Inhalt

VGH München, Beschluss v. 03.08.2023 – 12 CE 23.1247
Titel:

Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde bzgl. Unterhaltsvorschussleistungen

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
UVG § 1
Leitsätze:
1. Die Begründung eines Prozesskostenhilfeantrages für eine beabsichtigte Beschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung erfordert, dass sich das Vorliegen von Beschwerdegründen jedenfalls „in groben Zügen“ erkennen lässt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es erweist sich bei einem Antrag auf Gewährung von Unterhalt im Wege der einstweiligen Anordnung regelmäßig als unzumutbar, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache eine monatliche Bedarfsunterdeckung eines Minderjährigen hinzunehmen. Das notwendige Existenzminimum ist vielmehr stets aktuell zu sichern. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob eine Unterdeckung des elementaren Lebensbedarfs vorliegt, die einen Anordnungsgrund für die vorläufige Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen darstellt, ist dabei aus der Sicht des anspruchsberechtigten Kindes als Anspruchsinhaber, nicht hingegen bezogen auf den Elternteil, bei dem das Kind lebt, zu beurteilen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterhaltsvorschussleistungen, Sorgerecht, Aufenthalt in Dänemark, Internationale familiengerichtliche Zuständigkeit, Gesetzliche Prozessstandschaft, Vorläufiger Rechtsschutz, Eilbedürftigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache, Unterhalt, Anordnungsgrund, Beschwerde, Prozesskostenhilfe, Bedarfsunterdeckung, Unterdeckung, Kind
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 10.07.2023 – Au 3 E 23.634
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20758

Tenor

Dem Antragsteller wird für eine noch zu erhebende Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg (Az.: Au 3 E 23.634) Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung bewilligt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. Juli 2023 verfolgt der Antragsteller die Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen für seine 2010 geborene Tochter E. im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes weiter.
I.
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1. Der Antragsteller lebt seit 2019 von der Mutter seiner Tochter E. getrennt. Beim Amtsgericht Kaufbeuren, Familiengericht, sind gegenwärtig das Scheidungsverfahren und das Sorgerechts(hauptsache) verfahren betreffend E. anhängig. Nachdem das Familiengericht dem Antragsteller und der Kindsmutter zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge für E. entzogen hatte, hob das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 3. August 2022 (Az. 4 UF 521/22) die Sorgerechtsentziehung hinsichtlich des Antragstellers auf und stellte zugleich fest, dass dieser vorläufig alleiniger Inhaber des Sorgerechts für E. sei. Nachfolgend meldete der Antragsteller sich und seine Tochter zum 31. August 2022 aus Deutschland ab und verzog mit ihr nach Dänemark, wo sie aktuell gemeinsam leben. Ein diesbezüglich von der Kindsmutter angestrengtes Strafverfahren wegen der Entziehung Minderjähriger wurde mit staatsanwaltlicher Verfügung vom 15. November 2022 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Zwischenzeitlich übertrug das Amtsgericht Kaufbeuren, Familiengericht, mit Beschluss vom 23. September 2022 (3 F 646/22) wiederum im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge auf die Kindsmutter und ordnete die Herausgabe von E. an diese an. Mit weiterem Beschluss vom 26. Oktober 2022 entzog das Amtsgericht dem Antragsteller erneut die elterliche Sorge und bestätigte zugleich deren Übertragung auf die Kindsmutter (Az. 3 F 646/22). Ein Nachweis über die Zustellung des letztgenannten Beschlusses an den Antragsteller findet sich in den dem Senat vorliegenden Akten nicht.
