Titel:
Keine Ausnahmegenehmigung zum Befahren einer Fußgängerzone außerhalb der Lieferzeiten
Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1, § 146 Abs. 4
StVO § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 11
Leitsätze:
1. An die Voraussetzungen, unter denen die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Befahren einer Fußgängerzone in Betracht kommt, und ihren Nachweis sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als an die Genehmigung von Parkerleichterungen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit es für die Entscheidung über eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 StVO auf die Feststellung des (Gesamt-)Grads der Behinderung oder das Vorliegen von Merkzeichen ankommt, sind die Straßenverkehrsbehörden an die im Schwerbehindertenausweis eingetragenen Feststellungen gebunden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausnahmegenehmigung zum Befahren einer Fußgängerzone außerhalb der für den Bewohner- und Lieferverkehr freigegebenen Zeiten, Schwerbehinderung, Ausnahmegenehmigung, Fußgängerzone, Befahren, Parkerleichterung, Bindung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 03.04.2023 – AN 10 E 22.2512
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20754
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung zum (hilfsweise vorläufigen) Befahren der Fußgängerzone außerhalb der Lieferzeiten.
2
Sie sind Eigentümer und Bewohner eines in einer Fußgängerzone gelegenen Anwesens im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Der streitgegenständliche Bereich der Fußgängerzone war am 2. September 2020 aufgrund straßenverkehrsrechtlicher Anordnung vom 25. August 2020 zunächst probeweise für ein Jahr eingerichtet worden. Am 24. Juni 2021 beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin die Teileinziehung der betroffenen Ortsstraßen in Form einer dauernden Widmungsbeschränkung. Vom Ausschluss des Fahrzeugverkehrs sind Ausnahmen für den zeitlich beschränkten Bewohner- und Lieferverkehr möglich. Der durch Verkehrszeichen 242.1 ausgewiesene neue Bereich der Fußgängerzone ist durch Zusatzzeichen von Montag bis Freitag von 7:00 bis 11:00 Uhr und am Samstag von 7:00 bis 10:00 Uhr für den Bewohner- und Lieferverkehr freigegeben.
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Am 8. April 2022 beantragte der Antragsteller zu 2 unter Bezugnahme auf seinen Schwerbehindertenausweis eine Ausnahmegenehmigung zum Anfahren seines Hauses. Er könne ohne diese Genehmigung seinen Alltag nicht meistern. Mit Änderungsbescheid vom 29. März 2022 hatte das Versorgungsamt seinen Grad der Behinderung ab 16. Dezember 2021 auf insgesamt 50 erhöht. Er setzt sich aus Einzel-Graden der Behinderung von 30 (Bronchialasthma, Schlafapnoe-Syndrom), 20 (Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Knorpelschäden am Kniegelenk links), 20 (Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden) und 20 (Schlafstörung, Restless-Legs-Syndrom) zusammen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen lägen nach Art und Ausmaß der Behinderung nicht vor. Der Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ (Nachweis einer außergewöhnlichen Gehbehinderung) sei abzulehnen, da nach Art und Ausmaß der Behinderung die geforderten gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Diese seien nur dann erfüllt, wenn sich schwerbehinderte Menschen wegen der Schwere der Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb des Kraftfahrzeugs bewegen könnten.
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Mit Schreiben vom 31. Mai 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers zu 2 ab, da er weder das Merkzeichen „aG“ noch „G“ habe und somit auch keinen Schwerbehindertenparkausweis erhalten könne.
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Auf ein Schreiben der Bevollmächtigten der Antragsteller vom 14. September 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Genehmigungsantrag mit Schreiben vom 8. November 2022, dem keine Rechtsbehelfsbelehrungbeigefügt war, nochmals ab. Die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung setze Gründe voraus, die die öffentlichen Interessen an dem Verbot überwögen. Die mit dem Verbot verfolgten öffentlichen Belange – hier der Schutz der Fußgänger – seien unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen das Interesse des Einzelnen abzuwägen. Bei der Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung sei die Ermessensausübung durch die Verwaltungsvorschriften zu § 46 StVO dahin eingeschränkt, dass eine Ausnahmegenehmigung nur in besonders dringenden Fällen erteilt werden solle. Die Fußgängerzone sei für den Anwohnerverkehr für bestimmte Zeiten freigegeben. Eine allgemeine Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone könne nicht erteilt werden, da der Schutz der Fußgänger hier höher zu bewerten sei als das Interesse der Antragsteller, die Fußgängerzone jederzeit befahren zu dürfen. In einem begründeten Einzelfall (z.B. der Transport schwerer Möbel) könne die Straßenverkehrsbehörde eine Ausnahmegenehmigung für den Einzelfall ausstellen.
