Titel:
Erfolgloser einstweiliger Rechtsschutz: Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt (BAK 1,34 Promille) mit einem E-Scooter
Normenketten:
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 1, § 11 Abs. 1 S. 1, § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2 S. 1
FeV § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a Alt. 2
Leitsatz:
Bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,34 Promille anlässlich der Fahrt mit einem E-Roller sind Eignungszweifel gegeben, die die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gem § 13 S. 1 Nr. 2 lit. a Alt. 2 FeV rechtfertigen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Trennungsvermögen, Fahrerlaubnis, Wiedererteilung, Eignungszweifel, Trunkenheitsfahrt, Blutalkoholkonzentration, E-Scooter, Auffälligkeiten, medizinisch-psychologisches Gutachten
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.08.2023 – 11 CE 23.1060
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20750
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B.
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Der Antragsteller wurde mit Strafbefehl vom 28. Februar 2022, rechtskräftig seit 19. März 2022, wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt und die Fahrerlaubnis mit einer sechsmonatigen Sperrfrist entzogen. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Antragsteller am 11. September 2021, gegen 02:50 Uhr, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke dazu nicht in der Lage war, ein Elektrokleinstfahrzeug VOI (E-Roller) führte. Der um 02:53 Uhr durchgeführte Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,78 mg/l. Eine um 04:45 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,34 Promille auf.
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Mit Antrag vom 3. Mai 2022 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Unter Bezugnahme auf vorgenannte Trunkenheitsfahrt forderte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24. November 2022 den Antragsteller auf, bis 24. März 2023 ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Die zu klärende Fragestellung lautete:
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Ist nicht zu erwarten, dass das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann?
Ein Gutachten wurde innerhalb der Frist nicht vorgelegt.
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Der Bevollmächtigte nahm mit Schreiben vom 5. Dezember 2022 dahingehend Stellung, dass eine medizinisch-psychologische Untersuchung nicht erforderlich sei, da keine Anhaltspunkte wegen eines Alkoholmissbrauchs vorlägen. Es werde eine verkehrsmedizinische Untersuchung vorgeschlagen.
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Die Beklagte führte hierauf aus, dass das Trennungsvermögen des Klägers in Frage stehe.
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Mit Bescheid vom 13. Januar 2023, zugestellt am18. Januar 2023, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Fahrerlaubniserteilung ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens gemäß § 13 Nr. 2 Buchst. a FeV zu Recht die Vorlage eines Gutachtens gefordert und dieses vom Antragsteller nicht vorgelegt worden sei. Aufgrund der Fahrt unter erheblichem Alkoholeinfluss seien Tatsachen bekannt geworden, die Bedenken an der Eignung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeugs begründet hätten.
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Der Antragsteller ließ Klage erheben und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen. Zur Begründung ließ er im Wesentlichen ausführen, der Antragsteller habe entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin deutliche Ausfallerscheinungen gezeigt. Die von der Polizei beobachtete Fahrtstrecke von 100 m sei bei einer Maximalgeschwindigkeit von 20 km/h in wenigen Sekunden erreicht und nicht aussagekräftig. In dem vorliegenden Arztbericht sei von leichten bis deutlichen Ausfallerscheinungen die Rede. Der Antragsteller habe keinerlei Voreintragungen im Bundeszentralregister bzw. im Fahreignungsregister. Vorrangig wäre ein verkehrsmedizinisches Gutachten als milderes, verhältnismäßigeres Mittel anzuordnen gewesen.
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Der Antragsteller beantragt,
Die Antragsgegnerin wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig die beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen, befristet bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.
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Die Antragsgegnerin beantragt
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Zur Begründung wurde ergänzend zum Bescheid im Wesentlichen vorgetragen, dass bei einer angenommenen Geschwindigkeit von 20 km/h das Zurücklegen einer 100m langen Strecke etwa 18 Sekunden dauere. Angesichts der Tatsache, dass die Strecke auf einem E-Scooter zurückgelegt worden sei und sich beide Füße des Klägers auf dem Trittbrett befanden, genüge diese Zeitspanne, um das Fehlen signifikanter Ausfallerscheinungen feststellen zu können. Dass sich bei einer BAK von 1,34 Promille zu erwartende Gleichgewichtsstörungen oder ähnliche Auffälligkeiten erst auf einer längeren Fahrtstrecke bemerkbar machen würden, sei wenig plausibel. Die konkreten Einzelfeststellungen aus dem Arztbericht hätten keinerlei Anhaltspunkte für die zu erwartenden alkoholtypischen Beeinträchtigungen geboten. Die Bewertung des Gesamteindrucks des Arztes als „leicht bis deutlich beeinträchtigt“ sei für sich genommen wenig aussagekräftig. Unterstelle man die Richtigkeit der Angaben des Antragstellers, dass er zwischen dem Atemalkoholtest und des Blutalkoholtestes für zwei Stunden ausgenüchtert habe, müsse davon ausgegangen werden, dass die Resorptionsphase im Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle bereits abgeschlossen gewesen sei. Für den Tatzeitpunkt ergäbe sich nach Umrechnung der Atemalkoholmessung um 02:53 Uhr ein Wert von 1,56 Promille, bei Rückrechnung auf Grund der Blutprobenentnahme ergebe sich zum Zeitpunkt der Kontrolle eine Blutalkoholkonzentration von etwa 1,54 Promille (bei einem anzunehmenden durchschnittlichen stündlichen Alkoholabbau von 0,1 Promille).
