Titel:
Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist nach Anwaltswechsel
Normenkette:
ZPO § 85 Abs. 2, § 233 S. 1, § 238 Abs. 1, § 318
Leitsätze:
1. Die Versäumung der bereits zwei Mal verlängerten Berufungsbegründungsfrist erfolgt schuldhaft, wenn der zunächst mandatierte Rechtsanwalt dem Berufungskläger nicht so rechtzeitig seine Verhinderung an der Abfassung der Berufungsbegründung aus rechtlichen Gründen (hier: Vorbefassung als Notar) mitteilt, dass dieser noch einen anderen Rechtsanwalt beauftragen kann. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verschuldenszurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO setzt nur die Erteilung der Prozessvollmacht voraus, nicht aber auch die Anzeige der Prozessvertretung an das Gericht. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stellt keine Gewährung einer mit dem Verlängerungsantrag zugleich begehrten Wiedereinsetzung dar. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung, Berufungsbegründungsfrist, Verschulden, Anwaltswechsel, Verhinderung, Zurechnung, Prozessvollmacht, Anzeige
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 31.01.2022 – 32 O 9242/20
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20619
Tenor
1. Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 31.01.2022, Az. 32 O 9242/20, wird als unzulässig verworfen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 927.734,90 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche der B. P. S. GmbH & Co KG gegen den Beklagten aus dessen Geschäftsführertätigkeit für die Gesellschaft.
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die B. P. S. GmbH & Co KG, Amtsgericht München HRA …44, EUR 388.727,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 20.459,37 € seit dem 01.01.2019 sowie aus EUR 245.512,38 seit dem 01.01.2020 und aus EUR 122.756,19 seit dem 01.07.2020 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der B. P. S. GmbH & Co KG, Amtsgericht München HRA …44, den weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Beendigung des Rahmenpachtvertrags vom 05.07.2012 mit der GAGF. M I.-M.GmbH und den in der Anlage 1 des Rahmenpachtvertrags näher bezeichneten Gesellschaften der GAGF. Group im Zeitraum ab dem 01.07.2020 bis zum 30.06.2023 entsteht.
3. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 10.410,65 nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3
Der Beklagte beantragte,
4
Mit Endurteil vom 31.01.2022, Az. 32 O 9242/20, verurteilte das Landgericht München I den Beklagten zur Zahlung von 368.764,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 19.408,68 EUR seit dem 01.01.2019 sowie aus 232.904,16 € seit dem 01.01.2020 und aus 116.452,08 € seit dem 01.07.2020, traf die beantragte Feststellung und verurteilte schließlich den Beklagten zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.080,05 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 26.08.2020. Im Übrigen wies es die Klage ab.
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Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.
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Das Endurteil des Landgerichts München I vom 31.01.2022, Az. 32 O 9242/20, wurde dem seinerzeitigen Beklagtenvertreter, Rechtsanwalt L., am 02.02.2022 zugestellt (vgl. EB Bl. zu 210 d.A.).
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Mit Schriftsatz seines damaligen Prozessbevollmächtigten L. vom 02.03.2022 (Bl. 194/197 d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, legte der Beklagte Berufung gegen das Urteil ein. Nachdem Rechtsanwalt L. mit Schriftsatz vom 11.03.2022 (Bl. 203 d.A.) angezeigt hatte, dass er den Beklagten nicht mehr vertrete, bestellte sich Rechtsanwalt R. mit Schriftsatz vom 04.04.2022 (Bl. 206 d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, und beantragte, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Der Vorsitzende des zunächst befassten Senats des Oberlandesgerichts verlängerte daraufhin die Berufungsbegründungsfrist bis 02.05.2022 (Bl. 208 d.A.).
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Mit Schriftsatz vom 02.05.2022 (Bl. 213/215 d.A.) beantragte Rechtsanwalt R. eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 18.05.2022 und trug zur Begründung vor, dass der Beklagte aufgrund einer Corona-Erkrankung seiner Ehefrau, der dadurch notwendig gewordenen Betreuung seiner Kinder und auch einer eigenen Atemwegserkrankung verhindert gewesen sei, und deshalb eine Abstimmung mit ihm nicht habe erfolgen können. Des Weiteren trug Rechtsanwalt R. vor, dass „hier davon ausgegangen (werde), dass der Berufungsbeklagte – soweit erforderlich – der Verlängerung vor dem geschilderten Hintergrund zustimm(e)“. Daraufhin verlängerte der Vorsitzende des zunächst befassten Senats des Oberlandesgerichts mit Verfügung vom 04.05.2016 (Bl. 216 d.A.) die Berufungsbegründungsfrist bis 18.05.2022 antragsgemäß.