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2. Am 27. Dezember 2022 beantragte der Antragsteller unter Beigabe verschiedener Unterlagen zu seinen Einkommensverhältnissen beim Antragsgegner Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) für seine Tochter E. ab dem 1. November 2022. Daraufhin forderte der Antragsgegner die Kindsmutter zur Stellungnahme zu diesem Antrag auf, insbesondere zu dem Umstand, ob die Tochter E. mit oder gegen ihren Willen beim Antragsteller lebe. Daraufhin teilte die Kindsmutter dem Antragsgegner mit Schreiben vom 28. März 2023 mit, dass ihr ihre Tochter gegen ihren Willen entzogen worden sei und sich der Antragsteller gegen ihren Willen mit E. ins Ausland abgesetzt habe. In der Folge lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 25. April 2023 die Gewähr von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für E. ab. Zwar lebe E. mit dem Antragsteller in einem Haushalt. Das Jugendamt des Antragsgegners habe jedoch festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung das alleinige Sorgerecht für E. auf die Kindsmutter übertragen worden sei. Diese habe gegenüber dem Jugendamt zum Ausdruck gebracht, dass sich der Antragsteller mit der gemeinsamen Tochter E. gegen ihren Willen ins Ausland begeben habe. Wenn das anspruchsberechtigte Kind nach § 9 UVG gegen den Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils bei dem anderen Elternteil lebe, könne letzterer zwar einen wirksamen Antrag auf Unterhaltsvorschussleistungen stellen. Es bestehe jedoch kein Leistungsanspruch. Die Umkehr der unterhaltsrechtlichen Rechte und Pflichten trete nur dann ein, wenn sich das Kind mit Zustimmung des allein sorgeberechtigten Elternteils beim barunterhaltspflichtigen Elternteil aufhalte. Aufgrund der rechtswidrigen Aufnahme des Kindes bleibe vorliegend der Antragsteller barunterhaltspflichtig. Mithin lägen nach Ziffer 9.3 Abs. 4 VwUVG 2023 die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor.
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3. Gegen den Ablehnungsbescheid erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg, über die noch nicht entscheiden worden ist. Zugleich beantragte er mit Schriftsatz vom 29. April 2023, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ab dem 1. April 2023 seiner Tochter bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Klageverfahren, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. Juli 2023 ab, da der Antragsteller bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Zwar könnten wesentliche Nachteile im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch Nachteile wirtschaftlicher Art sein, jedoch müssten diese, um den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen, zumindest zu einer ernsthaften wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen. Der Antragsteller habe nicht hinreichend substantiiert glaubhaft gemacht, dass ihm ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar sei. Zwar habe er vorgetragen, dass der Unterhalt seiner Tochter E. derzeit akut gefährdet sei, weil er lediglich über ein Nettoeinkommen in Höhe von 578,15 € verfüge und weder er noch seine Tochter andere Sozialleistungen oder Kindergeld erhielten. Die vom Antragsteller vorgelegten Nachweise gäben jedoch allenfalls Aufschluss über das vom Antragsteller von einem Arbeitgeber bezogene aktuelle Nettoeinkommen. Daraus ließen sich keine Schlüsse zur finanziellen Gesamtsituation des Antragstellers ziehen. Obwohl der Antragsgegner die finanzielle Notsituation des Antragstellers ausdrücklich angezweifelt habe, habe dieser in seiner Replik keine weiteren stichhaltigen Informationen vorgelegt, woraus sich die besondere Eilbedürftigkeit im Hinblick auf seine finanziellen Belastungen ergebe. Insbesondere habe er keine weiteren Nachweise zu seiner Einkommens- und Vermögenssituation „im Übrigen“ übermittelt. Damit fehle bereits eine substantiierte Darlegung einer nicht anders abwendbaren Notlage, die eine sofortige gerichtliche Entscheidung notwendig erscheinen lassen würde. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen für eine nur ausnahmsweise zulässige Vorwegnahme der Hauptsache hier nicht vor. Der Antragsteller hätte hierfür glaubhaft machen müssen, dass ihm ohne die Gewähr vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Ein derart schwerer und unzumutbarer Nachteil für den Antragsteller wäre erst dann gegeben, wenn die soziale berufliche oder wirtschaftliche Existenz des Antragstellers gefährdet wäre. Vorliegend sei nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller ohne die Gewähr vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden. Schließlich bestünden bei summarischer Prüfung Zweifel, ob die Klage in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg habe. Im Hinblick auf den der Regelung in Nr. 9.3 Abs. 4 VwUVG 2023 zugrundeliegenden Gedanken des Rechtsmissbrauchs sei höchst fraglich, ob der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen nach § 1 UVG geltend machen könne, wenn das anspruchsberechtigte Kind entgegen dem Willen der Kindsmutter, der durch amtsrichterliche Beschlüsse vorläufig die alleinige elterliche Sorge übertragen wurde, beim Antragsteller lebe.
