Inhalt

FG Nürnberg, Beschluss v. 08.08.2023 – 8 V 300/23
Titel:

Verfassungsmäßigkeit des Bayerischen Grundsteuergesetzes

Normenketten:
FGO § 33 Abs. 1 Nr. 4,§ 115 Abs. 2 Nr. 2, § 128 Abs. 3 S. 2, § 135 Abs. 1, § 155 S. 1
ZPO § 251 S. 1
AO § 184
BayGrStG Art. 1 Abs. 3 S. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 4, Art. 5, Art. 9
BV Art. 123 Abs. 1
GG Art. 100 Abs. 1
AGFGO Art. 5 S. 2
Leitsatz:
Eine exakte Bestimmung dieser Einnahmeausfälle ist bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung nicht erforderlich (vgl. BFH-Beschluss vom 15.06.2016 II B 91/15, BStBl II 2016, 846, BeckRS 2016, 102592). (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Grundsteuer
Fundstellen:
StEd 2023, 532
EFG 2023, 1405
ErbStB 2023, 282
BeckRS 2023, 20471
LSK 2023, 20471
DStRE 2023, 1477

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
3. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Streitig ist, ob die Vollziehung von Bescheiden über die Grundsteueräquivalenzbeträge sowie den Grundsteuermessbetrag wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Bayerischen Grundsteuergesetzes auszusetzen ist.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer der folgenden Objekte in B-Stadt: C-Straße XX, Whg. 1 (Grundbuchblatt … Gemarkung E, Wohnfläche 25 qm, Grund und Boden 28 qm, Az. …, im Folgenden „Wohnung 1“) und C-Straße XY, Whg. Nr. 2 (Grundbuchblatt … Gemarkung E, Wohnfläche 46 qm, Grund und Boden 46 qm, Az. …, im Folgenden „Wohnung 2“).
3
Das Finanzamt folgte den Grundsteuererklärungen des Antragstellers und erließ am 09.01.2023 folgende Bescheide: Für das Objekt „Wohnung 1“ Bescheid über die Grundsteueräquivalenzbeträge Hauptfeststellung auf den 01.01.2022 (Wohnfläche: 12,50 €, Grund und Boden: 1,12 €) sowie Bescheid über den Grundsteuermessbetrag Hauptveranlagung auf den 01.01.2025 (Grundstück: 9,87 €, davon Gebäude: 8,75 €, Grund und Boden: 1,12 €) und für das Objekt „Wohnung 2“ Bescheid über die Grundsteueräquivalenzbeträge Hauptfeststellung auf den 01.01.2022 (Wohnfläche: 23,00 €, Grund und Boden: 1,84 €) sowie Bescheid über den Grundsteuermessbetrag Hauptveranlagung auf den 01.01.2025 (Grundstück: 17,94 €, davon Gebäude: 16,10 €, Grund und Boden: 1,84 €).
4
Hiergegen legte der Antragsteller jeweils am 02.02.2023 Einspruch ein. Dieser richte sich gegen die Grundsteuer, die auf diesen Grundlagen basierten. Er beantragte außerdem die „Vollziehung des Grundsteuerbescheides“ auszusetzen.
5
Das Finanzamt legte das Schreiben vom 02.02.2023 als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung jeweils des Bescheides über die Grundsteueräquivalenzbeträge sowie über den Grundsteuermessbetrag vom 09.01.2023 aus und lehnte diesen Antrag jeweils mit Bescheid vom 16.02.2023 ab.
6
Der Antragsteller hat am 13.03.2023 beim Finanzgericht Nürnberg Aussetzung der Vollziehung der Bescheide über die Grundsteueräquivalenzbeträge sowie über den Grundsteuermessbetrag vom 09.01.2023 beantragt.