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Nachdem keine Berufungsbegründung eingegangen war, wies der Vorsitzende des zunächst befassten Senats mit Verfügung vom 23.05.2022 (Bl. 217 d.A.), die Rechtsanwalt R. am 25.05.2022 zugestellt wurde (vgl. Bl. zu Bl. 217 d.A.), die Parteien unter Gewährung einer zweiwöchigen Stellungnahmefrist darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
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Mit Schriftsatz vom 07.06.2022 (Bl. 218/220 d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, beantragte Rechtsanwalt R., die Frist zur Stellungnahme auf den gerichtlichen Hinweis vom 23.05.2022 zu verlängern. Gleichzeitig beantragte er hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und gleichzeitig Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 21.06.2022. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führte Rechtsanwalt R. aus, dass der Beklagte bereits im April 2022 Rechtsanwalt Dr. Sch mit der Abfassung der Berufungsbegründung beauftragt habe, da sowohl der ehemalige Beklagtenvertreter L. als auch er in die Vorbereitung der maßgeblichen Gesellschafterversammlung zur Information des Klägers involviert gewesen seien. Rechtsanwalt Dr. Sch habe dem Beklagten jedoch erst nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist mitgeteilt, dass auch er das Mandat aufgrund einer Vorbefassung als Notar im Jahr 2013 nicht übernehmen könne. Mit Verfügung vom 08.06.2022 (Bl. 223 d.A.) verlängerte der Vorsitzende des zunächst befassten Senats des Oberlandesgerichts die Frist zur Stellungnahme auf den gerichtlichen Hinweis vom 23.05.2022 bis zum 21.06.2022.
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Mit Schriftsatz vom 21.06.2022 (Bl. 224 d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, teilte der nunmehrige Beklagtenvertreter, Rechtsanwalt J., mit, dass er am 20.06.2022 mandatiert worden sei und beantragte, die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 24.06.2022 zu verlängern, woraufhin der Vorsitzende des zunächst befassten Senats des Oberlandesgerichts mit Verfügung vom 23.06.2022 (Bl. 226 d.A.) die Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.06.2022 verlängerte.
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Am 24.06.2022 ging der Berufungsbegründungsschriftsatz des Beklagtenvertreters beim Oberlandesgericht ein (Bl. 227/237 d.A.).
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Der Beklagte kündigte darin an, beantragen zu wollen,
das Urteil des Landgerichts München zum Aktenzeichen 32 O 9242/20 I [sic] zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger kündigte an, beantragen zu wollen,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Der zunächst befasste Senat des Oberlandesgerichts hat einen Hinweis erteilt. Auf den Hinweis vom 23.05.2022 (Bl. 217 d.A.), die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
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Die Berufung des Beklagten war gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist versäumt hat.
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Gemäß § 522 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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1. Das erstinstanzliche Urteil ist dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten, Rechtsanwalt L., am 02.02.2022 zugestellt worden. Auf die jeweils am Tag des Fristablaufs und damit noch rechtzeitig eingegangenen Fristverlängerungsanträge des seinerzeitigen Beklagtenvertreters R. vom 04.04.2022 (Bl. 206 d.A.) und 02.05.2022 (Bl. 213/215 d.A.) wurde die Berufungsbegründungsfrist vom Vorsitzenden des zunächst befassten Senats des Oberlandesgerichts mit Verfügung vom 11.04.2022 (Bl. 208 d.A.) zunächst bis zum 02.05.2022 und sodann mit Verfügung vom 04.05.2022 bis zum 18.05.2022 verlängert. Dabei kann dahinstehen, ob die zweite Fristverlängerung den Vorgaben des § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO entsprach, nachdem die Berufungsbegründungsfrist dadurch um mehr als einen Monat verlängert wurde und der damalige Beklagtenvertreter in seinem Fristverlängerungsantrag nur angegeben hatte, dass er davon ausgehe, dass der Kläger in die Fristverlängerung einwillige, eine solche Einwilligung jedoch nicht einmal behauptet wurde. Denn auch bis zum Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 18.05.2022 24:00 Uhr ist eine Berufungsbegründung nicht eingegangen. Diese ging vielmehr erst 24.06.2022 beim Oberlandesgericht ein, nachdem der Beklagte mit Vorsitzendenverfügung vom 23.05.2022 (Bl. 217 d.A.) darauf hingewiesen worden war, dass der Senat beabsichtige, die Berufung wegen der Versäumung der (verlängerten) Berufungsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen.