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Am 30. November 2022 ließen die Antragsteller durch ihre Bevollmächtigte Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach erheben und die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragen, da es ihnen aufgrund der Ausweisung der Fußgängerzone und elektronisch versenkbarer Poller nicht mehr möglich sei, uneingeschränkt zu ihrem Grundstück zu fahren. Ein Anordnungsgrund liege darin, dass ihnen bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare und irreversible Nachteile drohten, da sie in ihrem Eigentumsrecht beschränkt würden. Die Ablehnung der Erteilung der Ausnahmegenehmigung sei ermessensfehlerhaft. Die widerstreitenden Interessen seien weder umfassend festgestellt noch abgewogen worden. Überdies sei das Ergebnis der Entscheidung rechtswidrig. Art. 14 GG begründe auch ein Recht auf Zugänglichkeit von der und zur Straße.
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Aus einem hausärztlichen Attest vom 26. Januar 2023, das im erstinstanzlichen Verfahren jedoch nicht vorgelegt wurde, geht hervor, dass der 80-jährige Antragsteller an altersbedingten, progredienten, degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und Verschleiß der Hüftgelenke leidet. Aufgrund der Progredienz dieser Veränderungen sei er zunehmend unbeweglicher und schmerzgeplagt. Der Einkauf und Transport von Waren sei über weite Strecken nicht mehr zu bewältigen. Hilfsmittel und verkürzte Wegstrecken, wie z.B. Be- und Entladen des Autos vor der Haustür, seien aus medizinisch-geriatrischer Sicht hilfreich und ratsam.
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Mit Beschluss vom 3. April 2023 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO ab. Er stelle eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache dar, da nicht eine vorläufige, sondern endgültige Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone begehrt werde. Soweit der Antrag als Minus auch einen Antrag auf Erteilung einer vorläufigen Ausnahmegenehmigung gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO vom Verbot durch Verkehrszeichen 242.1 der Anlage 2 zu 41 StVO zum dauerhaften Befahren und Halten in der Fußgängerzone in der Straße Markt enthalte, bestehe kein Anordnungsanspruch. § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO räume der Straßenverkehrsbehörde Ermessen ein. Ausnahmegenehmigungen seien restriktiv zu handhaben und dürften nicht zum Regelfall werden. Sie seien nur in besonders dringenden Fällen gerechtfertigt. An den Nachweis der Dringlichkeit seien besonders hohe Anforderungen zu stellen Ein Anspruch der Antragsteller komme nur bei einer Ermessensreduzierung auf null in Betracht. Aus der vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigung des Antragstellers zu 2, der bei einem Behinderungsgrad von 50 die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen wie „G“ oder „aG“ nicht nachweisen könne, ergebe sich kein Anspruch auf Erteilung einer allgemeinen Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone. Die Straßenverkehrsbehörden seien an die Feststellungen der für Aufgaben des Schwerbehindertenrechts zuständigen Behörden gebunden, soweit es für die Entscheidung über die Ausnahmegenehmigung auf die Feststellung des Grads der Behinderung oder das (Nicht-)Vorliegen von Merkzeichen ankomme. Bindungswirkung komme nicht nur den im Schwerbehindertenausweis dokumentierten positiven, sondern auch den negativen Feststellungen zu. Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO könne gemäß Ziffer I.1.d schwerbehinderten Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung (Rn. 117 ff.) oder Personengruppen (Rn. 131 – 137) in Fußgängerzonen, in denen das Be- und Entladen für bestimmte Zeiten freigegeben sei, gestattet werden, während der Ladezeiten zu parken. Der Antragsteller zu 2 falle nicht unter die genannten Personengruppen, da ein entsprechender Schwerbehinderungsgrad nicht festgestellt worden sei. Die VwV zu § 46 StVO sei vorliegend auch nicht unmittelbar einschlägig, da die Antragsteller keine Parkerleichterung für die freigegebenen Lieferzeiten verlangten, sondern eine allgemeine Zufahrtserlaubnis mit dem