Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.07.2023 – 13a N 23.982
Titel:

Kostenentscheidung bei Erledigung und noch offenen Rechtsfragen

Normenketten:
VwGO § 67 Abs. 4, § 92 Abs. 3 S. 1, § 155 Abs. 1 S. 2, § 159 S. 1, § 161 Abs. 2 S. 1
GKG § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 8
Leitsätze:
1. Hätte ein Verfahren vor Erledigung tatsächlich und rechtlich komplexe Fragestellungen aufgeworfen, sind die Erfolgsaussichten offen und kommt der Grundgedanke des § 155 Abs. 1 VwGO zum Tragen, wonach die Kosten des Verfahrens entweder den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen oder gegeneinander aufzuheben sind. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fällt die Erledigung maßgeblich in die Sphäre eines Dritten (hier: des Bundes), dürfen aus der Veranlassung der Hauptsacheerledigung für die Beteiligten keine kostenmäßigen Schlüsse gezogen werden. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrollanträge gegen die Ausführungsverordnung, Düngeverordnung (AVDüV), Übereinstimmende Erledigungserklärungen, Erfolgsaussichten in der Hauptsache (offen), Kostenteilung statt Kostenaufhebung, Herbeiführung des erledigenden Ereignisses durch eine Rechtsänderung auf Bundesebene, Streitwert, keine Zusammenrechnung der Streitwerte bei mehreren Antragstellern in den Fällen von Rechtsgemeinschaft oder wirtschaftlicher Identität (jeweils verneint), Erledigung, Kosten, Erfolgsaussichten, Addition, wirtschaftliche Identität
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20769

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller die Hälfte und der Antragsgegner die Hälfte zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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1. Da die Normenkontrollsache hinsichtlich der Antragsteller nach Änderung der Ausführungsverordnung Düngeverordnung (AVDüV) durch die Verordnung zur Änderung der Ausführungsverordnung Düngeverordnung vom 22. November 2022 mit Schriftsatz vom 3. März 2023 für erledigt erklärt worden war und der Antragsgegner dem mit Schriftsatz vom 16. März 2023 zugestimmt hatte (jeweils im Verfahren 13a N 21.3158), war das vorliegende, vom Verfahren 13a N 21.3158 hinsichtlich der Antragsteller mit Beschluss vom 22. Mai 2023 abgetrennte Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
2
2. Nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat das Gericht im Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Maßgeblich für die Kostenentscheidung sind die Erfolgsaussichten des Antrags, aber auch, wer das erledigende Ereignis herbeigeführt, also den Anlass für die Erledigung gegeben hat. Das Gericht hat dabei weder den Sachverhalt weiter aufzuklären, noch eine eingehende Prüfung der Erfolgsaussichten vorzunehmen (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 161 Rn. 15 ff. m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen haben vorliegend von den Kosten des Verfahrens die Antragsteller die Hälfte und der Antragsgegner die Hälfte zu tragen.
3
Ob die Normenkontrollanträge bei Fortsetzung des Verfahrens Erfolg gehabt hätten oder nicht, ließe sich nur nach aufwändiger Aufklärung des Sachverhalts und eingehender Prüfung der Rechtslage beurteilen. Hierbei stünden sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zahlreiche komplexe Fragestellungen inmitten, wie insbesondere die Bedeutung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV Gebietsausweisung – AVV GeA) sowie die Auslegung und Einhaltung der Bestimmungen dieser Norm einschließlich der dort in Bezug genommenen allgemein anerkannten Regeln der Technik. Bei derart offenen Erfolgsaussichten kommt entsprechend dem Grundgedanken des § 155 Abs. 1 VwGO in Betracht, die Kosten des Verfahrens entweder den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen oder gegeneinander aufzuheben (BVerwG, B.v. 4.4.2017 – 4 CN 1.17 – juris Rn. 2; B.v. 3.2.2010 – 4 CN 1.09 – juris Rn. 2; vgl. a.: BVerfG, B.v. 25.12.2016 – 1 BvR 1380/11 – juris Rn. 13; BVerwG, B.v. 22.11.2022 – 7 A 5.22 – juris Rn. 2; B.v. 15.2.2019 – 9 A 25.18 – juris Rn. 2; B.v. 24.4.2019 – 2 B 49.18 – juris Rn. 2 m.w.N; B.v. 16.11.2018 – 10 C 9.17 – juris Rn. 2 m.w.N.).
