Inhalt

VGH München, Beschluss v. 31.07.2023 – 11 CS 23.1229
Titel:

Behördliche Annahme einer bereits zuvor mehrfach diagnostizierten Alkoholabhängigkeit ohne Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens

Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4 S. 3
FeV § 11 Abs. 7, Anl. 4 Nr. 8.3
Leitsätze:
1. Im Falle einer Mehrfachbegründung kann die Beschwerde nur Erfolg haben, wenn im Hinblick auf jeden der für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen Gründe in der Beschwerde etwas Durchgreifendes vorgetragen wird (stRspr, vgl. nur VGH München BeckRS 2023, 12045; BeckRS 2021, 24977). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür weiterer Abklärung bedarf. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit allen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Ausgangsentscheidung im Rahmen der Beschwerdebegründung, Behördliche Annahme einer bereits zuvor mehrfach diagnostizierten Alkoholabhängigkeit ohne Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, Vorfälle mit einer BAK von 3,32 und 4,0 ‰ kurz nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, Notwendigkeit dauerhafter Alkoholabstinenz, Darlegungsanforderungen, Mehrfachbegründung, ärztlich diagnostizierte Alkoholabhängigkeit, medizinisch-psychologisches Gutachten
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 19.06.2023 – W 6 S 23.615
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20756

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1 (jeweils mit Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), B, AM und L.
2
Dem am ... 1985 geborenen Antragsteller wurde die Fahrerlaubnis erstmals am 19. November 2002 erteilt. Mit Urteil vom 28. September 2015 entzog ihm das Amtsgericht Sch. nach einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,49 ‰ die Fahrerlaubnis. Nach zwei stationären Alkoholentgiftungen im Jahr 2015, einer ambulanten Alkoholentwöhnung von September 2015 bis Februar 2016 und Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 20. Februar 2017, das von der Notwendigkeit dauerhaften und konsequenten Verzichts auf Alkohol ausgeht, erteilte ihm das Landratsamt Bamberg am 20. März 2017 erneut die Fahrerlaubnis.
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Nach Mitteilungen der Polizei über zwei Vorfälle im Oktober und November 2017, bei denen der Antragsteller erheblich alkoholisiert war, forderte das Landratsamt Sch. ihn mit Schreiben vom 8. November 2017 zur Vorlage eines ärztlichen Attests auf. Mit Schreiben vom 29. November 2017 teilte die psychiatrische Institutsambulanz Sch. dem Landratsamt mit, der Antragsteller leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig remittiert (ICD-10: F33.4) und unter psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom (ICD-10: F10.2). Mit Bescheid vom 19. Dezember 2017 entzog ihm das Landratsamt daraufhin die Fahrerlaubnis. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Unterfranken mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2018 zurück.
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Nach Rücknahme der hiergegen eingereichten Klage und Beibringung eines ärztlichen Attests vom 5. Mai 2021, wonach beim Antragsteller eine rezidivierende depressive Störung in Remission sowie anamnestisch, d.h. „aktuell trocken“ eine Alkoholabhängigkeit bestehe, sowie eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens vom 6. Oktober 2021, wonach beim Antragsteller nach der medizinisch-psychologischen Untersuchung vom 31. Januar 2017 die Alkoholabhängigkeit durch Rückfall wieder aufgetreten sei, und eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 23. Juni 2022 erteilte ihm das Landratsamt am 13. Juli 2022 erneut die Fahrerlaubnis.
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Durch Mitteilung der Polizeiinspektion Sch. erhielt das Landratsamt Kenntnis von einer Unterbringung des Antragstellers im Bezirkskrankenhaus Schloss Werneck am 22. Januar 2023 wegen Eigen- und Fremdgefährdung. Dem lag der Mitteilung zufolge zugrunde, dass sich der Antragsteller in Begleitung seiner Eltern in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Sch. anderen Personen gegenüber aggressiv verhalten habe. Seine Mutter habe angegeben, er konsumiere seit mehreren Wochen täglich exzessiv Alkohol. Ein Alkoholtest habe einen Wert von 3,32 ‰ ergeben und in der Klinik sei eine Alkoholpsychose diagnostiziert worden. Bereits am 7. August 2022 sei es in einem anderen Krankenhaus in Sch. zu einem Polizeieinsatz gekommen, bei dem der Antragsteller stark alkoholisiert auf der Krankenliege um sich geschlagen habe und mit Handfesseln habe fixiert werden müssen. Es sei ein Alkoholwert von 4 ‰ festgestellt worden.
