnahme hat es keine unzumutbare Belastung der Kläger durch die Anordnung von offenen Fahrradabstellplätzen an ihrer östlichen und eines PKW-Stellplatzes an ihrer südlichen Grundstücksgrenze, an den sich vier weitere Stellplätze in Richtung Norden unmittelbar anschließen, feststellen können. Es hat dabei insbesondere darauf abgestellt, dass die Zufahrt auf das Gelände der ehemaligen, ebenfalls schon Lärm verursachenden Schreinerei, auf dem nunmehr die genehmigte Wohnanlage entstehen soll, von Süden erfolgt. Außerdem hat es die Entfernung des Wohnhauses der Kläger von ca. 27 m von der südlichen Grundstücksgrenze und die zusätzliche Abschirmung durch ein dortiges grenzständiges Nebengebäude der Kläger sowie eine Mauer angeführt. Die klägerseits behauptete besondere Schutzwürdigkeit ihrer Interessen ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar dargelegt oder ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Da sich die Beigeladene im Zulassungsverfahren nicht durch einen postulationsfähigen Bevollmächtigen hat vertreten lassen und keine rechtlichen Ausführungen gemacht hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
11
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013; sie entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
12
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).