Pkw. Eine Ermessensreduzierung nach Art. 3 Abs. 1 GG komme daher nicht in Betracht. Aus dem Vortrag über die gesundheitlichen Einschränkungen des Antragstellers zu 2 sei auch im Übrigen keine Ermessensreduzierung auf null ersichtlich. Dies sei der Fall, wenn nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunkts gewählt werden könnten. Der Antragsteller zu 2 leide ärztlich bestätigt an einer Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke und an der Wirbelsäule sowie an Knorpelschäden am Kniegelenk. Aus dem vorgelegten Attest ergebe sich jedoch lediglich, dass ein Transport von Waren über weite Strecken nicht mehr zu bewältigen sei. Welche Entfernung damit gemeint sei, bleibe offen. Auch werde nur sehr zurückhaltend formuliert, dass der Einsatz von Hilfsmitteln und verkürzte Wegstrecken ratsam und hilfreich seien. Die medizinische Erforderlichkeit, dass er jederzeit eine Transportmöglichkeit von seiner Haustür aus benötige, werde gerade nicht bescheinigt. Welche Strecke er üblicherweise zurücklegen müsse, wenn er sein Grundstück nicht befahren könne, sei auch nicht bekannt. Zudem habe er mehrfach versichert, dass sich die Notwendigkeit einer Zufahrtsmöglichkeit nur in seltenen Einzelfällen ergebe. Näheres sei bislang nicht substantiiert vorgetragen worden. Dass die Geschäftszeiten einiger Läden mit den Lieferzeiten der Fußgängerzone nicht kompatibel seien, genüge hierfür nicht. Auch sei nicht bekannt, dass seit Bestehen der Fußgängerzone von den Antragstellern schon einmal eine Ausnahmegenehmigung für einen solchen begründeten Einzelfall beantragt worden sei. Daher sei für das Gericht letztlich nicht erkennbar, wie oft und aus welchen konkreten Gründen sich für die Antragsteller aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen die Notwendigkeit ergebe, ihr Grundstück außerhalb der zulässigen Zeiten befahren zu müssen. Auch aus Art. 14 GG ergebe sich kein Anspruch auf die begehrte Ausnahmegenehmigung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehöre die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen bei einem Wohngrundstück in einer innerstädtischen Fußgängerzone nicht zu dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich des Anliegergebrauchs. Der eigentumsrechtliche Schutz des Anliegergebrauchs erstrecke sich daher nur auf den notwendigen Zugang des Grundstücks zur Straße und seine Zugänglichkeit von ihr. Der Anliegergebrauch beinhalte weder eine Bestandsgarantie hinsichtlich der Ausgestaltung und des Umfangs der Grundstücksverbindung mit der Straße noch die Gewährleistung von „Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zu- und Abgangs“. Überdies sei nicht ersichtlich, dass vorliegend eine Beeinträchtigung des Anliegergebrauchs vorliege, die über die typischen Folgen der Widmungsbeschränkung zur Fußgängerzone hinausgehe. Allein aus dieser Beeinträchtigung könne sich kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ergeben. Auch ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht worden. Es sei nicht ersichtlich, wann und ob die Antragsteller in nächster Zeit eine Zufahrtsmöglichkeit mit dem Pkw zu ihrem Grundstück außerhalb der zulässigen Zeiten benötigen.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller, mit der sie die Erteilung einer Genehmigung zum Befahren der Fußgängerzone im Bereich Markt/Marktplatz außerhalb der Lieferzeiten beantragen, hilfsweise die vorläufige Genehmigung hierzu. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich nicht um einen besonders dringenden Fall handele. Beim Antragsteller zu 2 lägen insbesondere eine Schwerhörigkeit, eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Knorpelschäden am linken Kniegelenk, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und ein Bandscheibenschaden vor. Dies äußere sich in starken Schmerzen in der unteren Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in die Beine. An manchen Tagen sei es ihm nicht möglich, auch nur kurze Strecken zu Fuß zurückzulegen. Sein Gesundheitszustand habe sich in den letzten Monaten nochmals verschlechtert. Aus dem vorgelegten Attest vom 19. April 2023 ergebe sich, dass der Antragsteller zu 2 unter rezidivierenden schmerzhaften