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in der Sache keinen Erfolg Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch wenn sie zur Regelung eines vorläufigen Zustands, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Hierbei sind nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des § 123 VwGO kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wobei das Gewicht des Anordnungsgrundes entscheidend für eine mögliche Vorwegnahme der Hauptsache ist (vgl. Happ in: Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO, § 123 Rn. 66a). Das Abwarten der Hauptsacheentscheidung müsste für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge haben (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 Rn. 5 m.w.N.). Voraussetzung dafür ist, dass eine bestimmte Regelung im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 14). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 11; B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20).
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Der Antrag ist zulässig aber unbegründet
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1. Es fehlt an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
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Nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die Antragsgegnerin zu Recht die Neuerteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt, da der Antragsteller nicht die Eignungsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 FeV erfüllt.
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Gemäß § 20 Abs. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder vorangegangenem Verzicht die Vorschriften für die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden solche Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den § 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Das Vorliegen der Fahreignung muss positiv gegeben sein, weshalb die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung zulasten des Bewerbers geht (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 13). Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (BayVGH, B.v. 3.6.2022 a.a.O. m.w.N.). Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen besitzt nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG und § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 FeV, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Diese Anforderungen sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach den Anlagen 4 und 5 zur FeV vorliegt. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde anordnen, dass der Antragsteller ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung innerhalb einer angemessenen Frist beibringt (vgl. § 2 Abs. 8 StVG).
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Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch). Missbrauch liegt nach Ziffer 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung vor, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber das Führen eines Kraftfahrzeuges und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann, ohne bereits alkoholabhängig zu sein. In einem solchen Fall ist der Betroffene nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu entsprechen. Aus Ziffer 8.2 der Anlage 4 zur FeV ergibt sich, dass Eignung und bedingte Eignung nach Beendigung des Missbrauchs wieder bejaht werden können, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist.
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Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a), wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründen entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).
§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist danach eine Auffangvorschrift, bei deren Vollzug die Wertungen der § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV zu berücksichtigen sind. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die Fahrerlaubnisbehörde deshalb die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung im Strafverfahren aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen. Als eine solche Zusatztatsache kommt das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz hoher Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr in Betracht. Nach den Erkenntnissen der Alkoholforschung besteht bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, das deutlich erhöhte Risiko einer erneuten Trunkenheitsfahrt. Ihre Giftfestigkeit führt unter anderem dazu, dass sie die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums auf ihre Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen können. Ebenfalls auf eine hohe Alkoholgewöhnung hindeuten können eine Alkoholfahrt bereits in den Tagesstunden oder über eine längere Fahrstrecke ohne größere Auffälligkeiten. Dabei hängt das Gewicht, das die Zusatztatsache aufweisen muss, maßgeblich davon ab, in welchem Maße die bei der Trunkenheitsfahrt festgestellte Blutalkoholkonzentration den in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Wert von 1,6 Promille unterschreitet, bei dem die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch ohne das Vorliegen von Zusatztatsachen zu erfolgen hat. Für die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist außerdem erforderlich, dass das Vorliegen einer solchen Zusatztatsache im Zusammenhang mit der begangenen Trunkenheitsfahrt aktenkundig festgestellt und dokumentiert wurde (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19). Liegen Eignungszweifel vor, die die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfordern, ist die Begutachtungsanordnung aber formell rechtswidrig, hat der Betroffene allein einen Anspruch auf erneute Entscheidung nach ordnungsgemäßer Durchführung des in §§ 11, 13 FeV geregelten Verfahrens (zum Ganzen BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 16).
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Bei Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antragsteller keinen Anspruch auf (vorläufige) Erteilung einer Fahrerlaubnis.
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a) Formelle Mängel der Gutachtensanforderung sind weder ersichtlich noch wurden solche vorgetragen. Insbesondere wurde der Antragsteller gemäß § 11 Abs. 8 S. 2 FeV darauf hingewiesen, dass die Erteilung der Fahrerlaubnis versagt werden muss, wenn das geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt wird. Die Eintragung der strafgerichtlichen Verurteilung wegen der Trunkenheitsfahrt im Fahreignungsregister ist auch nicht tilgungsreif; sie darf zum Nachteil des Antragstellers verwertet werden.
