Titel:
Erfolgreicher Konkurrenteneilantrag gegen Besetzung einer Professur
Normenketten:
VwGO § 123
GG Art. 33 Abs. 2
Leitsatz:
Wird die Expertise in einem bestimmten Bereich vom Berufungsausschuss als KO-Kriterium definiert und sprechen zwei Gutachter der Ausgewählten diese Expertise ab, so stellt es einen materiell-rechtlichen Fehler des Berufungsverfahrens dar, wenn sich aus den Unterlagen nicht nachprüfbar ergibt, dass sich die Berufungskommission mit der Frage, ob die Ausgewählte entgegen den Gutachten die geforderte Expertise aufweist, auseinandergesetzt hat. (Rn. 51 – 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Stellenbesetzung, W 3 Professur an einer Universität, Anforderungsprofil, Dokumentation der Auswahlentscheidung, Nachschieben von Auswahlerwägungen, Konkurrentenstreit, Professur, Anforderungsmerkmal, Nachschieben
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2062
Tenor
I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Stelle W 3 -Professur für Statistik und quantitative Methoden der Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der … Universität … mit der Beigeladenen zu besetzen, solange über die Bewerbung des Antragstellers keine neue Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts getroffen worden ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 46.930,36 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Rahmen eines Konkurrentenstreitverfahrens um die W3-Professur für Statistik und quantitative Methoden der Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der … Universität … (im Folgenden: „Universität“) gegen die Auswahl der Beigeladenen.
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Die Antragsgegnerin veröffentlichte im Sommer 2021 auf ihrer Website die Ausschreibung der Professur u.a. mit folgenden Vorgaben zum Anforderungsprofil:
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„Die Bewerberinnen und Bewerber verfügen über ausgewiesene Forschungsexpertise im Bereich der angewandten statistischen/quantitativen Verfahren, besonders im Bereich der modernen maschinellen Lernverfahren und moderner Evaluationsmethoden zur kausalen Identifikation von Wirkungszusammenhängen.“
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Am … Dezember 2021 legte der Berufungsausschuss in seiner ersten Sitzung Auswahlkriterien für die Berufung fest. Dabei wurden die Kriterien in die drei Klassen („KO-Kriterien“ (KO), „sehr wichtige Kriterien“ (SW) und „wichtige Kriterien“ (W)) unterteilt, sodass sich Mindestanforderungen und Wunschanforderungen im Hinblick auf die Kriterien des Ausschreibungstextes ergeben.
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Der Berufungsausschuss hat insbesondere folgende KO-Kriterien definiert:
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- „Ausgewiesene Expertise im Bereich der angewandten statistischen / quantitativen Verfahren besonders im Bereich“, (KO-Kriterium Nr. 2)
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- „modernen maschinellen Lernverfahren UND“ (KO-Kriterium Nr. 3)
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- „moderner Evaluationsmethoden zur kausalen Identifikation von Wirkungszusammenhängen.“ (KO-Kriterium Nr. 4).
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Weiter sichtete der Berufungsausschuss in seiner 2. Sitzung die 66 eingegangenen Bewerbungen und nahm eine erste Einstufung vor. In Kategorie A+ befand sich der Antragsteller. Die Beigeladene wurde in Kategorie B+ eingruppiert. Zu den Vorstellungsvorträgen wurden neun Personen eingeladen. Nach den Probevorträgen wurden sowohl der Antragsteller als auch die Beigeladene als A-Kandidaten eingestuft.
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In der 5. Sitzung des Berufungsausschusses am … Februar 2022 wurde eine Liste verwendet, welche die Kandidaten sowie die einzelnen Bewertungskriterien beinhaltet. Für das Kriterium der „modernen maschinellen Lernverfahren“ ist dort für die Beigeladene vermerkt: „Im Aufbau befindliche Expertise im Bereich des modernen Machine Learnings. Diese basierend auf sehr fundierten Kenntnissen in der statistischen Modellierung, insb. bzgl. parametrischer Verfahren, und der Parameterschätzung, die ebenfalls im Machine Learning bedeutend sind. Aktuell laufende Forschungsprojekte und Impuls-Vorträge zu Machine Learning und dessen Anwendungen.“ Eine Auseinandersetzung bzw. Bewertung der einzelnen Kriterien der Kandidaten erfolgte nicht. Es wurde auf Vorschlag eines Mitglieds der Berufungskommission, da die zahlreichen Kriterien bereits in der 4. Sitzung des Berufungsausschusses diskutiert worden seien, eine Gesamtdiskussion vorgenommen. In der 4. Sitzung des Berufungsausschusses ist unter TOP 7 Festlegung der Short-List Kandidat/innen bei der Beigeladenen vermerkt: „Der BA stellt fest, dass die Kandidatin moderne, neue Themen bearbeite und sehr vielseitig sei, wenngleich ihre Expertise im Bereich Causal Modeling wesentlich stärker ausgeprägt ist als im Bereich Machine Learning.“.
