Titel:
Unwirksamkeit eines Bebauungsplanes wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz bei der Festsetzung von Emissionskontingenten
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
GG Art. 14 Abs. 1 S. 2
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1, Abs. 7, § 2 Abs. 3
BauNVO § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 8, § 13, § 19 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Festsetzungen eines Bebauungsplans als Rechtsnorm im materiellen Sinn müssen den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel festgesetzt, muss auch bestimmt werden, welches Verfahren bei der Beurteilung von Vorhaben anzuwenden ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Überplant die Gemeinde ein Gebiet, so braucht sie auf das Interesse, einen ggf. rechtswidrigen Zustand aufrechterhalten zu können, keine Rücksicht zu nehmen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unwirksamkeit eines Bebauungsplans, Emissionsbeschränkungen für Gewerbeflächen, Festsetzung von immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegeln, Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit, Normenkontrolle, Bebauungsplan, Emissionsbeschränkung, Gewerbegebiet, Bestimmtheitsgrundsatz, Konkretisierung, Auslegung, Berechnungsgrundlagen, Berechnungsmethode, Teilunwirksamkeit, Funktionslosigkeit, unzulässige Nutzung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20728
Tenor
I. Der Bebauungsplan Gewerbegebiet E* …, zuletzt bekannt gemacht am 7. Juni 2023 mit Rückwirkung zum 26. November 2019, ist unwirksam, soweit er das festgesetzte Gewerbegebiet betrifft.
II.Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV.Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan Gewerbegebiet E* … der Antragsgegnerin, der zunächst am 5. November 2019 als Satzung beschlossen und am 26. November 2019 bekannt gemacht wurde und sodann im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens und im Anschluss an einen weiteren Satzungsbeschluss vom 27. Juli 2021 zunächst am 29. Juli 2021 und erneut am 7. Juni 2023 rückwirkend zum 26. November 2019 bekannt gemacht wurde.
2
Der Bebauungsplan, der den Vorgängerbebauungsplan aus dem Jahr 2004 sowie die danach erfolgten Änderungen ersetzt, umfasst das bisherige Planungsgebiet östlich der Rathausstraße und der Deininger Straße mit einer Fläche von rd. 14,7 ha. Er setzt innerhalb seines Geltungsbereichs ein Gewerbegebiet gemäß § 8 BauNVO mit 34 Parzellen sowie ein südlich anschließendes Sondergebiet mit der Zweckbestimmung „Sport“ gemäß § 11 BauNVO fest. Ziel der Planung ist es, die bisherigen Änderungen in einem Planwerk als Neuaufstellung übersichtlich zusammenzufassen und vorhandene Nachverdichtungspotentiale maßvoll zu nutzen. Im Gewerbegebiet sind Anlagen für kirchliche Zwecke sowie Vergnügungsstätten, Hotel- und Beherbergungsbetriebe (insbesondere auch Boardinghäuser etc.) allgemein unzulässig; Lagerplätze für Schrott, Abfälle und Autowracks und ähnlich wirkende Lagerplätze sind auf einzeln benannten Grundstücken ausgeschlossen. Lagerflächen als Bestandteile von zugelassenen Betrieben sind davon ausgenommen (textliche Festsetzung A. 2.1.1). Ausnahmsweise können Betriebswohnungen und Anlagen für kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke zugelassen werden (textliche Festsetzung A. 2.1.3). Im südlichen Bereich des Gewerbegebiets sind nur Betriebe und Anlagen zulässig, deren immissionswirksame flächenbezogene Schallleistungspegel pro m² Grundfläche 64 dB(A) tags und/oder 54 dB(A) nachts einhalten bzw. unterschreiten (textliche Festsetzung A. 7.1.1). Im nördlichen Bereich des Gewerbegebiets sind nur Anlagen und Betriebe zulässig, deren Geräusche die Emissionskontingente Lek pro m² Grundstücksfläche 67 dB(A) tags und/oder 55 dB(A) einhalten bzw. unterschreiten. Die Prüfung der Einhaltung erfolgt nach DIN 45691, Stand 12/2006, Abschnitt 5 (textliche Festsetzung A. 7.2.1). Zur Beurteilung der Belange des Immissionsschutzes hat die Antragsgegnerin eine Stellungnahme des Ingenieurbüros Greiner vom 11. Juni 2019 eingeholt.