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Ausgehend von diesen beiden Möglichkeiten entspricht es vorliegend billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens hälftig zu teilen. Hingegen wäre eine Kostenaufhebung im Sinne des § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO, bei welcher die Antragsteller ihre außergerichtlichen Kosten alleine zu tragen hätten, vorliegend nicht ermessensgerecht. Unabhängig davon, dass sich die Antragsteller vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gemäß § 67 Abs. 4 VwGO von Prozessbevollmächtigten vertreten lassen müssen, wären in der vorliegenden Normenkontrollsache schwierige rechtliche Fragestellungen zu bewältigen gewesen, welche die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten zur Herstellung prozessualer Waffengleichheit für dringend angezeigt erscheinen ließen (vgl. Wöckel in Eyermann, a.a.O., § 155 Rn. 4). Bei dieser Sachlage wäre es unbillig, wenn die Antragsteller angesichts offener Erfolgsaussichten keinerlei Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten erlangen könnten.
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Kein anderes Ergebnis ergibt sich, wenn man die Frage in den Blick nimmt, wer das erledigende Ereignis herbeigeführt hat. Zwar entspricht es in der Regel billigem Ermessen, dem Verfahrensbeteiligten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, der durch eigenen Willensentschluss die Erledigung veranlasst hat (BVerwG, B.v. 19.8.2021 – 6 C 17.19 – juris Rn. 3; B.v. 26.11.1991 – 7 C 16.89 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 15.7.2021 – 13 A 20.133 – juris Rn. 30; Schübel-Pfister in Eyermann, a.a.O., § 161 Rn. 18 m.w.N.). Vorliegend ist die Erledigung auf die Änderung der Ausführungsverordnung Düngeverordnung durch die Verordnung zur Änderung der Ausführungsverordnung Düngeverordnung vom 22. November 2022 durch den Antragsgegner zurückzuführen. Die damit verbundene Kulissenänderung hat bewirkt, dass die von den Antragstellern jeweils bewirtschafteten Flächen nach deren Angaben nicht mehr in einem mit Nitrat belasteten Gebiet liegen. Allerdings beruhte diese Änderung der Ausführungsverordnung Düngeverordnung soweit ersichtlich zumindest maßgeblich wiederum darauf, dass die Bundesregierung gestützt auf § 13a Abs. 1 Satz 2 Düngeverordnung (DüV) die AVV Gebietsausweisung vom 10. August 2022 erlassen hat, in der die Vorgehensweise bei der Ausweisung der mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebiete neu geregelt wurde und an die jedenfalls der Antragsgegner zweifellos gebunden ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 31.1.2022 – 13a NE 21.2474 – juris Rn. 52). Letztlich beruht die Erledigung dieses Normenkontrollverfahrens deshalb maßgeblich auf einer Rechtsänderung auf Bundesebene. Sie liegt damit sicherlich nicht in der Sphäre der Antragsteller, aber auch nicht in der Sphäre des Antragsgegners, sondern in der Sphäre des Bundes und damit eines Dritten. Fällt die Erledigung somit nicht maßgeblich in die Sphäre eines der Beteiligten dieses Normenkontrollverfahrens, dürfen aus der Veranlassung der Hauptsacheerledigung keine kostenmäßigen Schlüsse gezogen werden (BVerwG, B.v. 12.12.1990 – 4 NB 14.88 – juris Rn. 11).
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Gemäß § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO haften die beiden Antragsteller nach Kopfteilen, ohne dass dies eines besonderen Ausspruchs in der Kostenentscheidung bedarf (vgl. Wöckel in Eyermann, a.a.O., § 159 Rn. 8). Ein Fall der gesamtschuldnerischen Kostenhaftung ist nicht gegeben. Insbesondere hätte bei Fortsetzung des Verfahrens über die Normenkontrollanträge der einzelnen Antragsteller nicht nur einheitlich entschieden werden können (vgl. § 159 Satz 2 VwGO), beispielsweise im Hinblick auf Unterschiede hinsichtlich der Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), und liegt deshalb auch keine notwendige Streitgenossenschaft vor.