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Nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 8. Februar 2023 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Ablieferung des Führerscheins. Der Antragsteller sei nur einen Monat nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis rückfällig geworden und habe sich aufgrund der Abhängigkeit von Alkohol als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die Abhängigkeit sei nicht überwunden, sondern wieder gegenwärtig. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit habe zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens zur Folge.
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Über die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Würzburg noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. Juni 2023 abgelehnt. Bei summarischer Prüfung spreche Vieles dafür, dass die Fahrerlaubnisbehörde ohne Anordnung eines erneuten medizinischen Gutachtens von einer Alkoholabhängigkeit habe ausgehen dürfen. Aufgrund der nicht ausgeräumten Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers könne es auch bei unterstellt offenen Erfolgsaussichten im Lichte der Schutzpflicht für Leben und Gesundheit nicht verantwortet werden, ihm die Fahrerlaubnis ohne vorherige positive medizinische Begutachtung zu belassen.
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Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde lässt der Antragsteller im Wesentlichen vortragen, das Verwaltungsgericht habe die im Klageverfahren geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht zur Kenntnis genommen und sei darauf jedenfalls nicht hinreichend eingegangen. Die Maßnahme ohne Nachweis einer konkreten Gefahr sei ungeeignet, nicht erforderlich und unangemessen und verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Von nicht alkoholisierten Personen gehe keine Gefahr für den Straßenverkehr aus. Es sei nicht erkennbar, warum die Strafandrohung des § 21 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) eine alkoholisierte Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässiger verhindern könne als § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr). Zudem setze die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit die Feststellung von mindestens drei der in ICD-10 F10.2 genannten sechs Kriterien im Laufe des letzten Jahres voraus. Nach Ablauf eines Jahres ohne entsprechende Symptomatik entfalle daher die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit. Außerdem verfüge die Fahrerlaubnisbehörde nicht über die medizinische Kompetenz, eine Alkoholabhängigkeit zu diagnostizieren. Dies gehöre zum Kernbereich ärztlicher Tätigkeit. Unabhängig davon sei nicht ersichtlich, inwieweit das Landratsamt geprüft oder gar festgestellt habe, ob beim Antragsteller mindestens drei der sechs Kriterien vorliegen. Das Gutachten vom 23. Juni 2022 interpretiere und bewerte lediglich die vorhandenen medizinischen Befunde, stelle aber selbst keine Diagnose auf. Außerdem gehe es davon aus, dass der Antragsteller die Hintergründe seiner Alkoholabhängigkeit hinreichend aufgearbeitet und die Problematik überwunden habe. Es bestünden mehrere Anhaltspunkte dafür, dass die frühere Diagnose der Alkoholabhängigkeit nicht mehr aktuell sei. Auch das Landratsamt sei bei Neuerteilung der Fahrerlaubnis davon ausgegangen, dass beim Antragsteller keine Alkoholabhängigkeit mehr bestehe. Daher habe es nicht ohne vorherige medizinische Abklärung von erwiesener Ungeeignetheit des Antragstellers ausgehen dürfen. Auch die sonstigen Umstände würden die Annahme der Nichteignung des Antragstellers nicht rechtfertigen. Inwieweit erheblicher Alkoholabusus vorgelegen habe, der auf Umständen beruhe, die auch in früheren Krankheitszeiten bestanden hätten, sei nicht ermittelt worden. Die im polizeilichen Sachbericht genannten Umstände würden auf laienhaften Einschätzungen der Mutter des Antragstellers und des herbeigerufenen Polizeibeamten beruhen. Auch das Pflegepersonal könne keine medizinischen Diagnosen stellen. Für den aktuellen Zeitraum sei eine Alkoholabhängigkeit nicht medizinisch nachgewiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