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In der 5. Sitzung des Berufungsausschusses am … Februar 2022 wurde weiter mit zehn Zustimmungen bei zwei Enthaltungen beschlossen, dass für den Antragsteller ein externes Gutachten erstellt werden solle. Zudem wurde mit sechs Zustimmungen bei sechs Enthaltungen beschlossen, dass für die Beigeladene ebenfalls ein externes Gutachten erstellt werden sollte. Weitere Kandidatinnen oder Kandidaten wurden nicht mehr berücksichtigt.
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In der 6. Sitzung des Berufungsausschusses am … April 2022 wurden die Ergebnisse der zwei beauftragten vergleichenden Gutachten gesichtet und diskutiert. Insbesondere wurde von einem Mitglied des Berufungsausschusses die attestierte fehlende Kompetenz der Beigeladenen im Bereich kausale Methoden angezweifelt, da die Gutachterin K. ein anderes Verständnis von kausalen Methoden habe, als das bei der ausgeschriebenen Stelle verlangt werde. Während Gutachterin K. die Berufungsreihenfolge „1. Antragsteller, 2. Beigeladene“ vorschlägt, schlägt Gutachter W. die Reihung „1. Beigeladene, 2. Antragsteller“ vor. Der Berufungsausschuss hat mit fünf Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen dafür gestimmt, die Beigeladene auf Platz 1 zu setzen. Der Antragsteller wurde auf Platz 2 gesetzt.
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Der Bericht des Berufungsausschussvorsitzenden zum Berufungsvorschlag der Berufungskommission vom … April 2022 führt aus: „Beide Gutachter/innen bescheinigen den Kandidat/innen Expertise im Bereich der angewandten statistischen Verfahren und quantitativen Methoden. (…) Beide Gutachter/innen stimmen darin überein, dass (der Antragsteller) über mehr Expertise in modernen maschinellen Lernverfahren verfügt. Laut (Gutachter W.) verfüge (die Beigeladene) dagegen über deutlich größere und breiter gefächerte Expertise im Bereich modernen Verfahren zur kausalen Identifikation von Wirkungszusammenhängen (…).“
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Nach Einbeziehung des Fakultätsrats und des Senats hat das Präsidium den Berufungsvorschlag mit o.g. Reihung beschlossen und der Ruf wurde an die Beigeladene erteilt. Auf Nachfrage teilte die Universität dem Antragsteller mit, dass er Platz zwei der Berufungsliste innehabe. Mit Mail vom … September 2022 nahm die Beigeladene gegenüber der Universität den Ruf der Professur an. Über den dagegen eingelegten Widerspruch des Antragstellers vom … Oktober 2022 ist – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden.
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Mit Schreiben vom 10. Oktober 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Antragsteller beantragt,
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Der Antragsgegnerin wird es bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens untersagt, zum Professor für Statistik und quantitative Methoden der Wirtschaftswissenschaften (W3) an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der … Universität … einen anderen Bewerber als den Antragsteller zu ernennen.
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Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners sei verfahrensfehlerhaft, zumindest aber nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, da der Beurteilungsspielraum überschritten worden sei. Die von der Antragsgegnerin für die Auswahlentscheidung vorgegebenen Kriterien seien nicht beachtet bzw. verkannt, der Beurteilung sei ein unrichtiger Tatbestand zugrunde gelegt worden und es sei letztlich sachfremden Erwägungen gefolgt worden. Die Erstplatzierte erfülle die vom Berufungsausschuss vorgegebenen KO-Kriterien nicht. Die Beigeladene habe weder Expertise im Bereich der modernen maschinellen Lernverfahren, noch im Bereich der modernen Verfahren zur kausalen Identifikation von Wirkungszusammenhängen, wie sich aus den beiden externen Gutachten ergebe. Zudem habe der Berufungsausschuss ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass die Beigeladene beim sehr wichtigen Kriterium „Publikationsleistung in Quantität und vor allem Qualität“, da es um einen Lehrstuhl für Statistik gehe, keine Publikationen in statistischen und ökonometrischen Zeitschriften vorzuweisen habe und zudem ihre Publikationen fast ausschließlich in Co-Autoreneigenschaft, in sehr geringem Umfang als alleinige Autorin oder in Zusammenarbeit mit ihren Doktoranden entstanden seien.
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Die Universität hat mit Schriftsatz 15. November 2022 für die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag des Antragstellers abzulehnen.