3
Die Antragsteller sind (Mit-)Eigentümer des im südlichen Teil des Gewerbegebiets liegenden Grundstücks FlNr. …1, der Antragsteller zu 2 ist (Allein-)Eigentümer des Grundstücks FlNr. …32. Für das früher ungeteilte Grundstück wurde mit Bescheid des Landratsamts vom 18. Mai 1981 eine Baugenehmigung für den Neubau einer Werkhalle und eines Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung erteilt.
4
Am 23. November 2020 stellten die Antragsteller beim Verwaltungsgerichtshof einen Normenkontrollantrag, den sie in der mündlichen Verhandlung auf Hinweis des Senats auf die Festsetzungen zum Gewerbegebiet beschränkten. Sie beantragen zuletzt,
5
den Bebauungsplan der Gemeinde E* …, Neuaufstellung Bebauungsplan Gewerbegebiet E* …, zuletzt bekanntgemacht am 7. Juni 2023 und mit Rückwirkung in Kraft gesetzt zum 26. November 2019, hinsichtlich des Planbereichs Gewerbegebiet für unwirksam zu erklären.
6
Sie seien als Eigentümer von im Plangebiet liegenden Grundstücken antragsbefugt. Mit Baugenehmigung vom 18. Mai 1981 seien auf dem Grundstück ein Einfamilienhaus und eine Einliegerwohnung ohne Bindung an einen Gewerbebetrieb genehmigt worden. Der Bebauungsplan sei abwägungsfehlerhaft. Die Antragsgegnerin habe keine Erhebungen über Umfang und Fortdauer von genehmigter Wohnnutzung in den in ihrem Eigentum stehenden Gebäuden vorgenommen. Umfang und Schutzwürdigkeit der Wohnbebauung, insbesondere ihr Interesse an der Nutzung der Wohngrundstücke über den bloßen Bestand hinaus, sei nicht ermittelt worden. Der Wortlaut der Baugenehmigung spreche dagegen, dass die Wohnnutzung, die mit 180 m² Grundfläche fast so groß sei wie das angebaute Werkstattgebäude mit einer Grundfläche von 216 m², nur als Annex zu der zugelassenen Gewerbenutzung erteilt worden sei. Auch bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Wohnnutzung nur als Betriebs(inhaber) wohnung auf dem Grundstück FlNr. …1 zugelassen worden sei. Eine die Umgebung prägende gewerbliche Nutzung sei damals nur in Ansätzen vorhanden gewesen. Zudem sei nach der Nebenbestimmung des Baugenehmigungsbescheids vom 16. Dezember 1991 (nur) eine „zusätzliche Wohnung“ nicht genehmigungsfähig. Die Antragsgegnerin habe die vorhandene selbständige Wohnnutzung auch nicht mit dem gebotenen Gewicht in die Abwägungsentscheidung eingestellt. Der Entzug baulicher Nutzungsmöglichkeiten wirke sich wie eine Teilenteignung aus. Es sei nicht auszuschließen, dass die Antragsgegnerin bei Kenntnis des Bewertungsfehlers alternativ ein eingeschränktes Gewerbegebiet oder ein Mischgebiet ausgewiesen hätte. Die Festsetzung von nur ausnahmsweise möglichen Betriebswohnungen sei unzulässig. Auch auf dem Grundstück FlNr. …32 sei eine Betriebsleiterwohnung ausnahmsweise zulässig. Die Antragsgegnerin hätte für bestimmte Gebäude, die zu Wohnzwecken genutzt würden, eine Fremdkörperfestsetzung vornehmen können. Die Antragsteller haben im Normaufstellungsverfahren Einwendungen und mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 23. November 2020 Rügen gemäß § 215 Abs. 1 BauGB erhoben.
