Inhalt

VGH München, Beschluss v. 31.07.2023 – 6 M 23.30350
Titel:

Keine weitere Festsetzung von Kosten für anwaltliche Tätigkeit bei derselben Angelegenheit

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 7 S. 1, § 151, § 165
RVG § 15 Abs. 2, § 16 Nr. 5
Leitsätze:
1. Die Kosten für die Tätigkeit eines Prozessbevollmächtigten im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO, der bereits in zwei vorausgegangenen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 80 Abs. 7 VwGO tätig war, sind nicht erstattungsfähig, weil es sich bei diesen drei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes trotz prozessualer Selbstständigkeit kostenrechtlich gem. § 16 Nr. 5 RVG um dieselbe Angelegenheit handelt. (Rn. 3 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kostengrundentscheidung des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt bestehen und wird im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht ersetzt, weil das Abänderungsverfahren nicht der Überprüfung einer vorausgegangenen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO in der Art eines Rechtsmittels dient. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Vorhandensein gegensätzlicher Kostengrundentscheidungen besagt nichts darüber, welche Kosten jedem Beteiligten für das jeweilige prozessual selbstständige Verfahren entstanden sind und in Folge dessen Gegenstand eines prozessrechtlichen Erstattungsanspruchs sein können. (Rn. 7 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenerinnerung, Abänderungsverfahren, Zu erstattende Kosten, Rechtsanwaltsgebühren, Dieselbe Angelegenheit, zu erstattende Kosten, dieselbe Angelegenheit, Kostengrundentscheidung
Vorinstanz:
VGH München, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.05.2023 – 6 AS 22.31155
Fundstellen:
BayVBl 2023, 827
LSK 2023, 20745
BeckRS 2023, 20745

Tenor

I. Auf die Erinnerung der Antragsgegnerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 9. Mai 2023 – 6 AS 22.31155 – geändert und der Kostenfestsetzungsantrag des Antragstellers vom 8. Februar 2023 abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Gründe