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Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da der Antragsteller nicht in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch nach Art. 33 Abs. 2 GG verletzt worden sei. Innerhalb der Garantie der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG stehe der Universität grundsätzlich eine verfassungsrechtlich geschützte Beurteilungskompetenz über die Qualifikation von Bewerberinnen und Bewerbern für eine Hochschullehrerstelle zu, so dass die Auswahlentscheidung gerichtlich nur daraufhin überprüft werden könne, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen und ob der Beurteilungsspielraum überschritten worden sei, etwa weil die Entscheidung ersichtlich auf der Verkennung von Tatsachen oder auf sachfremden Erwägungen beruhe, was vorliegend nicht der Fall sei. Die in der zweiten Sitzung des Berufungsausschusses vorgenommene Kategorisierung habe nur vorläufigen Charakter gehabt. Diese sei anhand der schriftlich eingereichten Unterlagen erfolgt. Später gewonnene Erkenntnisse, wie Lesegutachten, Probevorträge inklusive Aussprache sowie die vergleichenden Gutachten hätten zu einer anderen Einschätzung der beiden Bewerber geführt. Ein Hauptkriterium sei auch die Qualität der Lehre gewesen, in welchem die Beigeladene besser als der Antragsteller abgeschnitten habe. Je nach Einschätzung und Gewichtung der Stärken und Schwächen des Antragstellers und der Beigeladenen bzgl. des ausgeschriebenen Stelleprofils zueinander würden sich unterschiedliche Reihungen hinsichtlich der Listenplatzierung ergeben. Nach sachgerechter Abwägung aller Kriterien und Argumente habe sich die Universität innerhalb ihren Beurteilungsspielraumes ermessensfehlerfrei für die Beigeladene entschieden.
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Hierauf führte die Antragstellerpartei mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2022 aus, dass die Antragsgegnerin durch ihr geschildertes Auswahlverfahren kein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet habe. Nach Nummer 5.3 des Berufungsleitfadens der Antragsgegnerin dürften sich Verzögerungen im wissenschaftlichen Werdegang aufgrund familiärer Verpflichtungen nicht nachteilig auswirken. Bei der Abwägung zugunsten der Beigeladenen sei positiv bewertet worden, dass sie eine wissenschaftliche Karriere trotz familiärer Pflichten als Mutter gemacht habe. Beim Antragsteller sei nicht gewertet worden, dass dieser seine pflegebedürftige Mutter pflege. Die Beigeladene verfüge zudem nicht über das KO-Kriterium der Expertise im Bereich des maschinellen Lernens.
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Mit Beschluss vom 26. Oktober 2022 ist die ausgewählte Bewerberin zum Verfahren beigeladen worden. Sie hat keinen Antrag gestellt und sich auch sonst nicht zum Verfahren geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der zulässige Antrag ist begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig. Es liegt ein Rechtsschutzbedürfnis vor. Im Rahmen eines Konkurrentenstreitverfahrens zur Wahrung des Bewerbungsverfahrensanspruchs ist es ausreichend, die Rechtskraft des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und nicht die der Hauptsache – wie vom Antragsteller beantragt – abzuwarten, weil es ihm nach einer erneuten Auswahlentscheidung durch den Antragsgegner zuzumuten ist, um Rechtsschutz nachzusuchen, wenn er dies wiederum für erforderlich halten sollte (vgl. hinsichtlich des dementsprechenden Tenors: VG Ansbach, B.v. 24.4.2019 – AN 2 E 19.00164 – juris; BayVGH, B.v. 18.4.2012 – 7 CE 12.166 – BayVBl 2012, 599, juris; B.v. 11.8.2010 – 7 CE 10.1160, BayVBl 2011, 602, juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 4.7.2008 – 1 L 316/08 – juris; OVG NW, B.v. 6.5.2008 – 1 B 1786/07 – juris; B.v. 13.10.2009 – 6 B 1232/09 – RiA 2010, 90, juris). Der darüberhinausgehender Antrag des Antragstellers macht den Antrag jedoch nicht unzulässig, sondern führt lediglich zu einer Antragsabweisung im Übrigen.
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2. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung – vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen – notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Der Antragsteller hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
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3. Der Anordnungsgrund in Form der besonderen Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Anordnung ist gegeben. Das Berufungsverfahren für die ausgeschriebene Professur ist grundsätzlich abgeschlossen. Eine Ernennung der Beigeladenen steht unmittelbar bevor. Der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers als übergangenem Bewerber lässt sich nur vor der Ernennung der ausgewählten Konkurrentin mittels einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO effektiv sichern, da sich der um eine Stellenauswahl geführte Rechtsstreit mit der endgültigen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle erledigt (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 95; auf die Ruferteilung an den Beigeladenen kommt es nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 20.10.2016 – 2 C 30/15 – NVwZ-RR 2017, 736). Nach herrschender Auffassung in der Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16/09 – NVwZ 2011, 358) ist mit der endgültigen anderweitigen Besetzung einer Stelle das Besetzungsverfahren grundsätzlich abgeschlossen mit der Folge, dass dem Begehren des Antragstellers, die Auswahlentscheidung zu seinen Gunsten vorzunehmen, nicht mehr entsprochen werden könnte, weil der Antragsgegner die Ernennung der Beigeladenen in der Regel nicht mehr rückgängig machen könnte.