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4. Daraufhin beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 16. Juli 2013 unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für seine beabsichtigte Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liege der Anordnungsgrund der Eilbedürftigkeit vor. Unterhalt diene dem Ausgleich einer aktuell bestehenden Bedürftigkeit. Bei minderjährigen Kindern richte sich nach § 1612a Abs. 1 Satz 2 BGB der Mindestunterhalt nach dem steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimum. Komme der Unterhaltsverpflichtete seiner Leistungspflicht nicht nach und trete der Staat mit Unterhaltsvorschussleistungen an seine Stelle, gelte nichts Anderes. Vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sei es unzumutbar, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache eine monatliche Bedarfsunterdeckung hinzunehmen. Das Existenzminimum sei vielmehr immer aktuell zu sichern. Ferner sei der Antragsteller als alleinerziehender Vater nach sozialhilferechtlichen Maßstäben nicht in der Lage, anstelle des anderen Elternteils für den Unterhalt seiner Tochter E. aufzukommen, da er nachgewiesenermaßen lediglich ein Einkommen in Höhe von 578,15 € netto beziehe. Soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss feststelle, der Antragsgegner habe die finanzielle Situation des Antragstellers ausdrücklich angezweifelt, sei dies zurückzuweisen. Der Antragsgegner habe mit Schriftsatz vom 11. Mai 2023 vielmehr erklärt, dass die vom Antragsteller geschilderte finanzielle Situation in dieser Form bereits seit Monaten, mindestens jedoch seit Dezember 2022 bestehe. Hierin liege kein Anzweifeln der finanziellen Situation, sondern allein die Erklärung, dass diese bereits seit längerer Zeit anhalte. Insoweit erweise sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts daher auch als unzulässige Überraschungsentscheidung. Im Übrigen liege in der beantragten Leistungsanordnung keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, wie sich bereits aus dem Senatsbeschluss vom 14. Mai 2020 (Az. 12 CE 20.985 – BeckRS 2020, 9522) und der daran orientierten Antragstellung ergebe. Schließlich komme dem Antragsteller auch ein Anordnungsanspruch zu. Insoweit sei das Verwaltungsgericht auf das ausführliche Vorbringen zur fehlenden Wirksamkeit des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 26. Oktober 2022, mit dem dem Antragsteller die elterliche Sorge für seine Tochter entzogen werden soll, nicht eingegangen. Es fehle an der notwendigen Bekanntgabe des Beschlusses durch Zustellung an den Antragsteller. Sofern daher gegebenenfalls für die Tochter E. nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB eine gemeinsame elterliche Sorge bestünde, sei der Antragsteller jedenfalls berechtigt, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend zu machen und somit auch den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss.
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5. Demgegenüber verteidigt der Antragsgegner den verwaltungsgerichtlichen Beschluss. Die Rechtsverfolgung des Antragstellers besitze keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ein etwaiger Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen setze voraus, dass der Aufenthalt der Tochter E. beim Vater nicht im Widerspruch zum Willen der allein sorgeberechtigten Mutter stehe. Im Hinblick auf das Sorgerecht und die familienrechtliche Beurteilung seien die Beschlüsse des Amtsgerichts Kaufbeuren, Familiengericht, vom 23. September und 26. Oktober 2022 bindend.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Bewilligung von Proesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für eine noch zu erhebende Beschwerde hat Erfolg, da nach dem Vorbringen des Antragstellers der Beschwerde nach dem für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe anzulegenden Maßstab hinreichende Erfolgsaussichten zukommen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller im vorliegenden Fall sowohl einen Anordnungsgrund (2.) wie auch einen Anordnungsanspruch (3.) glaubhaft gemacht. Ferner beinhaltet die gewählte Antragstellung auch keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache (4.).
