Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.08.2023 – 22 ZB 23.1071
Titel:

Zur innerprozessualen Präklusion nach § 6 UmwRG

Normenketten:
UmwRG § 6
VwGO § 82 Abs. 1, 87b Abs. 3 S. 3, § 124 Abs. 2 Nr. 4
Leitsätze:
1. Ein Klageantrag samt beigefügtem Bescheid kann die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel iSd § 6 S. 1 UmwRG nicht ersetzen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ermittlung des Sachverhalts mit geringem Aufwand iSd § 6 S. 3 UmwRG iVm § 87b Abs. 3 S. 3 VwGO ist nicht so zu verstehen, dass eine Präklusion für jeglichen Sachverhalt ausgeschlossen ist, der sich schon aus den Verfahrensakten ergibt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anfechtungsklage gegen eine Nebenbestimmung einer immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung, innerprozessuale Präklusion, nicht fristgerecht eingegangene Klagebegründung, von der Sachentscheidung getrennte Zurückweisung des verspäteten Vorbringens nicht erforderlich, immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung, Nebenbestimmung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 25.04.2023 – AN 11 K 19.781
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20792

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. April 2023 – AN 11 K 19.781 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre vor dem Verwaltungsgericht erfolglose Klage auf Aufhebung der Nebenbestimmung der Ziffer 4.4.2, Annahmebedingungen für mit Kühlschmierstoffen verunreinigte Metallspäne, des Änderungsgenehmigungsbescheids der Beklagten vom 26. März 2019 weiter.
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Mit der fristgerecht beantragten Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. April 2023 und der fristgerecht eingereichten Begründung für den Zulassungsantrag macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) geltend.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Antragsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.). Die geltend gemachte Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO; 2.) ist bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.). Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht.
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1.1 Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht – soweit für das vorliegende Zulassungsverfahren erheblich – ausgeführt, dass die Klage nach eingetretener innerprozessualer Präklusion nach § 6 UmwRG unbegründet sei. Die klagende Partei müsse innerhalb der Frist des § 6 UmwRG alle Tatsachenkomplexe benennen, die aus ihrer Sicht die Klage begründeten. Innerhalb der Frist des § 6 UmwRG sei kein Tatsachenvortrag der Klägerin erfolgt. Im Schriftsatz vom 12. April 2019 zur Klageerhebung habe sie sich mit dem angegriffenen Bescheid vom 26. März 2019 in keiner Weise auseinandergesetzt. Der Klageschriftsatz enthalte lediglich den Klageantrag, aber keinerlei weitere Ausführungen. Beigelegen habe nur der streitgegenständliche Bescheid. Innerhalb der Frist des § 6 UmwRG müsse der Kläger die ihn beschwerenden Tatsachen so konkret angeben, dass der Lebenssachverhalt, aus dem er den mit der Klage verfolgten Anspruch ableite, unverwechselbar feststehe. Der Vortrag müsse ein Mindestmaß an Schlüssigkeit und Substanz aufweisen und dem Gericht einen Eindruck von der Sicht des Klägers auf den jeweiligen Tatsachenkomplex verschaffen. Daran fehle es hier. In dem Klageschriftsatz seien keinerlei Ausführungen enthalten, unter welchen Aspekten die Nebenbestimmung der Änderungsgenehmigung angegriffen werde. Zwar unterfalle die Bewältigung des Rechtsstoffes alleine der Verantwortung des Gerichts, und Verwaltungsakten seien generell Grundlage für die Entscheidungsfindung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Jedoch setze jede rechtliche Wertung voraus, dass Tatsachen vorhanden seien, an die eine rechtliche Wertung überhaupt erst anknüpfen könne. Solche Tatsachen, z.B. um welche Späne es sich handele, seien erst mit dem Schriftsatz vom 30. Juli 2019 vorgetragen worden. Es spreche angesichts des Gesetzeszwecks, den Prozessstoff zu straffen, viel dafür, dass im Anwendungsbereich des § 6 UmwRG eine Klageerhebung alleine unter Vorlage des angefochtenen Bescheids ohne Begründung von vornherein den Anforderungen nicht genüge. Auch § 82 Abs. 1 VwGO stütze diese Auffassung, da danach der Klageantrag von der Klagebegründung zu unterscheiden sei. Alleine durch die Beifügung des streitgegenständlichen Bescheids setze sich die Klägerin in keiner Weise mit dem Bescheid auseinander. Bis zum Ablauf der Klagebegründungsfrist sei für das Gericht durch den klägerischen Vortrag lediglich klar gewesen, dass die Klägerin die Aufhebung der Nebenbestimmung begehre. Die dieses Begehren tragenden Aspekte – tatsächlicher und auch rechtlicher Art – seien alle erst nach Fristablauf eingegangen.