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4. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Einen Rechtsanspruch auf Übertragung der streitgegenständlichen Stelle hat der Antragsteller grundsätzlich nicht. Ein solcher lässt sich nach herrschender Rechtsprechung nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten, die sich auf das vom Beamten bekleidete Amt beschränkt und somit amtsbezogen ist.
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Der Antragsteller hat aber einen Bewerbungsverfahrensanspruch, das heißt einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr den Dienstposten unter Berücksichtigung des in Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG), Art. 94 Abs. 2 Satz 2 Verfassung für den Freistaat Bayern (BV) normierten Leistungsgrundsatzes vergibt und seine Auswahlentscheidung nur auf Gesichtspunkte stützt, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen (vgl. BVerfG, B.v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746; B.v. 2.10.2007 – 2 BvR 2457/04 – NVwZ 2008, 194; BVerwG, U.v. 17.8.2005 – 2 C 36.04 – juris).
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Die Ermittlung des – gemessen an den Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung – am besten geeigneten Bewerbers hat stets in Bezug auf das konkret angestrebte Amt zu erfolgen. Maßgeblich ist insoweit der Aufgabenbereich des Amtes, auf den bezogen die einzelnen Bewerber untereinander zu vergleichen sind und anhand dessen die Auswahlentscheidung vorzunehmen ist (BayVGH, B.v. 3.7.2019 – 3 CE 19.1118 – juris Rn. 6).
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Diese Vorgaben dienen zwar vornehmlich dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung, berücksichtigen aber zugleich das berechtigte Interesse eines Kandidaten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Der Bewerber hat daher einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Auswahl (BVerwG, U.v. 25.8.1988 – 2 C 28/85 – juris; BayVGH, B.v. 25.5.2011 – 3 CE 11.605 – BayVBl 2011, 565; VG München, B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris).
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Aus der Verletzung dieses Anspruches folgt zwar regelmäßig nicht ein Anspruch auf Einstellung oder Beförderung. Vielmehr ist es im Hinblick auf den Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Dienstherrn bei der Auswahlentscheidung grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichts, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen und eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2012 – 7 CE 11.1432 – juris).
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Der unterlegene Bewerber kann aber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, B.v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746). Aufgrund der Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden subjektiven Rechts und der Garantie von Art. 19 Abs. 4 GG sind die Verwaltungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren besonders Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 95).
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Diese für beamtenrechtliche Konkurrentenstreitverfahren entwickelten und gefestigten Grundsätze (z.B. BVerfG, B.v. 24.9.2002 – 2 BvR 857/02 – NVwZ 2003, 200; BVerfG, B.v. 20.9.2007 – 2 BvR 1972/07 – ZBR 2008, 167; BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16/09 – BVerwGE 138, 102) gelten für hochschulrechtliche Konkurrentenstreitigkeiten zur Besetzung von Professorenstellen in gleicher Weise (BayVGH, B.v. 5.1.2012 – 7 CE 11.1432 – juris). Erweist sich die Entscheidung, einen Bewerber als Professor zu berufen, als ermessens- oder beurteilungsfehlerhaft, hat ein nicht berücksichtigter Bewerber, dessen Auswahl zumindest möglich erscheint, einen Anspruch darauf, dass über seine Bewerbung erneut entschieden und die Stelle zunächst nicht besetzt wird. Hinsichtlich der fachwissenschaftlichen Eignung ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Hochschule eine besondere, durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 108 i.V.m. Art. 138 BV verfassungsrechtlich geschützte Beurteilungskompetenz hinsichtlich der Qualifikation eines Bewerbers für die Hochschullehrerstelle zusteht. Insoweit kommt den an der Erstellung des Berufungsvorschlags beteiligten Hochschulorganen, insbesondere dem Berufungsausschuss, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung kann daher gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist und ob der Beurteilungsspielraum überschritten ist, etwa weil die Verwaltung anzuwendende Begriffe verkannt, der Beurteilung einen unrichtigen Tatbestand zugrunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (zum Ganzen: BayVGH, B.v. 5.1.2012 – 7 CE 11.1432 – juris Rn. 18; B.v. 11.8.2010 – 7 CE 10.1160 – juris Rn. 20 m.w.N.). Dieser Prüfungsmaßstab ist wie im Hauptsacheverfahren auch bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung anzulegen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen nicht über das hinausgehen, was für ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren genügt (BVerwG, B.v. 20.1.2004 – 2 VR 3.03 – juris).