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1. Wird, wie im vorliegenden Fall, von einem anwaltlich nicht vertretenen Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Beschwerde gegen einen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen verwaltungsgerichtlichen Beschluss begehrt, ist es zur gebotenen Beurteilung der Erfolgsaussichten der Beschwerde nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO jedenfalls erforderlich, dass der Antragsteller bis zum Ablauf der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO Beschwerdegründe in der Form darstellt, wie dies einem Verfahrensbeteiligten ohne anwaltlichen Beistand möglich ist (vgl. hierzu und zum Folgenden VGH Mannheim, B.v. 12.2.2021 – A 11 S 26219/20 – BeckRS 2021, 289 Rn. 2). Aus der innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegten Begründung des Prozesskostenhilfeantrags muss sich das Vorliegen von Beschwerdegründen jedenfalls „in groben Zügen“ erkennen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2020 – 15 ZB 20.25, 15 ZB 20.26 – BeckRS 2020, 2929). Diesem Erfordernis genügt entgegen der Auffassung des Antragsgegners das Vorbringen des Antragstellers.
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2. Anders als das Verwaltungsgericht meint, hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund für die begehrten Unterhaltsvorschussleistungen für seine Tochter E. hinreichend glaubhaft gemacht.
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2.1 Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zur Regelung eines vorläufigen Zustands zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die hierin liegende Eilbedürftigkeit der Regelung muss sich entweder aus dem Zeitablauf selbst ergeben oder in der Zwischenzeit bis zur Hauptsacheentscheidung eintreten und später nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Beansprucht ein Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung von Unterhalt, zielt dies nach § 1602 BGB auf den Ausgleich einer aktuell bestehenden Bedürftigkeit für die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts. Bei minderjährigen Kindern richtet sich gem. § 1612a Abs. 1 Satz 2 BGB der Mindestunterhalt nach dem steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimum. Tritt der Staat nach § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 UVG an die Stelle eines Unterhaltsverpflichteten, der seiner Leistungspflicht nicht nachkommt, gilt nichts Anderes. Vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG erweist es sich demnach regelmäßig als unzumutbar, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache eine monatliche Bedarfsunterdeckung eines Minderjährigen hinzunehmen. Das notwendige Existenzminimum ist vielmehr stets aktuell zu sichern (vgl. OVG Bautzen, B.v. 28.10.2020 – 3 D 42/20 – BeckRS 2020, 29323 Rn. 12.ff.).
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Ob eine Unterdeckung des elementaren Lebensbedarfs vorliegt, die einen Anordnungsgrund für die vorläufige Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen darstellt, ist dabei aus der Sicht des anspruchsberechtigten Kindes als Anspruchsinhaber nach § 1 Abs. 1 UVG, nicht hingegen bezogen auf den Elternteil, bei dem das Kind lebt, zu beurteilen. Der antragstellende Elternteil wird in diesem Kontext nach § 9 Abs. 1 UVG vielmehr im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft tätig (vgl. etwa Buchheister in jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil Stand 15.4.2023, § 9 UVG Rn. 23).
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2.2 Gemessen hieran hat der Antragsteller für seine Tochter E. jedenfalls im vorliegenden Prozesskostenhilfeverfahren das Bestehen eines Anordnungsgrunds hinreichend glaubhaft gemacht. Es bestehen, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts, angesichts der vorgelegten Kontounterlagen und eingedenk der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller über die vorgelegten Verdienstbescheinigungen hinaus weitere Einkünfte von einem bislang unbekannten Arbeitgeber bezieht, die es ihm ermöglichen würden, über die Betreuung der Tochter hinaus für sie auch Barunterhalt zu leisten. Aus welchen tatsächlichen Anhaltspunkten das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss den Schluss zieht, der Antragsteller habe es versäumt, seine finanzielle Situation „im Übrigen“ glaubhaft zu machen, bleibt unerfindlich. Wie der Antragsteller ferner zu Recht vorbringt, beinhaltet der Vortrag des Antragsgegners, die prekäre finanzielle Situation bestehe mindestens seit Dezember 2022, mit Ausnahme der unausgesprochenen Vermutung, der Antragsteller verfüge über weitere, bislang unbekannte Finanzquellen, keinerlei Anhaltspunkte für eine anderweitige Deckung des finanziellen Bedarfs von E.. Weiter bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass E. ihren Bedarf durch dänische oder deutsche Sozialleitungen deckt. Vielmehr ergibt sich aus den vorliegenden Akten, dass der Antragsteller aktuell um die Wiederaufnahme der eingestellten Kindergeldzahlungen für E. kämpft. Mithin hat der Antragsteller den Anordnungsgrund für den Erlass der einstweiligen Anordnung, nämlich die fortbestehende Bedarfsunterdeckung bei seiner minderjährigen Tochter E. hinreichend glaubhaft gemacht.