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Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Präklusion nach § 6 Satz 2 UmwRG (richtig wohl: § 6 Satz 3 UmwRG) i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO lägen nicht vor. Eine Ausnahme von der Präklusionsregelung liege nach § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO regelmäßig vor, wenn deutlich zu Tage trete, unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten der Kläger die Entscheidung angreife und die Klagebegründungsobliegenheit eine bloße Förmlichkeit wäre. Es handle sich um einen Bagatellvorbehalt, der lediglich eine im Einzelfall unverhältnismäßige Präklusion ausschließen solle und deshalb eng auszulegen sei. Die Obliegenheit der Klägerin, die Klagegründe anzugeben, sei hier keine bloße Förmelei. Denn ohne Mitwirkung der Klägerin sei in keiner Weise mit geringem Aufwand zweifelsfrei erkennbar, unter welchen Gesichtspunkten die Änderungsgenehmigung bzw. die Nebenbestimmung angegriffen werden solle. Die vorgelegten Behördenakten umfassten zwei Ordner mit mehreren hundert Seiten bzw. Plänen, aus denen sich die tatsächlichen Gesichtspunkte, die der Klageerhebung zu Grunde lägen, nicht offensichtlich ergäben. Der Frage der Behandlung von mit Kühlschmierstoffen behafteten Metallspänen komme in den Akten nur eine sehr untergeordnete Rolle zu. Der Sachverhalt sei dem Gericht auch nicht aus anderen Quellen, wie z.B. einem gleichgelagerten gerichtlichen Verfahren, bekannt. Die von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgebrachten Einwendungen und Aspekte zögen sich auch nicht wie ein „roter Faden“ durch den gesamten Verfahrensablauf. Es seien keine Einwendungen im behördlichen Verfahren vorgebracht worden. Die Formulierung der angefochtenen Nebenbestimmung entspreche im Grunde wörtlich einem vom Klägerbevollmächtigten der Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgelegten Muster. Letztlich sei im Verwaltungsverfahren konsensual eine Lösung für das Genehmigungsverfahren, einschließlich der Behandlung von mit Kühlschmierstoffen verunreinigten Metallspänen, gefunden worden. Vor diesem Hintergrund erscheine die Präklusion des Klagevorbringens nicht als unverhältnismäßig.
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1.2.1 Zur Darlegung der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bringt die Klägerin zunächst vor, dass bereits der Klageschriftsatz vom 12. April 2019 den Konfliktstoff umfassend und abschließend wiedergegeben habe. Der Klageantrag sei auf die angegriffene Nebenbestimmung beschränkt gewesen. Der Inhalt der Nebenbestimmung sei dem beigefügten Bescheid zu entnehmen gewesen. Es sei erkennbar gewesen, dass die Nebenbestimmung nur auf mit Kühlschmierstoffen verunreinigte Metallspäne ziele. Die Klage richte sich also erkennbar gegen die in der Nebenbestimmung definierten Annahmebedingungen für das streitgegenständliche Material. Der Klageantrag richte sich darauf, diese Nebenbestimmung vollständig aufzuheben. Das Erstgericht stelle fest, dass keine Tatsachen vorgetragen worden seien, zum Beispiel um welche Späne es sich handle. Das sei offensichtlich falsch, da im Klageantrag und im beigefügten Bescheid die Späne eindeutig definiert seien. Es gebe keinen weiteren relevanten Tatsachenvortrag, weil aus dem Klageantrag und den Nebenbestimmungen deutlich werde, dass der Handhabung von emulsionsbehafteten Eisenspänen und der Zuordnung als möglicherweise gefährlicher Abfall entgegengetreten werde. Gegenstand der rechtlichen Auseinandersetzung sei der Grundsatz der Bestimmtheit, die Lesart der Abfallverzeichnis-Verordnung sowie das im Verwaltungsrecht herrschende Analogieverbot, auf das sich die Klage konzentriere.