7
Er trägt zur Begründung vor, dass die neuen Grundsteuerwerte flächenorientiert ermittelt würden. Hierdurch würden die Lasten ungerecht verteilt. Nach dem bayerischen Berechnungsmodell werde die Grundsteuer in Bestlagen wohl sinken, weil keine Differenzierung nach Wohnlagen vorgenommen werde, anders jedoch für „Omas Häuschen“ am Stadtrand. Es sei mit erheblichen Mehrbelastungen für Mieter und Grundstückseigentümer zu rechnen, dies sei ungerecht. Die Vollziehung der angefochtenen Bescheide solle daher bis zur Klärung durch Gerichtsurteile ausgesetzt werden.
8
Mit Schreiben, eingegangen am 03.04.2023, beantragte der Antragsteller das Ruhen des Verfahrens bis verbindliche Gerichtsentscheide, die zu einer gerechteren Beurteilung der Probleme beitrügen, vorliegen würden.
9
Mit Schreiben vom 13.06.2023 teilte die Berichterstatterin mit, dass ein Ruhen des Verfahrens gemäß § 155 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 251 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in Betracht komme. Es werde über den Antrag entschieden, falls bis 30.06.2023 keine gegenteilige Stellungnahme des Antragstellers eingehe. Eine Reaktion des Antragstellers erfolgte nicht.
10
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Bescheide über die Grundsteueräquivalenzbeträge (Hauptfeststellung auf den 01.01.2022) sowie die Bescheide über den Grundsteuermessbetrag (Hauptveranlagung auf den 01.01.2025) zu Az. … und zu Az. YYY, diese jeweils vom 09.01.2023, von der Vollziehung auszusetzen.
11
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß, den Antrag abzulehnen.
12
Im vorliegenden Fall finde das Bayerische Grundsteuergesetz vom 10.12.2021 (BayGrStG) Anwendung. Es sei allein die Fläche der Maßstab. Das Verfahren bis zur Festsetzung der Grundsteuer sei in den nachfolgenden drei Stufen gegliedert. Dabei fielen lediglich die Stufen eins und zwei in die Zuständigkeit der Finanzverwaltung.
13
1. Feststellung des Äquivalenzbetrages im Grundsteueräquivalenzbetragsbescheid. Dieser ist der Grundlagenbescheid für den Grundsteuermessbetrag (§ 219 Bewertungsgesetz – BewG, §§ 180 – 182 Abgabenordnung – AO).
14
2. Festsetzung des Grundsteuermessbetrages im Grundsteuermessbescheid. Dieser ist der Grundlagenbescheid für die Grundsteuer (§§ 13 – 15 BayGrStG, § 184 AO).
15
3. Festsetzung der Grundsteuer durch die Kommune im Grundsteuerbescheid (§ 27 BayGrStG, § 1 Abs. 2 AO i.V.m. §§ 134 – 217 AO) unter Berücksichtigung des kommunalen Hebesatzes.
16
Zunächst sei Grundvermögen (Grundsteuer B) vom land- und forstwirtschaftlichen Vermögen (Grundsteuer A) abzugrenzen. Die beiden streitbefangenen Grundstücke des Antragstellers dienten Wohnzwecken und fielen somit in die Kategorie Grundsteuer B.
17
Für den Grundsteueräquivalenzbetragsbescheid sei ein Äquivalenzbetrag des Grund und Bodens gemäß Art. 1 Abs. 3 Satz 1 BayGrStG festzustellen. Hierzu sei die zur wirtschaftlichen Einheit gehörende Flurstücksfläche mit der jeweiligen Äquivalenzzahl nach Art. 3 Abs. 1 BayGrStG zu multiplizieren. Des Weiteren sei der Äquivalenzbetrag des Gebäudes gem. Art. 1 Abs. 3 Satz 2 BayGrStG festzustellen. Hierzu seien die maßgeblichen Flächen gemäß Art. 2 Abs. 1 – Abs. 3 BayGrStG mit der Äquivalenzzahl gemäß Art. 3 Abs. 2 BayGrStG zu multiplizieren.