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Die der Auswahlentscheidung zu Grunde liegenden wesentlichen Auswahlerwägungen sind schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen – deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann – wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll, oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Schließlich stellt die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind; sie erweist sich damit als verfahrensbegleitende Absicherung der Einhaltung der Maßstäbe des Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. BVerfG, B.v. 25.11.2015 – 2 BvR 1461/15 – juris; B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07 – juris Rn. 20; OVG NW, B.v. 10.2.2016 – 6 B 33/16 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 5.1.2012 – 7 CE 11.1432 – juris Rn. 24; vgl. zum Dokumentationserfordernis bei der Besetzung von Professorenstellen BayVGH, B.v. 1.2.2017 – 7 CE 16.1989 – BeckRS 2017, 102331 Rn. 12; OVG NW, B.v. 27.4.2017 – 6 A 277/16 – NVwZ-RR 2017, 794 Rn. 4; B.v. 10.2.2016 – 6 B 33/16 – NVwZ 2016, 868 Rn. 7; OVG SH, B.v. 22.8.2018 – 2 MB 16/18 – BeckRS 2018, 19795 Rn. 9; OVG LSA, B.v. 1.7.2014 – 1 M 58/14 – NJOZ 2014, 1509; VG München, B.v. 13.11.2017 – M 5 E 17.4125 – BeckRS 2017, 132419 Rn. 19; VG Berlin, B.v. 11.4.2014 – VG 7 L 100.14 – BeckRS 2014, 50116; VG Frankfurt (Oder), U.v. 24.8.2012 – 3 K 241/09 – juris).
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5. Die streitgegenständliche Auswahlentscheidung entspricht diesen Grundsätzen nicht.
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a) Der Antragsteller kann sich mit Erfolg darauf berufen, dass die Auswahlentscheidung an einem materiell-rechtlichen Mangel leidet bzw. dieser materiell-rechtliche Mangel jedenfalls, sofern er vom Berufungsausschuss beachtet worden sein sollte, einen formellen Mangel der Berufungsentscheidung darstellt, da eine diesbezügliche Dokumentation in der Auswahlentscheidung gänzlich fehlt.
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aa) Der Berufungsausschuss hat, ohne dies zu diskutieren oder sich mit den beiden externen Gutachten diesbezüglich auseinanderzusetzen, bei der Beigeladen angenommen, dass diese das im Ausschreibungstext aufgestellte sowie in der 2. Sitzung der Berufungskommission als KO-Kriterium definierte Merkmal „ausgewiesene Expertise im Bereich der modernen maschinellen Lernverfahren“, erfüllt, obwohl die beiden externen Gutachten zu gegenteiligem Schluss gekommen sind.
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Gutachterin K führt in ihrem Gutachten vom … März 2022 aus: „Ich konnte keine nachgewiesene Erfahrung mit den Methoden modernen maschinelles Lernverfahren bei (der Beigeladenen) feststellen“. Weiter führt die Gutachterin aus, dass sich bei der Beigeladenen keine Expertise im Bereich der modernen Verfahren zur kausalen Identifikation von Wirkungszusammenhängen findet. Gutachter W. stellt in seinem Gutachten vom … März 2022 fest, dass die Bewertung der Beigeladenen für das Kriterium „Expertise im Bereich der modernen maschinellen Lernverfahren“ niedrig sei, da kein Beweis/Nachweis vorliege („Low (no evidence)“).
41
bb) Anforderungsprofile haben unterschiedliche Rechtsqualität, je nachdem, ob die aufgestellten Kriterien konstitutiven oder lediglich beschreibenden Charakter haben. Beschreibende oder deklaratorische Anforderungsprofile geben über den Dienstposten und die auf den Bewerber zukommenden Aufgaben Auskunft. Häufig bedarf es ihrer nicht, weil sich das Profil ohne weiteres aus dem ausgeschriebenen Amt ergibt. Ein konstitutives oder spezielles Anforderungsprofil enthält hingegen einen von der Bestenauslese abgekoppelten und im Entscheidungsgang davor zu prüfenden Maßstab. Wer ein konstitutives Anforderungsprofil nicht erfüllt, scheidet allein deshalb aus dem Bewerbungsverfahren aus, ohne dass es im Übrigen auf seine Qualifizierung ankommt (BayVGH, B.v. 15.9.2016 – 6 ZB 15.2114 – juris Rn. 7). Das Anforderungsprofil entfaltet Bindungswirkung für die Gewichtung der Leistungsmerkmale bei der Bewerberauswahl. Art und Ausmaß der Bindungswirkung eines konkreten Anforderungsprofils hängen von dem Inhalt ab, den ihm der Dienstherr im Einzelfall gibt (BVerwG, B.v. 25.10.2011 – 2 VR 4/11 – NVwZ-RR 2012, 241, juris Rn. 18).