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Mit diesem Vorbringen erweckt die Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellung, dass die Klageschrift vom 12. April 2019 mit dem beigefügten Bescheid die Begründungsanforderungen des § 6 Satz 1 UmwRG nicht erfüllt. Ob § 6 UmwRG in der vorliegenden Konstellation (Anfechtungsklage des Betreibers gegen eine Nebenbestimmung einer Zulassungsentscheidung) anwendbar ist, kann offen bleiben, weil sich die Klägerin diesbezüglich mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts in der Begründung des Zulassungsantrags nicht auseinandersetzt. Gemäß § 6 Satz 1 UmwRG hat eine Person innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage gegen eine Entscheidung im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Die klagende Partei muss alle Tatsachenkomplexe benennen, die aus ihrer Sicht die Klage begründen (näher hierzu vgl. BVerwG, B.v. 24.6.2021 – 9 A 11.20 – juris Rn. 4; U.v. 3.11.2020 – 9 A 7.19 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 30.5.2023 – 22 A 21.40025 – juris Rn. 29; U.v. 4.8.2022 – 22 A 20.40012 – juris Rn. 81). Die sich aus der genannten Rechtsprechung ergebenden Anforderungen an die Substantiierung des Klagevorbringens erfüllt der Klageschriftsatz der Klägerin vom 12. April 2019 nicht. Denn tatsächliche Gesichtspunkte, unter denen die streitgegenständliche Nebenbestimmung angegriffen wird, enthält die Klageschrift nicht. Sie beschränkt sich auf den Klageantrag und die Ankündigung einer Klagebegründung. Der Klageantrag, der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt sein muss, soll das Klagebegehren bestimmen und ist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klage. Die Klagebegründung dient demgegenüber der Erläuterung des Klageantrags (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 82 Rn. 12). Der Klageantrag samt beigefügtem Bescheid kann folglich die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel nicht ersetzen. Vielmehr muss sich die Klagebegründung bei einer Anfechtungsklage mit der angegriffenen Entscheidung selbst auseinandersetzen (OVG NW, U.v. 10.6.2022 – 20 D 212/20.AK – juris Rn. 22 m.w.N.). Die Klägerin hätte folglich fristgerecht substantiiert vortragen müssen, aus welchen tatsächlichen Gründen sie die angefochtene Nebenbestimmung für rechtswidrig hält. Solche Tatsachen wurden von ihr in der nach dem Ablauf der Frist eingereichten Klagebegründung vom 30. Juli 2019 auch genannt (Verhalten der anderen Bundesländer, Wettbewerbsfähigkeit, praktische Schwierigkeiten bei der Einordnung der Metallspäne als „gefährliche Abfälle“), so dass ihr Vorbringen, es gebe keinen weiteren relevanten Tatsachenvortrag, nicht zutreffend ist.
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1.2.2 Soweit die Klägerin vorträgt, das Verwaltungsgericht habe die Ausnahmetatbestände des § 6 UmwRG nicht ausreichend gewürdigt, trifft dies nicht zu. Das Urteil enthält Ausführungen zu § 6 Satz 4 UmwRG (Verlängerung der Klagebegründungsfrist) und zu einer etwaigen Entschuldigung der Fristversäumnis (§ 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Damit setzt sich die Klägerin in der Begründung des Zulassungsantrags nicht auseinander.
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1.2.3 Der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe nicht deutlich gemacht, welche Tatsachen und Beweismittel fehlten, und das nach § 87b Abs. 3 VwGO bestehende Ermessen nicht berücksichtigt, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Nach § 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO sind Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, nur zuzulassen, wenn die Verspätung genügend entschuldigt ist. Geregelt ist in § 6 Satz 2 UmwRG ein Fall der innerprozessualen Präklusion. Diese innerprozessuale Präklusion tritt als zwingende Rechtsfolge ein; sie hängt nicht von einer richterlichen Ermessensentscheidung ab und steht nicht zur Disposition des Gerichts (OVG MV, U.v. 10.5.2023 – 5 K 448/21.OVG – juris Rn. 57; BayVGH, U.v. 1.12.2022 – 8 A 21.40033 – juris Rn. 54; B.v. 16. 3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 20 f.; vgl. BT-Drs. 18/12146 S. 16). Auch bedarf es für den Eintritt der innerprozessualen Präklusion keines vorhergehenden Hinweises des Gerichts oder eines Zurückweisungsbeschlusses. Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens hat vielmehr zusammen mit der Sachentscheidung zu ergehen (BVerwG, B.v. 16.4.2020 – 9 B 66.19 – juris Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.8.2022 – 8 B 22.1073 – juris Rn. 48).