18
Für den Grundsteuermessbetragsbescheid erfolge die Feststellung durch Multiplikation des Äquivalenzbetrages des Grund und Bodens nach Art. 1 Abs. 3 Satz 1 BayGrStG und der Grundsteuermesszahl nach Art. 4 BayGrStG sowie durch Multiplikation aus den Äquivalenzbeträgen von Wohn- und Nutzflächen nach Art. 1 Abs. 3 Satz 2 BayGrStG und der jeweiligen Grundsteuermesszahl nach Art. 4 BayGrStG.
19
Nach Durchführung dieses Verfahrens hätten sich die in den streitgegenständlichen Bescheiden festgesetzten Grundsteueräquivalenzbeträge sowie Grundsteuermessbeträge ergeben. Hiergegen habe der Antragsteller keine Einwände erhoben. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Berechnung wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 16.03.2023 verwiesen.
20
Gegenüber den bisher festgestellten Werten verminderten sich die Grundsteuermessbeträge im Übrigen für den Antragsteller. Diese seien bisher für die „Wohnung 1“ auf 21,47 € (42,00 DM) bzw. für die „Wohnung 2“ auf 27,73 € (54,25 DM) festgesetzt gewesen. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller „mit erheblichen Mehrbelastungen“ zu rechnen habe. Die beiden Wohnungen lägen nicht „in B-Stadt‘s Bestlagen“, die der Antragsteller aufführe, und erführen trotzdem eine Verminderung des Grundsteuermessbetrages.
21
Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte und die Vollziehung habe für den Antragsteller auch keine unbillige Härte zur Folge. Bei gleichbleibendem Hebesatz der Gemeinde (Art. 5 BayGrStG) ergäbe sich sogar eine Verminderung der Grundsteuer. Dem Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sei gegenüber dem Interesse eines vorläufigen Rechtsschutzes Vorrang einzuräumen.
22
Wegen der Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie den Akteninhalt verwiesen.
II.
23
Der Antrag hat keinen Erfolg.
24
1. Der Finanzrechtsweg ist eröffnet.
25
Durch § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i.V.m. Art. 5 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung (AGFGO) wird der Finanzrechtsweg eröffnet für Abgabenangelegenheiten, soweit diese Abgaben der Gesetzgebung des Bundes nicht unterliegen und durch Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften der Abgabenordnung verwaltet werden.
26
Diese Voraussetzungen erfüllt das Bayerische Grundsteuergesetz in der Fassung vom 10.12.2021 (GVBl 2021, 638).
27
2. Das Gericht erachtet die Anordnung des Ruhens des Verfahrens im Hinblick auf den Eilcharakter des einstweiligen Rechtsschutzes und die grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens nicht für zweckmäßig (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 251 ZPO).
28
3. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag auszusetzen (AdV), soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
29
a) Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (st. Rspr., z.B. BFH-Beschlüsse vom 27.01.2016 V B 87/15, BFH/NV 2016, 716; vom 03.09.2018 VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279; jeweils m.w.N.). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein (st. Rspr., vgl. BFH-Beschlüsse vom 25.04.2018 IX B 21/18, BStBl II 2018, 415; vom 04.07.2019 VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060; vom 18.01.2023 II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382; vom 09.03.2023 VI B 31/22 (AdV), BFH/PR 2023, 574).
30
b) Der Senat hat bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Bayerischen Grundsteuergesetzes vom 10.12.2021.
31
Das BayGrStG regelt die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer der in Bayern belegenen Grundstücke als wirtschaftliche Einheiten des Grundvermögens (Grundsteuer B). Dem Grundsteuermessbetrag nach dem BayGrStG liegen keine Grundsteuerwerte zugrunde, sondern sogenannte Äquivalenzbeträge. Diese werden durch Multiplikation der Gebäudeflächen sowie der Flächen des Grund und Bodens mit der jeweiligen Äquivalenzzahl nach Art. 3 BayGrStG ermittelt und sind wertunabhängig. Für Betriebe der Land- und Fortwirtschaft gelten grundsätzlich die (wertabhängig ausgestalteten) Regelungen des BewG und des GrStG; davon abweichende Sonderregelungen sind in Art. 9 BayGrStG enthalten. Die erste Feststellung der Äquivalenzbeträge für die in Bayern belegenen wirtschaftlichen Einheiten erfolgt allgemein auf den 01.01.2022 (Hauptfeststellung, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayGrStG). Die Grundsteuermessbeträge werden ab dem 01.01.2025 allgemein festgesetzt (Hauptveranlagung, Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayGrStG).