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3. Weiterhin besteht zugunsten der Tochter E. des Antragstellers auch ein Anordnungsanspruch.
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Gemessen am Wortlaut des Unterhaltsvorschussgesetzes liegen die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1, 1a UVG in Person der Tochter E. des Antragstellers vor. Dies gilt auch, soweit der Antragsteller sich mit seiner Tochter im EU-Mitgliedstaat Dänemark aufhält (vgl. hierzu etwa Engel-Boland in BeckOK Sozialrecht, Stand 1.6.2023, § 1 UVG Rn. 8). Soweit der Antragsgegner wie auch das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf Ziffer 9.3 Abs. 4 der (Bayerischen) Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes (VwUVG 2023) in der ab 1. Januar 2023 geltenden Fassung zwar die Antragsberechtigung des Antragstellers bejahen, einen Anspruch der Tochter E. des Antragstellers unter Hinweis auf einen Rechtsmissbrauch des Antragstellers hingegen verneinen, bestehen hiergegen durchgreifende Bedenken.
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3.1 Aus Sicht des Senats erweist es sich bereits als überaus fraglich, ob ein nach dem Unterhaltsvorschussgesetz offenkundig bestehender Rechtsanspruch einer Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen allein durch Verwaltungsvorschriften, auf die sich der Antragsgegner hier ausschließlich beruft, die die Verwaltungsgerichte aber nicht binden, ausgeschlossen werden kann, zumal Unterhaltsvorschussleistungen regelmäßig unabhängig von der sorgerechtlichen Situation des anspruchsberechtigten Minderjährigen erbracht werden (vgl. hierzu Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes [UVG-RL] in der ab 1. Januar 2023 geltenden Fassung Ziffer 1.3.1; ebenso Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes [VwUVG 2023] in der ab 1. Januar 2023 geltenden Fassung, Ziffer 1.3.1, S. 22; Engel-Boland in BeckOK Sozialrecht, Stand 1.6.2023, § 9 UVG Rn. 15; Buchheister in jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil Stand 15.4.2023, § 9 UVG Rn. 22: maßgeblich sind die „tatsächlichen Betreuungsverhältnisse“, nicht das Sorgerecht; Grube, Unterhaltsvorschussgesetz, 2009, § 9 Rn. 3). Dies entspricht im Übrigen auch der Intention des Gesetzgebers, den Unterhalt eines Minderjährigen sicherzustellen, der tatsächlich von dem Elternteil, bei dem er nicht lebt, keinen Unterhalt erhält und damit de facto nicht über die Mittel zur Sicherstellung des Lebensunterhalts verfügt. Anders als die bayerischen Verwaltungsvorschriften enthalten die UVG-Richtlinien des Bundes einen Ziffer 9.3 Abs. 4 VwUVG 2023 entsprechenden Missbrauchstatbestand nicht.