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b) Auch materielle Rechtmäßigkeitsmängel des streitgegenständlichen Bescheids sind nicht ersichtlich. Selbst wenn man im Rahmen der nur möglichen summarischen Prüfung im Eilverfahren zugunsten des Antragstellers annimmt, dass im Wiedererteilungsverfahren aufgrund von § 3 Abs. 4 StVG eine Berücksichtigung des nach der Trunkenheitsfahrt um 02:53 Uhr gemessenen Atemalkoholwerts von 0,78 mg/l wegen der im Strafbefehl herangezogenen und später gemessenen Blutalkoholkonzentration von 1,34 Promille nicht möglich ist, liegen dennoch Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers vor. Diese Eignungszweifel rechtfertigen die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV.
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Unstrittig ist, dass die vom Antragsteller am Tag der Trunkenheitsfahrt um 4:45 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,34 Promille aufwies. Angesichts dieses Wertes, der knapp zwei Stunden nach der Polizeikontrolle um 02:53 im Blut des Antragstellers gemessen wurde, ist – selbst wenn man nicht auf die um 02:53 Uhr gemessene Atemalkoholkonzentration von 0,78 mg/l abstellt – davon auszugehen, dass der Antragsteller regelmäßig Alkohol konsumiert und bei ihm eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung gegeben ist. Bereits bei Erreichen oder Überschreiten von Werten ab 1,3 ‰ kann man auf eine hohe, besondere Trinkfestigkeit schließen, die durch ein Trinkverhalten erworben sein muss, das erheblich von dem in der Gesellschaft verbreiteten Alkoholkonsum abweicht (vgl. VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – juris Rn. 47 m.w.N.). Aus dem ärztlichen Untersuchungsbericht ergibt sich, dass der Antragsteller einen sicheren Gang hatte, der Drehnystagmus feinschlägig und die Auslenkung schnell war, Finger-Finger-Prüfung sowie Finger-Nase-Prüfung sicher durchgeführt werden konnten, die Sprache deutlich, das Bewusstsein klar, die Orientierung nicht gestört, der Denkablauf geordnet, das Verhalten des Antragstellers unauffällig war und sich der äußere Anschein des Einflusses von Alkohol nur leicht bemerkbar machte. Lediglich die plötzliche Kehrtwendung geriet unsicher und die Pupillen des Antragstellers waren stark erweitert sowie die Pupillenreaktion verzögert. Zwar ist dem ärztlichen Untersuchungsbefund zu entnehmen, dass der Antragsteller nach dem Gesamteindruck „leicht bis deutlich beeinträchtigt“ war. Diese Aussage kann aber nur durch Heranziehung der im ärztlichen Bericht getroffenen Einzelfeststellungen gewertet werden, die gerade ganz überwiegend keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen feststellten. Das festgestellte Verhalten des Klägers weist damit auf eine hohe Alkoholgewöhnung hin. Hierfür spricht auch, dass der Antragsteller im Stande war, seinen E-Roller mit beiden Füßen auf dem Trittbrett mindestens auf einer Strecke von 100 m sicher zu führen (vgl. zu einer Strecke von 150 m mit dem PKW: BVerwG, U.v. 17. März 2021 – 3 C 3/20 -SVR 2021, 433) Wegen der hohen Giftfestigkeit steht einem Alkoholgewöhnten die körperliche Befindlichkeit als Maßstab der aktuellen Alkoholisierung nicht mehr zur Verfügung. Für ihn ist daher die Verhaltenskontrolle im Sinne des Trennens von unzulässiger Blutalkoholkonzentration und dem Führen eines Kraftfahrzeugs weit mehr erschwert als für den Durchschnitt der Kraftfahrer, die lediglich eine „normale“ Giftfestigkeit aufweisen (vgl. zum Ganzen VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – juris Rn. 47 m.w.N.). Beim Antragsteller hat sich das aufgrund seiner hohen Giftfestigkeit bestehende Risiko einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und das Führen eines Fahrzeugs zu trennen, bereits mit seiner Trunkenheitsfahrt am 11. September 2021 realisiert. Angesichts der oben dargelegten Zusatztatsachen sind die Zweifel der Fahrerlaubnisbehörde, ob der Antragsteller Trinken und Fahren sicher trennen kann, gerechtfertigt. Die Anordnung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens kommt – entgegen des Vortrags der Antragstellerseite – nicht als milderes Mittel in Betracht, da in den Fällen des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV zwingend ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen ist und der Fahrerlaubnisbehörde insoweit kein Ermessen zukommt (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, § 13 FeV, Rn. 17).
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Demzufolge kommt eine stattgebende Entscheidung auf (vorläufige) Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht in Betracht, solange der Antragsteller die bestehenden Zweifel an seiner Fahreignung nicht mittels Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ausräumt.
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2. Auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes kommt es wegen des Fehlens eines Anordnungsanspruchs nicht mehr an.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.