32
Dem Gesetzgeber steht bei der im Jahr 2018 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angemahnten Neuregelung der Grundsteuer ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er hat bei der Wahl der Bemessungsgrundlage und bei der Ausgestaltung der Bewertungsregeln einer Steuer einen großen Spielraum, solange sie geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen und dabei die Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abzubilden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.04.2018 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BGBl I 2018, 531, Leitsatz 1).
33
Dieser Gestaltungsspielraum beinhaltet auch eine Typisierungskompetenz. Bei der Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.04.2018 auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen. Jedenfalls muss das so gewählte und ausgestaltete Bemessungssystem, um eine lastengleiche Besteuerung zu gewährleisten, in der Gesamtsicht eine in der Relation realitäts- und damit gleichheitsgerechte Bemessung des steuerlichen Belastungsgrundes sicherstellen (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.04.2018 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BGBl I 2018, 531, Rn. 98, 168).
34
In seinem Urteil vom 10.04.2018 hat das BVerfG keine Festlegung zugunsten eines bestimmten Reformmodells getroffen und auch die Frage, ob es sich bei der Neuregelung um eine wertabhängige Bewertungsmethode handeln muss, offengelassen (vgl. Sklareck in: Stenger/Loose, Bewertungsrecht – BewG/ErbStG/GrStG, 165. EL 6/2023, Landesgrundsteuergesetz Bayern, II. Rechtsentwicklung, Rn. 12).
35
c) Das BayGrStG hat den Vorteil des leichteren Vollzugs und vermeidet u.a. die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Berücksichtigung der Bodenrichtwerte (vgl. dazu Kirchhof, DB 2023, 1116, 1118 f.; a.A. Richter/Wagner, DB 2023, 1254, aber: „Offenbar ist es ein politische, keine rechtliche Frage, ob bei der Bemessung der GrSt Bodenrichtwerte oder Flächen verwendet werden oder nicht“). Nachteil des reinen Äquivalenzmodells ist u.a., dass es sich um eine sehr pauschale Bewertungssystematik handelt und der tatsächliche Marktwert von Grundstücken unberücksichtigt bleibt (vgl. z.B. Schmidt, DStR 2020, 249 sowie die anhängige Popularklage der Partei Die Linke, https://www.die-linke-bayern.de/fileadmin/user_upload/PopularklageGr…22.pdf: u.a. Verstoß gegen das Prinzip der Leistungsfähigkeit, den Gleichbehandlungsgrundsatz, die Nutzbarmachung von Steigerungen des Bodenwertes nach Art. 161 BV und die Eigentumsgarantie; a.A. Kirchhof, DStR 2020, 1073 und DB 2023, 1116; Literaturübersicht bei Eisele in Rössler/Troll, BewG, 35. EL 9/2022, Art. 1 BayGrStG).
36
Bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ist das System der Ermittlung der Grundsteuer auf der Grundlage eines reinen Flächenmodells, wie es das Bayerische Grundsteuergesetz vom 10.12.2021 vorsieht, vor dem Hintergrund des erheblichen Bewertungsspielraums des Gesetzgebers nicht zu beanstanden.