7
Die Antragsgegnerin beantragt,
9
Die Baugenehmigung vom 18. Mai 1981 sei auf Basis des Ursprungsbebauungsplans Gewerbegebiet E* …, in Kraft getreten am 30. Mai 1980, erteilt worden. Danach sei das Wohnhaus mit Einliegerwohnung als Betriebsinhaber/-leiterwohnung genehmigt worden. Ein unbeschränktes Wohnen hätte in dem Gewerbegebiet nicht genehmigt werden können. Der Ehemann der Antragstellerin zu 1 habe davon aufgrund der Korrespondenz beim Erwerb des Grundstücks Kenntnis gehabt. Soweit der Antragsteller zu 2 eine (weitere) Betriebsleiterwohnung für planungsrechtlich zulässig halte, bleibe es ihm unbenommen, einen entsprechenden Nutzungsänderungsantrag einzureichen, da Betriebsleiterwohnungen ausnahmsweise zulässig seien. Der Bebauungsplan ändere nichts an der bisherigen Ausweisung eines Gewerbegebiets, sodass eine besondere Berücksichtigung der genehmigten Betriebsleiterwohnungen nicht geboten gewesen sei. Eine „normale“ Wohnnutzung auf den Grundstücken der Antragsteller sei im Gewerbegebiet nicht zulässig und auch nicht gewünscht. Es habe daher keine Notwendigkeit bestanden, über eine Fremdkörperfestsetzung nachzudenken, zumal im Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans bereits Nutzungsuntersagungen in Bezug auf „normale Wohnnutzung“ im Gewerbegebiet durch das Landratsamt verfügt worden seien. Im Übrigen sei es ein wesentliches Planungsziel, das Gewerbegebiet dauerhaft zu erhalten. Selbst wenn – wie hier nicht – eine „normale“ Wohnnutzung genehmigt worden wäre, gelte es zu vermeiden, dass Immissionskonflikte mit möglichen Wohnnutzungen entstünden. Aufgrund fehlender anderer Ansiedlungsmöglichkeiten solle dieser Standort Handwerks- und produzierenden Gewerbebetrieben vorbehalten sein, die die Wirtschaftsstruktur der Gemeinde stärken könnten.
10
Die Landesanwaltschaft beteiligt sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren und stellt keinen Sachantrag.
11
Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2023 wird auf das Protokoll verwiesen. Im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die Normaufstellungsakten sowie auf die vorgelegten Bauakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12
Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Der Bebauungsplan Gewerbegebiet E* …, zuletzt bekannt gemacht am 7. Juni 2023 mit Rückwirkung zum 26. November 2019, ist unwirksam, soweit er das festgesetzte Gewerbegebiet betrifft.
13
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere sind die Antragsteller antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Rechtswirkungen der Satzung in einem Recht verletzt wird. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. Denn bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese muss der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 4 BN 17.17 u.a. – BauR 2018, 814; U.v. 10.3.1998 – 4 CN 6.97 – NVwZ 1998, 732). Damit ist die Antragsbefugnis der Antragsteller als Eigentümer von Grundstücken, für die der Bebauungsplan Festsetzungen trifft, gegeben.
14
Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass nur die Festsetzungen des Gewerbegebiets angegriffen werden. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Normenkontrollantrag prozessual auf einzelne Festsetzungen des Bebauungsplans beschränkt werden kann. Hiervon ist die materiell-rechtliche Frage zu unterscheiden, ob der Bebauungsplan im Übrigen bestehen bleiben kann. Bei fehlender Teilbarkeit hat die Aufhebung insgesamt zu erfolgen, da das Normenkontrollgericht nicht befugt ist, durch seine Entscheidung ein planerisches Ergebnis festzustellen, das letztlich eine Veränderung des zugrunde gelegten städtebaulichen Konzepts der Gemeinde bewirkt (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.1991 – 4 NB 3.91 – DVBl 1992, 37; BayVGH, U.v. 9.12.2021 – 1 N 19.447 – juris Rn. 15).
15
2. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Der Bebauungsplan verstößt hinsichtlich der textlichen Festsetzung von immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegeln für den südlichen Planbereich des Gewerbegebiets (A.7.1) gegen den Grundsatz der Bestimmtheit und Normenklarheit. Der zur Festlegung der jeweils maßgeblichen Fläche verwendete Begriff „Grundfläche“ ist mehrdeutig, dieser Mangel lässt sich auch nicht durch Auslegung beheben (2.1.). Zudem ist die Rechtsgrundlage nicht erkennbar (2.2.). Dieser Mangel führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans, soweit er das festgesetzte Gewerbegebiet betrifft. Die Wirksamkeit des Bebauungsplans im Übrigen bleibt hiervon unberührt (2.3.).