19
Ob es sich bei dem Schriftsatz des vormaligen Beklagtenvertreters R. vom 07.06.2022 (Bl. 218 d.A.) – wie der Beklagte meint (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 31.01.2023, S. 7 letzter Absatz und S. 8 oben, Bl. 275 und 276 d.A.) – bereits um eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung iSd. § 520 ZPO handelte, kann dahinstehen. Denn selbst wenn man den Schriftsatz vom 07.06.2022 als Berufungsbegründung ansehen sollte, wäre auch dieser erst nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 18.05.2022 0:00 Uhr eingegangen.
20
Damit war die Berufungsbegründungsfrist grundsätzlich versäumt.
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2. Der Antrag des Beklagten vom 07.06.2022 auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ist zurückzuweisen.
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a. Zwar ist der Wiedereinsetzungsantrag zulässig. Da dem Beklagtenvertreter in der Fristverlängerungsverfügung des Vorsitzenden vom 04.05.2022 (Bl. 216 d.A.), die dem damaligen Beklagtenvertreter R. noch am selben Tag zuging (zu Bl. 216 d.A.), mitgeteilt wurde, dass die Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.05.2022 verlängert werde, war dem Beklagten mit Ablauf des 18.05.2022 bekannt oder hätte ihm bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt zumindest bekannt sein müssen, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt ist. Die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO begann damit am 19.05.2022 und war zum Zeitpunkt des Eingangs des Wiedereinsetzungsantrags beim Oberlandesgericht am 07.06.2022 (Bl. 218/220 d.A.) noch nicht abgelaufen.
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b. Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten ist jedoch nicht begründet, da der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet iSd. § 233 S. 1 ZPO versäumte.
24
aa. Ob ein Verschulden einer Partei vorliegt, ist nach dem Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu beurteilen. Maßgeblich ist dabei die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei. Das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten ist einer Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen, wobei die übliche, also berufsbedingt strenge Sorgfalt vorauszusetzen ist, sodass eine Fristversäumung verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage, Köln 2022, Rdnrn 12 und 13 zu § 233 ZPO m.w.N aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Verschulden Dritter ist einer Partei dagegen nicht zuzurechnen (vgl. Zöller, aaO, Rdnr. 16 zu § 233 ZPO).
25
Der nach diesen Grundsätzen durchzuführenden Verschuldensprüfung zu Grunde zu legen sind gemäß §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO die im Wiedereinsetzungsantrag angegebenen Tatsachen.
26
Im Wiedereinsetzungsantrag vom 07.06.2022 (Bl. 218 d.A.) trug der damalige Beklagtenvertreter R. zur Begründung seines Antrags vor, dass der Beklagte bereits im April 2022 Rechtsanwalt Dr. Sch mit der Abfassung der Berufungsbegründung beauftragt habe und dass ihm Rechtsanwalt Dr. Sch erst nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist mitgeteilt habe, dass er das Mandat nicht übernehmen könne, da er als Notar im Jahr 2013 vorbefasst gewesen sei. Zur Glaubhaftmachung dieser vom Kläger bestrittenen Behauptung (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 06.03.2023, S. 3, Bl. 301 d.A.) legte der Beklagte eine anwaltliche Versicherung des Rechtsanwalts R. vom 30.01.2023 laut Anl. BK 4 vor.
27
bb. Nach diesem Tatsachenvortrag liegt sowohl ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Rechtsanwalts Dr. Sch als auch des Rechtsanwalts R. vor.