37
Insbesondere eine Verletzung von Art. 123 Abs. 1 BV (Leistungsfähigkeitsprinzip) ist nicht offenkundig. Diese Verfassungsnorm bezieht sich nach der bisherigen Rechtsprechung des BayVerfGH nur auf Personalsteuern, die es gestatten, persönliche Verhältnisses zu berücksichtigen, nicht dagegen auf solche Landessteuern, die – ihrer Natur nach – nach objektiven Merkmalen bemessen werden (vgl. BayVerfGH, Entscheidungen vom 04.04.1950 Vf. 157-VII-49, juris; vom 06.03.1981 Vf. 8-VII-79, BB 1981, 1079; Drüen in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – BewG/ErbStG/GrStG, 165. EL 6/2023, Landesgrundsteuergesetze, 2. Landesverfassungsrechtliche Vorgaben, Rn. 14). Darüber hinaus besteht im Einzelfall die Möglichkeit, Ansprüche aus dem Grundsteuerschuldverhältnis zu erlassen, soweit nach dem durch das BayGrStG vorgeschriebenen Systemwechsel nach Lage des einzelnen Falles eine unangemessen hohe Steuerbelastung eintritt, Art. 8 BayGrStG.
38
Es bestehen mithin keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des BayGrStG vom 10.12.2021.
39
d) Dem Vorbringen des Antragstellers ist auch nicht zu entnehmen, dass durch die sofortige Vollziehung der Bescheide über die Grundsteueräquivalenzbeträge bzw. den Grundsteuermessbetrag eine unzumutbare Härte droht.
40
Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinn von § 69 FGO liegt vor, wenn dem Zahlungspflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21.02.1990 II B 98/89, BStBl II 1990, 510; vom 05.03.1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325).
41
Nach der Rechtsprechung des BFH setzt eine AdV wegen unbilliger Härte voraus, dass der Betroffene seine wirtschaftliche Lage im Einzelnen vorträgt und glaubhaft macht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29.03.2001 III B 80/00, BFH/NV 2001, 1294, und vom 27.08.2002 XI B 94/02, BStBl II 2003, 18).
42
Der Antragsteller hat nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er durch die Vollziehung der angefochtenen Grundlagenbescheide in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht wäre oder welche kaum mehr gutzumachenden Nachteile ihm entstehen würden.
43
e) Nach alledem ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.
44
4. Die beantragte Aussetzung der Vollziehung wäre dem Antragsteller im Übrigen auch aufgrund des mangelnden besonderen Aussetzungsinteresses nicht zu gewähren.
45
a) Bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm setzt die Aussetzung der Vollziehung wegen des Geltungsanspruchs jedes formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes grundsätzlich voraus, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30.01.2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031; vom 06.11.2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 27.08.2002 XI B 94/02, BStBl II 2003, 18; vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558; vom 20.09.2022 II B 3/22, BFH/NV 2022, 1328; vom 18.01.2023 II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382; vom 09.03.2023 VI B 31/22 (AdV), BFH/PR 2023, 574).
46
Bei der Prüfung, ob ein solch berechtigtes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung von AdV sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer AdV hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (vgl. BFH-Beschlüsse vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558; vom 20.09.2022 II B 3/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1328; vom 18.01.2023 II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382; kritisch zu grundlagenbescheidsbezogener Wirkung einer Feststellung für Folgezeiträume BFH-Beschluss vom 12.04.2023 I B 74/22 (AdV), DB 2023, 1709, Rn. 20).
47
Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bzw. vorliegend des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH, Art. 98 Abs. 4 Verfassung des Freistaates Bayern in der Fassung vom 15.12.1998) bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist der Vorrang einzuräumen, wenn die AdV eines Verwaltungsaktes im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19.02.2018 II B 75/16, BFH/NV 2018, 706; vom 18.01.2023 II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382).
48
Das danach für eine Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche besondere berechtigte Aussetzungsinteresse hat der Bundesfinanzhof in verschiedenen Fallgruppen regelmäßig als erfüllt angesehen, insbesondere wenn der BFH die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat oder ein beim BFH anhängiges Verfahren, das für die Beantwortung von Rechtsfragen vorgreiflich ist, im Hinblick auf mehrere beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren der konkreten Normenkontrolle ruht. Das berechtigte Aussetzungsinteresse hat der BFH auch in den Fällen bejaht, in denen der sofortige Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zu einem steuerlichen Eingriff mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen führt, etwa, weil dem Antragsteller irreparable Nachteile drohen oder sein zu versteuerndes Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer das sozialhilferechtlich garantierte Existenzminimum unterschreitet oder wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage oder um ausgelaufenes Recht geht (vgl. BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558; vom 17.12.2018 VIII B 91/18, BFH/NV 2019, 306; vom 18.01.2023 II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382).