16
2.1. Die vorliegende Festsetzung von immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegeln verstößt gegen den Grundsatz der Bestimmtheit und Normenklarheit. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine solche Festsetzung – ebenso wie die Festsetzung von Emissionskontingenten nach DIN 45691 – grundsätzlich geeignet ist, das Emissionsverhalten als „Eigenschaft“ von Betrieben und Anlagen im Sinn des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO zu kennzeichnen (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2017 – 4 CN 7.16 – BVerwGE 161, 53; B.v. 2.10.2013 – 4 BN 10.13 – BauR 2014, 159; B.v. 12.6.2008 – 4 BN 8.08 – BauR 2008, 1416). Die Festsetzungen eines Bebauungsplans als Rechtsnorm im materiellen Sinn müssen allerdings den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit begründet die Unwirksamkeit der Festsetzung, ohne dass es auf § 214, § 215 BauGB ankommt. Speziell für Bebauungspläne folgt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen daraus, dass die Festsetzungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. Die von den Festsetzungen des Bebauungsplans Betroffenen müssen deshalb wissen, welche Nutzungen auf den Grundstücken zulässig sind. Der planenden Gemeinde steht es dabei frei zu entscheiden, welcher Mittel sie sich bedient, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen. Sie hat die Wahl zwischen zeichnerischer Festsetzung und textlicher Beschreibung; sie kann auch beide Elemente kombinieren. Entscheidend ist nur, dass hinreichend klar ist, welche Regelungen mit welchem Inhalt normative Geltung beanspruchen. Das im Einzelfall zu fordernde Maß an Konkretisierung hängt wesentlich von der Art der jeweiligen Festsetzung, den Planungszielen und den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den örtlichen Verhältnissen, ab (vgl. BayVGH, U.v. 15.11.2022 – 1 N 19.1117 – juris Rn. 27; U.v. 6.12.2019 – 15 N 18.636 – juris Rn. 26). Die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit fehlt nicht schon dann, wenn die Festsetzung der Auslegung bedarf. Es ist ausreichend, wenn der Inhalt des Bebauungsplans durch Auslegung ermittelt werden kann, wobei die Interpretation nicht durch den formalen Wortlaut beschränkt wird. Ausschlaggebend ist der objektive Wille des Plangebers, soweit er wenigstens andeutungsweise im Satzungstext einen Niederschlag gefunden hat (vgl. BayVGH, U.v. 6.12.2019 – 15 N 18.636 – juris Rn. 26; OVG NRW, U.v. 2.12.2016 – 2 D 121/14.NE – juris Rn. 62).
17
Diesen Anforderungen genügt die textliche Festsetzung A.7.1 nicht, weil sich aus den planerischen Festsetzungen nicht hinreichend bestimmt ergibt, auf welche (Teil-)Flächen sich die immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegel beziehen. Der zur Festlegung der jeweils maßgeblichen Fläche verwendete Begriff „Grundfläche“ ist mehrdeutig; dieser Mangel lässt sich auch nicht durch Auslegung beheben. Nimmt man den Begriff wörtlich, wäre als zulässige Grundfläche der – vorliegend durch Festsetzung einer Grundflächenzahl (GRZ) bzw. einer maximal zulässigen Grundfläche (GR) bestimmte – Anteil der Fläche des Baugrundstücks anzusehen, der von baulichen Anlagen überdeckt werden darf (§ 19 Abs. 2 BauNVO). Gegen die Annahme, dass der Begriff die Bedeutung haben soll, die er auch sonst im Bauplanungsrecht hat, spricht jedoch, dass die „Flächenbasis“ bei dieser Auslegung kleiner wäre als bei solchen Festsetzungen üblich, ohne dass es einen Anhaltspunkt dafür gibt, dass diese Einschränkung gewollt ist (vgl. BayVGH, U.v. 14.7.2009 – 1 N 07.2977 – BayVBl 2010, 690). In Betracht kommt auch, dass mit „Grundfläche“ die innerhalb der festgesetzten Baugrenzen liegende Fläche (vgl. BayVGH, U.v. 29.11.2012 – 15 N 09.693 – juris Rn. 39) oder die „Grundfläche des Betriebsgrundstücks“ gemeint ist. Welche Bedeutung gewollt ist, lässt sich den vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen. Zur Auslegung kann auch nicht auf die Begründung des Bebauungsplans zurückgegriffen werden, da dort lediglich auf die Übernahme der (identischen) Festsetzung in dem Vorgängerbebauungsplan aus dem Jahr 2004 hingewiesen wird, ohne eine Aussage zur Bewertung der Lärmimmissionen zu treffen. Das eingeholte schalltechnische Gutachten, auf das im Übrigen in der Begründung nicht Bezug genommen wird, verhält sich dazu ebenso wenig wie das in der mündlichen Verhandlung von der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin überreichte Schreiben des Landratsamts vom 27. Januar 2004.
