Titel:
Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgen in einer Steuerstrafsache
Normenketten:
StPO § 318
AO § 370
Leitsätze:
Der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgen steht in einer Steuerstrafsache nicht entgegen, dass das Amtsgericht keine Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen getroffen und keine nachvollziehbare Steuerberechnung angestellt hat. (Rn. 3 – 10)
Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung muss regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen angegeben werden (Anschluss an BGH BeckRS 2017, 120582). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufung, Beschränkung, Wirksamkeit, Steuerberechnung
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Urteil vom 13.06.2023 – 435 Ls 502 Js 2528/18
Fundstellen:
LSK 2023, 20492
BeckRS 2023, 20492
NStZ 2024, 105
Tenor
I. Die Berufung des Angeklagten wird mit der Maßgabe verworfen, dass die im Bewährungsbeschluss vom 13. Juni 2023 festgesetzte Arbeitsauflage von 50 Stunden ersatzlos entfällt.
II. Der Angeklagte hat die Kosten der Berufung und seine notwendigen Auslagen zu tragen.
§§ 269, 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 1 AO, §§ 2, 4, 8, 15, 25 EStG, § 56 EStDV, §§ 1, 2, 3, 4 SolZG, §§ 1, 2, 6, 7, 10, 14a GewStG, §§ 1, 7, 8, 23 KStG, §§ 1, 2, 10, 15, 18 UStG, §§ 22, 23 Abs. 1, § 53 StGB
Entscheidungsgründe
(abgekürzt nach § 267 Abs. 4 StPO)
1
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 13. Juni 2023 wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen schuldig gesprochen und ihn deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten am 20. Juni 2023 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21. Juni 2023 auf die Rechtsfolgen beschränkt.
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Die Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgen war wirksam. Infolgedessen sind die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen und der Prüfung des Berufungsgerichts entzogen (§ 318 Satz 1, § 327 StPO).
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1. Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf die Rechtsfolgen erfordert, dass der nicht angegriffene Teil der Vorentscheidung so festgestellt und bewertet ist, dass er eine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung des Berufungsgerichts bietet. Das ist nur dann zu verneinen, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen (BGH, Beschluss vom 27. April 2017 – 4 StR 547/16, juris Rn. 20 m.w.N.).
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2. Hieran gemessen reichen die Feststellungen des Amtsgerichts für die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung aus.
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a) Allerdings genügen die amtsgerichtlichen Ausführungen nicht den Anforderungen des Bundesgerichtshofs an die Darstellung von Steuerstraftaten im Urteil. Nach dessen ständiger Rechtsprechung müssen die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen angeben, um dem Rechtsmittelgericht eine Überprüfung zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 176/17, juris Rn. 5).
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Hier teilt das Ersturteil mit, welche Steuererklärungen für welche Anmelde- und Veranlagungszeiträume vom Angeklagten bei welchem Finanzamt bis wann abzugeben waren. Sodann werden die Daten der Abgabe der Steuererklärungen und der Steuerbescheide genannt. Bei den Hinterziehungen der Einkommensteuer wird festgestellt, welche Einkünfte jeweils verschwiegen wurden und in welcher Höhe im jeweiligen Einkommensteuerbescheid die Steuer zu niedrig festgesetzt wurde. Die weiteren Besteuerungsgrundlagen und die Schritte der Steuerberechnung nennt das Urteil nicht. Gleiches gilt für die Erklärungen zur Körperschafts- und zur Gewerbesteuer. Bei den Hinterziehungen der Umsatzsteuer finden sich im angefochtenen Urteil lediglich Angaben zur Höhe von tatsächlich nicht abziehbarer Vorsteuer und zur verkürzten Umsatzsteuer.
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Bei alldem nimmt das Ersturteil hinsichtlich der Einzelheiten auf die Darstellung im Anhang zum Urteil Bezug, was an sich zulässig ist (BGH, Urteil vom 25. Februar 1987 – 3 StR 552/86, juris Rn. 8 ff.; Beschluss vom 30. August 2018 – 1 StR 211/18, juris Rn. 4; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 267 Rn. 2). Bedauerlich ist nur, dass das Urteil tatsächlich keinen Anhang hat.
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b) Hierzu wird vertreten, dass die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nur dann wirksam sein kann, wenn sich aus dem angegriffenen Urteil ergibt, auf Basis welcher Besteuerungsgrundlagen die Vorinstanz den von ihr zur Grundlage des Schuldspruchs gemachten Verkürzungsumfang berechnet hat (Ebner, jurisPR-SteuerR 12/2022 Anm. 2 unter E; wohl auch OLG Saarbrücken, Beschluss vom 14. Dezember 1994 – Ss 97/94 [142/94], wistra 1995, 115 f.; KG, Beschluss vom 27. August 2013 – (4) 161 Ss 101/13 (116/13), juris Rn. 5 f.). Andernfalls hinge der Steuerschaden „in der Luft“. Nach anderer Auffassung berühren derartige Darstellungsmängel nicht die Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß, weil die Angaben (allein) zur Höhe der hinterzogenen Steuern für die jeweiligen Veranlagungszeiträume im amtsgerichtlichen Urteil eine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung des Berufungsgerichts bieten (OLG Bamberg, Urteil vom 22. Juni 2018 – 3 OLG 110 Ss 38/18, juris Rn. 7; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Mai 2007 – 5 StR 58/07, juris Rn. 3; OLG Köln, Beschluss vom 22. Juli 2005 – 82 Ss 6/05, juris Rn. 14 ff.; OLG Rostock, Beschluss vom 11. Juli 2005 – 1 Ss 113/05 I 53/05, juris unter I der Gründe).