49
b) Auf dieser Grundlage kommt im Streitfall eine Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide nicht in Betracht.
50
Weder dem Vorbringen des Klägers noch dem sonstigen Akteninhalt lässt sich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Klägers an der Gewährung von AdV entnehmen. Es liegt auch keine der oben genannten Fallgruppen vor, in welchen der BFH dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt hat.
51
Insbesondere kann im Streitfall nicht angenommen werden, dass die Festsetzung der Grundsteueräquivalenzbeträge sowie der Grundsteuermessbeträge für den Antragsteller zu einer derart schwerwiegenden Belastung führt, dass ihm irreparable Nachteile drohen. Anderes ist von dem Antragsteller weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.
52
Demgegenüber besteht am Vollzug des BayGrStG wegen der Sicherung einer geordneten Haushaltsführung ein öffentliches Interesse. Eine Aufhebung der Vollziehung der Bescheide über die Grundsteueräquivalenzbeträge (Hauptfeststellung auf den 01.01.2022) sowie der Bescheide über den Grundsteuermessbetrag (Hauptfeststellung auf den 01.01.2025) betrifft nicht nur den Antragsteller, sondern würde zu einer faktischen vorläufigen Außerkraftsetzung des BayGrStG für einen nicht absehbaren Zeitraum und damit bei den hebeberechtigten Kommunen letztlich zu erheblichen Einnahmeausfällen führen. Eine exakte Bestimmung dieser Einnahmeausfälle ist bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung nicht erforderlich (vgl. BFH-Beschluss vom 15.06.2016 II B 91/15, BStBl II 2016, 846, m.w.N.). Die begehrte AdV hätte eine so weitreichende Wirkung, wie sie allenfalls durch eine Entscheidung des BayVerfGH herbeigeführt werden dürfte.
53
c) Die gebotene Abwägung des für eine AdV sprechenden individuellen Interesses des Antragstellers, das allein darin besteht, die Grundsteuer ab dem 01.01.2025 nicht unter Zugrundelegung der mit Bescheiden vom 09.01.2023 festgesetzten Grundsteuermessbeträge entrichten zu müssen und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung fällt im Streitfall zu Lasten des Antragstellers aus.
54
Dass der Antragsteller durch die angefochtene Festsetzung der Grundsteueräquivalenzbeträge sowie der Grundsteuermessbeträge nicht wiedergutzumachende Nachteile von erheblichem Gewicht erlitte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Hierbei ist überdies zu berücksichtigen, dass die Festsetzung des Grundsteuermessbetrags als Grundlagenbescheid eine wirtschaftliche Folge für den Antragsteller nicht bereits zum jetzigen Zeitpunkt, sondern erst mit Wirkung zum 01.01.2025 haben kann, da die Kommunen erst zu diesem Zeitpunkt die Grundsteuer auf der Basis der ggf. geänderten Hebesätze erheben.
55
d) Die erforderliche Abwägung der beiderseitigen Interessen führt mithin im Streitfall zu dem Ergebnis, dass vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden kann. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist mithin abzulehnen.
56
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
57
6. Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
58
Art. 5 Satz 2 AGFGO sieht vor, dass die Vorschriften der FGO über die Revision (2. Teil, Abschnitt V, Unterabschnitt 1) anzuwenden sind. Da die Regelungen der §§ 115 ff. FGO durch Landesgesetz für anwendbar erklärt wurden, kann die Revision auch darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf der Verletzung von Landesrecht beruht (§ 118 Abs. 1 Satz 2 FGO). Da es sich mithin um revisibles Landesrecht handelt und für die Zulassung der Beschwerde i.S.v. § 128 FGO die Vorschrift des § 115 Abs. 2 FGO entsprechend gilt, ist die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.