42
Die Funktionsbeschreibung des Dienstpostens bestimmt objektiv die Kriterien, die der Inhaber erfüllen muss. An ihnen werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber um den Dienstposten bemessen, um eine optimale Besetzung zu gewährleisten. Im Auswahlverfahren ist der Dienstherr an das von ihm entwickelte Anforderungsprofil gebunden, da er andernfalls in Widerspruch zu dem selbst gesteckten Ziel bestmöglicher Aufgabenwahrnehmung gerät. Ob der Dienstherr diese Auswahlkriterien beachtet hat, unterliegt in vollem Umfange gerichtlicher Kontrolle (BVerwG, U.v. 16.8.2001 – 2 A 3/00 – BVerwGE 115, 58, juris Rn. 32).
43
Als konstitutiv einzustufen sind dabei diejenigen Merkmale des Anforderungsprofils, die zwingend vorgegeben und anhand objektiv überprüfbarer Kriterien, also insbesondere ohne gebotene Rücksichtnahme auf Wertungsspielräume des Dienstherrn, als tatsächlich gegeben letztlich eindeutig und unschwer festzustellen sind. Demgegenüber kennzeichnet das deklaratorische, nicht konstitutive Anforderungsprofil solche Qualifikationsmerkmale, die entweder ausdrücklich nicht zwingend vorliegen müssen oder die schon von ihrer Art her nicht allein anhand objektiv überprüfbarer Fakten – bejahend oder verneinend – festgestellt werden können. Bei Letzteren geht es um Merkmale, die sich erst auf der Grundlage eines persönlichkeitsbedingten, das betreffende Element des Eignungs- und Befähigungsprofils näher in den Blick nehmenden Werturteils erschließen (OVG SH, B.v. 22.8.2014 – 2 MB 17/14 – juris Rn. 28; VGH BW, B.v. 7.12.2010 – 4 S 2057/10 – NVwZ-RR 2011, 290, juris Rn. 4). Derartige Merkmale, die einen Wertungsspielraum eröffnen und über die der Dienstherr – in der Regel in einer dienstlichen Beurteilung oder vergleichbaren Stellungnahme – zunächst eine nähere Einschätzung treffen muss, können in einem Stellenbesetzungsverfahren erst dann Bedeutung erlangen, wenn der Bewerber das (zulässigerweise aufgestellte) konstitutive Anforderungsprofil erfüllt und deshalb zur näheren Überprüfung bzw. vergleichenden Würdigung seiner im Übrigen vorliegenden Eignung in das weitere Auswahlverfahren einzubeziehen ist (VGH BW, B.v. 7.12.2010 – 4 S 2057/10 – NVwZ-RR 2011, 290, juris Rn. 4).
44
Ob, in welchem Umfang und mit welchem Inhalt ein Anforderungsprofil Bindungswirkung entfaltet, muss im Zweifel durch eine – entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – am objektiven Empfängerhorizont potentieller Bewerber orientierte Auslegung ermittelt werden (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 2 VR 1/13 – BVerwGE 147, 20, juris Rn. 32; BayVGH, B.v. 15.9.2016 – 6 ZB 15.2114 – juris Rn. 27). Dabei erweisen sich diejenigen Anforderungen als konstitutiv, deren Vorliegen anhand objektiv überprüfbarer Fakten eindeutig festgestellt werden kann und die deshalb im Falle ihrer Nichterfüllung einen vernünftigen potentiellen Bewerber davon abhalten, um die Stelle oder Funktion zu konkurrieren (VGH BW, B.v. 7.12.2010 – 4 S 2057/10 – NVwZ-RR 2011, 290, juris Rn. 4).
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Die in der Ausschreibung genannten Anforderungen bzgl. der Expertise im modernen maschinellen Lernverfahren: „Die Bewerberinnen und Bewerber verfügen über ausgewiesene Forschungsexpertise im Bereich der angewandten statistischen / quantitativen Verfahren, besonders im Bereich der modernen maschinellen Lernverfahren (…).“ stellt entsprechend einer Auslegung, die sich nach § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont potentieller Bewerber orientiert, wohl kein konstitutives Anforderungsmerkmal dar.
