Inhalt

OLG München, Beschluss v. 11.08.2023 – 5 W 774/23e
Titel:

Ablehnung von Prozesskostenhilfe trotz Zeugenbeweis

Normenketten:
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 127 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Abschlussprüfer ist nicht verpflichtet, auf eine mögliche Insolvenzreife der Gesellschaft hinzuweisen, wenn sich schon aus dem Inhalt des Lageberichts ergibt, dass die Insolvenzreife von der Frage der rechtlich nicht geklärten Wirksamkeit von Rangrücktrittsklauseln abhängt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe kann versagt werden, wenn der Antragssteller zwar für die beweisbedürftige Tatsache einen Zeugen benannt hat, eine entsprechende Aussage des Zeugen aufgrund der Umstände aber in jedem Fall unglaubwürdig wäre. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Insolvenzverwalter, Erfolgsaussichten, Beweisantizipation, Abschlussprüfer, Haftung, Insolvenzreife, Lagebericht, Rangrücktritt
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Beschluss vom 22.05.2023 – 81 O 2018/22
Fundstellen:
ZInsO 2024, 614
ZIP 2023, 2532
EWiR 2024, 117
NWB 2023, 2661
BeckRS 2023, 20729
ZRI 2023, 866
LSK 2023, 20729

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 22.05.2023, Az. 81 O 2018/22 Ins, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt als Insolvenzverwalter der … (haftungsbeschränkt) & Co. KG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, um gegen die Antragsgegnerin als ehemalige Wirtschafsprüferin der Insolvenzschuldnerin Haftungsansprüche wegen eines Insolvenzverschleppungsschadens geltend machen zu können.
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Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf die Darstellung in Ziffer 1. des angefochtenen Beschlusses vom 22.05.2023 Bezug genommen.
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Das Landgericht Ingolstadt hat mit Beschluss vom 22.05.2023 den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Hauptantrag auf Feststellung scheitere bereits am fehlenden Feststellungsinteresse, zudem lägen sowohl bezüglich des Hauptantrags als auch bezüglich des Hilfsantrags keine hinreichenden Erfolgsaussichten vor. Eine Pflichtverletzung auf Seiten der Antragsgegnerin sei aufgrund des bislang vorgetragenen Sachverhalts nicht anzunehmen, ebenso liege ein ausreichend nachvollziehbarer Sachvortrag des Antragstellers zur Kausalität einer eventuellen Pflichtverletzung nicht vor; schließlich sei ein etwaiger Schadensersatzanspruch infolge eines der Insolvenzschuldnerin analog § 31 BGB zuzurechnenden Mitverschuldens ihres Geschäftsführers nach § 254 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
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Der Beschluss wurde dem Antragsteller am 25.05.2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 23.06.2023, bei Gericht eingegangen am 26.06.2023, hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt.
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Im Beschwerdeverfahren trägt der Antragsteller vor, es befänden sich eine Vielzahl von Gesellschaften der …-Gruppe, die von privaten Anlegern Gelder mittels Nachrangdarlehen eingeworben hätten, in Insolvenz, und in all diesen Insolvenzverfahren erfolge eine Haftungsinanspruchnahme des jeweiligen Steuerberaters und ggf. auch Wirtschaftsprüfers mit identischer Begründung. Im Verfahren 4 O 16132/22 vor dem Landgericht München I sei ebenfalls der PKH-Antrag des Insolvenzverwalters abgewiesen worden, das Oberlandesgericht München (15 W 526/23 e) habe jedoch den Beschluss aufgehoben und Prozesskostenhilfe bewilligt. Die Sachverhalte und Verfahren seien vollkommen identisch gelagert und sollten deshalb nicht unterschiedlich behandelt werden. Die Antragsgegnerin habe gegen ihre Warn- und Hinweispflichten verstoßen. Der BGH habe mit Urteil vom 06.12.2018 Nachrangklauseln in Darlehensvereinbarungen mit Verbrauchern de facto für unwirksam erklärt. Dies sei für die Antragsgegnerin spätestens mit Veröffentlichung der Entscheidung in juris am 22.03.2019, in Beck online am 26.03.2019 oder in der NJW am 09.05.2019 erkennbar gewesen. Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hätte bei einem entsprechenden Hinweis der Antragsgegnerin, oder wenn der Jahresabschluss nicht testiert worden wäre, eine genaue Prüfung veranlasst und dann auch unverzüglich Insolvenzantrag gestellt. Dem Geschäftsführer sei nur die handelsbilanzielle Überschuldung bekannt gewesen, nicht jedoch die insolvenzrechtliche Überschuldung.
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Das Landgericht Ingolstadt hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 27.06.2023 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Vorbringen der Antragstellerseite im Beschwerdeschriftsatz vom 23.06.2023 enthalte kein neues sachliches oder rechtliches Vorbringen, zu dem sich das Gericht nicht bereits in dem angegriffenen Beschluss verhalten hätte. Die Antragstellerseite beschränke sich darauf, ihre eigene rechtliche Bewertung an die Stelle des Ausgangsgerichts zu stellen.