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3. Der Streitwert war auf insgesamt 20.000,00 € festzusetzen.
8
Gemäß § 52 Abs. 1 und 8 GKG ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Der Senat orientiert sich dabei in Übereinstimmung mit anderen Obergerichten an Nr. 29.2 i.V.m. Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (BayVGH, B.v. 31.1.2022 – 13a NE 21.2474 – juris Rn. 62; NdsOVG, B.v. 9.5.2023 – 10 KN 26/22 – n.V.; VGH BW, B.v. 30.3.2023 – 13 S 3646/21 – juris Rn. 6 m.w.N.). Innerhalb des damit vorgegebenen Rahmens von 7.500,00 € bis 60.000,00 € ist im Regelfall für jeden Antragsteller von einem Streitwert von 10.000,00 € auszugehen. Dieser liegt am unteren Ende des Streitwertrahmens. Er bildet unter Berücksichtigung dessen, dass eine konkrete Ermittlung des wirtschaftlichen Interesses eines Antragstellers nur schwer möglich sein dürfte, die Bedeutung der Sache für einen Antragsteller in aller Regel angemessen ab. Umstände, die eine Abweichung vom Regelfall rechtfertigen würden, sind vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. dazu a. NdsOVG, B.v. 9.5.2023 – 10 KN 26/22 – n.V.).
9
Sind an einem Normenkontrollverfahren gegen die Ausführungsverordnung Düngeverordnung wie vorliegend mehrere Antragsteller beteiligt, so sind die Streitwerte der Normenkontrollanträge der einzelnen Antragsteller grundsätzlich zu addieren (vgl. § 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs). Etwas anderes gilt nur dann, wenn mehrere Antragsteller in Rechtsgemeinschaft stehen (also beispielsweise, wenn mehrere Antragsteller ihre Rechte als Miteigentümer aus denselben Feldstücken ableiten). Vorliegend stehen die beiden Antragsteller soweit ersichtlich nicht in Rechtsgemeinschaft. Sie sind auch – wie oben bereits ausgeführt – keine notwendigen Streitgenossen (vgl. § 64 VwGO i.V.m. § 62 ZPO), da bei Fortsetzung des Verfahrens über die Normenkontrollanträge der einzelnen Antragsteller nicht zwingend einheitlich zu entscheiden gewesen wäre, beispielsweise im Hinblick auf Unterschiede hinsichtlich der Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners liegt auch kein Fall der wirtschaftlichen Identität vor (vgl. dazu: BVerwG, B.v. 15.7.1998 – 1 B 75.98 – juris Rn. 9 m.w.N.; BSG, B.v. 19.9.2006 – B 6 KA 30/06 B – juris Rn. 3 m.w.N.; BayVGH, B.v. 11.12.2018 – 7 C 18.2419 – juris Rn. 5 m.w.N.). Die Anträge haben für jeden Antragsteller einen eigenständigen wirtschaftlichen Wert, der vom jeweiligen landwirtschaftlichen Betrieb und den jeweils bewirtschafteten Feldstücken geprägt ist. Somit sind vorliegend die Streitwerte der Normenkontrollanträge der beiden Antragsteller in Höhe von jeweils 10.000,00 € zu addieren, woraus sich der festgesetzte Gesamtstreitwert von 20.000,00 € ergibt (im Ergebnis ebenso: NdsOVG, B.v. 9.5.2023 – 10 KN 26/22 – n.V.; VGH BW, B.v. 30.3.2023 – 13 S 3646/21 – juris Rn. 8 a.E.; s. dazu a.: BayVGH, B.v. 25.10.2021 – 22 B 17.855 – juris Rn. 230; B.v. 21.7.2021 – 20 NE 20.2453 – juris Rn. 7 f.; U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 67; B.v. 28.11.2013 – 14 C 13.2464 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 11.7.2022 – 3 E 31/22 – juris Rn. 7 ff.; HessVGH, U.v. 24.11.2006 – 7 N 1420/05 – juris Rn. 71).
10
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).