18
2.2. Der Bebauungsplan lässt auch nicht die Rechtsgrundlage der festgesetzten immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegel erkennen. Da die in Betracht kommenden Methoden wie beispielsweise die Berechnung nach der VDI-Richtlinie 2714 „Schallausbreitung im Freien“ von 1988 und der VDI-Richtlinie 2720 „Schallschutz durch Abschirmung im Freien“ von 1997 sowie die Berechnung nach der DIN 18005-1 „Berücksichtigung des Schallschutzes im Städtebau“ von 1987 zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, muss bestimmt sein, welches Verfahren bei der Beurteilung der Vorhaben anzuwenden ist. Die Festsetzung für den südlichen Teil des Gewerbegebiets zeigt jedoch – anders als die Festsetzung von Emissionskontingenten für den nördlichen Teil des Gewerbegebiets – keine Berechnungsmethode auf. Weder der Begründung des Bebauungsplans noch dem Schreiben des Landratsamts vom 27. Januar 2004, das – ohne eine Berechnung aufzuzeigen – nur die aus immissionsschutzrechtlicher Sicht erforderlichen Festsetzungen enthält, lassen sich Erläuterungen zur Messmethode entnehmen. Der Plangeber muss sich aber aufgrund der in Betracht kommenden unterschiedlichen Berechnungsmethoden für eine Berechnungsmethode entscheiden, weil es sonst dem jeweiligen Gutachter überlassen wäre, welche Berechnungsmethode und damit welches Ergebnis er wählt (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2010 – 4 BN 42.09 – BayVBl 2010, 696; BayVGH, U.v. 14.7.2009 – 1 N 07.2977 – BayVBl 2010, 690).
19
2.3. Die Unwirksamkeit der Festsetzung der immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegel bewirkt die Unwirksamkeit des Bebauungsplans im tenorierten Umfang. Mängel, die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplans anhaften, führen nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinn von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.2017 – 4 CN 6.16 – BVerwGE 159, 356; B.v. 11.9.2014 – 4 CN 3.14 – BayVBl 2015, 203; U.v. 19.9.2002 – 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58). Vorliegend fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan, soweit er das festgesetzte Gewerbegebiet betrifft, mit demselben Inhalt im Übrigen auch ohne die fehlerhafte Lärmkontingentierung für den südlichen Bereich des Gewerbegebiets erlassen hätte. Zur Thematik der Geräuschkontingentierung hat die Antragsgegnerin auf Empfehlung des beauftragten Gutachters in der schalltechnischen Stellungnahme die in den Vorgängerbebauungsplänen aus 2004 und 2009 empfohlenen Festsetzungen übernommen, um die gesamte zulässige Geräuschentwicklung des Gewerbegebiets – auch im Hinblick auf ein künftiges Heranrücken von schutzbedürftiger Bebauung – verbindlich definieren zu können. Soweit hier auch ein Verzicht auf eine Geräuschkontingentierung in Betracht kommen könnte, da gegenwärtig nur im Süd-Osten eine Wohnbebauung vorhanden ist, ist ein diesbezüglicher Wille der Antragsgegnerin jedenfalls nicht dokumentiert.
