Titel:
Zeitpunkt für Unzuverlässigkeitsentscheidung iSd § 35 Abs. 1 GewO
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4 S. 4
GewO § 35 Abs. 1, Abs. 6
Leitsatz:
Hat die Klägerin ihre Steuerrückstände abgebaut und alle Steuererklärungen/Voranmeldungen abgegeben, kann dies nur im Rahmen eines Wiedergestattungsverfahrens (§ 35 Abs. 6 GewO) von Relevanz sein. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Steuerschuld, Zeitpunkt, Unzuverlässigkeit, Verwaltungsentscheidung, Wiedergestattung, Zahlung, Sanierungskonzept
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 23.08.2022 – AN 4 K 22.1385
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20791
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. August 2022 – AN 4 K 22.01385 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
2
Mit Bescheid vom 3. Mai 2022 untersagte das zuständige Landratsamt der Klägerin die Ausübung des Gewerbes „A[…] Gebäudeservice mit den Tätigkeiten Haus- und Großflächenreinigung, Winterdienst, Grünanlagenpflege und Erstellen von Internetseiten, Werbematerial und Briefpapier sowie aller anderen stehenden Gewerbe und auch die Tätigkeit als Vertretungsberechtigte eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person (Nr. 1 des Bescheids). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Ausübung des unter Nummer 1 beschriebenen Gewerbes innerhalb von 4 Wochen ab Bestandskraft des Bescheids einzustellen und das Gewerbe abzumelden (Nr. 2). Für den Fall, dass sie der unter Nr. 2 genannten Verpflichtung nicht nachkomme, wurde der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500 € angedroht (Nr. 3). Neben der Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 4) wurden die Kosten des Verwaltungsverfahrens in Form einer Gebühr in Höhe von 500 € von der Klägerin erhoben.
3
Das Landratsamt führte zur Bescheidbegründung im Wesentlichen aus, die Klägerin sei gewerberechtlich unzuverlässig, weil erhebliche Steuerrückstände beim zuständigen Finanzamt in Höhe von 17.233,26 € und Beitragsrückstände bei der zuständigen Handwerkskammer in Höhe von 1.816,87 € bestünden. Zum 22. April 2022 hätten fünf Einträge im Schuldnerverzeichnis für den Zeitraum 16. September 2020 bis 16. Dezember 2021 aufgrund Nichtabgabe von Vermögensauskunft bestanden. Ebenso lasse die fehlende Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen seit Mai 2020 und von Jahressteuererklärungen seit 2019 auf ihre Unzuverlässigkeit schließen. Die Voraussetzungen einer erweiterten Gewerbeuntersagung seien ebenfalls gegeben, weil die Verfehlungen der Klägerin gewerbeübergreifender Natur seien. Die Erfüllung von Steuer- und sonstigen Zahlungspflichten sei allen Gewerben gemein. Die erweiterte Untersagung sei nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens das einzig mögliche und verhältnismäßige Mittel.
4
Die gegen den Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit den Bevollmächtigten der Klägerin am 26. August 2022 zugestelltem Urteil vom 23. August 2022 ab. Am 9. September 2022 beantragte die Klägerin beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung und begründete den Antrag am 26. Oktober 2022 beim Verwaltungsgerichtshof.
5
Der Beklagte ist dem Zulassungsantrag entgegengetreten.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
7
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
8
1. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Antragsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
9
Zwar hat die Klägerin keinen Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 VwGO ausdrücklich bezeichnet. Die Antragsbegründung lässt sich aber, weil Ausführungen bzw. rechtliche Wertungen des erstinstanzlichen Urteils darin als unzutreffend dargelegt werden, so verstehen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht werden sollen (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – juris Rn. 9; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 57 f.).
10
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 62 f.).
11
Der Bevollmächtigte der Klägerin trägt vor, das Landratsamt habe vor Bescheiderlass, u.a. im Rahmen eines Telefonats am 5. November 2021, mit ihm einvernehmlich dahingehend kommuniziert, dass Fristen verlängert würden, um Zahlungen und die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen nachweisen zu können. Ein Mitarbeiter des Landratsamts habe zugesagt, dass das Verfahren für einige Monate ausgesetzt und er Rücksprache mit dem Bevollmächtigten der Klägerin halten werde, bevor weitere Schritte eingeleitet würden. Es sei nur noch um die Erledigung der rückständigen Vorsteueranmeldungen für 2021 und die Jahressteuererklärung 2019 gegangen. Der Bescheid sei dann jedoch „aus dem Nichts heraus“ erlassen worden. Zwischenzeitlich habe die Klägerin aus eigener Kraft sämtliche Steuererklärungen sowie die Steuervoranmeldungen abgegeben. Insbesondere angesichts der geschilderten schwierigen persönlichen Situation der Klägerin habe der Bescheid schon aus Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen nicht „ohne jegliche Vorwarnung“ ergeben dürfen.