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3.2 Darüber hinaus liegen, gemessen am Vortrag des Antragstellers im Verfahren erster Instanz wie auch in der Beschwerdebegründung, auch die Voraussetzungen für die Annahme eines „Missbrauchs“ im Sinne von Ziffer 9.3 Abs. 4 VwUVG 2023 mit der Folge des Entfallens des Anspruchs auf Unterhaltsvorschussleistungen nicht vor. Nach Ziffer 9.3 Abs. 4 VwUVG soll ein Leistungsanspruch in den Fällen nicht bestehen, „in denen das Kind gegen den Willen des alleinsorgeberechtigten Elternteils bei dem anderen – unterhaltspflichtigen – Elternteil (z.B. bei Entführung des Kindes) lebt“. Vorliegend wendet der Antragsteller, ohne dass das Verwaltungsgericht dies aufgegriffen hätte, jedoch zu Recht ein, dass es sich bei der Kindsmutter von E. nicht um den alleinsorgeberechtigten Elternteil handelt. Denn zunächst war ausgehend vom Beschluss des OLG München vom 3. August 2022 der Antragsteller alleiniger Inhaber der elterlichen Sorge. Insofern erfolgte auch die Wohnsitzverlagerung nach Dänemark rechtmäßig, da die Kindsmutter Ende August 2022 nicht über das Sorgerecht für E. verfügte. Demzufolge hat die Staatsanwaltschaft folgerichtig auch das Verfahren wegen Entziehung Minderjähriger nach § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdachts eingestellt. Soweit dem Antragsteller durch den Beschluss des Amtsgerichts Kaufbeuren, Familiengericht, vom 26. Oktober 2022 erneut das Sorgerecht für E. vorläufig entzogen worden ist, entfaltet dieser Beschluss keine Wirksamkeit. Denn, wie der Antragsteller zutreffend vorträgt, bedarf ein anfechtbarer Beschluss des Familiengerichts nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG der Zustellung an denjenigen, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht. Erst durch die Bekanntgabe in Form der Zustellung entfaltet der Beschluss nach § 40 Abs. 1 FamFG seine Wirksamkeit. Eine entsprechende Zustellung des Beschlusses über die Sorgerechtsentziehung an den Antragsteller ist jedoch aus den vorliegenden Akten nicht ersichtlich. An einen demzufolge unwirksamen Beschluss über die Sorgerechtsentziehung ist auch der Antragsgegner nicht gebunden. Folglich fehlt es im vorliegenden Fall bereits am alleinigen Sorgerecht der Kindsmutter von E., sodass die Anwendung von Ziffer 9.3 Abs. 4 VwUVG 2023 bereits aus diesem Grund ausscheidet.
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Hinzu kommt, dass angesichts des rechtmäßig begründeten, gewöhnlichen Aufenthalts von E. in Dänemark dem Amtsgericht Kaufbeuren, Familiengericht, wohl gegenwärtig die internationale Zuständigkeit für eine Sorgerechtsentscheidung fehlt. Diese richtet sich gem. § 97 Abs. 1 Satz 1 FamFG nach dem Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ vom 19.10.1996, BGBl. 2009 II, 603), nachdem Dänemark nicht Mitgliedstaat der einschlägigen europarechtlichen Verordnungen (Brüssel IIa-VO, Brüssel IIb-VO) ist (vgl. Sieghörtner in BeckOK FamFG, Stand 2.4.2023, § 97 Rn. 4). International zuständig für Sorgerechtsentscheidungen ist nach dem Haager Kinderschutzübereinkommen der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, im vorliegenden Fall daher Dänemark (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 5.6.2015 – 18 UF 265/14 – NJW-RR 2015, 1415). Demzufolge dürfte es dem Amtsgericht Kaufbeuren, Familiengericht, an der internationalen Zuständigkeit für eine Sorgerechtsentscheidung fehlen.
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4. Schließlich verweist der Antragsteller zutreffend auf den Senatsbeschluss vom 14. Mai 2020 (12 CE 20.985 – BeckRS 2020, 9522 Rn. 23), wonach bei einer Befristung des beantragten Leistungsumfangs der einstweiligen Anordnung auf die Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen für die kommenden sechs Monate, längstens bis zu einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache dem grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache und dem vorläufigen Regelungscharakter der einstweiligen Anordnung hinreichend Rechnung getragen ist. Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie das Verwaltungsgericht angenommen hat, scheidet demnach vorliegend aus, zumal das Verwaltungsgericht hinsichtlich der existentiellen Notlage überdies rechtsfehlerhaft auf den Antragsteller und nicht auf seine Tochter E. als Anspruchsinhaberin abgestellt hat.
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5. Da der Antragsteller auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Gewähr von Prozesskostenhilfe erfüllt, war ihm für das nach Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags durchzuführende Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung zu bewilligen. Angesichts des vorstehend Ausgeführten regt der Senat zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten an, den Ablehnungsbescheid vom 25. April 2023 aufzuheben und der Tochter E. des Antragstellers Unterhaltsvorschussleistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.