Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.07.2023 – 12 ZB 23.280
Titel:

Kostenbeitrag für jugendhilferechtliche stationäre Unterbringung

Normenkette:
SGB VIII § 93
Leitsätze:
1. Wird das unter Berücksichtigung bestehender Unterhaltsverpflichtungen für die Ausgaben des täglichen Lebens zur Verfügung stehende Einkommen durch Eingehung unangemessener Schuldverpflichtungen verringert, verletzt dies die Grundsätze wirtschaftlicher Lebensführung auch dann, wenn noch keine Jugendhilfeleistungen erbracht werden. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Absicherung von Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit lediglich nach Grund und Höhe angemessene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen werden als einkommensmindernd anerkannt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Jugendhilferechtlicher Kostenbeitrag, Einkommensbegriff, Abzug von Darlehensraten, Photovoltaikanlage, Unterstellgebäude
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 13.12.2022 – RO 4 K 21.393
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20764

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. Dezember 2022 verfolgt der Kläger seine gegen die Erhebung bzw. Höhe des für die stationäre Unterbringung seiner Tochter P. im Jahr 2018 vom Beklagten geforderten Kostenbeitrags gerichtete Anfechtungsklage weiter. Sein allein auf das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestütztes Zulassungsvorbringen führt indes nicht zum Erfolg, da die behaupteten ernstlichen Richtigkeitszweifel – sofern überhaupt den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt – nicht vorliegen.
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1. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger vortragen lässt, im Zuge der Einkommensbereinigung nach § 93 Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) seien finanzielle Belastungen – nämlich monatliche Darlehensraten in Höhe von insgesamt 6.000,- € – zu Unrecht nicht berücksichtigt worden, soweit sie den Pauschalbetrag von 25 vom Hundert im Sinne von § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII überstiegen haben, nach Grund und Höhe angemessen waren und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzt haben.
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Insoweit genügt das Vorbringen des Klägers bereits dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht, das für die Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Richtigkeitszweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verlangt, dass der Rechtsmittelführer sich mit der angefochtenen Entscheidung substantiell auseinandersetzt und sie inhaltlich durchdringt. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, wiederholt der Kläger mit seiner Zulassungsbegründung jedoch allein seinen Vortrag erster Instanz. Wenn er im Hinblick auf die angefochtene Entscheidung die Auffassung vertritt, die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Rechtsprechung zu § 93 Abs. 3 SGB VIII sei im vorliegenden Fall „nicht anwendbar“, bleibt dies ohne Begründung, ebenso, wenn er die Auffassung vertritt, jedenfalls die Zinszahlungen seiner Darlehen hätten als Schuldverpflichtungen nach § 93 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII berücksichtigt werden müssen.
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2. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht auch der Sache nach zutreffend einen über die Pauschale von 25% nach § 92 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII hinausgehenden Abzugsbetrag nicht anerkannt. Nach § 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII können über den pauschalen Abzug hinausgehende Belastungen nur dann vom ermittelten Einkommen abgezogen werden, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen (vgl. hierzu Schindler/Eschelbach in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 93 Rn. 26, 28; Stähr in Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand 2023, § 93 Rn. 32; Winkler in BeckOK-Sozialrecht, Stand 01.06.2023, § 93 SGB VIII Rn. 12; aus der Rechtsprechung OVG Bautzen, U.v. 6.10.2022 – 3 A 83/22 BeckRS 2022, 28190 Rn. 39 ff.). Wird das unter