Titel:
Duldungsanordnung zum Betreten eines Kellerraumes zur Überprüfung der verwirklichten Wohneinheiten
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 122 Abs. 2 S. 3, § 146 Abs. 4 S. 6
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 4
GG Art. 13 Abs. 1, Abs. 7
Leitsätze:
1. Nach Art. 54 Abs. 2 S. 4 BayBO iVm Art. 13 Abs. 7 GG sind die mit dem Vollzug der BayBO beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich Wohnungen zu betreten, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Eine konkrete Gefahr wird nicht vorausgesetzt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Befugnis nach Art. 54 Abs. 2 S. 4 BayBO setzt nicht voraus, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt; vielmehr genügt schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Duldungsanordnung zum Betreten eines Kellergeschosses, Erforderlichkeit der Duldungsanordnung, Beschwerde, Eilverfahren, Duldungsanordnung, Besichtigung, Verdacht genehmigungsabweichender Bauausführung, hinreichende Wahrscheinlichkeit, Wohnung, konkrete Gefahr, Ermessen
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 12.07.2023 – M 9 S 23.3111
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20716
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die mit Bescheid vom 26. Mai 2023 ergangene bauaufsichtliche Anordnung, das Betreten des Kellergeschosses seines Wohnhauses zur bauaufsichtlichen Überprüfung sowie das Fertigen von Fotos durch Vertreter der Bauaufsichtsbehörde zu gewähren.
2
Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Juli 2023 abgelehnt. Die verfahrensgegenständliche Betretungsanordnung sei voraussichtlich rechtmäßig. Aufgrund der vorliegenden Akten bestehe ein hinreichend sachlicher Grund für die Durchführung der Baukontrolle. Auch wenn aus den laut Baubeschreibung des genehmigten Bauvorhabens vorgesehenen Anschlussvorkehrungen für vier Wohneinheiten nicht zwingend geschlossen werden müsse, dass tatsächlich vier Wohneinheiten bestünden, dränge sich die Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen auf. Es bestehe jedenfalls der gewichtige Anschein einer zumindest zeitweiligen tatsächlichen Belegung mit mehr als zwei Wohnungen. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden. Die tatsächliche Nutzung der Kellerräume stehe nicht fest. Der Antragsteller lehne die (freiwillige) Ermöglichung einer Besichtigung ab. Auf die unterschiedliche Bewertung der „Vorgeschichte“ komme es angesichts der vorliegenden Verdachtsmomente nicht an. Auch das besondere Vollziehungsinteresse liege angesichts möglicher Baueinstellungsverfügungen und Nutzungsuntersagungen vor.
3
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren weiter.
4
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
5
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten verwiesen.
6
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
7
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz (§ 80 Abs. 5 VwGO) zu Recht abgelehnt, weil die Klage gegen die Betretungsanordnung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben wird, sodass das Interesse an der Herstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hinsichtlich der Betretensanordnung (Nr. 1) und der Androhung unmittelbaren Zwanges (Nr. 4) gegenüber dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners nachrangig ist. Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen wird ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
8
Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 13 Abs. 7 GG sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich Wohnungen zu betreten, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Die Kellerräume im Gebäude des Antragstellers unterfallen dem Wohnungsbegriff des Art. 13 Abs. 1 GG. Eine konkrete Gefahr wird nicht vorausgesetzt (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2006 – 4 B 36.06 – BauR 2006, 1460; BayVGH, B.v. 22.7.2022 – 1 CS 21.1185 – juris Rn. 8).
9
Eine solche Gefahr kann beispielsweise angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei einem Bauvorhaben anstelle von zwei genehmigten Wohneinheiten eine Belegung mit vier Wohneinheiten vorliegen könnte. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass solche Anhaltspunkte schon aufgrund der Aktenlage vorliegen und darüber hinaus der Anschein einer tatsächlichen Belegung mit mehr als zwei Wohnungen gegeben war bzw. ist. Nach der Baubeschreibung des genehmigten Bauvorhabens sind jeweils vier Stromzählerschränke, Hauptsicherungsautomaten, Waschmaschinenanschlüsse, Badanschlüsse und Briefkästen vorgesehen; das Steuergerät für die Sprechanlage ist für vier Türklingeln ausgelegt, zudem sind vier unterschiedlich belegte Briefkästen und Türklingeln vorhanden.