28
(1) Rechtsanwalt Dr. Sch trifft ein Verschulden an der Fristversäumung, da er dem Beklagten nicht so rechtzeitig vor Ablauf der bereits zweimalig verlängerten Berufungsbegründungsfrist mitgeteilt hat, dass er an der Abfassung der Berufungsbegründung aus rechtlichen Gründen gehindert sei, dass der Beklagte noch einen anderen Rechtsanwalt mit der fristgerechten Erstellung der Berufungsbegründung hätte beauftragen können.
29
Eine Zurechnung dieses Verschuldens scheitert entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht daran, dass Rechtsanwalt Dr. Sch nicht Prozessbevollmächtigter gewesen sei, weil er sich nie als Prozessbevollmächtigter bestellt habe, und deshalb eine Zurechnung seines Verschuldens gemäß § 85 Abs. 2 ZPO nicht möglich sei (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 31.01.2023, S. 7 Mitte, Bl. 275 d.A.). Denn die Stellung als Prozessbevollmächtigter iSd. § 85 Abs. 2 ZPO setzt nur die Erteilung einer Prozessvollmacht voraus, nicht aber die Anzeige der Prozessvertretung gegenüber dem Gericht. Dass der Beklagte Rechtsanwalt Dr. Sch als Prozessbevollmächtigten für das Berufungsverfahren mandatierte, räumt der Beklagte selbst ausdrücklich ein (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 31.01.2023, S. 7 drittletzter Absatz, Bl. 275 d.A.: Der Beklagte „war (…) gezwungen, kurzfristig einen anderen Prozessbevollmächtigten zu finden. Er hat dazu bereits im April Dr. M. Sch. mandatiert“).
30
Im Übrigen wäre das Verschulden des Rechtsanwalts Dr. Sch dem Beklagten aber auch ohne die Erteilung einer Prozessvollmacht zuzurechnen, da einer Partei auch das Verschulden einer Person zuzurechnen ist, die das Mandat ohne eigene Prozessvertretungsmacht im Außenverhältnis intern weitgehend selbständig und abschließend bearbeitet (vgl. BGH, Beschluss vom 01.04.1992 – XII ZB 21/92, Rdnr. 6 und Beschluss vom 09.06.2004 – VIII ZR 86/04. Rdnr. 8; vgl. auch Piekenbrock in BeckOK ZPO, 49. Edition, Stand 01.07.2023, Rdnr. 20 zu § 85 ZPO). Dies wäre streitgegenständlich gegeben, da Rechtsanwalt Dr. Sch ausweislich der anwaltlichen Versicherung des Rechtsanwalts R. vom 30.01.2023 laut Anl. BK 4 die Berufungsbegründung hätte selbständig anfertigen und Rechtsanwalt R. diese nur noch hätte unterschreiben sollen.
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Dass der Beklagte gleichzeitig neben Rechtsanwalt Dr. Sch auch Rechtsanwalt R., der mit Schriftsatz vom 04.04.2022 (Bl. 206 d.A.) die Vertretung des Beklagten für das Berufungsverfahren anzeigte, mandatierte, spielt für die Zurechnung des Verschuldens von Rechtsanwalt Dr. Sch keine Rolle, da bei mehreren mandatierten anwaltlichen Vertretern das Verschulden auch nur eines von ihnen eine Wiedereinsetzung hindert (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage, Köln 2022, Rdnr. 23.26 zu § 233 ZPO).
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(2) Darüber hinaus liegt in mehrerlei Hinsicht auch ein Verschulden des ehemaligen (weiteren) Prozessbevollmächtigten R. vor.
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Denn wenn sich der Sachverhalt tatsächlich so zugetragen haben sollte, wie Rechtsanwalt R. ihn in seiner anwaltlichen Versicherung vom 30.01.2023 laut Anl. BK 4 schildert, dann hat Rechtsanwalt R. mit Rechtsanwalt Dr. Sch vereinbart, dass die Berufungsbegründung von Rechtsanwalt Dr. Sch gefertigt würde. Nach dem vom Beklagten nicht bestrittenen Vortrag des Klägers im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 06.03.2023 (dort S. 4, Bl. 302 d.A.) war Rechtsanwalt R. dabei bekannt, dass Rechtsanwalt Dr. Sch die Satzung der Komplementär-GmbH der streitgegenständlichen Gesellschaft laut Anl. BB 8 beurkundet hatte und deshalb die naheliegende Gefahr bestand, dass Rechtsanwalt Dr. Sch aufgrund Vorbefasstheit die Berufungsbegründung nicht würde fertigen können. Unter diesen Umständen die Frage der Vorbefasstheit nicht mit Rechtsanwalt Dr. Sch so rechtzeitig zu klären, dass bei einer Mandatsniederlegung durch Rechtsanwalt Dr. Sch wegen Vorbefasstheit noch die zeitliche Möglichkeit bestand, einen anderen Rechtsanwalt zu beauftragen, sondern darauf zu vertrauen, dass Dr. Sch die Berufungsbegründung bis zum Abend des letzten Tages der bereits zweimal verlängerten Berufungsbegründungsfrist fertigen würde, ist zumindest fahrlässig.