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c) Die Kammer folgt der zweiten Auffassung. Bei der Steuerhinterziehung handelt es sich um ein Erfolgsdelikt (BGH, Urteil vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15, juris Rn. 49). Die Höhe der verkürzten Steuern stellt dabei einen bestimmenden Strafzumessungsumstand dar (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, juris Rn. 21). Fehlt die Feststellung des Taterfolgs, also dessen, dass und in welcher Höhe Steuern verkürzt wurden, so fehlt eine ausreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung und ist die Berufungsbeschränkung unwirksam (BayObLG, Beschluss vom 28. Juli 1998 – 4St RR 100/98, juris Rn. 7 f.). Hier hat das Amtsgericht den jeweiligen Verkürzungserfolg indes mitgeteilt, wenn auch nur als blankes Ergebnis ohne die Darstellung seiner Grundlagen und der dorthin führenden Berechnung. Das heißt allerdings nicht, dass dieses Ergebnis „in der Luft“ hinge.
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Daneben können je nach Lage des Falles auch weitere allgemeine oder steuerspezifische Strafzumessungsgesichtspunkte herangezogen werden, etwa die Relation der verkürzten zur sonst erklärten und bezahlten Steuer (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, juris Rn. 45; vgl. auch Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1837 ff.), zu der beispielsweise sich im Ersturteil nichts findet. Das bedeutet aber nicht, dass auch diese weiteren Gesichtspunkte bereits umfassend vom Erstgericht festgestellt werden müssten. Gefordert wird lediglich, dass das Amtsgericht eine hinreichend tragfähige – nicht: eine umfassende – Grundlage für eine eigenständige Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts liefert. Das Berufungsgericht ist nicht gehindert, soweit erforderlich, eigene Feststellungen zu weiteren Strafzumessungserwägungen zu treffen und dadurch den für die Rechtsfolgenentscheidung maßgebenden Schuldumfang näher zu bestimmen. Es hat dabei lediglich zu beachten, dass seine weiteren Feststellungen nicht in Widerspruch zu den Feststellungen stehen dürfen, die das Erstgericht zum Schuldspruch schon getroffen hat. Dass diese weiteren Feststellungen, wären sie bereits vom Amtsgericht getroffen worden, als sog. umgebende Feststellungen noch zum Unterbau des Schuldspruchs und damit zu dem teilrechtskräftig gewordenen Teil des Ersturteils gezählt hätten, steht ihrer Nachholung nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass sich der Schuldspruch aus dem Ersturteil mit den für ihn bedeutsamen Feststellungen und der Rechtsfolgenausspruch des Berufungsgerichts mit den hierzu getroffenen weiteren Feststellungen widerspruchsfrei zusammenfügen (BGH, Beschluss vom 27. April 2017 – 4 StR 547/16, juris Rn. 22).
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3. Auf die Feststellungen des Amtsgerichts unter Ziff. I.2 der Gründe des angefochtenen Urteils wird nach alldem Bezug genommen.
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1. Der Angeklagte ist gelernter Kaufmann (…). Er ist nicht vorbestraft.
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2. Die Feststellungen zu III.1 beruhen auf den Angaben, die der Verteidiger für den Angeklagten gemacht hat und auf dem verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister.
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Unter Abwägung der zugunsten (insbesondere das Geständnis, fehlende Vorstrafen, die Steuernachzahlung und die lange Verfahrensdauer) und zulasten (insbesondere die Höhe der Steuerverkürzung und die kriminelle Energie) des Angeklagten sprechenden Umstände hielt die Kammer aufgrund eigener Bewertung die Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe in der Höhe für tat- und schuldangemessen, wie sie das Amtsgericht festgesetzt hat. Auf Ziff. IV der Gründe des angefochtenen Urteils nimmt die Kammer – auch hinsichtlich der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung – Bezug.
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Anders als das Amtsgericht hat die Kammer im Rahmen der Bewährungsauflagen allerdings die Anordnung der 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit neben der Geldauflage für untunlich erachtet. Demgemäß wurde diese Auflage, deren Zweck und Sinnhaftigkeit (50 Stunden, zu erbringen binnen 18 [!] Monaten) das Ersturteil auch nicht erhellt, gestrichen.
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Die Kostenfolge beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Der verhältnismäßig geringe Teilerfolg der Berufung durch den Wegfall der Arbeitsauflage rechtfertigte keine Gebührenermäßigung oder Auslagenüberwälzung (§ 473 Abs. 4 StPO).