10
Die dagegen gerichtete Beschwerdebegründung beschränkt sich darauf, der Annahme des Verwaltungsgerichts zu widersprechen und die „Vorgeschichte“ darzulegen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht genannten Indizien, die die Vermutung von Baurechtsverstößen begründen können, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Die Behauptung, dass es im Wohngebäude nur zwei Stromzähler gebe, reicht nicht aus, da deren Anzahl gerade streitig ist und einer Überprüfung bedarf. Der Betretensanordnung steht auch weder die behauptete teilweise Nutzung der Kellerräume als Hobbyraum bzw. eine künftig mögliche nicht störende untergeordnete gewerbliche Nutzung noch die Frage der Verlegung etwaiger Kanalleitungen unter der Bodenplatte entgegen. Denn die Frage, ob es sich um zulässige Nutzungen handelt, kann angesichts der vorstehend aufgeführten gewichtigen Indizien, die eine Nutzung von vier Wohneinheiten nahe legen, nur durch die Ermittlung der Bestandssituation erfolgen, für die das Betreten des Grundstücks bzw. des Kellergeschosses erforderlich ist, da sich weder von außen noch durch ein benachbartes baugleiches Gebäude sichere Erkenntnisse gewinnen lassen. Auch ein Mietvertrag (hier des vormaligen Mieters) vermag nicht entscheidend für die Beurteilung des Vorliegens einer eigenständigen Wohneinheit im Gebäude beizutragen, weil die Bestandssituation von dem Mietvertrag abweichen kann.
11
Der Einwand des Antragstellers, die Behörde habe nach Besichtigung des baugleichen Nachbaranwesens kein Interesse mehr an einer Besichtigung seines Wohngebäudes gehabt, ist bereits nicht nachvollziehbar. Nach den vorliegenden Unterlagen war der Antragsteller im Jahr 2022 „nach wie vor“ mit einer Wohnungsbegehung nicht einverstanden (Bl. 113 der Behördenakte). Im Übrigen erschließt es sich dem Senat nicht, warum der Antragsteller, der ursprünglich seine Bereitschaft zur Besichtigung der Kellerräume erklärt hat, diese nunmehr verweigert. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass das Landratsamt die Anordnung allein aufgrund von „unzutreffenden Tatsachen“ und damit ohne sachlichen Grund getroffen hat. Der Antragsteller übersieht, dass die Befugnis nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO nicht voraussetzt, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt, sondern schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes ausreicht.
12
Die geltend gemachten Verfahrensfehler, die sämtlich die „Vorgeschichte“ betreffen, sind angesichts der vorliegenden gewichtigen Indizien nicht geeignet, die Auffassung des Antragstellers zu bekräftigen, dass die angegriffene Verfügung, die sich auf Duldung des Betretens von Kellerräumen, die nicht dem Wohnen dienen (sollten) – auch im Hinblick auf die Ermessensausübung – fehlerhaft sei. Die Frage der Verwertbarkeit unterstellter Verstöße im Verwaltungsverfahren kann daher dahinstehen. Soweit der Antragsteller auf einen Besichtigungstermin am 28. März 2019 vor Fertigstellung des Wohngebäudes verweist, war zu diesem Zeitpunkt nach Aktenlage noch kein Verwaltungsverfahren eingeleitet (Bl. 4 der Behördenakte). Das Beschwerdevorbringen zeigt auch nicht auf, dass der Rechtsstreit mit der S.-Bau GmbH zu seine Gunsten hätte berücksichtigt werden müssen.
13
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und entspricht der Festsetzung des Streitwerts durch das Verwaltungsgericht, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.