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Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 03.08.2023 die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde und trägt vor, dass keine fehlerhaften Bilanzansätze vorgelegen hätten und der Antragsteller hierzu auch nicht vorgetragen habe. Eine Warnhinweispflicht habe nicht bestanden, da der Insolvenzschuldnerin das Risiko, dass die von ihr verwendeten Nachrangklauseln unwirksam sein könnten, bekannt gewesen sei und sie auch gewusst habe, dass im Falle einer Unwirksamkeit eine mögliche Insolvenzreife vorliegen würde. Der BGH habe in seinem Urteil vom 06.12.2018 lediglich die Anforderungen zur Erfüllung des Transparenzgebotes konkretisiert. Die Antragsgegnerin habe keine eigene Einschätzung der Unwirksamkeit der Nachrangklauseln vorzunehmen gehabt, sondern habe zu beurteilen gehabt, ob die Einschätzung der Geschäftsleitung zur Fortführungsfähigkeit nachvollziehbar, schlüssig und widerspruchsfrei gewesen sei. Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hätte bei einem Hinweis durch die Antragsgegnerin Rechtsgutachten bzw. rechtlichen Stellungnahmen eingeholt und wie nach den erstinstanzlichen Urteilen in der …Gruppe geschehen daraufhin keinen Insolvenzantrag gestellt. Dass der Geschäftsführer auf diese rechtlichen Einschätzungen nicht hätte vertrauen dürfen, trage der Antragsteller nicht vor, so dass es bereits an einer schuldhaften Insolvenzverschleppung durch den damaligen Geschäftsführer mangele und insoweit an einer haftungsausfüllenden Kausalität fehle, da sich der damalige Geschäftsführer rechtskonform dadurch verhalten habe, dass er seinerzeit gerade keinen Insolvenzantrag gestellt habe.
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Ergänzend wird auf den angefochtenen Beschluss des Landgerichts sowie die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
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1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und form- und fristgerecht eingelegt (§ 127 Abs. 2 Satz 3, § 569 Abs. 1 und 2 ZPO).
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2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Erfolgsaussicht setzt voraus, dass das Gericht den Rechtsstandpunkt der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei auf Grund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Zöller/Schultzky, Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 114 ZPO Rn. 22). Hinreichend bedeutet, dass der an die Erfolgsaussichten anzusetzende Maßstab nicht überspannt werden darf (ebenda, Rn. 23). Nach diesem Maßstab hat die intendierte Klage des Antragstellers keine Aussicht auf Erfolg, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat.
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2.1. Zunächst ist klarzustellen, dass der vom Antragsteller behauptete Gleichlauf mit Sachverhalt und Verfahren der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts München, Az. 15 W 526/23 e, nicht vorliegt. Zum einen ist beklagte Partei im dortigen Verfahren die ehemalige Steuerberaterin einer anderen Gesellschaft der …-Gruppe und nicht die für diese Gesellschaft ebenfalls als Wirtschaftsprüferin tätige hiesige Antragsgegnerin. Zum anderen weist der Sachverhalt im hiesigen Verfahren zwei Besonderheiten auf: Einerseits wird vorliegend im Lagebericht ausdrücklich dargelegt, dass im Hinblick auf den nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Fehlbetrag zum 31.12.2018 eine „Überschuldung im Sinne der Insolvenzordnung aufgrund der Rangrücktrittsvereinbarungen in den der Gesellschaft gewährten Nachrangdarlehen nicht gegeben“ sei. Andererseits wurde die hiesige Antragsgegnerin durch den damaligen Geschäftsführer der hiesigen Insolvenzschuldnerin in seiner weiteren Funktion als Geschäftsführer der … GmbH mit Schreiben vom 20.08.2020 (Anlagenkonvolut B8, Seite 1) darüber informiert, dass nach Erlass der beiden erstinstanzlichen Urteile gegen Gesellschaften der …-Gruppe, die die dort jeweils verwendeten Nachrangklauseln gegenüber den Anlegern für unwirksam erklärt hatten, rechtsanwaltliche Stellungnahmen eingeholt worden seien, wonach diese Urteile fehlerhaft und die Nachrangklauseln wirksam seien, dass in beiden Fällen Berufung eingelegt worden sei und dass daher „weiterhin mit dem Ansatz der Wirksamkeit der Nachrangklauseln bilanziert“ worden sei. Die Gefahr divergierender Entscheidungen besteht daher nicht.
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2.2. Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass nach dem bisherigen Parteivortrag eine Pflichtverletzung der Antragsgegnerin nicht vorliegt und schon deshalb eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht besteht.