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1. Im zugrunde liegenden Verfahren hatte der Senat als Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge unter Abänderung zweier gegenläufige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts angeordnet und der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt (BayVGH, B.v. 26.1.2023 – 6 AS 22.31155). Der Antragsteller beantragte die Kostenfestsetzung und machte Kosten für seine anwaltliche Vertretung geltend (Verfahrensgebühr, Auslagenpauschale). Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte mit Beschluss vom 9. Mai 2023 antragsgemäß die von der Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten auf 446,49 € fest. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrem Antrag auf Entscheidung des Gerichts (Kostenerinnerung).
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2. Die zulässige Kostenerinnerung der Antragsgegnerin (§ 165 i.V.m. § 151 VwGO), über die der Senat in der Besetzung von drei Richtern entscheidet (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2006 – 4 KSt 1003.06 u.a. – juris Rn. 4), ist begründet.
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Die dem Antragsteller zu erstattenden außergerichtlichen Kosten sind im Kostenfestsetzungsbeschluss zu Unrecht auf 446,49 € festgesetzt worden. Die angesetzten Kosten für die Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO vor dem Senat sind (insgesamt) nicht erstattungsfähig, weil sie nicht in diesem Verfahren angefallen sind. Die Prozessbevollmächtigten können vom Antragsteller die in Rede stehende Vergütung nicht verlangen, weil sie bereits in den beiden vorausgegangenen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 80 Abs. 7 VwGO vor dem Verwaltungsgericht tätig geworden sind und es sich bei diesen (drei) Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes trotz ihrer prozessualen Selbstständigkeit kostenrechtlich gemäß § 16 Nr. 5 RVG um dieselbe Angelegenheit handelt.
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a) Der Rechtsanwalt kann nach § 15 Abs. 2 RVG die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Dieselbe Angelegenheit im kostenrechtlichen Sinn sind nach § 16 Nr. 5 RVG unter anderem das Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO und jedes Verfahren über dessen Abänderung oder Aufhebung nach § 80 Abs. 7 VwGO. Ist der Rechtsanwalt bereits im Anordnungsverfahren tätig geworden, können die Gebühren von ihm im Abänderungsverfahren daher nicht erneut geltend gemacht werden. Hintergrund dieser kostenrechtlichen Regelung ist die typisierende Erwägung des Gesetzgebers, dass der Rechtsanwalt, der bereits im Verfahren über einen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung tätig war, in einem Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO in der Regel keine besondere Einarbeitungszeit benötigt, sondern vielmehr ohne weiteres auf seine frühere Arbeit zurückgreifen kann, mithin der Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts bereits im früheren Verfahrensabschnitt entstanden und damit durch die bereits angefallene Gebühr abgegolten ist (OVG RhPf. B.v. 21.7.2021 – 7 B 11124/20 – juris Rn. 4; vgl. auch BayVGH, B.v. 24.3.2020 – 7 M 20.50002 – juris Rn. 6).
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Um dieselbe Angelegenheit handelt es sich auch dann, wenn – wie hier – zunächst das Verwaltungsgericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 (und Abs. 7) VwGO und dann nach Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung der Verwaltungsgerichtshof über einen (weiteren) Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO entschieden hat (vgl. OVG NW, B.v. 7.2.2023 – 1 B 375/22.A – juris Rn. 13; s. auch BayVGH, B.v. 24.3.2020 – 7 M 20.50002 – juris Rn. 4). Denn der Verwaltungsgerichtshof entscheidet in dieser Fallgestaltung nicht über ein Rechtsmittel, was nach § 17 Nr. 1 RVG gesonderte Gebühren auslösen würde. Er entscheidet vielmehr erstinstanzlich als nunmehr zuständiges Gericht der Hauptsache.
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b) Die Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 80 Abs. 7 VwGO, die nach § 16 Nr. 5 RVG kostenrechtlich dieselbe Angelegenheit bilden, sind allerdings prozessual selbstständig mit unterschiedlichen Verfahrensgegenständen. Das Abänderungsverfahren dient insbesondere nicht der Überprüfung einer vorausgegangenen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO in der Art eines Rechtsmittels (BVerwG, B.v. 25.8.2008 – 2 VR 1.08 – juris Rn. 5), auch dann nicht, wenn – wie hier – der inzwischen zuständig gewordene Verwaltungsgerichtshof an Stelle des Verwaltungsgerichts entscheidet. Deshalb bleibt die Kostengrundentscheidung des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO bestehen und wird im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO – anders als bei einem erfolgreichen Rechtsmittel – nicht ersetzt. Dementsprechend hat der Senat im Beschluss vom 26. Januar 2023 der Antragsgegnerin nur die Kosten des Abänderungsverfahrens auferlegt, nicht aber die Kostengrundentscheidungen des Verwaltungsgerichts aus den vorausgegangenen Verfahren nach § 80 Abs. 5 und 7 VwGO geändert, die zu Lasten des Antragstellers ausgegangen waren.
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c) Das Vorhandensein gegensätzlicher Kostengrundentscheidungen besagt allerdings nichts darüber, welche Kosten jedem Beteiligten für das jeweilige prozessual selbstständige Verfahren entstanden sind und in Folge dessen Gegenstand eines prozessrechtlichen Erstattungsanspruchs sein können. Diese Frage ist allein kostenrechtlich zu beantworten (OVG RhPf, B.v. 21.7.2021 – 7 B 11124/20 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 13.7.2018 – 13 B 275/18.A – juris Rn. 7 ff.).
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Aus der Vorgabe des § 15 Abs. 2 und § 16 Nr. 5 RVG folgt, dass diejenigen Gebühren, die bereits im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entstanden sind, im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO von dem Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten nicht erneut gefordert werden können. Sie sind daher auch dann nicht erstattungsfähig, wenn das Gericht dem Abänderungsantrag entsprochen und dem Antragsgegner die Kosten des Abänderungsverfahrens auferlegt hat (so etwa SächsOVG, B.v. 12.2.2018 – 5 B 19/17.A – juris Rn. 7; OVG Berlin-Bbg, B.v. 24.8.2020 – 3 K 185.19 – juris Rn. 5 f.; OVG RhPf, B.v. 21.7.2021 – 7 B 11124/20 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 1.7.2023 – 1 B 375/22.A – juris Rn. 10 ff; streitig, a.A. etwa OVG NW, B.v. 12.10.2018 – 11 B 1482/15.A – juris).
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Es gibt kein „Wahlrecht“, das einen Rückgriff auf die günstigere Kostengrundentscheidung erlaubt. Mag auch der Wortlaut des § 15 Abs. 2 RVG die Annahme zulassen, die Rechtsanwaltsgebühren entstünden auch im Rahmen derselben Angelegenheit mit jeder anwaltlichen Tätigkeit neu (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 15 Rn. 28), so kann sie vom Rechtsanwalt jedenfalls nur einmal verlangt werden. Wenn sie aber – wie hier – bereits im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO angefallen sind, können sie im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO vom Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten nicht erneut geltend gemacht werden. Der vertretenen Person entstehen deshalb im Abänderungsverfahren aus der anwaltlichen Vertretung keine weiteren Kosten, die sie von dem in diesem Verfahren dem Grunde nach Kostenpflichtigen erstattet bekommen könnte. Diese kostenrechtliche Bewertung ist vorrangig gegenüber sämtlichen Überlegungen, die die Sachgerechtigkeit bestimmter Kostenbelastungen für die Beteiligten im Verhältnis zueinander in den Blick nehmen (OVG NW, B.v. 7.2.2023 – 1 B 375/22.A – juris Rn. 21).
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Vor diesem Hintergrund ist kein tragfähiger Grund ersichtlich, warum dem Antragsteller ein Erstattungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin für Kosten zustehen soll, die sein eigener Prozessbevollmächtigter ihm gegenüber nicht fordern kann.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).