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Zum einen legt der Wortlaut „besonders im Bereich“ den Schluss nahe, dass es sich zunächst um eine Aufgabenbeschreibung handelt und nicht für sich genommen um ein Anforderungsmerkmal.
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Zum anderen lässt sich die Frage, ob die Bewerber Expertise „im Bereich der modernen maschinellen Lernverfahren“ haben, von der Art her schon nicht allein anhand objektiv überprüfbarer Fakten – bejahend oder verneinend – eindeutig und unschwer feststellen. Die Universität konnte nicht bei allen Bewerbern eindeutig und unschwer feststellen, ob diese Anforderungen erfüllt sind. Vielmehr bedurfte es dazu einer beurteilenden Wertung der Universität. Die Universität hat eine solche wertende Beurteilung zunächst vorläufig selbst vorgenommen sowie zweie externe Gutachten eingeholt.
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Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob es sich anhand des Ausschreibungstextes um deskriptives oder konstitutives Anforderungsmerkmal handelt, da der Berufungsausschuss in seiner 1. Sitzung am … Dezember 2021 das Merkmal der ausgewiesenen Expertise im Bereich der „modernen maschinellen Lernverfahren“ als KO-Kriterium festgelegt hat und dieses Merkmal als Mindestanforderung, die ein Bewerber aufweisen soll, definiert hat.
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Durch die Verknüpfung der KO-Kriteren Nr. 3 „modernen maschinellen Lernverfahren UND“ und Nr. 4 „moderner Evaluationsmethoden zur kausalen Identifikation von Wirkungszusammenhängen“ mit einem in Großbuchstaben geschrieben „UND“ geht hervor, dass der Berufungsausschuss gerade darauf Wert gelegt hat, dass diese beiden Bereiche neben bzw. als Unterkategorien einer „ausgewiesenen Expertise im Bereich der angewandten statistischen / quantitativen Verfahren (KOKriterium Nr. 2)“ als Mindestkriterien vorliegen müssen.
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Das Merkmal der Expertise im Bereich der „modernen maschinellen Lernverfahren“ wird durch die vorgegebene Handhabung durch den Berufungsausschuss zu einem Merkmal, welches zwingend vorliegend muss, um im Berufungsverfahren berücksichtigt werden zu können.
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cc) Das Gericht erkennt dabei an, dass im Rahmen der Feststellung der fachwissenschaftlichen Eignung der Hochschule eine besondere, durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 108 i.V.m. Art. 138 BV verfassungsrechtlich geschützte Beurteilungskompetenz hinsichtlich der Qualifikation zukommt, sodass sie die fachwissenschaftliche Eignung bzw. das Vorliegen bestimmter Expertise auch anders als die beiden Gutachten beurteilen kann. Jedoch muss sich auch im Rahmen dieser Beurteilungskompetenz für das Gericht nachprüfbar ergeben, dass sich die Berufungskommission mit der Frage, ob die Beigeladene entgegen den Gutachten ausreichende Expertise im Bereich „modernen maschinellen Lernverfahren“ aufweist, auseinandergesetzt hat. Dies ist vorliegend nach den vorgelegten Akten nicht erfolgt.
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Der Berufungsausschuss setzt sich in keinster Weise damit auseinander, dass beide Gutachten bei der Beigeladenen fehlende Expertise im Bereich „modernen maschinelles Lernverfahren“ feststellen.
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In einer Liste (Behördenakte Blatt 358) die, da sie noch sieben Bewerber auflistet, wohl zur TOP 6 „Festlegung der Short-List-Kandidat/innen“ der 5. Sitzung des Berufungsausschusses vom … Februar 2022 gehört und somit vor Erstellung der beiden Gutachten ausgearbeitet wurde, ist bei der Beigeladen vermerkt: „Im Aufbau befindliche Expertise im Bereich des modernen Machine Learnings (…)“. Diskutiert wurden die Einzelmerkmale in der Sitzung der Berufungskommission anhand dieser Liste, wie sich aus dem Protokoll ergibt, nicht.
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In der 6. Sitzung des Berufungsausschusses am *. April 2022, in welcher die Ergebnisse der zwei beauftragten vergleichenden Gutachten gesichtet und diskutiert wurden, wurde lediglich die attestierte fehlende Kompetenz der Beigeladenen im Bereich kausale Methoden, welche in einem Gutachten angezweifelt wurde, diskutiert. Mit der Thematik, dass beide Gutachten zu dem Schluss kommen, dass die Beigelade keine nachweisbare Expertise im Bereich „modernen maschinellen Lernverfahren“ habe, setzte sich der Berufungsausschuss nicht auseinander. Auch der Bericht des Berufungsausschussvorsitzenden zum Berufungsvorschlag der Berufungskommission vom … April 2022 enthält diesbezüglich keine Ausführungen, sondern stellt lediglich fest, dass beide Gutachter/innen darin übereinstimmen, dass (der Antragsteller) über mehr Expertise in modernen maschinellen Lernverfahren verfügt. Ausführungen, dass diese Expertise entgegen der Einschätzung der Gutachten bei der Beigeladenen nach Ansicht der Berufungskommission vorliegt, fehlen.