13
Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist (BGH, Urteil vom 26.01.2017, Az. IX ZR 285/14, NJW 2017, 1611, 1616, Rn. 44 ff.). Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 20.12.2018, Az. 10 U 70/18, NZI 2019, 757) hat eine entsprechende Pflicht auch für Wirtschaftsprüfer bejaht. Vorliegend scheidet eine Pflichtverletzung der Antragsgegnerin aber bereits deshalb aus, weil sie aufgrund der eindeutigen Formulierung im Lagebericht („Die Gesellschaft weist zum 31.12.2018 einen nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Fehlbetrag aus. Eine Überschuldung im Sinne der Insolvenzordnung ist aufgrund der Rangrücktrittsvereinbarungen in den der Gesellschaft gewährten Nachrangdarlehen nicht gegeben.“) davon ausgehen konnte, dass der Geschäftsleitung das Insolvenzrisiko in Abhängigkeit von der Wirksamkeit der Rangrücktrittsklauseln in den Nachrangdarlehen bekannt war. Soweit der Antragsteller vorträgt, der damalige Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin habe den Inhalt des Lageberichts nicht gekannt, dieser sei durch die Steuerberater der Gesellschaft erstellt worden, ist dies vorliegend nicht relevant, da die Antragsgegnerin aufgrund der Unterschrift des Geschäftsführers … vom 03.06.2019 unter dem Lagebericht und dem diesen abschließenden Absatz „Versicherung des gesetzlichen Vertreters“ (Anlage K 25, Seite 22) von einer Kenntnis des Geschäftsführers ausgehen musste.
14
Hinsichtlich der erforderlichen Offenkundigkeit der Anhaltspunkte für eine mögliche Insolvenzreife ist darüber hinaus auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts unter 3.3 des Beschlusses vom 22.05.2023 Bezug zu nehmen. Die Frage, in welcher Form qualifizierte Nachrangdarlehen auch gegenüber Verbrauchern wirksam sein können, ist – wie der Senat aus eigener Befassung mit dieser Rechtsfrage in anhängigen Verfahren weiß – bis heute nicht abschließend geklärt, zumal der BGH in seiner Entscheidung vom 06.12.2018 (Az. IX ZR 143/17, BGHZ 220, 280, NJW 2019, 1446) in Rn. 36 die Bedingungen aufzählt, die für eine hinreichende Transparenz einer solchen Klausel erfüllt sein müssen, was darauf schließen lässt, dass es aus Sicht des 9. Zivilsenats durchaus gegenüber Verbrauchern wirksame qualifizierte Nachrangvereinbarungen geben kann. Die Unwirksamkeit der von der Insolvenzschuldnerin verwendeten Nachrangklauseln war auch unter Zugrundelegung der genannten BGH-Entscheidung für die Antragsgegnerin nicht ohne Weiteres erkennbar.
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2.3. Schließlich liegt eine hinreichende Erfolgsaussicht auch deshalb nicht vor, weil der Antragsteller trotz der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast weder nachvollziehbar vorgetragen noch erfolgversprechend unter Beweis gestellt hat, dass die Geschäftsführung bei einem entsprechenden Hinweis der Beklagten umgehend, jedenfalls nicht erst wie geschehen am 05.04.2022, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hätte. Prozesskostenhilfe darf nach gefestigter Rechtsprechung des BVerfG dann versagt werden, wenn konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde (MüKoZPO/Wache, 6. Aufl. 2020, ZPO § 114 Rn. 58 mwN). Die herrschende Auffassung der Rechtsprechung der Fachgerichte, dass eine Beweisantizipation in eng begrenztem Rahmen zulässig ist, hat das BVerfG bereits mehrfach unbeanstandet gelassen (BVerfG NJW-RR 2004, 61, 62). Vorliegend hat der damalige Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, der Zeuge …, selbst nach den für die …-Gruppe nachteiligen erstinstanzlichen Urteilen gegenüber zwei ebenfalls vom ihm als Geschäftsführer geleiteten Gesellschaften der …-Gruppe keinen Insolvenzantrag gestellt, sondern stattdessen Rechtsgutachten erholt und auf deren Grundlage Berufung eingelegt und im Übrigen die von ihm geleiteten Gesellschaften der …-Gruppe fortgeführt; der Antragsgegnerin hat er die Rechtsgutachten mit Schreiben vom 20.08.2020 (Anlagenkonvolut B8, Seite 1) zugeleitet und mitgeteilt: „Wir haben daher bei allen …-Festzinsprodukten weiterhin mit dem Ansatz der Wirksamkeit der Nachrangklauseln bilanziert.“ Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass bei Erteilung des vom Antragsteller geforderten Hinweises (oder bei Erteilung eines Versagungsvermerkes) durch die Antragsgegnerin seitens des Zeugen … genauso verfahren worden wäre. Selbst wenn der Zeuge bei einer Einvernahme aussagen würde, dass er bei entsprechendem Hinweis umgehend einen Insolvenzantrag gestellt hätte, wäre dies vor dem Hintergrund des Anlagenkonvoluts B8 nicht glaubhaft. Letztlich ist dies jedoch ohnehin nicht entscheidend, da die Klage bereits mangels Pflichtverletzung der Antragsgegnerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (siehe Ziffer 2.2.).
16
Die sofortige Beschwerde war daher zurückzuweisen.
III.
17
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 44. Aufl. 2023, § 127 Rn. 11).
18
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 ZPO liegen angesichts der vorliegenden Einzelfallbeurteilung nicht vor.