12
Soweit das Verwaltungsgericht von Steuerforderungen des Finanzamts am 22. April 2022 in Höhe von 17.233,26 € ausgehe, möge dies objektiv nach einer hohen Forderung klingen; jedoch handle es sich um im laufenden Jahr stets wieder fällig werdende, wiederkehrende Steuerschulden (basierend auf kurz zuvor erlassenen Festsetzungsbescheiden), welche die Klägerin zeitnah auch wieder begleiche. Zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses habe daher nicht mehr angenommen werden können, dass die Klägerin zahlungsunwillig sei und nicht nach einem erfolgsversprechenden Sanierungskonzept arbeite. Ohnehin seien Steuerschulden nur geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht seien. Die Klägerin setze aber monatlich 22.000 bis 25.000 € um.
13
Mit diesem Vortrag legt die Klägerin keine ernstlichen Zweifel am Urteil des Verwaltungsgerichts dar.
14
Dass der Bescheid für die Klägerin nicht „überraschend“ gekommen ist, weil sie zuvor bereits mehrfach vom Landratsamt angehört und ihr nur eine letzte Frist bis Februar 2022 gewährt wurde, hat bereits das Verwaltungsgericht festgestellt (UA S. 3, 9 f.). Damit setzt sich die Klägerin nicht in einer den o.g. Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise auseinander, sondern wiederholt bloß ihren (in der Sache unzutreffenden) erstinstanzlichen Vortrag. Gleiches gilt für die von der Klägerin behauptete Unverhältnismäßigkeit und die in diesem Zusammenhang angeführte schwierige persönliche Situation. Dazu hat das Verwaltungsgericht, ohne dass sich die Klägerin in ihrer Zulassungsbegründung damit substantiiert auseinandersetzt, ausgeführt, dass eine solche Unverhältnismäßigkeit nur in einem extremen, vorliegend nicht gegebenen Ausnahmefall angenommen werden kann (UA S. 10 f.).
15
Auch der Einwand der Klägerin, bei der am 22. April 2022 mitgeteilten Steuerschuld in Höhe von 17.233,26 € handle es sich um eine Art „verzerrte Momentaufnahme“, verfängt nicht. Abgesehen davon, dass der Bescheid (wie auch das Verwaltungsgericht) nicht nur auf Steuer-, sondern auch auf Beitragsrückstände bei der Handwerkskammer (1.816,87 €), fünf Einträge im Schuldnerverzeichnis und die fehlende Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen sowie Jahressteuererklärungen abstellt, ist angesichts der von der Klägerin auch für den fraglichen Zeitraum erstinstanzlich vorgelegten monatlichen Umsatzsteuermitteilungen nicht nachvollziehbar, wieso es sich nur um einen kurzzeitigen periodischen Rückstand handeln soll. So weisen etwa die Umsatzsteuermitteilungen für September 2021 bis April 2022 monatliche Abrechnungsbeträge (grob gerundet) zwischen 2.200 € bis 3.000 € aus, die laut jeweiliger Abrechnung als Vorauszahlung monatlich größtenteils getilgt wurden/werden sollten. Die monatlichen Differenzen zwischen Abrechnung und Tilgung (Nachzahlungsbeträge) bewegen sich (gerundet) zwischen 200 € bis 3.000 €. Allein aus diesen periodisch entstehenden Nachzahlungsbeträgen kann also auch unter Berücksichtigung des ebenfalls vorgelegten Einkommenssteuervorauszahlungsbescheids vom 26. Juli 2022 in einer monatlichen oder vierteljährlichen Periode (Umsatzsteuer u. Einkommenssteuervorauszahlung) kein Betrag in Höhe von rund 17.233 € entstehen. Angesichts dessen ist auch der (ohnehin unsubstantiierte) Vortrag, die Klägerin setze monatlich 22.000 bis 25.000 € um, weshalb eine Steuerschuld in Höhe von 17.233 € für sie nicht von Gewicht sei, unplausibel.
16
Soweit die Klägerin weiter anführt, sie habe zwischenzeitlich „alles erledigt“, ihre Steuerrückstände abgebaut und alle Erklärungen/Voranmeldungen abgegeben, kommt es darauf – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt (UA S. 9) – schon deshalb nicht an, weil für die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin i.S.d. § 35 Abs. 1 GewO unzuverlässig ist, auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist, hier also auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des angefochtenen Bescheids. Gegenüber dem Zeitpunkt des Bescheiderlasses veränderte Umstände – wie vorliegend – können nur im Rahmen eines Wiedergestattungsverfahrens (§ 35 Abs. 6 GewO) von Relevanz sein (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 22 C 21.2935 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 26.7.2022 – 22 ZB 22.291 – juris Rn. 14). Die von der Klägerin vorgetragenen „Erledigungen“ wurden aber jedenfalls zu einem erheblichen Teil erst nach Bescheiderlass veranlasst (z.B. Zahlung an Handwerkskammer am 8. August 2022; Zahlung an Stadtkasse am 8. August 2022; Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar 2021 bis April 2022 jeweils am 7. August 2022). Davon abgesehen ist nicht substantiiert dargelegt, dass die Klägerin ihre Vermögensverhältnisse nun tatsächlich „ausreichend“ geordnet hat und insbesondere im Rahmen eines (Gesamt-)Sanierungskonzepts vorgeht.
17
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
18
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 der Empfehlungen des. Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (wie Vorinstanz).