20
Die Wirksamkeit des Bebauungsplans im Übrigen bleibt hiervon unberührt. Die Bereiche Gewerbegebiet und Sondergebiet mit der Zweckbestimmung „Sport“ sind räumlich durch die Staats straße 2070 klar voneinander getrennte Regelungsbereiche, die auch sachlich nicht miteinander zusammenhängen. Sie haben auch keinen funktionalen Zusammenhang, da jeweils unterschiedliche städtebauliche Zielsetzungen verfolgt werden. Mit den Festsetzungen zum Sondergebiet kann auch das planerische Ziel der Gemeinde, das Sondergebiet zu erhalten und an die Wegeführung und die Nachfrage in der Gemeinde anzupassen, weiterhin erreicht werden. Aus den Planerwägungen ergibt sich hinreichend deutlich, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan auch ohne die unwirksamen Festsetzungen zum Gewerbegebiet erlassen hätte.
21
3. Die von den Antragstellern innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB gerügten Ermittlungs- und Bewertungsfehler sowie Fehler in der Abwägungsentscheidung liegen indessen nicht vor.
22
Gemäß § 2 Abs. 3 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten. Denn die Berücksichtigung aller bedeutsamen Belange in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB setzt deren ordnungsgemäße Ermittlung und zutreffende Bewertung voraus (vgl. BVerwG, B.v. 12.6.2018 – 4 B 71.17 – ZfBR 2018, 601). Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet oder in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (vgl. BVerwG, B.v. 15.5.2013 – 4 BN 1.13 – ZfBR 2013, 573; B.v. 10.11.1998 – 4 BN 44.98 – NVwZ-RR 1999, 432; U.v. 12.12.1969 – IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301). Der Satzungsgeber muss ebenso wie der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Insbesondere ist er an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727).
23
Gemessen an diesen Maßstäben liegen weder ein Ermittlungs- und Bewertungsdefizit noch Abwägungsmängel vor.
24
Die Antragsgegnerin hat ausreichend ermittelt, welche Art von Wohnnutzung der Bestand innerhalb des Planungsgebiets aufweist. Sie hat ihrer Planung die maßgeblichen genehmigten und ihr bekannten Nutzungen im Plangebiet zugrunde gelegt und berücksichtigt, dass bereits durch den am 30. Mai 1980 in Kraft getretenen ursprünglichen Bebauungsplan ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO festgesetzt wurde und sich auch tatsächlich ein Gewerbegebiet entwickelt hat. Die Antragsgegnerin ist bei der Ermittlung des Bestands auf den Grundstücken der Antragsteller zu Recht von einem gewerblichen Bestand ausgegangen. Mit Bescheid vom 18. Mai 1981 hat das Landratsamt für das Grundstück der Antragsteller, das von der Antragsgegnerin im Zuge der Aufstellung des Bebauungsplans an den Ehemann der Antragstellerin zu 1 veräußert wurde, den Neubau einer Werkhalle sowie ein Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung genehmigt. Die Betriebsbezogenheit der Wohnnutzung ergibt sich aus Nummer 5 der Auflagen des Baugenehmigungsbescheids, wonach die Festsetzungen des Bebauungsplans Gewerbegebiet der Gemeinde E* … einzuhalten sind. Ein unbeschränktes Wohnen ist im Gewerbegebiet nicht möglich. Nach den vorliegenden Unterlagen wurden mit Tekturgenehmigung vom 16. Dezember 1991 im Dachgeschoss der Werkhalle Büros genehmigt, die ursprünglich genehmigte Einliegerwohnung im Obergeschoss des Einfamilienhauses war jedenfalls 1991 nicht mehr vorhanden, sondern wurde als Wohn- und Schlafraum genutzt. Ob die gewerblichen Nutzungen zum Zeitpunkt der Baugenehmigung schon ausgeprägt oder noch nicht zahlreich vorhanden waren, spielt keine Rolle. Eine Auslegung der Baugenehmigung dahingehend, dass nach ihrem Wortlaut nur eine reine Wohnnutzung gemeint sein kann, kommt daher nicht in Betracht.