Blockaden und akuten Lumbalgien leide, die zu einer zeitweisen Geh- und Stehunfähigkeit führten. Er bedürfe dann der akuten ärztlichen Hilfe. Dies sei am 12., 13. und 14. April 2023 der Fall gewesen. Der Antragsteller zu 2 könne an manchen Tagen überhaupt nicht laufen, an anderen Tagen nur unter starken Schmerzen wenige Schritte zurücklegen. Dann sei es notwendig, ihn direkt vor der Haustüre abzuholen und zum Arzt oder zu physikalischen Therapie zu bringen. Da dies aufgrund der Poller gegenwärtig nicht möglich sei, könne er an diesen Tagen die dringend erforderlichen Termine nicht wahrnehmen. Weder der Arzt noch der Antragsteller könne sagen, wann, mit welcher Häufigkeit und mit welcher Heftigkeit diese Blockaden aufträten. Während der letzten drei Wochen sei es ihm kaum möglich gewesen, überhaupt das Haus zu verlassen. Es wäre dringend erforderlich gewesen, ihn auch außerhalb der freigegebenen Zeiten direkt an der Haustür abzuholen und zum Arzt oder zur physikalischen Therapie zu bringen. An den genannten Tagen seien die Schmerzen des Antragstellers zu 2 so stark gewesen, dass der Hausarzt habe kommen und ihn spritzen müssen. Er sei nicht in der Lage gewesen, zu den Stellen zu gehen, an denen ihn die Antragstellerin zu 1 hätte abholen können. In der Zeit von Januar bis Ende März 2023 sei es ihm gesundheitlich besser gegangen. Während dieser Zeit sei eine Abholung etwa einmal in der Woche erforderlich gewesen. Eine Ausnahmegenehmigung für einen begründeten Einzelfall sei bislang nicht beantragt worden, weil dies nicht weiterhelfe. Im akuten Krankheitsfalle sei der Antragsteller zu 2 nicht in der Anlage, vor einem Arztbesuch zunächst noch Anträge zu stellen, deren Bearbeitung mehrere Tage dauere. Da die Tage, an denen die Schmerzen stark seien, nicht vorhersehbar seien, könne er eine Ausnahmegenehmigung nicht im Voraus beantragen. Auch fielen dafür jedes Mal Gebühren in Höhe von 20,- EUR an. Die Garage der Antragsteller befinde sich 240 m vom Wohngrundstück entfernt. Parkplätze seien in 110 m, 250 m und 93 m Entfernung vorhanden. Der Antragsteller zu 2 könne an manchen Tagen auch die Entfernung zum nächstliegenden Parkplatz nicht überwinden. Außerdem seien öffentliche Parkplätze nur mit großem Glück verfügbar. Ein kurzes Halten zum Be- und Entladen sei nicht möglich. Die Antragsteller müssten also den Weg zu ihrer Garage bewältigen. Der Antragsteller zu 2 könne keine Gegenstände mehr tragen. Es sei nicht immer möglich, Einkäufe bis 11.00 Uhr zu erledigen. Oftmals seien weitere Strecken mit dem Auto zu Läden zurückzulegen, die erst um 10.00 Uhr öffneten. Eine Rückkehr bis 11.00 Uhr zum Entladen des Pkw sei in diesen Fällen nicht möglich. Die Antragstellerin zu 1 müsse also weiter entfernt parken und Einkäufe zum Haus tragen, was für sie belastend sei. Die Versagung der Ausnahmegenehmigung stelle eine unbillige Härte für die Antragsteller dar. Auch sei das Ermessen insbesondere aufgrund der Erkrankung des Antragstellers zu 2 auf null reduziert. Die öffentlichen Belange und der Schutz der Fußgänger seien nicht höher zu bewerten als das Interesse der Antragsteller, die Fußgängerzone jederzeit befahren zu können. Entgegen dem Vortrag der Antragsgegnerin sei der streitgegenständliche Bereich nicht stets hochfrequentiert. Die Fußgängerzone sei nur im späten Frühjahr und im Sommer stark besucht. In den Herbst- und Wintermonaten seien demgegenüber kaum Menschen, insbesondere kaum Touristen, im Bereich des Marktes bzw. dem Marktzugang. Während dieser Zeit sei der Marktplatz auch nicht bestuhlt. Eine Gefährdung von Fußgängern, die es rechtfertige, den Antragstellern die Ausnahmegenehmigung zu verweigern, sei für den überwiegenden Teil des Jahres nicht ersichtlich. Die Errichtung der Poller verhindere ein Befahren der Fußgängerzone auch in Notfällen. Es sei erforderlich, dass der Antragsteller zu 2 vor der Haustüre abgeholt und zum Arzt oder zur physikalischen Therapie gebracht werde. Ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache sei aufgrund des Gesundheitszustands des Antragstellers zu 2 nicht möglich.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der zulässige Antrag ist unbegründet.