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1.2.4 Entgegen dem Vorbringen der Klägerin greift auch der Ausnahmetatbestand des § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht. Die Klägerin führt hierzu aus, dass das Gericht aufgrund des klar umrissenen Gegenstands der Klage in der Lage gewesen sei, mit geringem Aufwand „am Ende der Verwaltungsakte festzustellen, worum es mit der Klageführung gehe“. Das Gericht hätte bei der Sachverhaltsermittlung so gut wie den gesamten Inhalt der Verwaltungsakte beiseitelassen und nur die wenigen Seiten zur Nebenbestimmung prüfen können. Hinsichtlich des geringen Ermittlungsaufwands zähle als Kriterium ganz wesentlich der zeitliche Aufwand. Der Sachstand und die rechtliche Diskussion zu „emulsionsbehafteten Eisenspänen“ sei im Internet ohne maßgeblichen Zeitaufwand zu recherchieren.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils legt die Klägerin damit nicht dar. Der Senat geht im Einklang mit der Rechtsprechung zu vergleichbaren Klagebegründungsfristen davon aus, dass § 6 UmwRG als Ausnahmetatbestand eng auszulegen ist. Die Ermittlung des Sachverhalts mit geringem Aufwand kommt deshalb als Ausnahme von der innerprozessualen Präklusion nur in Betracht, wenn derart auf der Hand liegt, unter welchen Gesichtspunkten die Klagepartei die behördliche Entscheidung angreift, dass sich die Angabe von Klagegründen im Einzelfall als bloße Förmlichkeit erweisen würde und eine Präklusion daher unverhältnismäßig wäre (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2023 – 22 A 21.40025 – juris Rn. 45 f.; U.v. 1.12.2022 – 8 A 21.40033 – juris Rn. 50; B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 17 f.; VGH BW, B.v. 10.11.2022 – 10 S 1312/22 – juris Rn. 47; U.v. 5.10.2022 – 10 S 1485/21 – juris Rn. 51; OVG NW, U.v. 4.5.2022 – 8 D 346/21.AK – juris Rn. 76 f.; B.v. 1.2.2022 – 11 A 2168/20 – juris Rn. 64 f.; OVG Hamburg, U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 150). Dass diese Voraussetzungen vorlägen, hat die Klägerin nicht substantiiert aufgezeigt; dies ist auch nicht erkennbar. Auch wenn die Thematik „emulsionsbehaftete Metallspäne“ nur einen kleinen Teil der Verwaltungsakten ausgemacht hätte bzw. die tatsächliche und rechtliche Problematik leicht zu recherchieren wäre, lag nicht auf der Hand, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten die Klägerin die streitgegenständliche Nebenbestimmung hätte angreifen wollen. Denn in keinem Fall ist der Tatbestand der Ermittlung des Sachverhalts mit geringem Aufwand so zu verstehen, dass eine Präklusion für jeglichen Sachverhalt ausgeschlossen ist, der sich schon aus den Verfahrensakten ergibt. Dies gilt jedenfalls für Einwendungen, die die materielle Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung betreffen. Ein solches Verständnis ließe die Obliegenheit des Klägers zur Fixierung des Streitstoffes innerhalb der Frist des § 6 Satz 1 UmwRG im Ergebnis leerlaufen und verpflichtete das Gericht sowie die anderen Beteiligten zur Spekulation, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten der Kläger subjektiv gegen die Entscheidung vorgehen will (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Januar 2023, § 6 UmwRG Rn. 85; OVG NW, B.v. 18.2.2020 – 11 B 13/20 – juris Rn. 48). Das Studium umfangreichen schriftsätzlichen Vortrags oder das Durchsuchen der Verwaltungsakten nach bestimmten Tatsachen und Erklärungen ist nicht mehr als geringer Aufwand anzusehen. Eine Ausnahme von der Präklusion ist vielmehr auf Fälle zu beschränken, in denen die vom Kläger nicht ausdrücklich vorgetragenen tatsächlichen Gesichtspunkte dem Gericht ohne weiteres bekannt sind oder sich offensichtlich aus der Akte oder anderen leicht zugänglichen Quellen ergeben. Dies ist hier aber nicht der Fall, weil sich die Verwaltungsakten nicht nur auf die angegriffene Nebenbestimmung, sondern auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 26. März 2019 beziehen und das Verwaltungsgericht die gesamten Verwaltungsakten auf tatsächliche Feststellungen zu den „emulsionsbehafteten Spänen“ hätte durchsuchen müssen, weil sich aus der Klageschrift eben nicht ergab, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten die Klägerin die Nebenbestimmung angreifen wollte.