25
Ein Ermittlungsdefizit besteht auch nicht insoweit, als auf anderen Grundstücken im Plangebiet tatsächlich eine nicht betriebsbezogene Nutzung stattfinden sollte. Der Bebauungsplan ist dadurch nicht funktionslos geworden. Unabhängig davon, dass das Landratsamt im Falle von nicht genehmigten Wohnnutzungen – wie auch hier – mit Nutzungsuntersagungen vorgegangen ist bzw. vorgeht, ist nicht erkennbar, dass für den Fall, dass tatsächlich ausgeübte Nutzungen entgegen erteilter Genehmigungen nicht mit § 8 BauNVO vereinbar sein sollten, mögliche zu Wohnzwecken genutzte Räumlichkeiten nicht wieder einer gewerblichen Nutzung zugeführt werden könnten (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2015 – 1 B 13.646 – juris Rn. 30 f.).
26
Die Festsetzungen des Bebauungsplans führen auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) der Antragsteller. Die Antragsgegnerin hat die Eigentumsbelange bei der Abwägung mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt. Abwägungsrelevant sind alle (öffentlichen und privaten) Belange, die mehr als geringwertig schutzwürdig sind, nicht mit einem Makel behaftet sind und für den Planer erkennbar sind. Denn Interessenpositionen verdienen keinen Schutz, wenn sie unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffen worden sind; dies gilt auch für eine baurechtswidrige Nutzung. Hierdurch verschieben sich nicht die rechtlichen Maßstäbe, nach denen sich die Bebauung anderer Grundstücke richtet. Überplant die Gemeinde das maßgebliche Gebiet, so braucht sie auf das Interesse, einen ggf. rechtswidrigen Zustand aufrechterhalten zu können, keine Rücksicht zu nehmen. Wer Beeinträchtigungen durch die Planung nur deshalb befürchtet, weil er sein eigenes Grundstück unzulässig nutzt, ist nicht schutzwürdig (vgl. NdsOVG, U.v. 13.5.2022 – 1 KN 85/20 – juris Rn. 42).
27
Daran gemessen ist die Abwägungsentscheidung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ist die ausnahmsweise Zulassung von Wohnungen für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind, zulässig. Die Antragsgegnerin hat die Eigentumsbelange der Antragsteller nicht verkannt. Eine bestandsgeschützte Wohnnutzung in dem seit 1980 bestehenden Gewerbegebiet liegt nicht vor. Aus den ungenehmigten (Wohn-)Nutzungen folgt nicht, dass die von der Antragsgegnerin vorgenommene Gebietsklassifizierung des Plangebiets als Gewerbegebiet aufgegeben und zu einer Ausweisung als Mischgebiet übergegangen werden müsste, da die Annahme eines Mischgebiets angesichts der Anzahl der genehmigten gewerblichen Nutzungen nicht in Betracht kommt. Es entspricht der planerischen Zielsetzung der Antragsgegnerin, im Hinblick auf fehlende Ansiedlungsmöglichkeiten von Handwerksbetrieben und produzierendem Gewerbe im Gemeindegebiet den Standort als Gewerbegebiet zu erhalten und zu sichern und damit gleichzeitig auch die Wirtschaftsstruktur der Gemeinde. Dies gilt umso mehr, als es sich nach den Ausführungen des Bürgermeisters in der mündlichen Verhandlung um das einzige Gewerbegebiet handelt.
28
Soweit die Antragsteller sich im Hinblick auf die gewerbliche Tätigkeit auf ihrem Grundstück auf eine „wohnartige“ Betätigung im Sinn des § 13 BauNVO berufen, ist bereits der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet. § 13 BauNVO ergänzt den Zulässigkeitskatalog u.a. im Gewerbegebiet für freiberufliche Tätigkeiten und gleichgestellte gewerbliche Nutzungen (vgl. BVerwG, U.v. 30.1.1970 – IV C 143.65 – BauR 1970, 91), nicht aber die Zulassung einer Wohnnutzung. Dies ist im Gewerbegebiet, wie bereits ausgeführt, unzulässig. Soweit die Rüge auf die Wohnnutzung der Betriebsleiterin J. H. abzielt, fehlt es an einer genehmigten Nutzung.
29
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
30
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
31
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).