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Aus den in den Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die den Erlass einer einstweiligen Anordnung ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile, Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsgrund und -anspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ist der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dann nur in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 = juris Rn. 5 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 123 Rn. 14 m.w.N.).
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Der Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO war sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag ungeachtet der Frage abzulehnen, ob die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache gegeben sind. Denn die Antragsteller haben schon das Vorliegen eines Ausnahmefalls im Sinne von § 46 Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 (BGBl I S. 367, StVO), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), in Kraft getreten am 1. Juli 2023, und damit einen Anspruch auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
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Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO können die Straßenverkehrsbehörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen u.a. von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind, genehmigen. Die im streitgegenständlichen Bereich der Fußgängerzone von der Antragsgegnerin aufgestellten Verkehrszeichen 242.1 zählen zu den Vorschriftzeichen nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO.
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Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StVO steht im Ermessen der Behörde, das sie nach Art. 40 BayVwVfG entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und dessen gesetzliche Grenzen sie einzuhalten hat. Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 1 StVO bezweckt, besonderen Ausnahmesituationen Rechnung tragen zu können, die bei strikter Anwendung der Bestimmungen nicht hinreichend berücksichtigt werden könnten und eine unbillige Härte für den Betroffenen zur Folge hätten (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 3 C 24.17 – BVerwGE 166, 125 Rn. 12). Ob ein besonderer Ausnahmefall vorliegt, bemisst sich nach dem Ergebnis eines Vergleichs der Umstände des konkreten Falls mit dem typischen Regelfall, welcher dem generellen Verbot zugrunde liegt. Das so gewonnene Merkmal einer Ausnahmesituation ist sodann unverzichtbarer Bestandteil der einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung (BVerwG, U.v. 21.2.2002 – 3 C 33.01 – NZV 2002, 426 = juris Rn. 20; U.v. 13.3.1997 – 3 C 2.97 – BVerwGE 104, 154 = juris Rn. 27). Die Ausnahmesituation ist der Ausgangspunkt der Gesamtabwägung. Liegt sie bei einem gewichtenden Vergleich der Umstände des konkreten Falls mit dem typischen Regelfall nicht vor, ist also der Antragsteller in gleicher Weise von der verkehrsrechtlichen Vorschrift, von der er eine Ausnahme begehrt, betroffen wie alle anderen oder ein großer Teil der Verkehrsteilnehmer, so kann eine Ausnahmegenehmigung nicht erteilt werden, ohne dass es weiterer Abwägungen bedarf. In einem solchen Fall ist das Ermessen dahingehend auf null reduziert, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ausscheidet (BayVGH, B.v. 29.10.2014 – 11 ZB 13.2323 – juris Rn. 18). Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26. Januar 2001 in der Fassung vom 8. November 2021 (BAnz AT 15.11.2021 B1; abgedruckt bei Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 46 StVO Rn. 3) ist eine Ausnahmegenehmigung nur in besonders dringenden Fällen gerechtfertigt. An den Nachweis solcher Dringlichkeit sind strenge Anforderungen zu stellen (Ziffer I VwV-StVO zu § 46; Kralik in PdK Bu L-13 Anm. 67.2.1). Mit diesen Verwaltungsvorschriften wird das Ermessen zulässig im Sinne einer bundeseinheitlichen gleichmäßigen, am Gesetzeszweck orientierten Anwendung gesteuert. Mit der Formulierung des „besonders dringenden Falls“ in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung ist das Merkmal einer Ausnahmesituation beschrieben (BayVGH, B.v. 29.10.2014 a.a.O. Rn. 20 m.w.N.).