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1. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Antrags bei unterstellt offenen Erfolgsaussichten selbständig tragend auf die Güterabwägung gestützt und dies eingehend und einzelfallbezogen dargelegt (Beschlussabdruck S. 15 f.). Hiermit setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander. Die gesamte, sehr umfangreiche Beschwerdebegründung geht von der Prämisse aus, die Erfolgsaussichten seien nicht als offen anzusehen, vielmehr sei die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtswidrig. Damit greift sie allerdings nur eines der beiden unabhängig voneinander tragenden Begründungselemente des Ausgangsgerichts an und enthält keine Ausführungen zur Folgenabwägung in der angefochtenen Entscheidung, wonach der Antragsteller die mit der Entziehung der Fahrerlaubnis verbundenen Nachteile aufgrund der gravierenden und nicht ausgeräumten Zweifel an seiner Fahreignung auch bei offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Verkehrssicherheit und der hier in Rede stehenden hochrangigen Rechtsgüter hinnehmen müsse. Damit genügt die Beschwerdebegründung insoweit nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
12
Das Gebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wonach die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen muss, aus denen die angefochtene Entscheidung nach Auffassung des Rechtsmittelführers abzuändern oder aufzuheben ist, und sich dabei mit der Entscheidung auseinandersetzen muss, verlangt in Verbindung mit der Vorgabe, dass das Beschwerdegericht nur die dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), eine Auseinandersetzung mit allen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Ausgangsentscheidung. Im Falle einer Mehrfachbegründung kann die Beschwerde daher nur Erfolg haben, wenn im Hinblick auf jeden der für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen Gründe in der Beschwerde etwas Durchgreifendes vorgetragen wird (stRspr, vgl. nur BayVGH, B.v. 19.5.2023 – 10 CS 23.783 – juris Rn. 8; B.v. 11.8.2021 – 25 CE 21.1959 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 30.9.2020 – 12 B 1686/19 – juris Rn. 4; ebenso Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 146 VwGO Rn. 13c; Kaufmann in BeckOK VwGO, Posser/Wolff/Decker, Stand: 1.1.2020, § 146 Rn. 14; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 146 Rn. 77). Daran fehlt es hier hinsichtlich der erstinstanzlichen Folgenabwägung bei unterstellt offenen Erfolgsaussichten mit der Folge, dass die Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben kann.
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2. Es kann somit dahinstehen, ob die Ausführungen des Antragstellers gegen die ebenfalls tragenden Entscheidungsgründe hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis der Beschwerde zum Erfolg verholfen hätten. Im Hinblick auf das noch anhängige Klageverfahren weist der Senat jedoch darauf hin, dass dies voraussichtlich nicht der Fall gewesen wäre. Vielmehr ist der Senat mit dem Ausgangsgericht der Auffassung, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis unter den gegebenen Umständen wegen feststehender Nichteignung des Antragstellers aufgrund Alkoholabhängigkeit auch ohne Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens gerechtfertigt war (§ 11 Abs. 7 i.V.m. Nr. 8.3 der Anlage 4 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 18.3.2022 [BGBl I S. 498]).
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Alkoholabhängigkeit führt nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV zum Ausschluss der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216 Rn. 5; SächsOVG, B.v. 11.12.2018 – 3 A 1185/18 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 11 CS 21.1336 – juris Rn. 10; B.v. 19.7.2019 – 11 ZB 19.977 – juris Rn. 11; B.v. 11.9.2018 – 11 CS 18.1708 – juris Rn. 11 m.w.N.). Abgesehen davon, dass beim Antragsteller mit der Trunkenheitsfahrt vom 3. April 2015 eine noch verwertbare Auffälligkeit mit einem Kraftfahrzeug vorliegt, besteht bei alkoholabhängigen Personen krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür weiterer Abklärung bedarf. Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV erlangt der Betreffende die Kraftfahreignung nach einer Entwöhnungsbehandlung erst dann wieder, wenn die Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (VkBl S. 110) in der aktuellen Fassung, die Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind (vgl. Anlage 4a zur FeV), gehen in Nr. 3.13.2 von der Notwendigkeit dauerhafter Abstinenz für die Wiedererlangung und Beibehaltung der Fahreignung aus, wenn diese wegen Alkoholabhängigkeit nicht mehr gegeben war.