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Insgesamt ergibt sich aus dem gesamten dokumentierten Auswahlvorgang nicht, dass sich der Berufungsausschuss nach Erstellung der Gutachten mit der konträren Ansicht der Gutachten in Bezug auf die Expertise in modernen maschinellen Lernverfahren der Beigeladenen auseinandergesetzt hat. Zumal sich aus den Protokollen zu der 4. und 5. Sitzung des Berufungsausschusses ergibt, dass eine eingehende Diskussion bzgl. der Expertise der Beigeladenen in modernen maschinellen Lernverfahren auch vor Erstellung der Gutachten nicht stattgefunden hat, obwohl die Expertise der Beigeladenen diesbezüglich als „im Aufbau befindlich“ umschrieben und festgestellt wurde, dass „ihre Expertise im Bereich Causal Modeling wesentlich stärker ausgeprägt ist als im Bereich Machine Learning“.
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b) Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 15. November 2022 sowie 16. Januar 2023 Aussagen dazu trifft, dass die Beigeladene ausreichende Expertise im Bereich „modernen maschinellen Lernverfahren“ aufweise, kann dies nicht in die Begründung der Auswahlentscheidung eingeführt werden. Im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann der Dienstherr auf konkrete Einwände des unterlegenen Bewerbers noch plausibilisierende Erläuterungen geben bzw. seine Bewertungen konkretisieren. Ein Nachschieben grundlegender bzw. wesentlicher Auswahlerwägungen ist jedoch nicht zulässig (BVerwG, B.v. 16.12.2008 – 1 WB 19/08 – BVerwGE 133, 1, juris Rn. 47 f.; OVG NW, B.v. 14.6.2019 – 1 B 347/19 – juris Rn. 28). Die wesentliche Bewertung der Auswahlkommission für die Entscheidung zugunsten der Beigeladenen zur streitgegenständliche Frage, ob die Beigeladene das KO-Kriterium der Expertise im Bereich „modernen maschinellen Lernverfahren“ erfüllt, sind im Auswahlvermerk vom … April 2022 nicht – auch nicht ansatzweise – angelegt, sodass es sich bei den Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 15. November 2022 sowie 16. Januar 2023 um ein nicht zulässiges Nachschieben von grundlegenden Auswahlerwägungen handelt.
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c) Auch kann nach Ansicht des Gerichts nicht ausgeschlossen werden, dass der Fehler unerheblich für den Vorschlag der Berufungskommission und die Auswahlentscheidung des Präsidenten der Universität war. Es liegt kein derartiger Leistungsvorsprung der Beigeladenen vor, dass in einem erneuten rechtskonformen Auswahlverfahren die Auswahl des Antragstellers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in Betracht kommt (BayVGH, B.v. 1.12.2015 – 3 CE 15.1947 – juris Rn. 40). Auch fiel die Entscheidung des Berufungsausschusses nicht eindeutig zugunsten der Beigeladenen aus. Der Berufungsausschuss hat mit fünf Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen dafür gestimmt, die Beigeladene auf Platz 1 zu setzen. Es erscheint dem Gericht nicht ausgeschlossen, dass die Berufungskommission bei Beachtung der vorgenannten Ausführungen hinsichtlich des KO-Kriteriums Expertise im Bereich „modernen maschinellen Lernverfahren“ einen anderen Vorschlag an das Präsidium erteilt und somit auch der Präsident anders entschieden hätte.
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Dies stellt einen materiell-rechtlichen Fehler im Auswahlverfahren dar.
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6. Der Antragsgegner hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen, da der Antragsteller nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (zeitlicher Umfang des Anordnungsgrundes), 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten unter Billigkeitsgesichtspunkten selbst, da sie weder einen Antrag gestellt noch sonst das Verfahren gefördert hat (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
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7. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 Gerichtskostengesetz (GKG) – die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen (die Jahresbezüge des Antragstellers im angestrebten Amt W 3, Stufe 2, Jahr 2022 zzgl. Jahressonderzahlung würden sich auf 93.860,72 EUR belaufen; hiervon die Hälfte). Denn es handelt sich vorliegend nicht um die Verleihung eines anderen Amtes, sondern um die (Neu) Begründung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses (BayVGH, B.v. 20.5.2021 – 7 CE 20.2869 – NVwZ-RR 2021, 802, juris Rn. 32).