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1.2.5 Der Einwand der Klägerin, im Klageverfahren sei es nur um rechtliche Fragestellungen gegangen, begründet ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Steht nach Ablauf der Klagebegründungsfrist des § 6 Satz 1 UmwRG nicht klar und unverwechselbar fest, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten die behördliche Entscheidung angegriffen wird, sind das Gericht und die anderen Beteiligten auch nicht in der Lage, den rechtlichen Prüfungsumfang abzusehen (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Januar 2023, § 6 UmwRG Rn. 56 f., Rn. 59; Winkler in Beckmann/Kment, UVPG/UmwRG, 6. Aufl. 2023, § 6 UmwRG Rn. 4). Fehlt es daher – wie hier – an fristgerecht vorgebrachten tatsächlichen Angriffspunkten gegen die streitgegenständliche Nebenbestimmung und wird somit der Prozessstoff nicht in der erforderlichen Weise fixiert, mangelt es an einer Grundlage für eine Prüfung der von der Klägerin später vorgebrachten rechtlichen Argumente (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2023 – 22 A 21.40025 – juris Rn. 55). Im vorliegenden Fall hätte es fristgerechter näherer tatsächlicher Angaben bedurft, weshalb eine Einordnung der emulsionsbehafteten Metallspäne als gefährliche Abfälle nicht in Betracht kommen sollte.
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2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist nicht hinreichend dargelegt und liegt auch nicht vor. Dieser Zulassungsgrund verlangt, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Darlegung einer Abweichung nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennt, mit dem das Verwaltungsgericht von einem in der Rechtsprechung eines in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Divergenzgerichts aufgestellten entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift abweicht (BayVGH, B.v. 22.5.2023 – 22 ZB 22.2661 – juris Rn. 53; HessVGH, B.v. 13.4.2022 – 7 A 2210/18.Z – juris Rn. 63). Dagegen liegt keine Divergenz vor, wenn das Verwaltungsgericht den Rechtssatz des Divergenzgerichts, ohne ihm inhaltlich zu widersprechen, im zu entscheidenden Fall rechtsfehlerhaft angewandt oder daraus nicht die Folgerungen gezogen hat, die für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (BVerwG, B.v. 25.5.2012 – 2 B 133.11 – NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5; B.v. 31.10.2012 – 2 B 33.12 – juris Rn. 5).
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Soweit die Klägerin vorbringt, das Verwaltungsgericht weiche von der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. März 2021 (8 ZB 20.1873) ab, fehlt es bereits an einer Herausarbeitung und Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze. Denn auch das Verwaltungsgericht Ansbach legt seiner Entscheidung zugrunde, dass Rechtsausführungen von der innerprozessualen Präklusion des § 6 UmwRG nicht umfasst sind. Die Zulassungsbegründung macht vielmehr deutlich, dass die Klägerin der Ansicht ist, das Verwaltungsgericht habe einen Rechtssatz aus der in Bezug genommenen Entscheidung falsch angewandt. Dies begründet jedoch keine Divergenz (s.o.).
16
Das behauptete Abweichen von Entscheidungen des OVG Hamburg (U.v. 29.11.2019, 1 E 23/18) und des OVG Lüneburg (U.v. 15.11.2018, 1 KN 29/17) kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil die genannten Oberverwaltungsgerichte keine Divergenzgerichte im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für das Verwaltungsgericht Ansbach sind. Bei der Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO kommt es nicht auf die Abweichung von der Entscheidung irgendeines Oberverwaltungsgerichts an, sondern allein darauf, ob das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des im Instanzenzug übergeordneten Berufungsgerichts – hier des BayVGH – abweicht (SaarlOVG, B.v. 31.1.2023 – 2 A 15/23 – juris Rn. 15).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 19.1.3 des Streitwertkatalogs (wie Vorinstanz).
18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).