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Zwar weist die Beschwerde grundsätzlich zutreffend darauf hin, dass der Fahrerlaubnisbehörde die medizinische Kompetenz zur Feststellung einer Alkoholabhängigkeit fehlt. Im Fall des Antragstellers wurde die Alkoholabhängigkeit jedoch trotz der zwischenzeitlich nachgewiesenen Abstinenzen mehrfach und für einen langen Zeitraum gutachterlich festgestellt. Auch das zuletzt von ihm selbst im Rahmen des Wiedererteilungsverfahrens beigebrachte Gutachten des ... Th. vom 23. Juni 2022 bestätigt zwar einen „umfassenden Einsichts- und Veränderungsprozess“ und einen ausreichend nachgewiesenen Abstinenzzeitraum, geht aber gleichwohl aufgrund der Vorgeschichte und der „vorliegenden Krankenhausberichte“ (zitiert wird ein Entlassungsbericht der Suchtmedizinischen Tagesklinik Freiburg über einen teilstationären Aufenthalt vom 7.5. bis 15.6.2018 mit der Entlassungsdiagnose Alkoholabhängigkeit, bestehend etwa seit 2014) von einer Alkoholabhängigkeit aus, deren Diagnose „extrem gesichert“ sei. Auch das ärztliche Gutachten der ... S. L2. Service GmbH vom 6. Oktober 2021 bestätigt ausdrücklich das Wiederauftreten der Alkoholabhängigkeit durch Rückfall nach der medizinisch-psychologischen Untersuchung vom 31. Januar 2017. Der den Antragsteller behandelnde Arzt attestierte am 4. Mai 2021 ebenfalls eine Alkoholabhängigkeit, wenn auch „aktuell ‚trocken‘“. Schließlich geht bereits das medizinisch-psychologische Gutachten vom 20. Februar 2017 – ebenso wie der Antragsteller selbst ausweislich seiner Äußerungen noch im Untersuchungsgespräch am 24. Mai 2022 beim ... Th. – von der Notwendigkeit dauerhaften und konsequenten Verzichts auf Alkohol aus.
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Gleichwohl kam es bereits wenige Wochen nach Vorlage des positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu einem ersten gravierenden Vorfall am 7. August 2022, bei dem die Polizei eingreifen musste, weil der Antragsteller im St.-Josefs-Krankenhaus Sch. um sich schlug und mit Handfesseln an der Liege fixiert werden musste. Die hierbei festgestellte Blutalkoholkonzentration betrug 4 ‰. Bei einem weiteren Polizeieinsatz am 22. Januar 2023 in der Notaufnahme des Leopoldina-Krankenhauses Sch. verhielt sich der Antragsteller bei einer festgestellten Blutalkoholkonzentration von 3,32 ‰ hochaggressiv gegenüber anderen Personen und musste deshalb wegen Selbst- und Fremdgefährdung im Bezirkskrankenhaus Schloss Werneck untergebracht werden. Der Antragsteller war damit über einen längeren Zeitraum wiederholt und entgegen ärztlichem Rat nicht in der Lage, die gebotene Alkoholabstinenz einzuhalten. Unter diesen Umständen bestehen auch ohne nochmalige ärztliche Feststellung keine begründeten Zweifel daran, dass ein Rückfall des Antragstellers in die mehrfach ärztlich diagnostizierte Alkoholabhängigkeit vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2014 – 11 CS 14.1868 – juris Rn. 22 ff. für eine ähnliche Fallkonstellation). Werte in der vom Antragsteller zuletzt erreichten Größenordnung sind deutliche Indikatoren für eine außergewöhnliche Alkoholtoleranzentwicklung und damit – jedenfalls unter Berücksichtigung der zuvor gesicherten Diagnose – für eine Alkoholabhängigkeit. Die Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/ Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 4. Auflage 2022, S. 88) weisen darauf hin, dass eine Alkoholabhängigkeitserkrankung auch bei Symptomfreiheit (Alkoholabstinenz) nach überwiegender fachlicher Auffassung weiter bestehe. Gegebenenfalls kann die behördliche Einschätzung einer Alkoholabhängigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses für das Hauptsacheverfahren durch Anforderung des Entlassungsberichts des Bezirkskrankenhauses oder anderer fundierter ärztlicher Stellungnahmen aus dieser Zeit verifiziert werden.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).