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Im übrigen hätte Rechtsanwalt R., nachdem er bis zum Ablauf des von Rechtsanwalt Dr. Sch zugesagten Übermittlungstermins am 18.05.2022 um 19:00 Uhr nichts von diesem gehört hatte, jedenfalls versuchen müssen, unter Darlegung der Umstände eine weitere Fristverlängerung zu erreichen oder selbst eine Berufungsbegründung zu verfassen. Dazu wäre er nach dem unbestrittenen Sachvortrag des Klägers (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 06.03.2023, S. 3 letzter Absatz und S. 4 erster Absatz, Bl. 301 und 302 d.A.) auch in der Lage gewesen, da er die Berufungsbegründung ausschließlich auf Umstände hätte stützen können, die ihm persönlich bekannt waren, sodass eine weitere Rücksprache mit dem Mandanten nicht mehr erforderlich gewesen wäre. Auf keinen Fall hätte Rechtsanwalt R. aber, nachdem er Rechtsanwalt Dr. Sch bis 20 Uhr am 18.05.2022 nicht erreichen konnte, die Sache einfach auf sich beruhen lassen dürfen.
35
c. Der Senat ist auch nicht entsprechend § 318 ZPO dahingehend gebunden, dass er den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten vom 07.06.2022 nicht mehr zurückweisen könnte (zu dieser grundsätzlich gegebenen Bindungswirkung vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.1995 – XI ZB 9/95, Rdnr. 8). Zwar hat der Vorsitzende des zunächst befassten Senats des Oberlandesgerichts mit Verfügung vom 23.06.2022 (Bl. 226 d.A.) die Berufungsfrist auf den dahingehenden Antrag des Beklagtenvertreters vom 21.06.2022 (Bl. 224 d.A.) antragsgemäß bis 24.06.2022 verlängert. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Entscheidung, dem Beklagten Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Vielmehr entsprach die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur dem in § 238 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Verfahren bei Wiedereinsetzung, wonach das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung, d.h. im streitgegenständlichen Fall die Berufungsbegründung, zu verbinden ist. Eine solche Verbindung setzt jedoch notwendigerweise die Vorlage einer Berufungsbegründung voraus.
36
Dass mit der Verfügung des Vorsitzenden des zunächst befassten Senats vom 23.06.2022 (Bl. 226 d.A.) keine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten vom 07.06.2022 getroffen werden sollte, ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass dafür nicht der Vorsitzende, sondern der Senat zuständig gewesen wäre und es keine Anhaltspunkte gibt, dass der Vorsitzende des zunächst befassten Senats die Zuständigkeit des Senats übergehen wollte.
37
Nach alledem ist dem Beklagten keine Wiedereinsetzung in die am 18.05.2022 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist zu gewähren und ist die Berufung mangels fristgemäßer Begründung gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
38
Der Ausspruch zu den Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
39
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren erfolgte gemäß § 47 Abs. 1 GKG. Der Senat legt dabei die in erster Instanz erfolgte Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 368.764,92 € in Ziffer 1 des Tenors des landgerichtlichen Urteils sowie den Wert der Feststellung laut Ziffer 2 des Tenors, den das Landgericht zutreffend mit insgesamt 558.969,98 € (36 x 0,8 x 19.408,68 €) bemessen hat, zu Grunde, sodass sich ein Streitwert von insgesamt 927.734,90 € ergibt. Die zugesprochenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.080, 05 € waren gemäß § 43 Abs. 1 GKG bei der Streitwertbemessung außer Betracht zu lassen.