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Mit dem durch das hausärztliche Attest vom 26. Januar 2023 belegten Vortrag, sein Gesundheitszustand habe sich in den letzten Monaten nochmals verschlechtert und er könne an manchen Tagen selbst kurze Strecken nicht mehr zu Fuß zurückzulegen, kann der Antragsteller zu 2 nicht durchdringen. Eine Schwerbehinderung, die entsprechend der Randnummern 118 ff. VwV-StVO zu § 46 (Parkerleichterungen) auch das Ermessen im Rahmen der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das Befahren einer Fußgängerzone außerhalb der dem Anliegerverkehr gestatteten Zeiten reduzieren könnte, ist versorgungsärztlich nicht festgestellt. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angeführt, dass es insoweit an den letzten Bescheid des Versorgungsamts vom 29. März 2022 gebunden ist. Denn soweit es für die Entscheidung über eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO auf die Feststellung des (Gesamt-) Grads der Behinderung oder das Vorliegen von Merkzeichen ankommt, sind die Straßenverkehrsbehörden an die im Schwerbehindertenausweis eingetragenen Feststellungen gebunden (vgl. § 152 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGB IX; OVG NW, B.v. 21.12.2018 – 8 A 2763/17 – juris Rn. 8; Goebel in jurisPK-SGB IX, Stand 25.7.2022, § 152 Rn. 57; Will in BeckOK Straßenverkehrsrecht, Stand 15.4.2023, § 46 StVO Rn. 114). Ferner ist dem Bescheid vom 29. März 2022 und dem Sachvortrag bzw. dem hausärztlichen Attest vom 19. April 2023 auch nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller zu 2 an den in Randnummer 113 VwV-StVO zu § 46 aufgeführten Erkrankungen bzw. Behinderungen leidet, sodass die ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften in Randnummern 118 ff. VwV-StVO zu § 46 sinngemäß auf ihn angewendet werden könnten.
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An die Voraussetzungen, unter denen die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Befahren einer Fußgängerzone in Betracht kommt, und ihren Nachweis sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als an die Genehmigung von Parkerleichterungen. Denn es liegt auf der Hand, dass das Befahren einer Fußgängerzone in höherem Maße geeignet ist, den Fußgängerverkehr zu gefährden und zu erschweren, als ein dort abgestelltes Kraftfahrzeug. Eine Erweiterung der in Randnummern 129 ff. VwV-StVO zu § 46 aufgeführten Ausnahmefälle kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht.
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Sowohl im ruhenden als auch im fließenden Verkehr geht es darum, durch die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung die Nachteile aufgrund der besonderen Angewiesenheit des Betroffenen auf ein Kraftfahrzeug auszugleichen. Wann aus gesundheitlichen Gründen hiervon auszugehen ist, hat der Verordnungsgeber in den Randnummern 128 ff. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO festgelegt. Unter die eine Ausnahmegenehmigung rechtfertigenden Sachverhalte fallen außergewöhnliche Gehbehinderungen (Rn. 129 – 132 VwV-StVO zu § 46) und einzelne diesen gleichgestellte Behinderungen (Rn. 133 – 139 VwV-StVO zu § 46), an deren Feststellung sozial-rechtlich strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BSG, U.v. 11.8.2015 – B 9 SB 2/14 R – Behindertenrecht 2016, 83 = juris Rn. 13). Auch die Art des Nachweises einer Schwerbehinderung ist durch den Verweis auf den durch die Versorgungsämter festzustellenden Grad der Schwerbehinderung in den VwV-StVO festgelegt. An den Nachweis eines dringlichen, die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung rechtfertigenden Falls sind allgemein strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Ziff. I Satz 1 und 2 VwV-StVO zu § 46). Deshalb genügt das hausärztliche Attest vom 19. April 2023 zur Glaubhaftmachung einer neuen Sachlage nicht und ist der Antragsteller zu 2 zum Nachweis seiner Behinderungen auch im Rahmen der Genehmigungserteilung zum Befahren der Fußgängerzone auf eine Änderung des Bescheids vom 29. März 2022 zu verweisen.