Berücksichtigung bestehender Unterhaltsverpflichtungen für die Ausgaben des täglichen Lebens zur Verfügung stehende Einkommen durch Eingehung unangemessener Schuldverpflichtungen verringert, verletzt dies die Grundsätze wirtschaftlicher Lebensführung auch dann, wenn noch keine Jugendhilfeleistungen erbracht werden (vgl. hierzu OVG Münster, B.v. 30.7.2004 – 12 A 886/01 – BeckRS 2005, 25359; B.v. 27.2.2014 – 12 A 2688/12 – BeckRS 2014, 54731 Rn. 8 ff.; OVG Bautzen, U.v.6.10.2022 – 3 A 83/22 – BeckRS 2022, 28190 Rn. 20 ff.; Kunkel/Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 93 Rn. 23 m.w.N.). Beim Kläger ist daher insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass er bei Eingehung der Schuldverpflichtungen im Jahr 2006 für mehrere Kinder allein unterhaltspflichtig war (vgl. hierzu Krome in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, Stand 20.4.2023, § 93 Rn. 54). Im Ergebnis würde die Anerkennung der Abzugsfähigkeit der Darlehensverbindlichkeiten für die Photovoltaik-Anlage und die Errichtung zweier Unterstellgebäude im vorliegenden Fall dazu führen, dass die Allgemeinheit über die Erbringung von Jugendhilfemaßnahmen die Abzahlung der Darlehen des Klägers indirekt finanziert, indem gegenüber dem Kläger kein oder nur ein verringerter Kostenbeitrag erhoben werden könnte. Dies ist mit Sinn und Zweck des Jugendhilferechts nicht zu vereinbaren.
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3. Ferner kann der Kläger mit seinem Vortrag, die Errichtung der Photovoltaikanlage sowie zweier Unterstellgebäude diene im Kontext der geplanten Einrichtung eines Campingplatzes ausschließlich seiner Altersvorsoge, nicht durchdringen. Hierbei gilt es in erster Linie zu berücksichtigen, dass der Kläger als praktizierender Arzt, der seinen Beruf nach eigenem Vorbringen noch 10 bis 15 Jahre ausüben möchte, über eine aus der beruflichen Tätigkeit abgeleitete Altersversorgung verfügt und es sich daher bei den vorgenommenen Investitionen allenfalls um deren Ergänzung handeln kann. Sinn und Zweck der Errichtung der Photovoltaikanlage und der Unterstellgebäude ist, zusammen mit der geplanten Errichtung eines Campingplatzes, die Erzielung zusätzlicher Einkünfte im Alter. Insbesondere kommt der Photovoltaikanlage wie auch den Unterstellgebäuden auch in Zukunft trotz abnehmender Leistungen der Solarmodule in Verbindung mit der geplanten Stromversorgung des Campingplatzes noch ein nicht unbeträchtlicher wirtschaftlicher Wert zu, sodass sie dem Vermögen des Klägers und folglich der Vermögensbildung zuzurechnen sind. Schließlich werden zur Absicherung von Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit nach § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII lediglich nach Grund und Höhe angemessene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen als einkommensmindernd anerkannt (vgl, hierzu VGH Mannheim, B.v. 17.5.2022 – VGH 12 S 620/20 – BeckRS 2022, 18519), nicht hingegen Darlehen zum Bau von Unterstellgebäuden und einer Photovoltaikanlage.
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4. Soweit der Kläger schließlich geltend macht, wie in den Zeiträumen 2016 und 2019 hätten als sonstige Belastungen Beiträge zu einer Risiko-Lebensversicherung, das Darlehen für den Erwerb der Immobilie S.-Weg abzüglich des Wohnwerts sowie die Beiträge zu einer Haftpflichtversicherung berücksichtigt werden müssen, setzt er sich schon mit dem Einwand des Beklagten nicht auseinander, er habe diese Belastungen für das Jahr 2017 nicht nachgewiesen. Die Erfüllung der Nachweispflicht setzt § 93 Abs. 3 Satz 5 SGB VIII indes voraus. Im Übrigen überschreiten die geltend gemachten Belastungen den Pauschalabzug von 25 vom Hundert des anzurechnenden Einkommens nicht, wirken sich daher auf den geforderten Kostenbeitrag nicht aus.
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Mithin hat der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargelegt, sodass der Antrag auf Zulassung der Berufung zurückzuweisen war.
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5. Der Kläger trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Kinder- und Jugendhilferechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.