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Hinzu kommt, dass der Verordnungsgeber das Befahren einer Fußgängerzone außerhalb der Lieferzeiten – über § 35 Abs. 1, Abs. 5a StVO und § 16 OWiG hinaus – auch im Ausnahmefall nicht vorgesehen hat. Wie sich Ziffer I.1.d (Rn. 122) VwV-StVO zu § 46 entnehmen lässt, soll auch ein Schwerbehinderter die Fußgängerzone nur in den Lieferzeiten befahren und währenddessen dort Parkerleichterungen genießen, sofern in zumutbarer Entfernung keine andere Parkmöglichkeit besteht (Rn. 126). Das Recht, die Fußgängerzone in den Lieferzeiten zu befahren, steht den Antragstellern bereits aufgrund der Einschränkung der Widmung zu. Dem Rettungsdienst ist es nach § 35 Abs. 5a StVO nur im medizinischen Notfall jederzeit gestattet, u.a. mit Krankentransport- und Notarztfahrzeugen die Fußgängerzone zu befahren (vgl. auch § 35 Abs. 5a StVO; Rogler in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 24.4.2023, § 35a StVO Rn. 95 ff.). Folglich würde auch ein hinreichender Nachweis einer Schwerbehinderung im Sinne der Randnummern 129 ff. der VwV-StVO zu § 46 nicht zwangsläufig einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Ausnahmegenehmigung begründen.
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Schließlich folgt entgegen der Ansicht der Antragsteller auch aus dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Anliegergebrauch (vgl. BVerwG, U. v. 8.9.1993 – 11 C 38.92 – BVerwGE 94, 136 = juris Rn. 12 m.w.N.) – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht, dass ihnen ausnahmsweise gestattet werden müsste, zeitlich unbeschränkt ihr Wohnanwesen anzufahren. Der eigentumsrechtliche Schutz des Anliegergebrauchs erstreckt sich nur auf den notwendigen Zugang des Grundstücks zur Straße und seine Zugänglichkeit von ihr. Gewährleistet wird nur die Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz überhaupt, nicht dagegen notwendig auch die Erreichbarkeit des eigenen Grundstücks mit Kraftfahrzeugen oder gar jeder Anliegerverkehr. Das Recht auf Anliegergebrauch schützt regelmäßig nicht vor solchen Erschwernissen des Zugangs, die sich aus seiner besonderen örtlichen Lage ergeben, insbesondere in einer Fußgängerzone im innerstädtischen Ballungsraum (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.1993 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.; OVG LSA, U.v. 25.11.2021 – 2 L 80/19 – LKV 2022, 131= juris Rn. 55, 60; NdsOVG, B.v. 29.12.2015 – 7 ME 53/15 – NVwZ-RR 2016, 411 = juris Rn. 10).
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Im Fall der nicht schwer behinderten Antragstellerin zu 1 ist eine Ausnahmesituation bereits nicht ersichtlich. Die Erschwernisse der Besorgung des Haushalts in vorgerücktem Lebensalter und die Versorgung hilfsbedürftiger Angehöriger betreffen sie ebenso wie einen großen Teil aller Verkehrsteilnehmer, sodass auf dieser Grundlage eine Ausnahmegenehmigung nicht erteilt werden könnte. Sofern der Antragsteller zu 2 die erforderlichen Nachweise beibringen könnte und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen einen Genehmigungsanspruch hätte, käme für den Fall, dass er selbst das Kraftfahrzeug nicht führen kann, eine Ausnahmegenehmigung des Inhalts in Betracht, dass der ihn jeweils befördernde Kraftfahrzeugführer von den entsprechenden Vorschriften der StVO befreit ist (vgl. Ziffer II.2. VwV-StVO zu § 46).
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Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).